Nick Heidfeld startet in der Formel E für den Rennstall Venturi, an dem Hollywood-Star Leonardo DiCaprio beteiligt ist. Im Interview spricht der ehemalige Formel-1-Fahrer über ein Treffen mit seinem neuen Teamchef, seine Bewunderung für Michael Jordan und verrät, warum die 24 Stunden von Le Mans teilweise langweilig sind.
SPOX: Herr Heidfeld, am Samstag beginnt die Formel-E-Saison. Sind Sie als erfahrener Rennfahrer aufgeregt, bei der ersten rein elektrisch angetriebenen Motorsportserie der Welt neben Daniel Abt als einer von zwei deutschen Piloten dabei zu sein?
Nick Heidfeld: Sogar sehr. Es ist für alle das erste Rennen, alles ist ganz neu, keiner weiß wirklich, was ihn erwartet. Wir haben zwar Testfahrten mit simulierten Zeittrainings und Rennen gehabt, aber wenn es wirklich um die Wurst geht, steigt die Spannung.
SPOX: Die Vorbereitungen betreibt der Formel-E-Geschäftsführer Alejandro Agag seit mehreren Jahren. Waren Sie von Anfang an überzeugt?
Heidfeld: Ich war von Anfang an interessiert. Die Serie hat großes Potenzial. Es geht dann vor allem um die Umsetzung und da hat sich im letzten Jahr sehr viel Positives getan. Das war einer der ausschlaggebenden Punkte, warum ich mich für die Teilnahme entschieden habe. Ich hatte in den letzten Jahren in den Sportwagen so viel Spaß, dass ich eigentlich nichts anderes machen wollte. Jetzt mache ich doch beide Sachen gleichzeitig und will mir anschauen, wie es läuft. Dabei zählt nicht nur der Erfolg, sondern auch der Spaßfaktor und das Zeitmanagement. Denn zwei Serien gleichzeitig bedeuten Aufwand.
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SPOX: Es gibt einige, die die Serie kritisch betrachten. Ihr früherer BMW-Teamkollege Sebastian Vettel sagte etwa, die Formel E sei "Käse". Was würden Sie ihm entgegenhalten?
Heidfeld: Ich verstehe mich sehr gut mit Sebastian und weiß nicht, in welchem Zusammenhang er das gesagt hat. Ich denke aber, dass die Formel E momentan nicht gegen die Formel 1 antreten kann und das auch gar nicht möchte. Das Konzept ist ganz anders. Die Serie hat aber ihre Berechtigung, wenn man die Entwicklung der Elektromobilität und das Interesse der Hersteller daran bedenkt. Wie erfolgreich das wird, müssen wir sehen. Auch wenn die Formel 1 derzeit mit Negativschlagzeilen zu kämpfen hat, ist sie die Spitze des Motorsports und wird das noch lange bleiben. Das heißt aber nicht, dass es daneben nichts anderes geben kann.
SPOX: Dass die neue Serie nicht direkt mit der Formel 1 konkurriert, wird auch beim Blick auf die Leistungsdaten deutlich. Die Rundenzeiten bei den Tests waren eher auf Formel-3-Niveau. Wie fühlen sich die Autos für den Fahrer an?
Heidfeld: Mit der Formel 1 verglichen, ist das natürlich bescheiden. Wir haben im Qualifying knapp 300 PS und die Autos sind 900 Kilo schwer. Eine weitere Besonderheit: Wir fahren mit Profilreifen von Michelin, nicht mit Slicks. Das macht es zwar langsamer, aber wir können damit im Trockenen und im Nassen fahren. Letztlich ist es aber so: Es sind Monoposto-Autos, ganz normale Rennautos. Jedes Auto ist schwierig am Limit zu bewegen und genau dann macht es Spaß. Es gibt aber noch einen anderen Grund, warum ich eingestiegen bin...
SPOX: Ja?
Heidfeld: Ich habe gesehen, was es für Gegner gibt. Mit dem Fahrerfeld müssen wir uns nicht hinter der Formel 1 verstecken. Weltmeister sind nicht dabei, aber viele, die nicht nur in der Formel 1, sondern in anderen Serien sehr erfolgreich waren. Hier fahren keine Pfeifen rum. Das wertet die Serie in meinen Augen auf: Ich werde Spaß haben, gegen die anderen Fahrer zu kämpfen.
SPOX: Sie sind nicht der einzige aus Ihrer Familie, der in der Formel E aktiv ist. Ihr Bruder Sven wird die Rennen in Deutschland kommentieren. Haben Sie als großer Bruder schon mit Konsequenzen gedroht, wenn er Sie kritisiert?
