Alejandro Agag ist Chef der Formel E. Zuvor war der 47-jährige Spanier unter anderem erfolgreich in der Politik tätig und kaufte den englischen Fußball-Klub Queens Park Rangers. Im Interview spricht Agag über sein verrücktes Leben, die großen Pläne der Formel E und Unterschiede zur Formel 1. Außerdem erklärt er die Bedeutung von Klimapolitik und sagt, warum im Sport zu viel Geld unterwegs ist.
SPOX: Herr Agag, Sie sind als ein Mann bekannt, der zu vielen berühmten Menschen auf der ganzen Welt Kontakte pflegt. Die spanische Zeitung El Pais bezeichnete Ihre SIM Card gar als "unbezahlbar". Wie haben Sie das geschafft?
Alejandro Agag: Das geht nur mit sehr viel Arbeit. Ich hatte immer klare Ziele und wusste genau, was ich will. Manchmal scheitert man auf seinem Weg, manchmal schafft man es. Wichtig ist nur, dass man keine Angst vor dem Scheitern hat. Im Gegenteil: Scheitern ist sogar ein Muss. Wenn man das weiß, versucht man immer wieder, nach vorne zu kommen. Und wenn man es versucht, wird man es auch schaffen.
SPOX: Auf Ihrer Hochzeit waren unter anderem der spanische König Juan Carlos, Silvio Berlusconi und der ehemalige englische Premierminister Tony Blair zu Gast. Wie wichtig ist Ihnen der Umgang mit solch berühmten Persönlichkeiten?
Agag: Ich verbringe meine Zeit immer mit fünf sehr wichtigen Menschen. Das sind meine Frau und meine vier Kinder. Alle anderen sind für mich gleich.
SPOX: Ihre Frau ist die Tochter Ihres ehemaligen Chefs Jose Maria Aznar, Spaniens Ministerpräsidenten von 1996 bis 2004. Mit nur 25 Jahren waren Sie sein politischer Berater. Andere befinden in dem Alter mitten im Studium oder haben gerade ihre Berufsausbildung abgeschlossen. Wie kamen Sie so früh an diesen Posten?
Alejandro Agag: (lacht) Als Teenager bin ich in die Jugend der Partei [Partido Popular; Anm. d. Red] beigetreten und habe ehrenamtlich für sie gearbeitet. Als ich dann schon ein paar Jahre dort aktiv war, brauchte der Ministerpräsident einen jungen Kerl, der mit ihm reist und seine Aktenkoffer hütet. Mein Vorteil war, dass ich neben Spanisch auch Englisch, Französisch und Italienisch sprach. Also schlug er mich irgendwann als seinen Berater vor.
SPOX: Nachdem Sie drei Jahre später für einige Zeit Mitglied des EU-Parlaments waren, sind Sie heute Chef der Formel E. Eine Entwicklung, die auf den ersten Blick nicht zusammenpasst. Bitte verraten Sie mir, wie das möglich war.
Agag: Das habe ich selbst noch nicht so genau verstanden. (lacht) Nein, im Ernst: Als ich mit 32 Jahren meine Frau geheiratet habe, entschloss ich mich, mit der Politik aufzuhören. Ich hatte einfach zu viele andere Interessen, denen ich nachgehen wollte. Mit der Zeit habe ich dann Bernie Ecclestone und Flavio Briatore kennengelernt, mit ihnen zusammengearbeitet und erst einmal Dinge außerhalb der Formel 1 gemacht.
SPOX: Sie meinen den Kauf des Fußballklubs der Queens Park Rangers im Jahr 2007?
Agag: Das war komplett verrückt. Flavio dachte zuerst, dass die Queens Park Rangers ein Restaurant seien. (lacht) Als wir ihn schließlich aufgeklärt und den Verein, damals in der 2. Liga aktiv, gekauft hatten, haben wir uns den Plan gesteckt, innerhalb von vier Jahren in die Premier League aufzusteigen und den Klub anschließend wieder zu verkaufen. Fragen Sie mich nicht, wie, aber wir haben es geschafft. 2011 war QPR wieder Teil der Premier League.
gettySPOX: Was denken Sie heute über die englische Liga und die immensen Geldsummen, die dort aufgrund der aktuellen TV-Verträge fließen?
