Er stellte drei Weltrekorde auf, wurde bei Großereignissen aber doch immer "nur" Zweiter: Jürgen Hingsen. Der frühere Zehnkampf-Star über das legendäre Duell mit seinem Erzrivalen Daley Thompson, historische Fehlstarts, Unfälle bei Let's Dance und die aktuellen Probleme der Leichtathletik. Zudem verrät der 57-Jährige, warum er es als Schauspieler anstatt zu Edgar Wallace nur in einen Klamaukfilm geschafft hat.
SPOX: Herr Hingsen, Sie haben ohne Wenn und Aber deutsche Sportgeschichte geschrieben. Trotzdem dürften Sie den jüngeren Menschen nicht mehr so bekannt sein. Wie oft werden Sie denn noch als der frühere Zehnkampf-Star erkannt?
Jürgen Hingsen: Aufgrund meiner Körpergröße von 2,03 m falle ich zunächst einmal grundsätzlich auf. Da der Zehnkampf eine lange Tradition hat, genieße ich zumindest innerhalb einer bestimmten Altersgruppe immer noch einen großen Bekanntheitsgrad. Ob ich in England oder in Deutschland unterwegs bin - ich werde eigentlich noch sehr oft angesprochen.
SPOX: Sie stellten 1982, 1983 und 1984 drei Mal in Folge einen neuen Weltrekord auf. Was hat Sie ausgezeichnet?
Hingsen: Ich konnte meine Körpergröße mit den Anforderungen des Zehnkampfs gut verbinden. Das war gar nicht so einfach, weil man mit meiner Körpergröße sehr viele koordinative Fähigkeiten mitbringen muss. Diese Vielseitigkeit wurde mir in die Wiege gelegt. Die relative Schnelligkeit, gepaart mit meiner ausgeprägten Athletik, machte mich stark.
SPOX: Sie galten als besonders sprungaffin.
Hingsen: Stimmt. Ich kam vom Hochsprung und vom Weitsprung. Im Weitsprung wurde ich deutscher Jugendmeister, später mit acht Metern auch bei den Männern. Und im Hochsprung wurde ich vor Carlo Thränhardt nordrheinwestfälischer Meister. Ich denke, ich hätte auch bei den Spezialisten gut mitmischen können.
SPOX: Glücklicherweise sind Sie Zehnkämpfer geworden. Sonst wären Sie womöglich nicht zu einem der ersten "Popstars" im deutschen Sport geworden.
Hingsen: Als Popstar würde ich mich nicht bezeichnen, aber mein Bekanntheitsgrad war tatsächlich sehr hoch. Diese Medienpräsenz hatte es vor meiner Zeit in der Leichtathletik in dieser Form noch nicht gegeben. Über mich wurde auch abseits des Stadions berichtet, beispielsweise in der Bunten. Das war damals ziemlich einmalig.
SPOX: Was neben Ihren sportlichen Leistungen damit zu tun hatte, dass Sie als Typ mit Ecken und Kanten polarisierten, oder?
Hingsen: Das gehört dazu. Nennen Sie mir mal einen Topsportler, der keine Ecken und Kanten hat. Michael Schumacher, Dirk Nowitzki, Boris Becker, Lothar Matthäus oder auch Felix Neureuther und Robert Harting - die haben alle Ecken und Kanten. Das ist eine Charaktereigenschaft, die man mitbringen muss, um ganz nach oben zu kommen. Ich will im Sport keine Ja-Sager sehen. Trotzdem war ich keiner, der provoziert hat. Zumindest wollte ich das nicht. Ich war und bin eher eine rheinische Frohnatur.
SPOX: Ein weiterer wichtiger Faktor für das Interesse an Ihnen war der Engländer Daley Thompson, mit dem Sie sich unerbittliche Duelle lieferten.
Hingsen: Die Rivalität zwischen Daley und mir war in den 80er Jahren ein Wahnsinns-Highlight. Dadurch war unsere Sportart unheimlich präsent - und davon profitieren wir noch heute. Weil es dieses Duell gab, werde ich wie anfangs erwähnt in England noch immer erkannt.
