"Magnus ist 'ne coole Socke"

Stefan Petri
22. November 201809:03
Alisa Frey gehört zu den besten Spielerinnen Deutschlands und begleitet die WM im SPOX-LivetickerAlisa Frey
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Zum Endspurt der Schach-WM zwischen Titelverteidiger Magnus Carlsen und Herausforderer Sergey Karjakin sprach Redakteur Stefan Petri mit der deutschen FIDE-Meisterin Alisa Frey, die während der WM den SPOX-Liveticker betreut. Die 24-Jährige sprach über Carlsens Chancen, Schach-Nerds und Unterschiede zwischen Männern und Frauen am Brett. Allerdings wurde nicht nur geredet - sondern auch knallhart gespielt.

SPOX: Alisa Frey, Sie während eines Schachspiels zu interviewen ist ja nicht gerade eine enorm kreative Idee. Wie oft ist das denn schon vorgekommen?

Alisa Frey: Einmal, das waren Studenten von der deutschen Sporthochschule. Deren Interviewpartner musste ein paar Partien gegen mich spielen. Aber so häufig kommt das auch nicht vor - denn der Interviewer kann selten tatsächlich Schach spielen. (lacht)

SPOX: Also theoretisch kann ich es. Praktisch ist die Schach-AG der Unterstufe schon lange her. Ich spiele mit den weißen Figuren, wie viele Züge für mich wären realistisch?

Frey: Eine Anzahl an Zügen kann man so schwer vorhersagen. Die Frage ist: Wann ist die Partie vorbei? Für Laien ist die Partie vorbei, wenn schachmatt auf dem Brett steht, für Schachspieler schon früher. Das konnte man im achten Duell zwischen Carlsen und Karjakin sehen:Carlsen hat vergleichsweise früh aufgegeben, und ich bin nicht sicher, ob alle verstanden haben, was genau die Schwierigkeit war.

SPOX: Okay, Sie können mir gerne Bescheid sagen, wenn an meiner Stelle schon jeder Profi aufgegeben hätte.

Frey: Ich melde mich. (lacht)

SPOX: Sie teilen sich bei uns den WM-Liveticker mit dem Internationalen Schachmeister Georgios Souleidis.

Frey: Genau, Georgios kenne ich schon sehr lange. Er hat mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, den zweiten Part neben ihm zu übernehmen.

SPOX: Die meisten unserer User werden Sie aber eher nicht kennen: Könnte man sagen, dass Sie zu den besten Schachspielerinnen Deutschlands gehören?

Frey: Das käme natürlich drauf an, wie hoch man die Messlatte legt. Unter den Aktiven gehöre ich wahrscheinlich zu den Top 20 oder Top 30, wobei meine ELO-Zahl, die mal bei über 2.100 lag, zuletzt deutlich gesunken ist. Mein größter Erfolg war 2011 Deutsche Vizemeisterin, ich hatte direkt davor mein Abitur geschafft und den Kopf komplett frei, was beim Schach unheimlich wichtig ist. Das ist aber schon wieder ein paar Jahre her.

SPOX: Sie haben Ihre ELO-Zahl schon angesprochen. Carlsen und Karjakin stehen bei über 2.800. Wie weit ist das weg? Oder anders gefragt: Wie weit wären Sie denn vom Titel einer Großmeisterin entfernt gewesen?

Frey: Schon ziemlich weit weg. Es ist nicht so, dass ich nicht auch schon gegen eine Großmeisterin gewonnen hätte, aber gegen diese Weltklassespieler? Niemals. Ich glaube, die würden mich auch noch betrunken besiegen. (lacht) Was den Großmeister-Titel angeht: Das ist relativ kompliziert. Einerseits kommt es auf Ergebnisse bei Turnieren an, wobei das keine Wald-und-Wiesen-Turniere sein dürfen - es müssen auch Internationale und Großmeister am Start sein. Und dann kommt noch eine ELO-Schallmauer dazu: Bei den Frauen sind das 2.300 Punkte.

SPOX: Wie tickern Sie denn? Mit einer Schach-Engine? Orientieren Sie sich am offiziellen Kommentar?

Frey: Nein, keine Engine. Ich gebe einfach meine Einschätzung zur Partie wider. Eine Engine würde verfälschen, sonst schreibt man nur das auf, was der Computer vorgibt. Den Kommentar von Judit Polgar, der besten Schachspielerin überhaupt, höre ich mir manchmal an. Ich versuche einfach, das Ganze verständlich rüberzubringen. Und zwar nicht nur für Schach-Cracks, sondern so, dass jeder dem Spiel folgen kann, der die Grundzüge kennt.