Agag: Ich liebe Fußball und bin großer Fan von Real Madrid und QPR. Aber bei so viel Geld entfremdet sich der Fan irgendwann vom Sport. Besonders die jungen Leute werden sich abwenden. Das ist ein Problem für viele Sportarten, egal ob Fußball oder Motorsport. Es macht auch keinen Sinn, 400 Millionen Euro dafür auszugeben, dass zwei Autos ein Jahr lang Rennen fahren.
SPOX: Formel-1-Piloten wie Lewis Hamilton und Sebastian Vettel verdienen jährlich mindestens 30 Millionen Euro. Zu viel für Ihren Geschmack?
Agag: Das Problem sind weniger die Fahrer-Gehälter als vielmehr die hohen Gesamtkosten der Teams. Die Fahrer sind große Stars und es ist schön, wenn sie so viel verdienen können - auch wenn es manchmal etwas zu verrückt wird wie im Fußball bei Neymar und Paris St. Germain.
SPOX: Zurück zu Ihnen. Briatore und Ecclestone haben Sie in den Motorsport geführt. Wie ging es dann weiter?
Agag: Ich habe gemerkt, dass mich das Thema sehr interessiert und ich tiefer eintauchen will. Also kaufte ich ein GP2-Team. Das hat mir so viel Spaß gemacht und eine richtige Leidenschaft in mir geweckt, dass ich das weitermachen wollte. Allerdings war mir immer auch etwas anderes sehr wichtig: die Umwelt. Ich dachte mir deswegen schon länger, dass es fantastisch wäre, wenn man eine grüne Motorsportserie ins Leben rufen könnte. Eines Tages saß ich dann mit Jean Todt (FIA-Präsident; Anm. d. Red) in Paris zusammen. Ab da wusste ich, dass die Formel E mein neues Hauptziel werden würde.
SPOX: Am 2. Dezember geht die Formel E in ihre vierte Saison. Wie zufrieden sind Sie mit der bisherigen Entwicklung?
Alejandro Agag: Ich könnte ehrlich gesagt nicht zufriedener sein, weil wir viel besser dastehen, als wir uns das jemals hätten vorstellen können. Wir hatten drei Jahre großartigen Wettkampf mit drei verschiedenen Champions und ein tolles Finale in der abgelaufenen Saison. Mit dem Engagement von Mercedes und Porsche durften wir im Sommer großartige Neuigkeiten verkünden. Obwohl es jetzt schon so gut wie noch nie in unserer jungen Geschichte läuft, wird es immer noch besser und besser.
SPOX: Vom traditionellen Motorsportfan gibt es aber nach wie vor viel Kritik an der Formel E: Sie sei zu leise, zu langsam und überhaupt zu weit weg vom "echten" Motorsport. Wie können Sie diese Leute überzeugen?
Agag: Ich war einmal im Mercedes-Benz Museum in Stuttgart. Dort steht ein Pferd, auf dessen Sockel ein Zitat von Wilhelm II. zu lesen ist: "Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung." Wir sind jetzt in derselben Situation. Einige Menschen glauben, dass der Elektroantrieb nur eine Phase ist, doch es wird das Gleiche wie mit dem Automobil geschehen. Verbrennungsmotoren müssen früher oder später verschwinden, E-Technik wird die Zukunft sein. Es mag sein, dass einige diese Vorstellung nicht mögen, aber es wird so passieren.
SPOX: Das heißt, der Formel E kommt dann eine ganz andere Bedeutung als heute zu?
Agag: Richtig. In zehn bis 15 Jahren werden wir die wichtigste Motorsportserie überhaupt sein, weil wir die Automobilindustrie der Zukunft repräsentieren. Ich weiß, dass das hochgesteckte Ziele sind, aber wir glauben daran.
SPOX:Immer mehr große Hersteller schließen sich der Formel E an. Das ist zunächst einmal sehr positiv für die Serie. Birgt so eine starke Konkurrenzsituation, wie wir sie in ein paar Jahren haben werden, aber nicht auch zwangsläufig Risiken? Die Formel 1 hat gezeigt, wie sehr Machtkämpfe der Teams Probleme bereiten können.
Agag: Natürlich gibt es da ein gewisses Risiko. Aber als wir in unseren Anfängen steckten, haben wir uns klare Regeln überlegt, damit so etwas nicht passiert. Die Hersteller dürfen bei der Planung und Herstellung von einigen Bauteilen nicht mitreden. Natürlich hören wir uns die Meinung von jedem an, aber am Ende treffen nur die FIA und die Formula E Holding die Entscheidung. Egal, ob das der größte Hersteller der Welt oder ein kleines Team ist - beide haben denselben Einfluss: nämlich gar keinen. Anderenfalls würde es ein großes Durcheinander geben.
