Kiwi-Bravehearts am Scheideweg

Greig Laidlaw (2.v.l.) und Schottland befinden sich an einem Scheideweg
© getty

Schottland startete mit einem Rucksack von sieben Niederlagen in Serie in die 17. Ausgabe des Six Nations. Mit dem Rückenwind der Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr und einer Menge Optimismus ging es in die Spiele gegen England und Wales. Am Ende stand die Truppe von Coach Vern Cotter allerdings erneut mit leeren Händen da. Vor allem in Hinblick auf die Zukunft ist jedoch noch lange nichts verloren. Nun geht es gegen Italien (Sa., 15.25 Uhr im LIVESTREAM).

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Ein Raunen geht durch das Olympiastadion in Rom. Auf dem Spielfeld laufen die letzten Sekunden eines nervenaufreibenden Krimis zwischen Italien und Schottland. Die Hausherren verteidigen mit allen Mitteln eine denkbar knappe Führung gegen mit dem Mut der Verzweiflung anrennende Schotten, die in einem letzten Angriff die drohende Niederlage doch noch abwenden wollen. Die Uhr tickt gnadenlos runter.

Alle Augen sind auf Duncan Weir gerichtet. Der Fly-Half der Bravehearts nimmt Maß und feuert einen letzten Drop-Kick ab. Während das Leder eine gefühlte Ewigkeit in der Luft hängt, scheint das Geschehen auf dem Rasen und den Rängen in Zeitlupe abzulaufen. Wenige Augenblicke später wird aus dem Raunen eine fassungslose und allumfassende Stille.

Ein seltenes Gefühl

Weir, der direkt nach seinem Versuch in Richtung der eigenen Hälfte abgedreht war, konnte sein Glück kaum fassen, als sein Schuss knapp an der linken Stange vorbei ins Glück segelte. Die zuletzt so arg gebeutelte schottische Rugby-Seele wusste im Anschluss gar nicht wohin mit der Freude über ein dramatisches Ende. Auch die Fans konnten es kaum glauben.

Was damals niemand zu erahnen vermochte: Der Nachmittag in Rom sollte für die Schotten beim prestigeträchtigen Six Nations der vorerst letzte Grund zum Jubeln gewesen sein. Auf den Erfolg in der ewigen Stadt vom 22. Februar 2014 folgte eine unheimliche Niederlagenserie, die das Team auch knapp zwei Jahre später noch immer verfolgt.

Der vierzehnfache Turnier-Sieger, der drei Grand Slams sowie zehn Triple-Crown-Triumphe feiern konnte, seine besten Zeiten jedoch vor der Aufstockung des Wettbewerbs auf sechs Nationen hatte, verlor nicht nur die nächsten beiden Duelle, sondern konnte auch ein Jahr später nicht einen einzigen Sieg einfahren. Am Ende standen sieben teils heftige Niederlagen in Serie zu Buche. Der insgesamt 33. Wooden Spoon, den traditionell der Letztplatzierte erhält, verbesserte die Laune natürlich nicht.

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Aufbruch in eine bessere Zukunft?

Nach dem Debakel des Vorjahres und den schier unzähligen Negativerlebnissen des aktuellen Jahrtausends waren die Hoffnungen vor der insgesamt 17. Ausgabe des Six Nations, das inklusive seiner Vorgänger in die 122. Runde geht, im gesamten Land riesig.

Mit dem Rückenwind der Weltmeisterschaft 2015, bei der Schottland beim 34:35 gegen Australien nur durch eine Fehlentscheidung der Einzug in das Halbfinale verwehrt blieb, sowie einer Steigerung unter Coach Vern Cotter, der im Juni 2014 offiziell das Ruder übernommen hatte, sollte die Serie im ersten Spiel gegen England endlich ihr Ende finden. "Der Fortschritt unter Cotter ist klar erkennbar", bestätigt auch SPOX-Experte Constantin Kuhl.

Nach 80 gespielten Minuten wichen jedoch alle Hoffnungen erneut einer erdrückenden Ernüchterung. Zwar war das Duell gegen England - wie auch das am zweiten Spieltag gegen Wales - eng, am Ende standen aber weitere Niederlagen auf dem Konto. Die Lücke zur Konkurrenz wirkte durchaus kleiner als in den Jahren zuvor, dennoch scheint die Cotter-Truppe offenbar noch immer vor einem unüberwindbaren Graben zu stehen.

Das Maximum herausholen

"Schottland hat keine gute Bilanz gegen Teams, die über ihnen stehen", analysierte der frühere Nationalspieler Englands, Jeremy Guscott, vor dem Turnier gegenüber der BBC. "Die Erwartungen an die Mannschaft sind deshalb zu hoch. Sie scheitert in der Folge am eigenen Kopf." Guscott sollte bislang Recht behalten. Dabei hat der Weltranglistenelfte eigentlich keine so schlechten Voraussetzungen, um endlich die mentale Schlucht hinter sich zu lassen.

