"Wir brauchen Professionalität!"

Adrian Fink
05. Februar 201622:00
Kobus Potgieter trainiert die deutsche Rugby-AuswahlTobias Keil
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Mit einer Zwischenstation in Heidelberg ist Kobus Potgieter seit 2010 Nationaltrainer der deutschen Rugby-Auswahl. Vor dem Start der Rugby Europe Championship 2016 am 7. Februar spricht der DRV-Coach über mangelnde Professionalität, den Rückstand zu anderen Sportarten und die Problematik, Spieler für die Nationalmannschaft zu gewinnen sowie das prestigeträchtige Six Nations (Sa., 17.50 Uhr Schottland vs. England im LIVESTREAM FOR FREE)

SPOX: Herr Potgieter, für die deutsche Nationalmannschaft beginnt am 7. Februar mit der Rugby Europe Championship die EM. Zum Auftakt geht es gegen Georgien. Wie lief die Vorbereitung?

Kobus Potgieter: Wir haben in den letzten Monaten sehr gut gearbeitet, die Spieler sind deutlich besser auf das Spiel eingestellt als letztes Jahr. Sie sind fitter, agiler und damit bestmöglich vorbereitet. Trotzdem wird es natürlich ein extrem schwieriges Duell, denn Georgien ist immerhin das beste Team der letzten Jahre.

SPOX: Die Spieler in Deutschland verdienen ihr Geld aktuell nicht mit Rugby, sondern sind nebenbei berufstätig. Welche Auswirkungen hat dieser Umstand auf die Vorbereitung für ein großes Turnier?

Potgieter: Das sieht bei jedem Spieler anders aus, aber in der Tat macht das hierzulande eigentlich niemand hauptberuflich. Einige meiner Jungs arbeiten als Fitnesstrainer, andere sind als Kaufmänner tätig und ein weiterer arbeitet beispielsweise bei Capri Sonne. Außerdem gibt es natürlich auch ein paar Studenten im Kader. Wir sind deshalb schon froh darüber, dass viele einen toleranten Arbeitgeber haben, der ihnen Zeit für die Nationalmannschaft einräumt. Trotzdem müssen wir viele Abstriche machen.

SPOX: Wie tiefgreifend sind diese?

Potgieter: Wir haben zwar jeden Montagabend in Heidelberg eine gemeinsame Trainingseinheit, aber da können natürlich nur die Spieler kommen, die aus der Nähe stammen. Damit auch die Akteure aus den anderen Städten dabei sein können, treffen wir uns in der bundesligafreien Zeit sporadisch am Wochenende. Wenn es gut läuft, haben wir im Jahr drei, vier gemeinsame Wochen. Das ist kritisch und im internationalen Vergleich deutlich zu wenig. Aber momentan geht es einfach nicht anders. Gegen Georgien stehen uns beispielsweise zwei, drei Spieler berufsbedingt nicht zur Verfügung. Außerdem bekommen auch ein paar Spieler aus Frankreich von ihrem Verein keine Freigabe.

SPOX: Gibt es keine eindeutige Regelung in Sachen Nationalmannschaft?

Potgieter: Es ist vom Rugby-Verband zwar geregelt, dass sämtliche Spieler bei offiziellen Länderspielen frei bekommen, aber einige Vereine aus Frankreich sagen den Spielern dennoch: 'Wenn du zur Nationalmannschaft gehst, bekommst du keinen neuen Vertrag.' Uns sind im Gegenzug die Hände gebunden, weil wir die Spieler nicht bezahlen können. Die Nominierung ist immer ein Kampf zwischen Verband und Verein. Wir versuchen natürlich, dahingehend mit den Vereinen zusammenzuarbeiten, aber das ist sehr schwierig, denn sie sehen Deutschland nur als kleine Rugby-Nation an. Und sogar die Top-Teams haben ihre Probleme mit den Vereinen.

SPOX: Umso wichtiger ist es, einen großen Pool an Spielern zu haben. Wie behalten Sie den Überblick?

Potgieter: Wir versuchen, so viele Spiele wie möglich anzuschauen. Außerdem haben wir beispielsweise in Berlin und Heidelberg Bundesliga-Stützpunkte, wo unsere Trainer die Spieler coachen. Diese arbeiten vornehmlich mit den jungen Akteuren und können sie so auf das nächste Level bringen. Fest steht aber auch, dass unser Scouting-System deutlich besser werden muss.

SPOX: Damit der Übergang zum Herrenbereich besser gelingt? SPOX

Potgieter: Genau, da haben wir einen Bruch. Wir haben zwar eine gute Nachwuchsarbeit und viele talentierte Spieler, die mit den besten Nachwuchsteams Europas mithalten können und das Potenzial für eine erfolgreiche Karriere haben. Aber viele gute Spieler kommen nur in kleineren Teams unter, weil sie durch unser Scouting-System gefallen sind. Im Gegensatz zu anderen Ländern haben wir da noch keine ausgeprägten Ausbildungszentren, wo diese untergebracht werden können - das macht den Unterschied zu den Topnationen.

Sexton, Warburton und Parisse auf Titeljagd - Six Nations bei SPOX

SPOX: Nehmen wir die All Blacks als Beispiel. Was läuft in Neuseeland anders?

Potgieter: In den großen Rugby-Nationen ist das Interesse größer und deshalb haben sie viel mehr Spieler. Dadurch haben sie mehr Erfolg, bekommen neue Sponsoren und können professionelle Akademien aufbauen. So entstehen professionelle Strukturen, die im Moment bei uns an allen Ecken und Enden fehlen. Aber wir haben die Hoffnung, dass wir dank unserer Partner und Subventionen diesen Teufelskreis durchbrechen können.