SPOX: Man muss kurz die Geschichte, die sich um diesen Zweikampf gesponnen hat, erzählen. Sie verbesserten zwar in drei Jahren in Serie den Weltrekord. Doch genau in diesen drei Jahren belegten Sie bei EM, WM und Olympia jeweils den zweiten Platz - hinter Thompson. Haben Sie Thompson deshalb gehasst?
Hingsen: Am Anfang, als wir uns noch nicht so kannten, war es ein extremes Konkurrenzverhalten. Wir waren absolute Erzrivalen. Und genau das hat unseren Zweikampf geprägt. Hass war es aber nie, wir respektierten uns eigentlich immer. Wenn mich Daley auch manchmal mit einem bösen Blick aus der Spur bringen wollte. (lacht)
SPOX: Es prallten zwei verbissene Athleten aufeinander, die den Sieg um jeden Preis wollten. Warum hatte Thompson im alles entscheidenden Moment immer einen Tropfen mehr im Tank?
Hingsen: Zusammengenommen haben wir insgesamt sieben Mal den Weltrekord verbessert. Wir beherrschten über zehn Jahre lang sämtliche Welt- und Europameisterschaften und die Olympischen Spiele. Leider Gottes war die Reihenfolge immer so, dass Daley Gold und ich Silber holte. Von der Athletik her waren wir beide hervorragend, vom Typ her aber ganz verschieden. Wir hatten sozusagen unterschiedliche Ecken und Kanten. Man kann das aus Daleys Geschichte heraus erklären.
SPOX: Was meinen Sie damit?
Hingsen: Er kommt aus einem schwierigen Umfeld in London, ist dort als Mischlingskind mit fünf Geschwistern aufgewachsen. Für ihn war der Sport der Weg aus seinem sozialen Umfeld heraus, das hat ihn geprägt. Bestimmte Dinge haben ihn dadurch vom Kopf her zu dem Athleten gemacht, der er war. Mir, der in einem behüteten Elternhaus aufgewachsen ist, sind die fern geblieben. Daley musste seit seiner Geburt kämpfen, um das Überleben, um Anerkennung. Wenn man damit aufwächst, hat man ein ganz anderes Charakterverhalten, als das bei mir der Fall war. Er hat schon häufiger zu mir gesagt: "Du warst eigentlich der bessere Athlet - ich dafür der bessere Wettkämpfer." Ich schätze, das stimmt.
SPOX: Das wohl dramatischste Duell gab es bei Olympia 1984 in Los Angeles. Wie haben Sie diese beiden Wettkampftage in Erinnerung?
Hingsen: Es gab zwei Dinge, die mir zu schaffen machten. Erstens war es extrem heiß. Die Leute konnten sich teilweise gar nicht auf die Bänke setzen, weil sie sich sofort die Schenkel verbrannt haben. Und zweitens machte das Coliseum - ein bombastisches Stadion - einen Wahnsinns-Eindruck auf mich. Sonst waren wir Zehnkämpfer maximal 10.000 Zuschauer gewöhnt, in L.A. waren ab 12 Uhr mittags 100.000 Leute da.
SPOX: Sie gingen als leichter Favorit in den Wettkampf.
Hingsen: Die Vorbereitung lief eigentlich für beide sehr gut. Ein Problem, das Daley nicht hatte, spielte sich allerdings im Vorfeld ab. Wir hatten in Deutschland mit Guido Kratschmer, Siggi Wentz, Jens Schulze, den Rizzi-Brüdern und mir sechs starke Zehnkämpfer. Wir mussten im Vorfeld eine Qualifikation überstehen, bei der man nicht mit angezogener Handbremse agieren konnte. Deshalb war ich eigentlich schon zu früh in Topform und schaffte ja auch den Weltrekord. Seine Leistung zu halten, ist aber extrem schwierig. Daley musste keine Quali absolvieren und konnte sich auf den einen Wettkampf fokussieren.
SPOX: Trotzdem erwischten Sie einen guten Start.
Hingsen: Ja. Der erste Tag lief sehr gut - bis auf den Hochsprung. Ausgerechnet in meiner Paradedisziplin zog ich mir mal wieder eine Patellasehnenreizung zu. Die Patellasehne war zu meiner Zeit als Leistungssportler quasi meine Achillesferse. Immerhin schaffte ich noch 2,12 m, auch der 400-Meter-Lauf war ganz gut. Normalerweise hatte Daley immer so 200 Punkte Vorsprung nach dem ersten Tag, diesmal waren es etwas weniger.