SPOX: Wir haben in der Zwischenzeit beide mit dem E-Bauern und den beiden Springern eröffnet. Das ist doch bestimmt eine der klassischen Eröffnungen.

Frey: Ja, das ist das klassische Vierspringerspiel.

SPOX: Wie viele Eröffnungen kennen Sie auswendig?

Frey: (überlegt) Kommt immer darauf an, bis zu welchem Punkt. Ich kenne schon locker 20 oder mehr, aber nur bis zu einer gewissen Stellung. Manche vergleichsweise weit, andere nur in Grundzügen.

SPOX: Ich gehe mal mit Läufer auf b5.

Frey: Dann sind wir jetzt im spanischen Vierspringerspiel.

SPOX: Ist das gut?

Frey: (lacht) Spanisch ist nicht verkehrt, das spielen die Großmeister auch immer mal wieder. Ich spiele Läufer b4.

SPOX: Also sind wir immer noch schön parallel aufgestellt ...

Frey: Das ist wie Kinderschach. So bringt man es den Kindern bei. Insofern erkennt man, dass Sie aus der Schach-AG kommen.

SPOX: Ich weiß nicht, ob das ein Kompliment ist oder nicht. Egal. Sprechen wir über die Schach-WM: War der Sieg von Karjakin in Spiel 8 schon eine Vorentscheidung?

Frey: Ich hoffe nicht. Ich würde mir wünschen, dass Carlsen zurückschlägt und wir weiter eine spannende WM haben. Es könnte aber eine Vorentscheidung sein, wenn Karjakin weiter diese sehr defensive, passive Schiene fährt. Vor Spiel 8 hatte Carlsen eigentlich die größeren Chancen auf einen Sieg. Am Montag hat er es sich durch seinen Übermut am Ende selbst schwer gemacht. Er hat immer noch Chancen auf den Ausgleich, aber die Aufgabe ist schon enorm. Er braucht ja einen Sieg, um überhaupt in den Tiebreak zu kommen.

SPOX: Ich habe mittlerweile eine Rochade gespielt.

Frey: Würde ich auch machen.

SPOX: Also bisher noch kein Qualitätsunterschied zu erkennen. Was kann denn Carlsen noch tun? Kann man im Schach überhaupt aggressiv und auf Sieg spielen? Wenn man doch so weit voraus planen muss?

Frey: Auf jeden Fall kann man auf Sieg spielen. Da spielen die Eröffnungsvarianten ja auch eine große Rolle. Bisher hat Karjakin immer sehr zurückhaltende Eröffnungen gewählt ohne viel Risiko, aber Carlsen hat das Repertoire, mit dem er auch mal Risiken eingehen könnte. Klar: Wer gewinnen will, muss was riskieren. Womit man dem Gegner aber auch Zugeständnisse macht. Wenn Carlsen sich z.B. für Grünfeld entscheiden würde, was eine sehr ambitionierte Variante ist, könnte ich mir vorstellen, dass er noch einmal etwas herausholen kann. Oder es geht in die Hose. Aber er hat ja keine Wahl. Ob er mit einer oder mit zwei Niederlagen verliert, ist ja egal.

SPOX: Kennen Sie die Beiden eigentlich persönlich?

Frey: Carlsen bin ich schon mehrmals über den Weg gelaufen, z.B. bei einem Großmeister-Turnier in Baden-Baden. Der war ja schon in seiner Jugend als Schach-Wunderkind berühmt. Gespielt haben wir aber noch nicht gegeneinander - wenn man von der "Play Magnus"-App absieht. (lacht)

SPOX: Ich habe ein Video gesehen, in dem Magnus Carlsen gleichzeitig zehn Partien spielt - und zwar komplett blind, also ohne einen einzigen Blick auf die Bretter. Für mich als Normalsterblichen unvorstellbar. Geht es Ihnen da ähnlich?

Frey: Ganz so weit weg ist das für mich nicht. Eine Partie blind bekomme ich noch relativ einfach hin, bei zwei Spielen würde die Qualität schon leiden. Aber man kann das trainieren. Es gibt auch deutlich schwächere Spieler, die noch mehr Bretter spielen. Der Weltrekord steht bei über 40 Brettern. Aber Carlsen hat das ja auch eher nebenher gemacht.

