Fliegen mit der Stoppuhr

Bis heute gilt Nurmi als erfolgreichster Leichtathlet bei Olympia
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Paris als Denkmal

Mit dieser Taktik ging Paavo Nurmi auch die Elf-Kilometer-Schinderei über Stock und Stein in Paris an. An der Startlinie wartete bereits Ville Ritola, mit dem Nurmi seine gesamte Karriere über eine Privatfehde führte. Der Landsmann war ebenfalls ein begnadeter Läufer, musste sich aber im direkten Vergleich in Paris bisher immer geschlagen geben. Jedoch hatte Ritola Tage zuvor bei seinem Sieg über 10.000 Meter bewiesen, dass er besonders ein Mann für die intensiven Langstrecken war.

Als entlang der Seine endlich der Startschuss fiel, wirbelten die 76 Beine der Athleten sofort kiloweise Staub in die Luft und machten so schon die ersten hundert Meter zu einer Folter für die Atemwege.

Nurmi ließ sich von den Bedingungen nicht beirren und spulte wie eine Maschine sein Programm ab. Dabei setzte sich der damalige dritte große Name im Langstreckenlauf, der Schwede Edvin Wide, an die Spitze des Feldes und versuchte früh, das Tempo zu diktieren. Dahinter positionierten sich die beiden Finnen.

Einer nach dem anderen

Bereits nach den ersten Kilometern mussten einige Läufer den zermürbenden Temperaturen Tribut zollen. Auf etwa 4,5 Kilometern verabschiedete sich auch der völlig übermotivierte Wide. Nach und nach stieg ein Teilnehmer nach dem anderen aus. Die Konkurrenz verkleinerte sich im Minutentakt. Acht Läufer mussten sogar mit einer Trage abtransportiert werden, auch zahlreiche Zuschauer klagten über Kreislaufprobleme.

Das Highlight setzte aber ein französischer Teilnehmer, der vor heimischem Publikum unbedingt die Ehre der Tricolore verteidigen wollte. Er wurde von einem solch massiven Hitzeschlag getroffen, dass er beim Stadioneinlauf plötzlich anfing, in kleinen Kreisen zu laufen und verlor dabei völlig die Orientierung. Wie vom Blitz getroffen wachte er plötzlich aus seiner Trance auf, rannte im Vollsprint los, knallte in die Zuschauerränge und setzte sich damit selbst K.o.

Per Spaziergang zum Sieg

Von all diesen Ereignissen bekam Nurmi kaum etwas mit. Er beschäftigte sich nur mit seinem eigenen Lauf und überquerte am Ende mit 32:54 Minute - eineinhalb Minuten vor dem Zweitplatzierten Ritola - die Ziellinie. Dabei wirkte der neue Olympiasieger anschließend völlig entspannt und saß wenige Zeit später schon in der Umkleidekabine, um sich wortkarg den Fragen der Journalisten zu widmen.

Jeder andere Läufer war mehr oder minder über die Ziellinie gefallen, nur der 1,74-Meter-große Finne machte den Eindruck, als hätte er soeben einen entspannten Nachmittagsspaziergang gemacht - die Sonnenschlacht von Colombes (nach dem Namen des Pariser Olympia-Stadions) verlieh dem Fliegenden Finne, wie Nurmi von der Presse getauft wurde, seinen endgültigen Legendenstatus als scheinbar leichtfüßiger Kilometerfresser.

Dabei liest sich auch die übrige Erfolgsbilanz des finnischen Nationalhelden wie eine einzige Erfolgsstory: Dreimal Gold und einmal Silber bei den Spielen in Antwerpen 1920, Fünfmal Gold in Paris 1924 und im Alter von 31 einmal Gold und zweimal Silber in Amsterdam. Dadurch gilt der Mittel- und Langläufer bis heute als erfolgreichster Olympionike der Leichtathletik.

IOC sperrt Nurmi lebenslang

Ein Jahr nach seinem letzten Olympiatriumph begann der Stern des Wunderläufers allmählich zu sinken. 1932 wurde der Finne vor den Olympischen Spielen in Los Angeles wegen der Verletzung des Amateurstatus lebenslang gesperrt. Ihm wurde vorgeworfen, dass er zu viel Geld für Reisekosten bei einem Wettbewerb berechnet hatte.

Bis zuletzt hoffte er auf eine Aufhebung des Urteils und reiste mit einer Zeit von 2:22 Stunden über 40,2 Kilometer in die USA, um seine Karriere mit Gold im Marathonlauf zu krönen. Ein Start blieb ihm allerdings verwehrt. Nurmi versank nach diesem und weiteren persönlichen Rückschlägen in Verbitterung.

Besonders die schwedische Presse, die kein großer Freund der Finnen war, bombardierte ihn nachträglich mit Negativartikeln. Seine 1932 geschlossene Ehe wurde bereits 1935 wieder geschieden. Vom Leistungssport wurde er ausgeschlossen.

Auch als Funktionär oder Trainer durfte Nurmi offiziell nicht arbeiten. Dennoch trat er regelmäßig zu Showläufen an, um Geld für die Finnland-Hilfe zu sammeln, die in den Kriegsjahren die Armen versorgte. Außerdem sprach er als ehemaliger Soldat regelmäßig vor Militärs, um die die kriegsmüden Finnen aufzumuntern.

Das Publikum weint

Erst 1952 erinnerte sich die internationale Sportwelt wieder an den ehemaligen Helden, als der Rekordläufer das olympische Feuer ins Stadion von Helsinki tragen durfte. Das IOC war wenig begeistert, doch von den Zuschauern wurde der Einlauf mit Tränen und Jubelrufen begleitet. Dabei wollte die Läuferlegende eigentlich nie ein Nationalheld sein: "Ich laufe für mich, nicht für Finnland," hatte er einmal erklärt.

Einige Jahre ließ er sich noch als Berühmtheit herumreichen, doch sein Lebensabend war von Depressionen geprägt. Nurmi erblindete beinahe, erlitt mehrere Herzinfarkte und war schließlich halbseitig gelähmt. Als er 1973 verstarb, verfasste Finnlands Staatspräsident Urho Kaleva Kekkonen einen Nachruf, der mit dem Satz endete: "Er war kein glücklicher Mensch!"

Diese Feststellung kommt nicht von ungefähr - bis zuletzt war Nurmi unwahrscheinlich hart gegen sich selbst: "Meine Bilanz ist nüchtern und ehrlich: Ich habe in meinem Leben nichts geleistet." Dagegen steht das Zitat des finnischen Politikerin Marjatta Väänänen, die seine Wahrnehmung in der Heimat zusammenfasste: "Rekorde werden eingestellt, Goldmedaillen verblassen, Sieger werden zu Besiegten. Aber als historischer Name ist Paavo Nurmi unschlagbar."

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