Der DLV stapelt vor der WM (Samstag, 7.30 Uhr im LIVE-TICKER) tief und schickt seine 68 Athleten ohne Medaillenvorgaben nach Moskau. Dabei kann sich der Kader, gespickt mit Olympiasiegern, London-Überraschungen und Top-Talenten im Vergleich der Weltbesten sehen lassen. SPOX macht den Medaillencheck.
Talente im Fokus
Das Durchschnittsalter der DLV-Mannschaft liegt bei 25,1 Jahren - dank vieler Athleten, die durchaus bei den nächsten großen Meisterschaften schon ganz oben anklopfen können.
Lena Malkus und Malaika Mihambo
Im Weitsprung hat Deutschland neben dem heißen Eisen Sothene Moguenara mit U-23-Europameisterin Malkus und U-20-Europameisterin Mihambo so viel Qualität am Start, wie selten zuvor.
Bernhard Seifert
DerU-23-Vize-Europameister im Speerwurf hat die große Chance, aus dem Schatten des verletzten Überraschungsweltmeisters Matthias de Zordo (Achillessehnenriss) zu treten und einer einstigen DLV-Domäne neuen Schwung zu verleihen.
Martin Keller
Der Leipziger ist der kurzfristigste aller WM-Fahrer. Der Leipziger haute in Weinheim eine Woche vor WM-Start einfach mal einen raus. 10,07 Sekunden über die 100 m, nur eine Hundertstel am deutschen Rekord vorbei. Und siehe da: Der sonst so unnachgiebige Verband bewegte sich und belohnte den Sprinter mit einem Blitz-Ticket für die WM. Im Sog von Keller steigerte sich auch Julian Reus auf 10,08 s. Jetzt scheint selbst für die 4x100-m-Staffel das WM-Finale möglich.
Zum Lernen auf der großen Bühne dabei: U-23-Europameisterin und Olympia-Achte Gesa-Felicitas Krause (20 Jahre) über 3000 m Hindernis, Diana Sujew über 1500 m und Diskuswerfer Christoph Harting (beide 22).
Top-6-Kandidaten
Die deutsche Mannschaft verfügt über zahlreiche sichere Kandidat(in)en für die Plätze hinter den strahlenden Medaillengewinnern.
Nadine Müller (66,69 m/4. der Jahresbestenliste, erzielt am 17. März) und Julia Fischer (66,04 m/5., 19. Mai. beide Diskuswurf)
Gold geht hier nur über die kroatische Olympiasiegerin Sandra Perkovic, die in diesem Jahr bereits vier Mal die 68-m-Marke geknackt hat (JWBW: 68,96). Keiner anderen Athletin gelang das. Müller und Fischer sind Ausreißer nach oben zuzutrauen.
Müller will mehr: "Auf jeden Fall aufs Treppchen."
Alyn Camara (8,29 m/7., 15. Juni), Christian Reif (8,27 m/9., 15. Juni) und Sebastian Bayer (8,04 m/41., 6. Juli, alle Weitsprung)
Auch das DLV-Weitsprung-Trio träumt von einer WM-Medaille: Camara und Reif übersprangen die 8-m-Marke in dieser Saison mehrfach.
Bei den deutschen Meisterschaften in Ulm gelang das endlich auch Bayer, der nur mit der B-Norm nach Moskau fährt.
Die Finalteilnahme ist für Camara und Reif Pflicht, doch die Weltspitze scheint weit enteilt. Der Mexikaner Luis Rivera hält mit 8,46 m die Saisonbestweite, erzielt am 12. Juli.
Ex-Hürdensprinter Camara träumt dennoch von deutschem Edelmetall: "Ich wünsche unserer Disziplin, dass wir eine Medaille mitnehmen. Nach den EM-Titeln von Sebastian und Christian wären wir dann eine Stufe weiter oben angekommen." Es ist ein Traum.
Silke Spiegelburg (Stabhochsprung, 4,71 m/6., 17. Juli)
Olympia 2012, EM 2012, WM 2011 - ihr klebt das Pech als ewige Vierte fest am Stab. Und: Spiegelburg kommt in dieser Saison nicht so recht aus der Hüfte.