SPOX: Kein Kommentar. Was braucht man denn, um richtig gut zu spielen? Mathe? Kreativität? Stures Auswendiglernen der Varianten? Talent? Woran hängt es?

Frey: Talent ist definitiv nicht verkehrt, also auch eine schnelle Auffassungsgabe. Viel, viel Fleiß - und da trennt sich dann auch meistens die Spreu vom Weizen, weil viele Talent haben, aber nicht den nötigen Fleiß mitbringen. Ein gutes Gedächtnis ist sicherlich auch sehr hilfreich, damit man sich auch an Varianten aus früheren Partien erinnern kann. Mathe gar nicht mal so sehr. Man muss als Kind auch eine Affinität zum Spiel entwickeln. Das Kind, das immer losrennt und draußen spielt, wird sich vielleicht nicht unbedingt für das Brett faszinieren. Es braucht auch das nötige Sitzfleisch.

SPOX: Also Klischee bestätigt. Alles Nerds.

Frey: (lacht) Also so möchte ich das nicht gesagt haben. Es gibt ja bei allen Sportarten solche und solche, auch beim Schach. Vielleicht sind Schachspieler im Schnitt zurückhaltender, aber in meinen Augen keine Nerds. Gerade bei den Profis.

SPOX: Wie ging es bei Ihnen los?

Frey: Bei mir war es ein glücklicher Zufall. In unserem Dorf wurde ein Schach-Anfängerkurs ausgeschrieben, und weil unsere Eltern uns das Spiel selbst nicht beibringen konnten, haben sie meinen Bruder und mich für den Kurs angemeldet. Eigentlich dachten sie eher, es sei was für meinen Bruder, aber als kleine Schwester will man ja alles machen. Zuerst habe ich richtig "auf die Fresse gekriegt", aber nachdem ich meinen ersten kleinen Mädchenpokal gewonnen habe, war meine Leidenschaft geweckt. Wobei ich eigentlich zuerst Volleyball auf Leistungsniveau gespielt habe, Schach lief lange nebenher. Aber dann habe ich gemerkt: Größer als meine 1,70 Meter werde ich nicht mehr, und beim Schach lief es besser. Heute ist es neben dem Studium vor allem ein Hobby, auch wenn ich mich noch im Nachwuchsbereich engagiere, was viel Zeit in Anspruch nehmen kann.

SPOX: Aber Sie spielen ja auch noch Frauen-Bundesliga. Gegen Männer nicht?

Frey: Doch, auch. Beim Schach ist das Besondere, dass die Frauen auch bei den Männern mitspielen dürfen. Ich dürfte also auch in der Männer-Liga spielen, aber das ist von den Entfernungen her schwierig. Aber privat natürlich mit Freunden.

SPOX: Gibt es Unterschiede zwischen Frauen und Männern am Brett? Die Männer eher aggressiv und die Frauen auf Remis?

Frey: Ja, das ist natürlich das absolute Klischee. Ich glaube aber nicht, dass das stimmt. Frauen sind häufig sogar fast aggressiver oder zumindest nicht weniger aggressiv. Und Karjakin spielt ja auch eher ruhig und zurückhaltend.

SPOX: Haben Sie ein Vorbild, was das Schach angeht?

Frey: Es gibt niemanden, dem ich in Sachen Stil nacheifere. Aber ich gebe zu: Magnus Carlsen ist 'ne coole Socke. Er spielt auf diesem überragenden Niveau und gleichzeitig so anders als viele seiner Konkurrenten. Die sind immer auf tiefe Analysen bedacht, und bei ihm sieht das ganz anders aus: Er konzentriert sich einfach auf das Spiel, statt stundenlange Wissenschaften daraus zu machen. Was aber nicht heißt, dass er weniger akribisch zu Werke geht.

SPOX: Während ich hier nach einem Ausweg für meine Dame suche: Was ist denn das lustigste Erlebnis, dass Sie in einem Turnier erlebt haben? Ich ziehe übrigens Dame f7, Schach.

Frey: Dame f7? Ich habe aber noch den Turm auf f8.

SPOX: Jaaaaa ... dann ist das vielleicht doch nicht so klug.

