Moskau sagt auf Blond Lebewohl, die Jamaikaner fegen mit der Konkurrenz den Boden und der Gastgeber ist in seiner sexuellen Orientierung tief gespalten. Beim deutschen Team gibt es Licht und Schatten. Bei der WM - erst der zweiten ohne Weltrekord - ebenfalls. SPOX hat die Tops und Flops der WM.
Tops
Tatjana Firowa und Xenija Ryschowa
Inmitten eines als feindlich einzuschätzenden Klimas für Homosexuelle in Russland bewiesen die beiden Weltmeisterinnen Tatjana Firowa und Xenija Ryschowa aus der russischen 4x400m-Staffel bei der Medaillenübergabe ein feines Gespür für den Moment. Und eine gehörige Portion Mut!
Ihr Kuss wird zweifelsohne um die Welt und durch die Medien gehen und Fragen aufwerfen. Fragen zur Politik Russlands, Fragen zu mancher Aussage, die während dieser WM fiel und auch Fragen darüber, ob sich ein Gastgeber derart restriktiv und rückständig gegenüber einer gesellschaftlichen Gruppe präsentieren darf.
Dafür gebührt den beiden und allen Athleten, die ihre Solidarität ebenfalls durch Worte oder Gesten bekundeten - sehr beliebt von Australien bis Schweden: Fingernägel in Regenbogenfarben - Dank. Die Funktionäre juckte DER Kuss der WM herzlich wenig. Wir bleiben gespannt auf Sotschi!
Robert Harting
Der "Emotional-Leader" der deutschen Athleten ist nicht nur wegen seiner Goldmedaille - übrigens der dritten in Folge bei der WM - ein Topkandidat. Er ist ein Mann mit Ecken und Kanten und einer, der sich seit Jahren nicht vor Konfrontationen mit Verband und Kollegen und Dr. Thomas Bach scheut.
"Lars Riedel und auch Michael Möllenbeck haben früher nur das Geld aus dem Sport gezogen und waren zufrieden. Was nach ihnen mit dem Diskuswurf passierte, war ihnen völlig latte", sagte er über zwei seiner Vorgänger. Und über den Noch-DOSB-Präsidenten: "Bei Bach habe ich das Gefühl, es ging ihm noch nie um etwas anderes, als IOC-Präsident zu werden. Er ist nur damit beschäftigt, den interessieren weder wir noch sein Amt beim Sportbund wirklich." Warum Harting Bach bei der IOC-Bewerbung die Daumen drückt? "Wenn er da gewählt wird, wird er ja seinen DOSB-Posten abgeben, und es kommt endlich ein neuer Mann. Es lohnt sich gar nicht, darüber nachzudenken, wie es mit ihm besser werden könnte."
Man muss Hartings Meinung nicht uneingeschränkt teilen, kann aber davon ausgehen, dass er damit nicht allein dasteht, aber einer der ganz Wenigen ist, der den Mund aufmacht. Und er lässt Worten auch Taten folgen: So kündigte er nach seinem WM-Sieg an, zeitnah sein Fördermodell für Spitzensportler initiieren zu wollen. Unter Mitarbeit verschiedener DAX-Unternehmen. Revolution! Und das hat es in der altehrwürdigen Leichtathletik wirklich lange nicht gegeben.
Storl, Holzdeppe und Obergföll
Die drei deutschen Goldmedaillengewinner dürfen natürlich in unserer Topliste nicht fehlen. Besonders die Erfolge von Holzdeppe und Storl waren so nicht zu erwarten. Storl zeigte, dass er trotz einer bisher sehr zerfahrenen Saison im entscheidenden Moment (mal wieder) eine Schippe drauflegen kann.
Holzdeppe drehte mit seinem Sieg dem haushohen Favoriten Renaud Lavillenie eine lange Nase, der silberne Trostpreis rang dem Franzosen nicht mehr als ein gequältes Mundwinkelnachobenziehen ab. Apropos gequält: Nach einer gefühlten Ewigkeit rang sich Lavillenie dann doch noch une felicitation für Holzdeppe ab. Chapeau!