Die große Hoffnung: Dass es diesmal genau anders herum läuft, als sonst. Häufig ging Spiegelburg nach makellosen Meeting-Serien als sichere Medaillenkandidatin in die Großereignisse, um schließlich höhengleich mit Silber-und Bronzemädels auf dem Blechplatz bittere Tränen zu vergießen. Gescheitert an den Nerven und einem frühen Fehlversuch zu viel.
Betty Heidler (Hammerwurf, 76,48 m/4., 15. Juni)
Selbst die Olympia-Dritte muss diesmal zu dieser Kategorie gezählt werden. Während Russland mit Tatyana Lysenkos Gold rechnen kann, muss sich Heidler steigern, um den undankbaren Blechplatz zu vermeiden.
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Medaillenchancen
Pascal Behrenbruch (Zehnkampf, 8514 Punkte/1., 16. Juni)
Behrenbruch führt die Weltjahresbestenliste mit seiner starken Leistung aus Ratingen vor seinen Teamkollegen Rico Freimuth (8488) und Michael Schrader (8427) an. Das ist natürlich gerade im Zehnkampf keine Garantie auf Edelmetall. Doch der Zeitpunkt von Behrenbruchs WM-Quali in der Mehrkampf-Hochburg zeigt, dass seine Trainingssteuerung im fernen Estland funktioniert hat.
Gold und Silber aber scheinen trotz fehlender Topmarken der US-Amerikaner an Weltrekordler Ashley Eaton und Titelverteidiger Trey Hardee verteilt - wenn nicht ein Überraschungsmann dazwischenfunkt.
Eaton hat Behrenbruch jedenfalls auf dem Zettel: "Er ist sehr talentiert. Aber bei einer großen Meisterschaft kommt es vor allem auf den Kopf an: Wenn er während des Wettkampfes Spaß hat und sich nicht zu sehr unter Druck setzt, kann er bei dieser WM viel erreichen." Eben.
Prognose: Eine DLV-Medaille ist Pflicht, Exil-Este Behrenbruch hat die größte Chance und Silber ist drin.
Sostene Moguenara (Weitsprung, 7,04 m/2., 2. August)
Sie hatte so recht wohl niemand auf dem Zettel - bis Sostene Moguenara letzte Woche bei der WM-Generalprobe erstmals die 7-Meter-Marke knackte. Damit liegt die im Tschad geborene 23-Jährige urplötzlich auf Rang fünf der deutschen Bestenliste.
Moguenaras Motivation für Moskau ist eine besondere: "Mein Traum ist es, dass mich meine Eltern im Fernsehen sehen, wie ich auf dem Treppchen stehe und eine Medaille bekomme", sagte sie der "Bild." Ihre Familie lebt nach wie vor im Tschad, seit 15 Jahren hat sie sie nicht mehr gesehen: "Meine Eltern wissen gar nicht, wie ich momentan aussehe."
Nur Olympiasiegerin Brittney Reese sprang in diesem Jahr schon 23 Zentimeter weiter. Das war allerdings bereits im Mai. Seither knackte auch die US-Amerikanerin die heilige 7-m-Marke nicht mehr. Das gelang vor der Deutschen zuletzt Oksana Zhukovskaya (7,02 m), die in Moskau Heimspiel hat.
Prognose: Vor ihrem Megasatz lag Moguenaras persönliche Bestleistung bei 6.78 m. Selbst das WM-Finale schien eine Hürden. Aber nun gilt: Sosthene ist eine Wundertüte mit der Chance auf Edelmetall.
Raphael Holzdeppe ( 5,91 m/2, 6. Juni), Björn Otto (5,91 m/3., 1. Juni) und Malte Mohr (alle Stabhochsprung, 5,86 m/4., 6. Juni)
Wenn doch nur dieser Franzose nicht wäre... Renaud Lavillenie dürfte auch in dieser Saison in dem einen oder anderen Albtraum der Deutschen Stabhochspringer aufgetaucht sein. Die sechs (!) höchsten Sprünge der Saison gehen aufs Konto des Olympiasiegers. Doch dahinter ist die Bestenliste des Jahres schwarz-rot-gold.
Der Haken: Die Deutschen sprangen im Juni zuletzt so hoch, der Juli war reichlich durchwachsen. Ganz anders Lavillenie: Er lieferte seinen Höhepunkt vor zwei Wochen beim Diamond-League-Meeting in London mit 6,02 m.
