Liebesgrüße aus Moskau

Von Michael Stricz
Nicht alle Weltmeister taugen uneingeschränkt zum Vorbild: Die Tops und Flops der Leichtathletik-WM
© getty

Moskau sagt auf Blond Lebewohl, die Jamaikaner fegen mit der Konkurrenz den Boden und der Gastgeber ist in seiner sexuellen Orientierung tief gespalten. Beim deutschen Team gibt es Licht und Schatten. Bei der WM - erst der zweiten ohne Weltrekord - ebenfalls. SPOX hat die Tops und Flops der WM.

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Tops

Tatjana Firowa und Xenija Ryschowa

Inmitten eines als feindlich einzuschätzenden Klimas für Homosexuelle in Russland bewiesen die beiden Weltmeisterinnen Tatjana Firowa und Xenija Ryschowa aus der russischen 4x400m-Staffel bei der Medaillenübergabe ein feines Gespür für den Moment. Und eine gehörige Portion Mut!

Ihr Kuss wird zweifelsohne um die Welt und durch die Medien gehen und Fragen aufwerfen. Fragen zur Politik Russlands, Fragen zu mancher Aussage, die während dieser WM fiel und auch Fragen darüber, ob sich ein Gastgeber derart restriktiv und rückständig gegenüber einer gesellschaftlichen Gruppe präsentieren darf.

Dafür gebührt den beiden und allen Athleten, die ihre Solidarität ebenfalls durch Worte oder Gesten bekundeten - sehr beliebt von Australien bis Schweden: Fingernägel in Regenbogenfarben - Dank. Die Funktionäre juckte DER Kuss der WM herzlich wenig. Wir bleiben gespannt auf Sotschi!

Robert Harting

Der "Emotional-Leader" der deutschen Athleten ist nicht nur wegen seiner Goldmedaille - übrigens der dritten in Folge bei der WM - ein Topkandidat. Er ist ein Mann mit Ecken und Kanten und einer, der sich seit Jahren nicht vor Konfrontationen mit Verband und Kollegen und Dr. Thomas Bach scheut.

"Lars Riedel und auch Michael Möllenbeck haben früher nur das Geld aus dem Sport gezogen und waren zufrieden. Was nach ihnen mit dem Diskuswurf passierte, war ihnen völlig latte", sagte er über zwei seiner Vorgänger. Und über den Noch-DOSB-Präsidenten: "Bei Bach habe ich das Gefühl, es ging ihm noch nie um etwas anderes, als IOC-Präsident zu werden. Er ist nur damit beschäftigt, den interessieren weder wir noch sein Amt beim Sportbund wirklich." Warum Harting Bach bei der IOC-Bewerbung die Daumen drückt? "Wenn er da gewählt wird, wird er ja seinen DOSB-Posten abgeben, und es kommt endlich ein neuer Mann. Es lohnt sich gar nicht, darüber nachzudenken, wie es mit ihm besser werden könnte."

Man muss Hartings Meinung nicht uneingeschränkt teilen, kann aber davon ausgehen, dass er damit nicht allein dasteht, aber einer der ganz Wenigen ist, der den Mund aufmacht. Und er lässt Worten auch Taten folgen: So kündigte er nach seinem WM-Sieg an, zeitnah sein Fördermodell für Spitzensportler initiieren zu wollen. Unter Mitarbeit verschiedener DAX-Unternehmen. Revolution! Und das hat es in der altehrwürdigen Leichtathletik wirklich lange nicht gegeben.

Storl, Holzdeppe und Obergföll

Die drei deutschen Goldmedaillengewinner dürfen natürlich in unserer Topliste nicht fehlen. Besonders die Erfolge von Holzdeppe und Storl waren so nicht zu erwarten. Storl zeigte, dass er trotz einer bisher sehr zerfahrenen Saison im entscheidenden Moment (mal wieder) eine Schippe drauflegen kann.

Holzdeppe drehte mit seinem Sieg dem haushohen Favoriten Renaud Lavillenie eine lange Nase, der silberne Trostpreis rang dem Franzosen nicht mehr als ein gequältes Mundwinkelnachobenziehen ab. Apropos gequält: Nach einer gefühlten Ewigkeit rang sich Lavillenie dann doch noch une felicitation für Holzdeppe ab. Chapeau!

Und Obergföll bewies am letzten Wettkampftag, dass sie doch nicht die "Unvollendete" bleiben wird, als die sie schon abgestempelt wurde. Nicht ganz unerheblicher Nebeneffekt: Ihr zukünftiger Gatte Boris Henry, der auf der Ehrenrunde herzallerliebst mit der Weltmeisterin mitheulte, hört ab 21. September ebenfalls auf den Namen Obergföll. Darum merke: Don't mess with Christina! Und vor allem: No more Namenswetten.

Usain Bolt und Shelly-Ann Fraser Pryce

Drei Titel holten sich Usain Bolt und Shelly-Ann Fraser-Pryce jeweils und sind damit die beiden erfolgreichsten Athleten in Moskau. Als Solisten liefen beide der Konkurrenz über 100 und 200m davon, bevor sie ihren makellosen Auftritt mit den Siegen in der 4x100m-Staffel krönten.

Wer allerdings gedacht hatte, Bolt würde mit vielen Mätzchen und altbekannter Leichtigkeit der ohnehin dezimierten Sprintkonkurrenz davonfliegen, sah sich getäuscht. "Es wird härter, je älter du wirst und je mehr du rennst", so der 26-Jährige, der mit dem achten (!) WM-Gold den großen Carl Lewis einholte. Da der Jamaikaner aber eine WM-Silberne mehr eingeheimst hat als die US-Legende (2:1), gilt Lightning Bolt nun als erfolgreichster Leichtathlet bei einer WM ever. Nur die Olympiasiege sieben bis neun hat Lewis ihm nun noch voraus. See you in Rio, Usain!

Wer die Boltsche Überlegenheit in Moskau sehen wollte, musste bei Landsfrau Shelly-Ann "Pinkhair" Fraser-Pryce zuschauen. Ihre Staccato-Schritte trugen sie in jeder Zehntel sichtlich weg vom Rest des Feldes. 22 Hundertstel Vorsprung über die 100 m, 15 Hundertstel über die 200 m und gemeinsam mit ihren Staffelkolleginnen war sie sage und schreibe 1,46 Sekunden schneller als die jeweils Zweitplatzierten.

Fraser-Pryce war wie Harting und Bolt eine von 14 Olympiasiegern, die in Moskau Gold gewannen. Und auch, wenn der Makel des möglichen Dopings wie eine dunkle Wolke über derart überlegenen Vorstellungen kreist, verneigen wir uns vor solcher Konstanz und Konsequenz.

Nicht zu vergessen: Fraser-Pryce hat den meisten Leichtathletik-Profis auch in puncto Geschäftssinn eine Menge voraus. Denn die pinke Haarverlängerung der jamaikanischen Volksheldin wirbt ganz nebenbei für ihr Geschäft in Kingston. Ein Salon für Haarverlängerungen. Was sonst!?

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