SPOX: Wie ging es weiter?
Hingsen: Der zweite Tag ging mit einem ansprechenden Hürdenlauf weiter, ich konnte das Rennen für mich entscheiden. Durch den Diskuswurf lag ich punktemäßig auf einmal ganz dicht bei Daley. Dann kam der Stabhochsprung und meine Patellasehne machte mir große Probleme. Ich musste mich medizinisch behandeln lassen. Um die Schmerzen zu lindern, wurde mir etwas ins Knie gespritzt, was mir wiederum auf den Kreislauf schlug. Der Kreislauf ist - natürlich auch durch die Hitze - komplett abgesackt. Ich ging also ohne Koordination in den Stabhochsprung - und schaffte mit Ach und Krach die Anfangshöhe. Mehr ging nicht, damit war der Wettkampf, was Gold anging, für mich gelaufen. Ich kämpfte mich aber noch zu Silber.
SPOX: Dennoch wurden Sie hinterher von den Medien als ewiger Zweiter hingestellt, der es nicht packt, wenn es um die Wurst geht.
Hingsen: Das kam zu meinem eigenen Frust noch dazu. Keiner konnte nachvollziehen, was beim Stabhochsprung passiert war. Bernd Heller kommentierte damals für das ZDF. Auch er war völlig ratlos, obwohl er selbst Stabhochspringer war. Nach dem Wettkampf versuchte ich es zu erklären, aber ich wollte auch nicht nach Entschuldigungen suchen. Ich war schließlich mit dem Ziel angetreten, Olympiasieger zu werden. Die Presse ist dann gnadenlos.
SPOX: Ist es generell ein Problem in unserer Gesellschaft, dass ein zweiter Platz nicht mehr viel zählt?
Hingsen: Es hat sich ein bisschen gebessert. Zumindest in der Leichtathletik, weil wir da nicht mehr so verwöhnt sind. Speziell im Zehnkampf freut man sich heute über jede Medaille. Im Anschluss an meine Zeit kam Frank Busemann mit seiner überraschenden Silbermedaille in Atlanta und war in aller Munde. Eine überraschende Silbermedaille ist ein Gewinn. Wenn man aber mit einem gleichstarken Mann auf dem Platz steht und dann Zweiter wird, neigt die Presse dazu, einen als Verlierer hinzustellen.
Busemann im SPOX-Interview: "8m oder du kriegst meine Freundin"
SPOX: Fühlten Sie sich ungerecht behandelt?
Hingsen: Gerade beim Zehnkampf gibt es so viele Unwägbarkeiten. Deshalb ist man als Athlet, der bei Olympia eine solche Leistung bringt, Silber holt und dann kritisiert wird, schon ein wenig geknickt. Aber es gibt eben nicht viele Fachjournalisten, die sich mit dem Zehnkampf auskennen. Die sehen nur das Ergebnis und hauen drauf.
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SPOX: Irgendwie haben Sie die Prügel durch die Medien auch Thompson zu verdanken. Wie ist heute Ihr Verhältnis zu ihm?
Hingsen: Sehr gut, wir treffen uns regelmäßig. An meinem 50. Geburtstag habe ich ihn nach Mauritius eingeladen, wo wir eine Woche miteinander verbracht haben. Er war mit seiner Familie da, ich mit meiner Lebensgefährtin. Kürzlich waren wir auch mal gemeinsam bei Markus Lanz in der Sendung. Es ist einfach immer toll, wenn wir uns sehen. Wenn wir zusammen sind, umgibt uns eine ganz besondere Aura. Das spüren wir beide.
SPOX: Also würden Sie sagen, dass es gut war, dass es Sie zeitgleich gegeben hat? Immerhin wurde dadurch dieses Duell erst möglich, über das man heute noch spricht.
Hingsen: Absolut. Es ist sogar sehr gut, dass es uns gleichzeitig im Zehnkampf gegeben hat, denn wir haben eine Geschichte vorzuweisen, die es in dieser Disziplin so eigentlich noch nicht gab. Das verbindet einfach.
