"Ich würde Bolt nicht mit Ali vergleichen"

Felix Götz
04. August 201718:11
Raphael Holzdeppe wurde 2013 in Moskau Weltmeistergetty
Werbung

Weltmeister 2013, Vizeweltmeister 2015, Bronze bei den Olympischen Spielen 2012: Raphael Holzdeppe gehört zu den besten Stabhochspringern seiner Zeit. Vor der Leichtathletik-WM in London (4. bis 13. August, täglich im LIVETICKER) spricht der 27-Jährige im Interview mit SPOX über verschollene Stäbe, mentale Extremsituationen, eine Achterbahnfahrt und die Bedeutung von Usain Bolt für den Sport.

SPOX: Herr Holzdeppe, wir haben uns zuletzt ein bisschen Sorgen um Ihre WM-Teilnahme gemacht. Schließlich waren Ihre Stäbe für London mehr oder weniger verschollen. Was war da denn los?

Raphael Holzdeppe: (lacht) Das war alles ziemlich kurios. Ich war auf dem Weg nach Marokko zu einem Wettkampf, schon da sind die Stäbe nicht mit mir im Flugzeug angekommen. Es wurde hin und her telefoniert, was das Zeug hält. Erst wenige Stunden vor dem Wettkampf waren sie dann da. Doch auf dem Weg zurück und weiter zur WM-Generalprobe in Monaco, sind die Stäbe wieder nicht mitgeliefert worden. Es ging letztlich mehr als eine Woche, bis sie endlich wieder in meinem Besitz waren.

SPOX: Irgendwie passt diese Geschichte zu Ihrer bisherigen Saison. Man kommt kaum umher, den Begriff Achterbahnfahrt zu verwenden.

Holzdeppe: Da kann ich nur zustimmen. Es war bislang eine Saison mit durchwachsenen Ergebnissen. Das war selbstverständlich weder so erhofft noch geplant. Aber ich muss eben damit leben, dass gerade am Anfang einige Störfaktoren dazu kamen, mit denen ich einfach nicht rechnen konnte. Das hat an den Kräften gezehrt.

SPOX: Einer dieser Störfaktoren war ein Materialwechsel, zu dem Sie sich nach einem Stabbruch entschlossen haben - von Carbon zu Glasfaser. Was war bei dieser Umstellung die größte Schwierigkeit?

Holzdeppe: Das Sprungverhalten ist einfach anders. Bei einem Carbonstab versucht man, so schnell wie möglich aus der Biegung wieder herauszukommen. Dementsprechend muss man seinen gesamten Sprungablauf schneller gestalten. Bei einem Glasfaserstab bleibt man hingegen etwas länger in der Biegung und hat somit mehr Zeit, um den ganzen Sprung durchzuziehen. Wenn in der ersten Phase des Ablaufs etwas nicht perfekt läuft, bleibt einem also eventuell noch die Chance, kleinere Fehler zu korrigieren. Die Umstellung meines Sprungverhaltens dauerte letztlich etwas länger, als ich es gedacht hatte. Als das besser funktionierte, bin ich gleich 5,80 Meter gesprungen. Ich weiß jetzt, dass die Umstellung erfolgreich gewesen ist, wenn auch manchmal die Feinabstimmung noch nicht passte.

SPOX: Die Umstellung erfolgte wie angesprochen aufgrund eines Stabbruchs im Vorfeld. Man verliert das Vertrauen in sein Material, was wiederum mental schwierig ist. Ist so ein Erlebnis für einen Stabhochspringer in etwa mit einem Crash eines Rennfahrers oder dem Sturz eines Skispringers zu vergleichen?

Holzdeppe: Ich vergleiche das gerne mit einem Turmspringer, der zum Auerbachsalto ansetzt, und dann mit dem Kopf gegen den Turm knallt. Der zweifelt beim nächsten Mal auch und ist sich nicht ganz sicher, ob er diesmal genügend Platz zwischen sich und dem Turm gelassen hat. Und selbstverständlich ist es beim Stabhochsprung fatal, wenn das Vertrauen in das Material verloren geht. In dem Moment, in dem ich loslaufe, darf es keinen Gedanken daran geben, ob der Stab in der Biegung hält. Mehrere Stabhochspringer, die mit dem gleichen Material wie ich gesprungen sind, haben im Verlauf dieser Saison Stabbrüche erlebt. Ein Athlet hat sich dabei sogar die Hand gebrochen. Auch deshalb habe ich mich für den Wechsel entschieden.

SPOX: Das Material und das Vertrauen darin sind also extrem wichtig. Wie viel Kopfsache ist das Stabhochspringen generell?