Das bevorzugte Spiel Cotters ist recht simpel gestrickt - und es ist schnell. Schottland verfügt über ein junges Team, baut auf eine starke erste sowie zweite Reihe sowie jede Menge Energie. Ein wichtiger Aspekt für die Arbeit des Neuseeländers ist die Spielphilosophie.

Während in Europa noch extrem viel Wert auf die direkten Duelle, so genannte "harte Meter", gelegt wird, herrscht in der südlichen Hemisphäre deutlich mehr Spielwitz. Diesen versucht der 54-Jährige in den Köpfen seiner Spieler zu etablieren. Erste Erfolge geben dem Coach der Schotten Recht, der Weg ist allerdings noch lang - Rückschläge nicht ausgeschlossen.

"Schottland verfügt über die Spieler und die Qualität. Sollten sie die veraltete Denkweise aus ihren Köpfen bekommen, nicht mehr so klassisch agieren und sich was trauen, dann können sie etwas reißen", erklärt Kuhl. Zudem sind die Fly-Halfs jederzeit in der Lage, das eigene Team in eine gute Position zu kicken. Auch die nötige Tiefe ist durchaus vorhanden.

Die Kehrseite der Medaille

Etwas anders sieht es in Sachen Abwehr aus. Zwar haben die Schotten unter anderem mit dem Brüder-Paar Jonny und Richie Gray zwei wahre Hünen in ihren Reihen, die ein schier unüberwindbares Hindernis darstellen können und über hervorragende Tackling-Statistiken verfügen, allerdings fehlt zuweilen die Koordination.

"Ein Hauptproblem sind klare Breaks. Die Aufteilung passt nicht immer. Dadurch entstehen Lücken, die ausgenutzt werden. Mann gegen Mann ist Schottland bärenstark", analysiert Kuhl. Schwer wiegt zudem das Fehlen von Go-to-Guys, die liefern, wenn es darauf ankommt. Immerhin überzeugt Kapitän Greig Laidlaw mit einem hervorragenden Spielverständnis sowie der nötigen Übersicht. Dem Team mangelt es aber an Nervenstärke.

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Talent ja - Selbstvertrauen nein

So steht viel Talent auf dem Platz, Erfolge auf der großen Bühne haben die Akteure jedoch kaum vorzuweisen. Starter wie Mark Bennett, Finn Russell oder John Hardie warten noch auf ihren ersten Sieg in einem Six-Nations-Match. Tommy Seymour, der sich gegen Wales zu allem Überfluss den Knöchel verstauchte, bringt es aktuell auf einen Sieg in neun Anläufen und viele der Ersatzspieler kennen das Gefühl eines Erfolges auch nach Jahren nicht.

Langsam dürfte sich deshalb unweigerlich ein Verlierer-Image in den Köpfen der Spieler einbrennen. "Wir wollen nicht mehr in dieser Position sein", sagte Fly-Half Ruaridh Jackson, der auch als Fullback eingesetzt werden kann. "Wir sind es einfach nur leid." Ein mentales Problem sieht der 28-Jährige bei sich und seinen Teamkollegen aber nicht, wenngleich es schon natürlich mitunter schon frustrierend sei, so Jackson.

"Schottland spielt nahezu immer auf dem Niveau ihres Gegners - egal, wo dieses in der Partie zu verorten ist. Nur stehen sie am Ende dann mit leeren Händen da", sagt Kuhl. Ein entsprechender Effekt könne also trotz der WM und guten Freundschaftsspielen nur eine Frage der Zeit sein.

Der richtige Gegner zur richtigen Zeit?

Der nächste Gegner scheint deshalb genau zur richtigen Zeit zu kommen. "Italien spielt aktuell noch auf einem niedrigeren Niveau als die anderen fünf Nationen", weiß Kuhl. Auch die Tatsache, dass die Gastgeber zudem im letzten Spiel trotz gutem Auftakt im Endeffekt eine empfindliche 9:40-Klatsche gegen England kassierten, dürfte Hogg und Co. ebenfalls in die Karten spielen.

"Um unsere Spiele zu gewinnen, müssen wir unser absolut Bestes zeigen", sagte Laidlaw, der seit seinem Debüt im Jahr 2011 insgesamt 48 Spiele im Trikot der Bravehearts auf dem Buckel hat. "Dass wir es können, haben wir bei unseren Siegen während der Weltmeisterschaft gezeigt. Wir haben das Selbstvertrauen und glauben daran, dass wir uns deutlich steigern können." Ein Sieg gegen Italien (Sa., ab 15:25 Uhr im LIVESTREAM FOR FREE) wäre ein Anfang.

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