Heidfeld: Im Gegenteil. Er muss mich kritisieren. Dass er die Rennen kommentiert, mag im ersten Moment positiv aussehen, aber die Zuschauer haben das sicher im Hinterkopf. Bei einem nahen Verwandte würde gleich der Verdacht aufkommen: "Der sagt nur was Positives, weil es der Bruder ist."
SPOX: Bei einer Einheitsformel denkt man eigentlich meist an wenig fehleranfällige Autos, das Gegenteil ist bei den Hybridfahrzeugen in der Formel 1 der Fall. Wie ist das bei der Formel E? Haben die Teams die neue Elektro-Technik schon komplett im Griff?
Heidfeld: Große Probleme wird es nach den Tests nicht geben, denke ich. Die meisten konnten wir schon aussortieren. Aber auch bei einer Einheitsserie ist es nicht so, dass von Anfang an alles ausgereift ist. Es gibt immer Situationen in der Saison, die man nicht simulieren kann und die erst bei fortschreitender Kilometerzahl auftreten. Man weiß leider nie, was auf einen zukommt.
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SPOX: Haben Sie sich die Startnummer 23 wegen Michael Jordan ausgesucht?
Heidfeld: Ja, die ist auf ihn begründet. Ich mag Basketball, habe die Spiele als Jugendlicher noch mehr als jetzt beobachtet. Ich fand ihn selbst in der NBA komplett überlegen gegenüber allen anderen. In den entscheidenden Momenten hat er so viele Würfe genommen und überragend gespielt. Dazu der Style, die Ausstrahlung und die Hingabe - das ist für mich einmalig. Jordan war der einzige Sportler, der bei mir jemals als Poster an der Wand hing.
SPOX: Unter Ihren Teameigentümer ist ebenfalls ein bekannter Name: Leonardo DiCaprio hat Venturi zusammen mit drei Geschäftspartnern gegründet. Hatten Sie schon Kontakt?
Heidfeld: Nein, noch nicht. Er ist Mitbegründer, aber nicht ins Tagesgeschäft involviert. Mal schauen, ob wir uns während der Saison treffen. Wir fahren ja in Miami und Los Angeles. Reizvoll wäre es. Er ist ein Superstar, der sehr sympathisch rüberkommt und viel für die Umwelt tut.
SPOX: Sie sind neben der Formel E immer noch in der Langstreckenweltmeisterschaft WEC aktiv. Mit Rebellion waren Sie bei den 24 Stunden von Le Mans das einzige Privatteam und sind nach den halbwegs problemfreien Werksautos Vierter geworden. Werten Sie das als Erfolg?
Heidfeld: Damit bin ich sehr zufrieden. Die Feier danach ist zwar nicht so groß, als würde man auf dem Podium stehen oder den Gesamtsieg einfahren, aber wir konnten nicht mehr erreichen. Mit drei Werksteams war die Konkurrenz stark. Auch wenn einige sich durch technische Probleme selbst geschlagen haben, schätze ich unsere Leistung extrem hoch ein. Der R-one war noch deutlich später fertig als alle anderen LMP1-Autos, dazu privatfinanziert. Wir haben nur sehr wenige Testkilometer absolviert. Allein deshalb war es eine kleine Sensation, dass wir problemlos durchgekommen sind.
SPOX: Ihnen fehlten mit dem Rebellion fünf Sekunden pro Runde zu den Werksteams, gleichzeitig waren Sie auch etwa fünf Sekunden von den Autos der langsameren LMP2-Prototypen entfernt. Wie motiviert man sich da, wenn man scheinbar ein Einzelrennen fährt?
Heidfeld: Teilweise ist es in Le Mans wirklich langweilig. Andererseits hat man immer im Hinterkopf, nicht zu viel Zeit zu verlieren: Wenn es vorne ein Problem gibt, muss man da sein und sich so viel Vorsprung herausgefahren haben, dass die schnell aufholenden Werksautos nicht mehr vorbeikommen. Selbst die Top-Teams fahren in Le Mans taktisch. Freuen würden wir uns natürlich trotzdem über mehr Privatteams. In Austin kommt jetzt Lotus dazu. Ich hoffe mal, dass sie keine großen Startschwierigkeiten bekommen, damit wir ein paar spannendere Zweikämpfe haben.
SPOX: Im anderen Rebellion fährt mit Fabio Leimer der aktuelle GP2-Champion. Trotz des Titels hat der Schweizer kein Cockpit und keinen Testfahrervertrag in der Formel 1 bekommen. Wie beurteilen Sie das?