Holzdeppe: In dem Moment, in dem ich loslaufe, ist Stabhochsprung im Prinzip zu 100 Prozent Kopfsache. Ich habe natürlich eine bestimmte Fitness, eine bestimmte Form, ein bestimmtes Können. Letztlich entscheidet aber mein Kopf darüber, ob ich meine Fähigkeiten voll ausschöpfen kann, oder ob ich vielleicht nur auf 80 Prozent komme.

SPOX: Gibt es trotz den angesprochenen Störfaktoren - Sie waren zwischenzeitlich auch noch mit Fieber außer Gefecht - ein konkretes Ziel, das Sie sich für die WM setzen?

Holzdeppe: Definitiv. Ich habe bereits zu Saisonbeginn gesagt, dass ich nicht trainiere, um nur dabei zu sein. Ich war 2013 Weltmeister und 2015 Vizeweltmeister - jetzt will ich meinen Titel zurückhaben. Natürlich ist die Konkurrenz - allen voran die Amerikaner - einmal mehr groß. Trotzdem: Mein Minimalziel ist eine Medaille, das große Ziel ist es, Weltmeister zu werden.

SPOX: WM-Gold, WM-Silber, Olympia-Bronze: Inwiefern hilft es Ihnen, zu wissen, dass Sie in der Lage sind, in den alles entscheidenden Momenten Topleistungen zu bringen?

Holzdeppe: Große Wettkämpfe erfolgreich bestritten zu haben hilft definitiv. 2012 war ich beispielsweise in einer ähnlichen Situation wie jetzt. Es lief nicht so recht, erst bei den deutschen Meisterschaften bin ich überhaupt mal wieder über 5,70 Meter gesprungen. Danach kam ich in einem anderen Wettkampf noch auf 5,80 Meter, bei den Olympischen Spielen waren es schließlich 5,91 Meter. Solche Erfahrungen geben mir die nötige Ruhe, die nötige Sicherheit. Ich bin mir zu 100 Prozent sicher, dass die 5,80 Meter auch in dieser Saison nicht das Ende der Fahnenstange sind. Was London anbelangt, bin ich total zuversichtlich und unglaublich motiviert.

SPOX: Wie sieht der persönliche Fahrplan so kurz vor einer Weltmeisterschaft aus?

Holzdeppe: Man trainiert natürlich nicht mehr extrem. In den Tagen vor einem Wettkampf ist es nicht mehr möglich, eine Leistungsexplosion durch hartes Training zu erzwingen. Ich versuche jetzt einfach, mich nicht mehr zu verletzen und meine zuletzt gezeigte Form aufrechtzuerhalten. Das haben wir die letzten Jahre vor großen Wettkämpfen eigentlich auch immer geschafft.

SPOX: Spielt eigentlich auch bereits die Europameisterschaft 2018 eine Rolle, die bekanntlich in Berlin stattfinden wird?

Holzdeppe: Die EM 2018 ist in meinem Kalender bereits groß verzeichnet, da ich 2009 bei der WM in Berlin nicht dabei war. Jeder Sportler will zumindest einmal in seiner Karriere unbedingt eine große Meisterschaft vor heimischem Publikum absolvieren. Diese zweite Chance dazu will ich mir auf keinen Fall entgehen lassen.

SPOX: Die WM 2009 ist das Stichwort. Damals waren die Weltmeisterschaften in der deutschen Hauptstadt die große Show des Usain Bolt mit seinem Weltrekord über 100 Meter. Sein Abschied in London wird eines der WM-Highlights schlechthin. Gibt es irgendjemanden, der den Jamaikaner in absehbarer Zeit vom Standing her ersetzen kann?

Holzdeppe: Es ist schwer zu sagen, ob jemand in seine Fußstapfen treten kann. Es gibt jedenfalls Versuche von Verbänden und Sponsoren anderer großer Athleten, die Weichen zu stellen, um einen Ersatz für Usain Bolt zu finden.

SPOX: Er wird von manchen Menschen als "Muhammad Ali der Leichtathletik" bezeichnet. Was halten Sie persönlich von Bolt?

Holzdeppe: Ich würde Bolt nicht mit Muhammad Ali vergleichen. Ali hat durch das, was er alles gesagt und getan hat, schon noch ein anderes Standing. Trotzdem ist Bolt eine echte Persönlichkeit, die bereits in jungen Jahren als Weltstar gefeiert wurde. Dieses Charisma muss einem angeboren sein. Er hat das Interesse an der Leichtathletik - auch in Deutschland - deutlich gesteigert. Usain Bolt hat uns allen gut getan. Es wird sehr, sehr schwierig werden, ihn zu ersetzen.