"Gönnen hat im Sport keinen Platz"

Jan Höfling
15. September 201517:03
Thomas Röhler geht mit guten Medaillenchancen in die EMimago
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Die Europameisterschaften in Zürich stehen vor der Tür. Nach seinem Sieg beim Diamond-League-Meeting in Glasgow gehört auch Speerwerfer Thomas Röhler zu den Medaillenkandidaten. Im Interview mit SPOX spricht der 22-Jährige über die Nicht-Nominierung von Markus Rehm, die EM und die Bedeutung der Leichtathletik.

SPOX: Thomas, die Europameisterschaften in Zürich stehen vor der Tür. Im Vorfeld gab es in der deutschen Leichtathletik-Szene allerdings eigentlich nur ein Thema: Markus Rehm und seine Nicht-Nominierung. Wie stehen Sie der Entscheidung des DLV gegenüber?

Thomas Röhler: Die ganze Angelegenheit ist sehr komplex und schwierig. Ich möchte weder in der Haut von Markus Rehm noch in der der Entscheidungsträger stecken. Rein aufgrund meines Studiums würde es mich aber aus biomechanischer Sicht interessieren, wie eine Vergleichbarkeit erreicht werden kann. Im Sinne der Inklusion muss es irgendwann in diese Richtung gehen. Ob etwa eine Einteilung in Klassen sinnvoll wäre, kann ich nicht sagen. Vor allem für den Zuschauer würde es dann zusehends undurchsichtiger.

SPOX: Im Gegensatz zu Rehm sind Sie beim Saisonhöhepunkt dabei. Was haben Sie sich für Zürich vorgenommen?

Röhler: Zunächst wollen wir die Qualifikation souverän meistern. Das Ziel ist ganz klar direkt ins Finale einzuziehen. In diesem ist dann alles möglich. Das hat nicht zuletzt das Diamond-League-Meeting in Glasgow bewiesen. Einfach wird es jedoch nicht. In meinen Augen gibt es aktuell mindestens sechs Athleten, die in der Lage sind, die EM zu gewinnen. Deshalb wäre ich auch mit einer Top-6-Platzierung zufrieden. Am Ende werden wohl Nuancen entscheiden.

SPOX: Gibt Ihnen der enttäuschende Verlauf der WM im letzten Jahr, bei der Sie mit Schulterproblemen zu kämpfen hatten, eine zusätzliche Motivation?

Röhler: Es ist vor allem der Rückblick auf das vergangene Jahr, der mir eine Bestätigung für meine aktuelle Arbeit gibt. Die Saisonplanung ist im Vergleich zum Vorjahr eine gänzlich andere. Stand letzte Saison die U-23-EM in Finnland, die vor der WM lag und bei der ich mit der Bronzemedaille gut abgeschnitten habe, im Fokus, ist in diesem Jahr alles auf die EM ausgerichtet. Wir befinden uns auf dem Weg zum Leistungshöhepunkt und das genau zum richtigen Zeitpunkt. Ich bin einhundertprozentig gesund und kann völlig befreit angreifen.

SPOX: Angreifen will auch Ihr Speerwurf-Kollege Andreas Hofmann, der sich nach einer langen Verletzungspause erfolgreich zurückmelden konnte und mit Ihnen zusammen nominiert ist. Ist es ein Vorteil, nicht alleine anzutreten?

Röhler: Es ist immer angenehmer, wenn sich der Fokus etwas verteilt und nicht alle Hoffnungen nur auf einem Athleten ruhen. Ich habe einen sehr großen Respekt vor den Leistungen von Andi. Nach drei Jahren zurückzukommen und das direkt auf diese Art und Weise, verlangt nach Anerkennung. Außerdem können wir beide gut miteinander.

SPOX: Obwohl Hofmann bei der Team-EM Ihnen gegenüber den Vorzug erhielt?

Röhler: Sicherlich würde in diesem Zusammenhang das Wort gönnen etwas zu weit gehen. Im Sport ist dafür kein Platz. Wer von gönnen spricht, der lügt. Allerdings respektiere ich ihn und habe deshalb keinerlei Probleme mit der Nominierung. Wir sehen das beide sportlich und können uns so in Zürich gegenseitig pushen. Der deutsche Speerwurf war schließlich mal ganz gut und dahin soll der Weg auch wieder führen.

SPOX: Die Richtung scheint zu stimmen. Beim von Ihnen bereits angesprochenen Meeting in Glasgow erzielten Sie Ihre persönliche Bestleistung und ließen unter anderem den amtierenden Europameister Vitezslav Vesely aus Tschechien sowie den Finnen Tero Pitkämäki hinter sich. Waren Sie von sich selbst überrascht?