Und Obergföll bewies am letzten Wettkampftag, dass sie doch nicht die "Unvollendete" bleiben wird, als die sie schon abgestempelt wurde. Nicht ganz unerheblicher Nebeneffekt: Ihr zukünftiger Gatte Boris Henry, der auf der Ehrenrunde herzallerliebst mit der Weltmeisterin mitheulte, hört ab 21. September ebenfalls auf den Namen Obergföll. Darum merke: Don't mess with Christina! Und vor allem: No more Namenswetten.
Usain Bolt und Shelly-Ann Fraser Pryce
Drei Titel holten sich Usain Bolt und Shelly-Ann Fraser-Pryce jeweils und sind damit die beiden erfolgreichsten Athleten in Moskau. Als Solisten liefen beide der Konkurrenz über 100 und 200m davon, bevor sie ihren makellosen Auftritt mit den Siegen in der 4x100m-Staffel krönten.
Wer allerdings gedacht hatte, Bolt würde mit vielen Mätzchen und altbekannter Leichtigkeit der ohnehin dezimierten Sprintkonkurrenz davonfliegen, sah sich getäuscht. "Es wird härter, je älter du wirst und je mehr du rennst", so der 26-Jährige, der mit dem achten (!) WM-Gold den großen Carl Lewis einholte. Da der Jamaikaner aber eine WM-Silberne mehr eingeheimst hat als die US-Legende (2:1), gilt Lightning Bolt nun als erfolgreichster Leichtathlet bei einer WM ever. Nur die Olympiasiege sieben bis neun hat Lewis ihm nun noch voraus. See you in Rio, Usain!
gettyWer die Boltsche Überlegenheit in Moskau sehen wollte, musste bei Landsfrau Shelly-Ann "Pinkhair" Fraser-Pryce zuschauen. Ihre Staccato-Schritte trugen sie in jeder Zehntel sichtlich weg vom Rest des Feldes. 22 Hundertstel Vorsprung über die 100 m, 15 Hundertstel über die 200 m und gemeinsam mit ihren Staffelkolleginnen war sie sage und schreibe 1,46 Sekunden schneller als die jeweils Zweitplatzierten.
Fraser-Pryce war wie Harting und Bolt eine von 14 Olympiasiegern, die in Moskau Gold gewannen. Und auch, wenn der Makel des möglichen Dopings wie eine dunkle Wolke über derart überlegenen Vorstellungen kreist, verneigen wir uns vor solcher Konstanz und Konsequenz.
Nicht zu vergessen: Fraser-Pryce hat den meisten Leichtathletik-Profis auch in puncto Geschäftssinn eine Menge voraus. Denn die pinke Haarverlängerung der jamaikanischen Volksheldin wirbt ganz nebenbei für ihr Geschäft in Kingston. Ein Salon für Haarverlängerungen. Was sonst!?
Flops: Seesaw Jelena, Wahrnehmungsstörung bei Richtern & der verfluchte Sonntag
Flops
Jelena Issinbajewa
Es gibt Menschen, von denen wünschte man sich, sie würden sich auf ihr sportliches Tun beschränken und sich ansonsten möglichst still verhalten. Seit wenigen Tagen befindet sich auch Jelena Issinbajewa auf dieser Liste. So begeisternd ihr Sieg im Stabhochsprung mit anschließendem doppeltem Flickflack war, so enttäuschend waren manche ihrer Worte. "Männer sollen Frauen lieben und umgekehrt", befand sie, angesprochen auf das umstrittene "Anti-Homosexuellen-Gesetz".
"Wir verstehen uns als traditionelles Volk. Wenn wir all diese Dinge auf unseren Straßen zulassen, würden wir Angst um unsere Nation haben." Ihr Wunsch, dass dieses "Problem" nicht die olympischen Winterspiele belasten solle, war im mindesten Fall naiv, in jedem Fall eine Frechheit und definitiv ein klarer Flop.
Unsäglich zudem, dass die Stabhochsprung-Queen nach einer Welle der Empörung halbgar zurückruderte: "Ich bin gegen jede Diskriminierung von Homosexuellen." Issinbajewas Ausrede: "Englisch ist nicht meine erste Sprache. Ich bin wohl missverstanden worden gestern." Klar. Den Beweis gibt's im Video.
