Doping-Unterstellungen, Drohungen, ein Urin-Angriff: Christopher Froome hat davon genug und wehrt sich. Der Zwischenfall auf der 14. Etappe der Tour de France hat das Fass zum Überlaufen gebracht. "Ich würde nicht die gesamte Öffentlichkeit verantwortlich machen. Aber ich denke, die Berichterstattung ist schuld. Sie ist zum Teil verantwortungslos. Es sind Einzelne, die Betroffenen wissen, dass sie gemeint sind", schimpfte der Tour-Dominator, nachdem ihm am Samstag nach eigenen Angaben ein kleiner Becher Urin ins Gesicht geworfen worden war.
Die Tirade ist eine offensichtliche Reaktion auf die Dopingandeutungen der vorherigen Tage, die unter anderem von den französischen Ex-Radprofis und TV-Experten Laurent Jalabert und Cedric Vasseur in den Raum gestellt worden waren. Sowohl Jalabert, vor zwei Jahren des Dopings bei der Tour 1998 überführt, als auch Vasseur haben selbst keine porentief reine Vergangenheit. "Das ist in vielerlei Hinsicht inakzeptabel. Inzwischen sind es nicht mehr die Fahrer, die den Sport in Verruf bringen, sondern diese Individuen", wetterte Froome.
Die Causa hat das Zeug, sich zu einer Fehde auszuwachsen, denn am Samstagabend äußerte sich auch Froomes hochschwangere Gattin Michelle via Twitter und bezeichnete Jalabert, Vasseur und weitere Kritiker wie den beständigen Sky-Kritiker Antoine Vayer oder das Tour-Organ L'Equipe als "ignorante, unverantwortliche Dummköpfe". Sky-Mastermind Dave Brailsford forderte unterdesen verschärfte Sicherheitsmaßnahmen vom Veranstalter ASO, um das britische Team besser vor Übergriffen zu schützen.
"Ich bin angewidert"
Die Attacke auf Froome war nämlich nicht der einzige Zwischenfall der Etappe nach Mende. Seine Helfer Richie Porte (Australien) und Luke Rowe (Großbritannien) sind dem Vernehmen nach von Zuschauern angespuckt und wie Froome ebenfalls als "Doper" beschmipft worden, und über die sozialen Medien soll es zuletzt gar Anschlagsdrohungen in Richtung des Trägers des Gelben Trikots gegeben haben. Porte wurde zudem vor einigen Tagen angeblich geschlagen, auf ein Sky-Begleitfahrzeug seien Cola-Dosen geworfen worden. "Ich bin angewidert, der Veranstalter muss etwas unternehmen", sagte Brailsford.
Der französische Sky-Sportdirektor Nicolas Portal glaubt aber nicht, dass die ASO viel verändern könne. "Es gibt nur die Absperrung und sonst nichts. Jeder kann die Straße überqueren und jemandem einen Schlag versetzen. Ich hoffe, die Öffentlichkeit beruhigt sich", sagte er, während Froomes Partner Geraint Thomas, der Gesamtsechste, die Atmosphäre auf den Straßen in Bezug auf die Sky-Mannschaft als "vergiftet" bezeichnete.
Am Sonntag versuchte Froome, die Wogen etwas zu glätten. "Die Unterstützung war heute fantastisch", sagte der Sieganwärter nach der 15. Etappe nach Valence: "Die Fans sind das Herz und die Seele des Rennens."
"Das Vermächtnis unserer Vorgänger"
Übergriffe auf Fahrer hat es auch in der Vergangenheit vereinzelt gegeben. Bei der Tour 2013 war der britische Sprinter Mark Cavendish ebenfalls mit Urin beworfen worden, 2011 wurde der Spanier Alberto Contador im Zuge seiner Dopingverwicklungen im Anstieg nach L'Alpe d'Huez von einem Fan in einem Arztgewand provoziert, und ebendort absolvierte 2004 Lance Armstrong das Bergzeitfahren nach Drohungen im Schutze einer Polizei-Eskorte.
Froome versucht, sich von all den unangehmen Nebengeräuschen nicht ablenken zu lassen. Das Los, vor allem durch die schwer belastete Radsport-Vergangenheit am Pranger zu stehen, erträgt der gebürtige Kenianer generell geduldig. "Ich bleibe konzentriert auf meinen Job", sagte Froome und fügte hinzu: "Wenn das der Prozess ist, den wir durchmachen müssen, dann bin ich da. Ich werde nicht aufgeben, nur weil mich ein paar Leute beleidigen. Es ist eben das Vermächtnis unserer Vorgänger. Natürlich ist es enttäuschend, aber was sollen wir machen?"