Heidfeld: Im Vergleich zu früher ist der Unterschied schon deutlich. Nur mit Talent ist es schwierig, in die Formel 1 zu kommen. Ich würde dafür aber nicht die Teams kritisieren. Sie würden auch lieber die Fahrer aussuchen, von denen sie am meisten auf der Strecke erwarten. Aber das muss bezahlt werden. Die Formel 1 ist für die Teams zu teuer. Die wenigsten können sich leisten, Risiko zu gehen. Das ist schade, aber der Stand der Dinge.
SPOX: Gleichzeitig kommt mit Max Verstappen im nächsten Jahr ein Talent in die Königsklasse - ohne Sponsorenmillionen, aber gerade 17 Jahre alt. Sie hatten bei Sauber Kimi Räikkönen als Teamkollegen, der wie der Niederländer kaum Rennerfahrung mit Monopostos hatte. Wie beurteilen Sie seinen Aufstieg?
Heidfeld: Grundsätzlich ist die Reife und der Erfahrungsschatz mit höherem Alter größer. Bei Kimi hat's damals gut funktioniert, er war aber immer noch älter als Max. Durchschnittlich betrachtet wäre es besser und sicherer, wenn es ein Mindestalter in der Formel 1 geben würde. Klar ist es möglich, dass es Ausnahmefahrer gibt, die es trotzdem schaffen wie Kimi oder vielleicht Max. Das ist aber vorher schwierig einzuschätzen.
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SPOX: Sie bilden seit drei Jahren mit der GT-Academy für Nissan selbst Rennfahrer aus. Das Besondere: Die Schüler haben keine klassische Kart-Laufbahn hinter sich, sondern werden über ein Computerspiel gecastet. Wie läuft das ab?
Heidfeld: Letztes Jahr waren es alleine in Deutschland ca. 100.000 Bewerber. Wir filtern dann die Topleute raus. Nach einer Vorauswahl kommen die zehn Besten nach Silverstone und wir sind jedes Mal überrascht, wie schnell sie sich weiterentwickeln und wie sinnvoll das Playstation Spielen ist: Man sieht zehn Gesichter, die noch nie im Auto saßen, und nach weniger als einer Woche fahren sie im Nissan GT3 echte Rennen und stellen sich gut an. Die sind viel besser, als man sich das vorstellt. Das ist wirklich erschreckend.
SPOX: Mit Jann Mardenborough fährt der Sieger des Jahres 2011 schon in der GP3, zwei Klassen unter der Formel 1. Besteht die Möglichkeit, dass bald der erste Playstation-Spieler in der Königsklasse fährt?
Heidfeld: Mit Sicherheit fährt bald einer in der Formel 1. Ob es Jann sein wird? Er macht einen guten Job, wird stark gepusht. Ich weiß es aber nicht. Was mir an dem Projekt am besten gefällt: Man schafft es dadurch, Leuten eine Chance zu geben, die nicht genügend Geld für Motorsport haben. Deswegen ist die GT-Academy eine tolle Sache: Nicht nur in der Formel 1 werden die Finanzen immer extremer, ich finde es in den unteren Serien noch schlimmer, schon im Kartsport. Das ist kaum möglich zu bezahlen, außer man kennt jemanden, der einem etwas von seinem überflüssigen Geld in den Rücken schiebt.
SPOX: Sie selbst waren Mercedes-Junior. Gibt es da Unterschiede?
Heidfeld: Das hört sich an, als wäre es bei Mercedes nicht optimal geplant war, aber in der Academy haben die Jungs ein umfassendes Programm: Fitnesscoaching, Mentalcoaching, verschiedene Autos, Rennen, Strecken, Datenanalyse und so weiter. Das war bei Mercedes damals anders. Ich kam aber auch nicht von der Spielekonsole, sondern hatte schon Kart- und Formel-Ford-Erfahrung. Ehrlich gesagt war ich dankbar, dass ich kein vollumfängliches Programm hatte: Auf Medientraining hätte ich sowieso keinen Bock gehabt.
SPOX: Beim 24-Stunden-Rennen auf der Nürburgring-Nordschleife sind Sie mit dem Academy-Sieger des letzten Jahres, Florian Strauß, zusammen in einem Auto gefahren. Was müssen die Ausgewählten lernen, bevor sie auf die wohl schwerste Strecke der Welt losgelassen werden?