Der Zeitplan
So manche Entscheidung der Veranstalter warf während der WM Fragen auf. Darunter jene, das Halbfinale und das Finale des 100 m Hürdenlaufs der Frauen am selben Tag und mit nur 90 Minuten Pause zu veranstalten. Oder die, dass am ersten Tag die Frauen ihren Marathon in der brütenden Mittagshitze und Stunden vor der offiziellen Eröffnungsfeier - praktisch vor einer Geisterkulisse - absolvieren "durften".
Ebenso fragwürdig: die Terminierung am Schlusstag. Zwischen dem letzten Halbfinale der 4x100m-Staffeln und DEM Finale hatten die Sprinterinnen, darunter die deutschen, nur knapp mehr als eine Stunde Zeit zur Erholung. Logisch, dass das DLV-Team, das nicht über eine ähnliche Kadertiefe verfügen wie die Jamaikaner, im Finale die schwächere Zeit liefen. Logisch aber auch, dass Fraser-Pryce und Co. nicht wie avisiert den Weltrekord zu Fall brachten.
Das Publikum
Mit den Zuschauern wurden viele Athleten auch nach neun Tagen noch nicht so richtig warm. Das lag zum einen an der emotionalen Distanziertheit der Russen gegenüber nicht heimischen Athleten, zum anderen daran, dass das Stadion bis auf wenige Ausnahmen an allen Wettkampftagen deutliche Lücken in der Befüllung aufwies.
"Ich bin es gewohnt, dass das Stadion aus allen Nähten platzt, wenn ich zum 100m-Finale antrete", stellte etwa Usain Bolt fest. "Anfangs haben die Leute hier gar nicht gelacht, immerhin sind sie nach und nach entspannter geworden."
Während sich also in Kingston auf der anderen Seite der Welt Fanmeilen mit gelb-grün-schwarzen Fahnen und tanzendem Partyvolk füllten, verschob der müde Bolt seine Feier. Auf später. In die Heimat. Rio dürfte dem Jamaikaner wohl wieder besser liegen...
Die Kampfrichter
Mehr als einmal gerieten die Kampfrichter (unfreiwillig!) in den Mittelpunkt des Geschehens. David Storl hätte eine falsch getroffene Entscheidung beinahe um den verdienten Lohn seiner Arbeit gebracht, weil die übereifrigen Kampfrichter seinen Siegesstoß über 21,73 m fälschlicherweise als übertreten werten wollten. London calling? Der Vergleich mit der Posse um Betty Heidlers erst falsch und dann angeblich gar nicht gemessener Hammerwurf-Weite beim olympischen Bronze-Versuch drängte sich auf.
Auch die deutschen Sprinterinnen wurden um ein Haar Opfer einer solchen Fehleinschätzung. Im Halbfinale sollte die Staffel über 4x100m zunächst aufgrund eines angeblich fehlenden Stabes beim Zieleinlauf, dann wegen Verlassens der Bahn disqualifiziert werden. Am Ende stellte sich heraus, dass die Deutschen eigentlich gar nichts verbrochen hatten. Richtig lagen die Richter immerhin beim Ausschluss der britischen Männerstaffel.
Der verfluchte zweite Tag
Es hätte der Tag der deutschen Athleten werden können. Gleich fünf Medaillenhoffnungen gingen ins Rennen. Am Ende war es jedoch ein Tag zum Vergessen. Einzig Michael Schrader verhinderte mit seiner Silbermedaille im Zehnkampf ein vollständiges Debakel aus deutscher Sicht. Die übrigen deutschen Medaillenkandidaten um Nadine Müller (Diskus), Sosthene Moguenera (Weitsprung), Rico Freimuth und Pascal Behrenbruch (beide Zehnkampf) gingen dagegen leer aus.
Müller wurde wenigstens noch Vierte. "Im Finale kann ich bestimmt zwei bis drei Meter draufpacken", hatte sich Müller, Vizeweltmeisterin von 2011 nach einer souveränen Qualifikation noch optimistisch gezeigt. Zu optimistisch. Behrenbuch stürzte an seinem sonst so starken zweiten Tag übel ab. Moguenara reiste mit einer neuen Bestleistung von 7,04 m als Nummer zwei der Welt nach Moskau, wurde im Finale aber mit indiskutablen 6,42 m Letzte.