SPOX: Auf Herstellerseite hat die Formel E einige Big Player an Bord geholt. Fehlen nun noch die großen Fahrer-Stars wie ein Hamilton, Vettel oder Fernando Alonso?
Agag: Schon Bernie Ecclestone hat gesagt: Die großen Fahrer sind nicht wegen ihrer Selbst berühmt. Sie sind berühmt, weil sie Formel-1-Champions sind und die Formel 1 berühmt ist. Sobald ein Fahrer die Formel 1 verlässt, ist er nicht mehr berühmt. Und das stimmt. Wenn wir also die Formel E groß rausbringen, werden die Fahrer automatisch zu Stars.
SPOX: Glauben Sie, dass die Formel E eine ernsthafte Konkurrenz für die Formel 1 werden kann?
Agag: In meinen Augen sind die Formel E und die Formel 1 sehr gut miteinander vereinbar. Es gibt genug Platz für beide. Die Formel E hat ihr eigenes Publikum und einen ganz anderen Markt als die Formel 1. Die Formel E ist elektrisch, fährt ihre Rennen in Städten und spricht jüngere Fans an. Wir konkurrieren nicht mit der Formel 1.
SPOX: Die vermeintliche Königsklasse des Motorsports steht für VIPs, Glamour und Luxus. Sie haben Paris Hilton in einem Formel-E-Safety-Car um den Kurs in Mexiko City gefahren, Hollywood-Star Leonardo DiCaprio ist Teilhaber des Venturi Formula E Teams. Wie wichtig ist Ihnen diese Art von Marketing?
Agag: Wir setzen unseren Fokus nicht auf Glamour und Luxus, sondern auf Innovation. Wir wollen die junge Generation mit der Technologie der Zukunft gewinnen - Elektroautos, Roboter, Virtual Reality und Drohnen. Aber: Celebritys wie Leonardo DiCaprio sind eng mit einem starken Umweltbewusstsein verbunden und helfen uns natürlich, auf die Formel E aufmerksam zu machen. Wir sind noch nicht so bekannt, also sind solche Leute sehr wichtig für uns.
SPOX: Sie kennen Sich mit Politik und mit Elektrotechnologie aus. Was halten Sie von den Plänen, Verbrennungsmotoren ab 2030 gänzlich zu verbieten?
Agag: Das ist meiner Meinung nach unbedingt notwendig. Politiker haben aufgrund ihrer Position mehr Informationen als der Rest der Leute und wissen besser über die Schwere von Problemen wie Klimawandel und Global Warming Bescheid. Entsprechend sind die Regierungen gefordert, dem entgegenzutreten und diese Gefahren zu stoppen.
SPOX: Zum Beispiel mit Verordnungen, die CO²-Emissionen zu senken?
Agag: Ja. Das ist sehr dringend, weil der Klimawandel das größte Problem überhaupt auf unserem Planeten ist. Wir spüren schon jetzt die Veränderungen und werden das noch viel stärker und schneller spüren, als wir das aktuell denken. Daran besteht für mich gar kein Zweifel. Wir müssen die CO²-Emissionen bis 2020 massiv eindämmen, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Bis dahin sind es aber nur noch zwei bis drei Jahre und wir sind nicht einmal in der Nähe der Vorgaben. Was wir jetzt brauchen, ist ein Anstoß und jede Aktion ist dabei notwendig.
SPOX: Die Formel E steht für Umweltbewusstsein. Um aber vom Rennen in Hongkong zum Rennen in Rom oder Mexiko City zu kommen, müssen Sie mit dem Equipment um den ganzen Planeten fliegen. Steht das nicht im Widerspruch?
Agag: Wenn man den positiven Effekt sieht, den wir mit der Aufmerksamkeit auf E-Fahrzeuge schaffen können, und diesen mit unserem CO²-Ausstoß vergleicht, dann ist das irrelevant. Wir müssen pragmatisch denken. Man kann ja auch kein Omelett machen, ohne vorher die Eier zu zerbrechen. Wenn man nichts macht und die Dinge so lässt, wie sie sind, hat man ein Problem. Wir müssen diesen einen Schritt zurückgehen, um dann 20 nach vorne zu machen.