Bernie Ecclestone hätte die Formel 1 gerne schon zu seinen Amtszeiten in New York gesehen. Auch unter der neuen Führungsriege um Liberty-Media-Chef Chase Carey und Ross Brawn steht ein Grand Prix am Ufer des Hudson River nach wie vor weit oben auf der Agenda. Bislang aber ohne Ergebnis.
Ein Formel-1-Rennen vor der Skyline des Big Apple - genauer gesagt in New Jersey - hat bis heute nicht stattgefunden. Auch 2018 macht der GP-Tross nicht an der amerikanischen Ostküste Halt.
Und trotzdem durften die New Yorker schon in diesem Jahr Formel-Rennsport live erleben. Mit einem Unterschied: Um den Sieg fuhren nicht etwa Sebastian Vettel, Lewis Hamilton und Co., sondern Sam Bird, Jean-Eric Vergne und Nick Heidfeld. Und es war auch nicht die Formel 1, die durch die Straßen fegte, sondern die Formel E.
Für die Elektroserie ist ein Rennen in der New York dabei aber nur ein kleiner Erfolg. Ihre sogenannten ePrix finden ausschließlich in Metropolen wie Hongkong, Paris oder Buenos Aires statt. Viel wichtiger für die Formel E ist etwas anderes: der Einstieg der Hersteller-Giganten Mercedes, Porsche, BMW und Audi.
Mercedes und Porsche ziehen Formel E vor
Während Audi bereits in diesem Jahr (die neue Formel-E-Saison beginnt im Dezember) ein eigenes Werksteam ins Rennen schickt, folgt BMW rund zwölf Monate später. Porsche und Mercedes starten ab 2019. Die Zuffenhausener verzichten für das Engagement in der Formel E sogar auf die LMP1-Klasse in Le Mans und damit auf die höchste Kategorie im Langstreckensport. Mercedes kehrt überraschenderweise der DTM den Rücken.
"Die Formel E hat sich in kurzer Zeit gut etabliert", sagt der langjährige Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug auf SPOX-Anfrage: "Mit der Verpflichtung namhafter Hersteller und deren Engagement wird dort künftig wohl eine andere Taktzahl geschlagen werden. Es ist interessant zu sehen, wie sich die Serie weiterentwickeln wird."
Mahindra-Pilot Felix Rosenqvist geht gegenüber NBC Sports sogar noch einen Schritt weiter und kontert den vielen Kritikern der Serie: "Leute reden immer schlecht über die Formel E - besonders die ältere Generation - und sagen, dass es kein richtiger Rennsport sei und bla bla bla. Aber jetzt haben sie den Nagel in den Sarg geschlagen. Viele Leute werden nun verstummen."
E-Technik: vom Rennwagen in die Serienproduktion
Tatsächlich war (oder ist) die Formel E vielen Motorsportpuristen zu alternativ. Extra-Boost per Fan-Voting? Abgeriegelte Spitzengeschwindigkeiten von 225 km/h? Das Surren der Elektroantriebe statt echtem Motorensound? "Alles Käse", fand Traditionalist Sebastian Vettel schon 2014 bei der Einführung des neuen FIA-Produkts.
Doch die Größen der deutschen Automobilindustrie sehen das - zumindest mittlerweile - anders. Sie setzen auf die Formel E und reagieren damit auf die Entwicklungen der letzten Jahre. "Wir mussten an die Zukunft denken. Wo geht die Straße hin?", erklärte Mercedes-Aufsichtsratsboss Niki Lauda bei RTL den Richtungswechsel der Stuttgarter.
Möchten die ohnehin schon angeschlagenen Hersteller in Zeiten des Abgasskandals und einem immer größer werdenden E-Mobilitätssektors auf den Zug aufspringen, müssen sie an der Entwicklung von Elektroantrieben arbeiten. Das geht mitunter nirgends so gut wie in der Formel E, wie auch Porsche-Entwicklungsvorstand Michael Steiner erläutert: "Sie ist für uns das ultimative kompetitive Umfeld, um die Entwicklung von High-Performance-Fahrzeugen in punkto Umweltfreundlichkeit, Sparsamkeit und Nachhaltigkeit voranzutreiben."