Röhler: Überrascht würde ich nicht direkt sagen. Wir haben ab Oslo angefangen, gezielt etwas an der Technik zu verändern. In Paris zeigte sich dann, dass wir auf dem richtigen Weg sind, die Anpassungen trugen erste Früchte. Das Gefühl für den Speer in Verbindung mit dem Anlauf wurde einfach immer besser, was letztlich in der Weite von Glasgow resultierte.

SPOX: Bei den deutschen Meisterschaften ging es nicht ganz so weit. Sie hatten mit widrigen Bedingungen zu kämpfen, konnten dennoch den dritten Titel in Serie feiern.

Röhler: Der Wind in Ulm war wirklich extrem. Allerdings stimmt mich das positive Feedback der Biomechanik, welches wir im Rahmen des Wettkampfs bekommen haben, zuversichtlich. Vor allem den Versuch in der ersten Runde schätzen mein Trainer und auch der Bundestrainer als sehr hochwertig ein. Insgesamt habe ich nur zwei ernsthafte Versuche absolviert und danach den Wettkampf beobachtet.

SPOX: Inwieweit hilft Ihnen der Bundestrainer Boris Obergföll?

Röhler: Er war ja selbst Werfer, deshalb kann er natürlich mit Erfahrungswerten weiterhelfen. Auch bei der Abstimmung des Gesamtweges findet ein reger Austausch statt, dieser jedoch eher zwischen den Trainern. Die entscheidenden inhaltlichen Dinge liegen dann bei den Heimtrainern.

SPOX: Das klingt alles sehr abgeklärt, Sie sind allerdings erst 22 Jahre alt. Spielt der Faktor Nervosität für Sie überhaupt eine Rolle?

Röhler: Ich würde Nervosität nicht unbedingt immer negativ auslegen. Ich verspüre eher eine positive Anspannung, freue mich extrem auf den Wettkampf. Spannungssituationen können sehr wichtig sein, denn die Anspannung an sich macht absolute Höchstleistungen erst möglich.

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SPOX: Zunächst sah Ihr Werdegang allerdings nicht unbedingt nach dem eines Speerwerfers aus. In der Jugend begannen Sie mit Mehrkampf und Dreisprung. Wann fiel der goldene Entschluss, Speerwerfer zu werden?

Röhler: Zunächsthabe ich mit der ganz normalen leichtathletischen Ausbildung angefangen, dann kamen vor allem Sprungdisziplinen wie der Dreisprung hinzu. Zwar habe ich schon 2008 nebenbei sehr viel am Speerwurf gearbeitet, dieser rückte jedoch erst ein Jahr später endgültig in den Fokus.

SPOX: Das Speerwerfen hatte Sie also schon längere Zeit fasziniert?

Röhler: Definitiv. Zudem hat der Speerwurf bereits vorher sehr gut funktioniert und mir von Beginn an extrem viel Spaß gemacht. Da lag die Entscheidung, sich komplett darauf zu fokussieren natürlich nah.

SPOX: Welchen Anteil hatte Ihr ehemaliger Trainer Burkhard Looks?

Röhler: Er hat auf jeden Fall eine sehr große Rolle gespielt, schließlich war er zu diesem Zeitpunkt der Wurftrainer in Jena. Außerdem war Herr Looks derjenige, der mir immer wieder gesagt hat: "Komm, vergiss mal nicht das Speerwerfen, das könnte ganz gut funktionieren".

SPOX: Herr Looks verließ Jena im letzten Jahr in Richtung Potsdam. Trotz der vielversprechenden Zusammenarbeit blieben Sie beim LC. Warum?

Röhler: Um ehrlich zu sein, habe ich einen Standortwechsel nie wirklich in Erwägung gezogen. Neben den sportlichen Aspekten spielen schließlich auch andere Faktoren eine wichtige Rolle.

SPOX: Zum Beispiel das Umfeld? Sie wurden in Jena geboren, waren 2013 Sportler des Jahres der Stadt und halten den Landesrekord in Thüringen, kurzum Ihre Bindung zur Stadt und Umgebung scheint sehr groß.

Röhler: So ist es. Ich hatte nie das Gefühl, dass mir irgendetwas fehlen würde. Ganz im Gegenteil. Neben den sportlichen Bedingungen, mit denen ich zu keinem Zeitpunkt ein Problem hatte, auch wenn von Trainerseite in der Vergangenheit sicherlich das eine oder andere bemängelt wurde, spielt für mich vor allem das Drumherum eine Rolle. In erster Linie natürlich meine Familie, Freunde und das Studium, welches zu diesem Zeitpunkt bereits begonnen hatte. Ein gutes Umfeld gibt Sicherheit. Diese ist für mich und meine Leistungen sehr wichtig.