Frey: Ich würde das auch nochmal überdenken. (lacht) Lustige Geschichten gibt es immer wieder. Zum Beispiel, dass ein Spieler einschläft. Es kann ja auch mal langweilig sein. Und wenn der Gegner mal länger nachdenkt oder man eine kurze Nacht hatte und die Partie nicht viel Adrenalin hervorbringt ... Einem Freund ist das mal passiert, er ist tatsächlich eingenickt.

SPOX: Was war denn die längste Partie, die Sie bisher gespielt haben?

Frey: Ich habe bestimmt auch schon 100 bis 110 Züge hingekriegt. Das kann dann auch mal sieben Stunden dauern.

SPOX: Gibt es einen Film oder eine Doku, die Sie den Leuten empfehlen würden, deren Interesse durch die Schach-WM geweckt wurde?

Frey: Da würde ich auf jeden Fall den Film "Magnus - Der Mozart des Schachs" empfehlen. Das passt wunderbar und ist gerade erst ins Kino gekommen. Eine Dokumentation über Magnus Carlsen auf dem Weg zum ersten Weltmeistertitel, man lernt dabei seine Persönlichkeit kennen.

SPOX: Ist notiert. Was unser Spiel angeht: Ein Profi hätte an meiner Stelle schon aufgegeben, oder?

Frey: Mit einem Turm weniger könnte man sich das schon überlegen, ja. (lacht) Wobei der Profi vielleicht auch noch nach Chancen suchen würde.

SPOX: Tja. In der Theorie würde ich jetzt gern Druck am Königsflügel erzeugen. Aber praktisch ... Ist es eigentlich Remis, wenn dreimal in Folge von beiden Spielern der gleiche Zug kommt? So haben wir es früher gespielt.

Frey: So ähnlich. Wenn es dreimal hintereinander zur gleichen Stellung kommt, kann man Remis reklamieren. Eine andere Möglichkeit wäre Dauerschach. Wenn dem nicht mehr ausgewichen werden kann, führt das meistens dreimal zur gleichen Stellung.

SPOX: Ich ziehe meinen Bauern auf h3.

Frey: Nanu? Das ist meistens ein Verlegenheitszug, wenn man nicht weiß, was man machen soll. (lacht)

SPOX: Äh ... jein.

(Wir tauschen noch ein paar Figuren. Mittlerweile bin ich einen Turm und einen Läufer im Rückstand - selbst mir ist klar, dass diese Partie nach 29 Zügen nicht mehr zu gewinnen ist.)

SPOX: Gut, wir müssen das auch nicht mehr zu Ende spielen. Ich gebe auf. Wie fällt Ihr Fazit aus?

Frey: Das war gar nicht so verkehrt. Einige gute Ansätze, eröffnungstechnisch noch ganz gut. Die Chancen, etwas unangenehmer zu spielen, haben Sie aber nicht genutzt.

SPOX: Tja, hätte ich die mal entdeckt. Wenn Sie einem absoluten Amateur - also mir - drei Tipps geben würden: Welche wären das?

Frey: (überlegt) Vor jedem Bauernzug genau überlegen, ob man den Zug wirklich machen möchte. Immer ums Zentrum spielen: Die Kontrolle im Zentrum ist extrem wichtig, weil man dort auf beide Flügel kommen kann. Und nach jedem Zug des Gegners überlegen, was der eigentlich erreichen möchte. Als Amateur konzentriert man sich oft zu sehr auf das eigene Spiel und vergisst, dass der Gegner auch Ideen hat.

SPOX: Alles klar, so bin ich spätestens bei der nächsten WM bereit für ein Rematch. Vielen Dank für die kostenlose Trainingsstunde und weiter viel Spaß mit dem Ticker.

1. e4 e5 2. Nc3 Nf6 3. Nf3 Nc6 4. Bb5 Bb4 5. O-O O-O 6. d3 d6 7. Bg5 Bxc3 8. Bxc6 Bxb2 9. Rb1 Ba3 10. Bxb7 Bxb7 11. Rxb7 Bc5 12. Bxf6 gxf6 13. d4 Bb6 14. dxe5 fxe5 15. c4 Qc8 16. Qd5 c6 17. Qxd6 Qxb7 18. Qxe5 Bd8 19. Rd1 Qb8 20. Qc5 Qc7 21. Ne5 Rc8 22. Nd7 Re8 23. h3 Qf4 24. f3 Bc7 25. Qf2 Rcd8 26. Kf1 Re7 27. Qd4 Rexd7 28. Qxd7 Rxd7 29. Rxd7 Bb6 *