SPOX: Aktuell sind Sie gemeinsam für die Movember-Kampagne im Einsatz.
Hingsen: Genau. Wir wollen auf Prostata- und Hodenkrebs hinweisen. Das ist eine äußerst wichtige Sache, um das Thema Männergesundheit nach vorne zu bringen. Wir sind als Botschafter dabei. Es ist toll für uns, den Menschen zu zeigen, dass es trotz der Rivalität möglich ist, sich anzufreunden und harmonisch die gleichen Ziele zu verfolgen.
SPOX: Sie wurden nicht nur durch Ihre Weltrekorde und das Duell mit Thompson bekannt, sondern auch durch diesen unglaublichen Wettkampf bei den Spielen 1988 in Seoul. In der ersten Disziplin, dem 100-Meter-Rennen, legten Sie drei Fehlstarts hin, was das Ende bedeutete. Was war da denn los?
Hingsen: Das verfolgt mich für alle Zeiten. (lacht) Auch damals spielten verschiedene Faktoren eine Rolle. Meine Beschwerden mit der Patellasehne wurden in dieser Zeit immer schlimmer, im Stadion gab es wechselnde Winde. Und ich hatte im Kopf, dass ich eine Zeit brauche, die deutlich unter elf Sekunden liegt. Ich war nur auf diesen verdammten Start fixiert - und schon war ich zwei Mal zu früh losgerannt. Mein Fehler.
SPOX: Was den dritten Fehlstart angeht, gibt es bis heute Diskussionen. Einige sind sich sicher, dass es kein Fehlstart war.
Hingsen: Ich bin mir sogar ganz sicher, dass es keiner war. Wenn man sich die Zeitlupe ansieht, erkennt man, dass noch andere vor mir losgesprintet sind. Aber mir wurde auch der dritte Fehlstart zugerechnet. Insgesamt war es damals etwas wild. Die Koreaner hatten die elektronischen Startmesser eingeführt und es gab zig angebliche Fehlstarts, die aber keine waren.
SPOX: Also spielten die Technik und Ihr Kopf nicht mit?
Hingsen: Ja, das kann man so sagen. Dabei war die Chance auf den Olympiasieg so groß, weil alle Favoriten, darunter auch Daley, angeschlagen waren. Letztlich holte der damalige DDR-Athlet Christian Schenk Gold. Den hatte wirklich niemand auf dem Zettel.
SPOX: Apropos nicht auf dem Zettel haben. Bestimmt konnte sich keiner vorstellen, dass Sie eines Tages Schauspieler werden würden. Sie spielten in "Ein Schloss am Wörthersee" einen Fotographen und waren in dem Klamauk-Film "Drei und eine halbe Portion" mit dabei.
Hingsen: Ich lernte in München den Regisseur kennen, der die "Supernasen" mit Thomas Gottschalk und Mike Krüger gemacht hat. Dann wiederum lernte ich den Produzenten Karl Spiehs kennen. Der kam auf mich zu und wollte einen Edgar-Wallace-Film mit mir drehen. Ich meinte dann, dass das doch ein bisschen sehr weit hergeholt sei. Ich in einem Edgar-Wallace-Film, also bitte. Er schlug schließlich "Drei und eine halbe Portion" vor, in dem auch Rolf Milser, der Olympiasieger im Gewichtheben, und Karl Dall mitspielten. 1985 lief der Film in den Kinos, ich erinnere mich da sehr gerne dran. Wir drehten vier Wochen auf Mallorca und hatten einen riesigen Spaß.
SPOX: Die Presse nahm Ihren Ausflug in die Schauspielerei allerdings völlig humorlos zur Kenntnis.
Hingsen: Das können Sie aber laut sagen. Die hatten null Verständnis dafür. Die erzkonservativen Journalisten meinten: Der soll keinen Film machen, sondern sich auf den Zehnkampf konzentrieren, damit er mal den Thomspon schlägt. Die waren einfach nicht entspannt genug.
SPOX: Wie fanden Sie sich selbst als Schauspieler?