SPOX: Sie haben die Kritik an den Trainingsbedingungen bereits angesprochen. Hat sich in dieser Hinsicht inzwischen etwas verändert?

Röhler: Natürlich schlägt gerade Kritik immer mediale Wellen, allerdings achte ich als Athlet eher weniger darauf. Für mich steht ganz klar die sportliche Seite im Vordergrund. Was damals unter anderem zur Debatte stand, war eine Halle für das Wintertraining. In diesem Punkt haben wir beispielsweise eine gute Lösung gefunden. Klar kann man immer etwas verbessern. Finnische Verhältnisse, bei denen man auch im Winter in der Halle extrem hoch und auf Weite werfen kann, existieren bei uns zwar nicht, dennoch bin ich zufrieden. Die Perspektive stimmt.

SPOX: Auf Burkhard Looks folgte Harro Schwuchow, ihr aktueller Wurftrainer. Die Zusammenarbeit scheint sehr gut zu funktionieren. Wie hat sich Ihr Training verändert?

Röhler: Da muss man differenzieren. Herr Looks hat mir das Speerwerfen praktisch beigebracht. Inzwischen bewegen wir uns hingegen im Detailbereich. Die größte Änderung ist in diesem Zusammenhang wohl mein Stand in der Trainingsgestaltung. Dieser hat sich stark verändert und ich nehme nun deutlich mehr Einfluss. Zudem bewegen wir uns auf einer sehr kommunikativen Ebene, bei der auch spontane Eingriffe in den Trainingsablauf und das gezielte Hinarbeiten auf Wettkämpfe erheblich leichter werden.

SPOX: Sie sprechen vom Hinarbeiten auf Wettkämpfe, haben Sie die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro schon im Kopf?

Röhler: Absolut. Jeder Sportler arbeitet doch auf eine solche Chance hin. Wir hatten es bereits 2012 versucht, allerdings kam das doch etwas zu früh. Sollte nichts geschehen, ist Olympia 2016 ganz klar das große Ziel.

SPOX:Um dieses zu erreichen bedarf es anscheinend mehr als der sportlichen Komponente. Seien es Ihre Homepage, Facebook oder Instagram, Sie treten überall sehr professionell auf. Inwieweit muss man sich in der heutigen Leichtathletik selbst vermarkten?

Röhler: Die Vermarktung ist sicherlich ein essentieller Aspekt. Die Leichtathletik verkauft sich häufig unter Wert. Wenn es Probleme gibt, eine ganze Sportart zu vermarkten, dann kann man dies zumindest mit den Typen dahinter tun. Es macht mir außerdem Spaß, meine Sportart und mich entsprechend zu präsentieren.

SPOX: Zudem studieren Sie an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena Wirtschaft und Sport. Viel vom sagenumwobenen Studentenleben dürften Sie aufgrund Ihrer sportlichen Karriere allerdings nicht mitbekommen. Wie sieht es mit Partys, Alkohol und Freizeit aus?

Röhler: In diesem Kontext steht immer die Frage im Vordergrund, was man persönlich möchte und was einen selbst glücklich macht. Ein normaler Student will seinen Abschluss und dazu eine schöne Lebensphase. Gleiches gilt für mich. Mit dem Unterschied, dass sich die Lebensphase bei mir durch den Sport definiert. Dafür können andere Dinge gerne in den Hintergrund treten.

SPOX: Mit dem Spagat zwischen Studium und Sport scheint es auf jeden Fall gut zu klappen.

Röhler: Ich würde jetzt allerdings nicht sagen, dass ich beides gerade im Sommer zu 50 Prozent teile. Natürlich nimmt gerade in dieser Zeit der Sport mehr Platz ein, allerdings verschiebt sich das ganze dafür dann im Winter etwas in die andere Richtung. Alles in allem funktioniert es bisher sehr gut.

SPOX: Was macht Thomas Röhler, wenn er neben Sport und Studium doch noch etwas Freizeit findet?

Röhler: Zum Beispiel fotografiere ich leidenschaftlich gerne. Da passt es sehr gut, dass man in diesem Fall Hobby und Beruf gut verbinden kann. Sofern ich den Sport jetzt als meinen Beruf bezeichnen darf. Außerdem bin ich ein sehr naturverbundener Mensch, alles was an Outdoor-Aktivitäten möglich ist, gehe ich gerne an. Das geht hin bis zum Fliegenfischen, jedoch nur wenn es die Zeit auch wirklich zulässt.

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