Bestätigung bekommt Steiner von Dilbagh Gill. Der Chef des indischen Formel-E-Teams Mahindra Racing verriet, dass der Autobauer bis Mitte nächsten Jahres Serienfahrzeuge vorstellen werde, "deren Antriebstechnik direkt von unseren Rennautos beeinflusst wurde."
"Gibt keine Meisterschaft mit einer besseren Zukunft"
Entscheidend dabei: Die Hersteller dürfen Motor, Getriebe und Leistungselektronik selbst entwickeln. Ab 2019 ist zudem die Batterie, die bislang nur eine halbe Renndistanz hält, zur individuellen Entwicklung freigegeben. Gleichzeitig gibt die FIA mit einem Einheitschassis aber alle aerodynamischen Komponenten fest vor und senkt so die Kosten für jeden Rennstall auf rund zehn Millionen Euro pro Saison. Zum Vergleich: In der Formel 1 zahlt ein Top-Team mehrere hundert Millionen Euro für ein Jahr.
Die Vorteile für die Hersteller sind also groß. Entsprechend ist sich Formel-E-Fahrer Sebastian Buemi auch sicher, dass es "im Moment keine Meisterschaft im Motorsport gibt, die eine bessere Zukunft hat". Anders sieht das Norbert Haug, der gegenüber SPOX Zweifel daran äußert, dass die Formel E "in den nächsten Jahren" zur Zukunft des Motorsports heranwächst.
In der Tat wartet auf die Formel E noch viel Arbeit, bis es so weit sein könnte. Der Einstieg der zusätzlichen Hersteller bringt nämlich nicht nur Vorteile mit sich, er birgt auch Gefahren. Zum Beispiel, wenn Siege in der E-Serie mehr Prestige bringen und die Teams die Dinge in ihre Richtung lenken möchten. Oder wenn ein Hersteller plötzlich auf freie Entwicklung pocht und die Kosten damit in die Höhe schnellen lässt. "Es wird einen unmittelbaren Krieg geben, wer mehr tun kann, wer mehr Autorität will und all diese Dinge", warnt daher auch Haas-F1-Teamchef Günther Steiner.
Zudem ist das fahrerische Niveau nicht mit dem der Formel 1 zu vergleichen. Vergne, Buemi, Nelson Piquet Jr., Lucas di Grassi - all das sind Piloten, denen der Durchbruch in der Königsklasse verwehrt blieb. Einen großen Star sucht man im Fahrerfeld ohnehin vergeblich. Und 20.000 Besucher an den Rennstrecken sind im Vergleich zu Formel 1, die an einem GP-Wochenende teilweise mehr als 100.000 Zuschauer anlockt, auch eher spärlich.
Formel E als grüne Alternative zur Formel 1
Doch will die Formel E überhaupt die Zukunft des Motorsports werden und andere Rennserien als Marktführer ablösen? "Man sollte die Formel E nicht als Ersatz für die DTM sehen", meint Haug in Bezug auf Mercedes' überraschenden Wechsel, "und das ist ja auch nicht die Absicht der Formel-E-Macher".
Tatsächlich ist sie vielmehr so etwas wie die grüne Alternative zur Formel 1. Eine Rennserie, die neben und nicht statt der Königsklasse existieren will. "Es geht nicht darum, die Formel 1 zu verdrängen", stellt Formel-E-Chef Alejandro Agag klar: "Ich bin großer Formel-1-Fan, ich hoffe, sie wird nie verschwinden. Sie ist ein globales Event mit Millionen Fans, in dem es um viel Geld geht. Die Formel E ist eine andere Rennserie."
Mercedes ist das perfekte Beispiel dafür: Zwar kehren die Stuttgarter dem sinkenden Schiff DTM den Rücken, ein Ende des Formel-1-Engagements sei laut Niki Lauda aber "überhaupt kein Thema". F1 und FE sollen parallel betrieben werden.