Hingsen: Ganz gut, muss ich sagen. (lacht) Ich hab ja sogar noch am Drehbuch mitgeschrieben. So kam es dazu, dass ich auf der Flucht vor Gangstern einen Stabhochsprung über eine Mauer gemacht habe. Hinter der Mauer ging es fünf Meter runter, da rauschte ich in Strohballen hinein. Das war einfach alles sehr lustig für mich.
SPOX: Sie probieren gerne mal Dinge aus. 2006 waren sie bei Let's Dance dabei.
Hingsen: Richtig. Ich mochte Tanzen schon immer, war rhythmisch einigermaßen begabt. Meine Kinder sahen die amerikanische Version von Let's Dance und als die Anfrage kam, sagten Sie, dass ich das unbedingt machen müsste. Und was passierte? Nach der dritten Runde bekam ich nach einem Drehsprung einen Bandscheibenvorfall. (lacht)
SPOX: Damit waren Sie raus?
Hingsen: Heide Simonis durfte daraufhin weiterkommen, weil es bei mir nicht mehr ging. Dabei wurde mir gesagt, dass ich ein Mitfavorit auf den Einzug ins Finale gewesen wäre. Trotz dem unglücklichen Ende war es toll. Man trainiert vier oder fünf Stunden am Tag, das ist nicht ohne. So einen Muskelkater hatte ich jedenfalls noch nie. Es ist vom Bewegungsgefühl her einmalig. Bei lateinamerikanischen Tänzen sind Geschwindigkeit, Bewegung, Körperspannung gefordert. Das sind alles Dinge, die sie für Leistungssport brauchen. Deshalb kann ich allen Sportlern nur empfehlen, da mal mitzumachen.
SPOX: Lassen Sie uns noch über die heutige Leichtathletik sprechen, die keinen guten Eindruck hinterlässt. Bei der IAAF jagt ein Skandal den nächsten. Zerstört sich die Leichtathletik selbst?
Hingsen: Das ist keine einfache Geschichte. Man muss fast schon sagen, dass wir innerhalb des internationalen Leichtathletikverbandes mafiaähnliche Strukturen haben. Die müssen aufgebrochen werden. Es müssen Leute ran, die eine hohe Glaubwürdigkeit haben. Und die - auch was den Kampf gegen Doping angeht - die Dinge vernünftig durchsetzen. Es kann nicht sein, dass jeder sein eigenes Süppchen kocht.
SPOX: Was meinen Sie?
Hingsen: In Russland werden beispielsweise Sportler ausgenutzt. Wenn sie nicht dopen, dann sind sie nicht dabei. In Kenia dürfen sie wahrscheinlich auch nur laufen, wenn sie mitmachen. Und in China gibt es ähnliche Probleme. Es müssen Veränderungen stattfinden. Die Korruption, die ähnlich wie im Fußball auch im Umfeld der Leichtathletik stattfindet, muss aufhören. Das schwächste Glied in dieser Kette sind die Sportler. Ein Sportler will doch nicht von vornherein per se dopen. Es sind oft die Umstände, die dazu führen. Teilweise wird Doping selbst von der Staatsführung unterstützt. Was will man da als ambitionierter, leistungsorientierter Sportler machen?
SPOX: Leider wird selbst gegen gedopte Athleten oft nicht durchgegriffen.
Hingsen: Stimmt. Der Fall Gatlin ist beispielsweise ein Witz. Der wurde des Dopings überführt und läuft jetzt mit 30 noch Bestzeit. Es tut mir leid, aber da verliert der Sport die Glaubwürdigkeit. Man muss Voraussetzungen schaffen, damit es kein Ungleichgewicht gibt. Als ungedopter, ehrlicher Sportler bist du bei manchen Veranstaltungen chancenlos, aufs Treppchen zu kommen. Das kann doch nicht sein.
SPOX: Welche Rolle spielte Doping in der Leichtathletik zu Ihrer Zeit?
Hingsen: Das hat es immer gegeben - seit 1955 oder so. Die ehemalige DDR hat das beispielsweise ganz konsequent betrieben. Trotzdem würde ich sagen, dass es zu meiner Zeit nicht so durchorganisiert war wie heute. Bei mir stand jedenfalls nie einer neben dran der sagte, nimm doch mal die oder die Mittelchen.
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