SPOX: Ein weiterer Faktor dürfte erschwerend hinzu kommen. In der NFL etwa sind Kopfverletzungen ein großes Problem. Wie sieht dies im Rugby aus, schließlich gibt es keinerlei Schutzkleidung?

Potgieter: Die Spieler trainieren regelmäßig, um dann auf dem Rasen die richtigen Entscheidungen zu treffen. Das betrifft beispielsweise auch die Technik, wie und in welchem Winkel man hinfallen muss - das wird alles minutiös trainiert. Es gibt zudem klare Regeln, wann man einen Spieler tacklen darf. Auch bei Kopfverletzungen gibt es klare Vorschriften. Diese Regeln schützen die Spieler. Die Verletzungsgefahr ist dadurch nicht größer als bei vergleichbaren Kontakt-Sportarten.

SPOX: Können die genannten Sportarten voneinander profitieren?

Potgieter: Im Vergleich zum Football sind unsere Spieler sogar teilweise besser vorbereitet. Ich verfolge die NFL mittlerweile seit einigen Jahren und meines Erachtens sind beide Sportarten von einer ähnlichen Härte geprägt. Es gibt sogar NFL-Teams, die vom Rugby lernen, indem sie einige Rugby-Tacklings einstudieren und wir haben in Deutschland mit einer NFL-Akademie bezüglich Rugby-Tacklings zusammengearbeitet. Sie halten diese für sauberer und sicherer.

SPOX: Sie haben einen großen Anteil an der Entwicklung ihrer Spieler. Mit einer Zwischenstation in Heidelberg sind Sie seit 2010 Nationaltrainer. Verdienen Sie selbst mit Rugby Ihre Brötchen?

Potgieter: Ja, allerdings nicht beim DRV (Deutscher Rugby Verband, d. Red.), sondern bei der WILD Rugby Academy. Deren Sponsoring ermöglicht es mir, als Nationaltrainer zu arbeiten - leider haben nicht alle Akteure im Rugby-Sport diese Möglichkeit.

SPOX: Fehlt in Deutschland die Perspektive?

Potgieter: In anderen Ländern bekommen die Talente bessere Entwicklungschancen und dadurch verlieren wir viele Spieler. Aber wir dürfen nicht hadern und müssen unsere Strukturen kontinuierlich verbessern. Dafür müssen wir Spieler in unser System integrieren, die auf dem höchsten Level mithalten können, denn eins ist klar: Wir brauchen Professionalität! Damit meine ich nicht nur unbedingt mehr Geld für die Akteure, sondern bessere Trainingsbedingungen. Der Rugby-Sport ist auf dem richtigen Weg, aber es liegt noch sehr viel Arbeit vor uns.

SPOX: Die Rugby-WM gehört zu den größten Sportereignissen der Welt, doch in Deutschland bekam die WM in England kaum Beachtung. Warum?

Potgieter: Es stimmt, Rugby bekommt noch zu wenig mediale Aufmerksamkeit. Die Einschaltquoten werden zwar besser und wir bekommen auch immer häufiger Interview-Anfragen, aber das ist leider noch nicht genug. Leider sehen wir uns dem Phänomen ausgesetzt, dass wir zwar eine eingeschworene Fan-Basis haben, aber kaum neue Anhänger dazu gewinnen. Das wollen wir in den nächsten Jahren verbessern.

SPOX: Gibt es Ambitionen, die Sportarten aus der zweiten Reihe in Sachen Popularität ins Visier zu nehmen?

Potgieter: Es muss natürlich das Ziel sein, neue Spieler, Sponsoren und Fans zu gewinnen. Ich sehe in dieser Sache besonders die Bundesliga in der Pflicht. Das Ligasystem muss geändert werden, um einen besseren Wettbewerb zu erhalten und sich selbst besser zu vermarkten. Viele Leute behaupten, dass das Nationalteam erfolgreicher sein muss, aber wir bestreiten nur ein paar Spiele im Jahr. Eishockey und Handball müssen unsere Vorbilder sein: Wir brauchen in einem geregelten Ligasystem wöchentlich Spiele, die die Leute anschauen wollen. Das Hauptproblem ist, dass wir einfach keine professionellen Strukturen haben, aber uns mit semi-professionellen und komplett professionalisierten Verbänden messen müssen. So können wir keine Sponsoren von unserer Sache überzeugen.

Six Nations: Jeder gegen jeden und ein Holzlöffel

SPOX: Apropos Popularität: Am 6. Februar startet das Six Nations. Welche Bedeutung hat dieses Turnier?

Potgieter: Es ist ein sehr historischer Wettbewerb und deshalb eine große Sache für die Länder. Es ist ein geschlossenes Turnier ohne Qualifikation, es zählt in jedem Spiel nur der Sieg. Man könnte es mit der Fußball-EM vergleichen, allerdings messen sich im Rugby die besten europäischen Teams jährlich.

SPOX: Wer ist für Sie persönlich der Favorit?

Potgieter: Ich bin gespannt, in welcher Verfassung sich die Teams nach der WM befinden. Es gibt viele gute Mannschaften. England beispielsweise wird mit seinem neuen Coach Eddie Jones, der davor Japan trainierte, eine große Rolle spielen. Frankreich befindet sich zwar im Umbau, dennoch darf man die Franzosen nicht unterschätzen. Für mich heißt der Favorit aber Irland.