Prognose: Nach dem Erfolg bei Olympia sind erneut zwei DLV-Medaillen möglich, eine ist Pflicht. Toptalent Holzdeppe kann den arrivierten Otto diesmal ärgern.
Christina Schwanitz (Kugelstoßen, 20,20 m/3., 18. Mai)
Olympiasiegerin Valerie Adams dürfte in Moskau erneut nicht zu schlagen sein, die fünf größten Weiten des Jahres stammen von der Neuseeländerin. Christina Schwanitz kabbelt sich dahinter mit der US-Amerikanerin Michelle Carter und Lijiao Gong aus China um die Podestplätze.
Prognose: Hinter Adams ist für Schwanitz wie vor zwei Wochen beim Diamond-League-Meeting in London Rang zwei möglich.
David Storl (Kugelstoßen, 21,04 m/10., 7. Juli)
Der Titelverteidiger hatte mächtig zu kämpfen im nacholympischen Jahr. Erst mit dem Trainingsrückstand und dann mit einer Brustmuskelzerrung. Doch er ist rechtzeitig auf dem Weg zurück zur Form.
Eine Medaille heller als Bronze wäre dennoch sensationell. Der Grund: Die US-Amerikaner Ryan Whiting (22,28 m) und Reese Hoffa (21,71 m) werfen konstant weiter als der Deutsche. Die restliche Konkurrenz, die sich in der Weltbestenliste vor ihm tummelt, kann Storl mit einem starken Wettkampf aber packen.
Prognose: Für Bronze muss es optimal laufen, zuzutrauen ist es dem jüngsten Weltmeister seiner Disziplin allemal. Erneut den Platz ganz oben zu erobern, das käme für Storl nach dieser Saison einer Sensation gleich.
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Goldhoffnungen
Robert Harting (Diskuswurf, 69,91 m/2., 8. Juni)
"Durchwürfelt" nannte Robert Harting seine Saison im SPOX-Interview, das gilt aber auch für die Performance der Diskus-Weltspitze. Zwar führt der Pole Piotr Malachowski die Weltbestenliste mit überragenden 71,84 m an und stoppte damit Hartings Siegesserie nach 35 Erfolgen, doch der Deutsche präsentierte sich konstanter: Vier der besten sechs Weiten der Saison stammen vom Olympiasieger, Welt- und Europameister.
In Moskau peilt Harting das dritte WM-Gold in Folge an. Aber Malachowski und Ehsan Hadadi können ihn an einem starken Tag immer ärgern. Für Bruder Christoph Harting wird das Finale eine hohe Hürde, Martin Wierig sollte die Top5 locker entern.
Prognose: Gold für Hartings WM-Triple
Christina Obergföll (Speerwurf, 67,70 m, 31. Mai)
Alles reine Nervensache. Als es vor zwei Wochen in London darum ging, den Diamond-League-Jackpot mit ihrem fünften Sieg in der Serie zu knacken, da lieferte Obergföll saubere 65,61 m ab und schlug Erzrivalin Maria Abakumova. Für den WM-Sieg dürfte diese Weite nicht reichen und Lokalmatadorin Abakumova könnte der Deutschen in Moskau wieder in die Goldsuppe spucken - aber irgendwann müssen Glück und Nervenkostüm der 31-Jährigen doch mal hold sein.
Prognose: Erfolgreiche Olympia-Revanche für Gold
Fazit
Seit der Olympiaenttäuschung von Peking (nur eine Bronzene) ist die deutsche Leichtathletik auf dem (langsam) aufsteigenden Ast. Und in Moskau kann es so weitergehen.
Zwei Goldene sind allemal drin für das deutsche Team, Titel darüber hinaus wären eine Riesenüberraschung. Läuft es optimal, sind neun weitere Medaillen möglich - damit würden die Leichtathleten die Ausbeute von Olympia 2012 in London um drei Mal Edelmetall übertrumpfen.
Die vielen Perspektivathleten, denen der DLV im Übergangsjahr nach London vollkommen zu Recht die große Bühne bietet, werden sich an ihren persönlichen Bestmarken messen lassen müssen. Und Erfahrung aufsaugen. Letzteres ist definitiv Gold wert.
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