Heidfeld: Mit Florian bin ich weniger als ein Jahr, nachdem er die Academy gewonnen hat, gestartet. Das Wichtigste ist, das Körpergefühl dafür zu bekommen, was das Auto macht. Das umzusetzen ist der wichtigste Lerneffekt, denn das Hör- und Lenkgefühl, die Hand-Augen-Koordination, das Timing - all das haben sie vom Computer schon sehr gut drin.
SPOX: In der Nacht hatte nicht der Nachwuchsfahrer sondern Sie einen heftigen Unfall. Sie sind freiwillig in ein anderes Auto gefahren. Was ist passiert?
Heidfeld: Das Auto fuhr sehr langsam und es wurden doppelte Gelbe Flaggen geschwenkt. Das heißt, man muss auf 60 km/h abbremsen. In der Fuchsröhre fährt man aber mit über 200 km/h und die Warnung kam so spät, dass ich sie kaum sehen konnte. Es war unmöglich, so schnell zu verzögern. Da gab es in den letzten Rennen einige Unfälle. Mich hat sehr geärgert, dass man das bei einem international so anerkannten Rennen nicht sicherer gestaltet hat. Weil mehrere Autos die Strecke blockiert haben, konnte ich nur auf die Wiese ausweichen, da hätte aber ein Streckenposten laufen können. Deshalb bin ich dem Auto vor mir richtig heftig reingesemmelt. Mich hat gewundert, dass wir überhaupt noch weiterfahren konnten.
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SPOX: Die zweite Szene, die jedem im Kopf geblieben ist, war die mit Ihrem Belüftungsschlauch, den Sie nach jeder Rechtskurve vor dem Gesicht hatten. Was war da los?
Heidfeld: (lacht) Als ich es danach im Video gesehen habe, war das sehr lustig. Aber bei dem Vorbereitungsrennen und in dem Moment war es extrem nervig. Wir haben probiert, den Schlauch einzubauen und zu befestigen, um die Temperaturen für den Fahrer zu senken. Das hat offensichtlich nicht funktioniert. Auf der Nordschleife kann man im Training wegen der begrenzten Zeit und weil wir mit vier Leuten auf dem Auto saßen aber nur zwei Runden fahren. Da kommt man nicht wegen so einem blöden Schlauch in die Box, bringt den ganzen Plan durcheinander und verliert Zeit.
SPOX: Sie sind als Juror bei der GT-Academy und den 24 Stunden vom Nürburgring ziemlich eng mit Nissan verbandelt. 2015 steigen die Japaner als fünftes Werksteam in die WEC ein und treten damit in Le Mans an. Werden Sie dabei sein?
Heidfeld: Das weiß ich noch nicht. Erst mal schaue ich mir an, was mit der Formel E passiert und mache beides gleichzeitig. Dann muss ich gucken, ob ich die Wahl habe und beides weitermache. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass ich wieder dabei bin, weil es mir so viel Spaß macht. Ob es dann mit Nissan ist? Die Kontakte sind da, aber es laufen noch keine Verhandlungen.
SPOX: Im Alter von 37 Jahren und mit 32 Jahren Motorsport-Erfahrung haben Sie extrem viel erlebt. Nach Ihrem letzten Formel-1-Rennen 2011 sind Sie unter anderem noch in Australien bei den V8-Supercars und im Porsche Cup gestartet. Würden Sie sich als Weltenbummler bezeichnen?
Heidfeld: Ich reise gerne. Mein Abschied war zwar leider nicht selbst bestimmt, mir hat es aber danach Spaß gemacht, auch andere Sachen zu machen. In der Formel 1 ist das zeitlich nicht möglich und vor allem nicht erwünscht. Ich finde es toll, verschiedenste Autos zu fahren.
SPOX: Gibt es denn ein Auto oder eine Strecke, die sich besonders eingebrannt hat?
Heidfeld: Die geilste Strecke ist für mich Macao. Ich war zwei Jahre lang mit der Formel 3 dort, habe aber nur im ersten Jahr teilgenommen. Beim zweiten Mal lag ich mit einer Lebensmittelvergiftung im Krankenhaus. Das war grausam. Ich konnte von meinem Zimmer auf die Rennstrecke schauen - der absolute Horror. Mein bestes Auto war einer der McLaren, mit denen Mika Häkkinen Weltmeister geworden ist. Der war nicht nur schnell, sondern auch von der Balance stimmig und einfach zu fahren. Das hat einfach Spaß, weil das Auto genau das gemacht hat, was man wollte.
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Nick Heidfeld im Steckbrief