"Vom DFB können wir viel lernen"

Martin Klotz
04. April 201509:55
Thomas Lurz stieg bei zwölf Welt- und fünf Europameisterschaften als Sieger aus dem Wassergetty
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Seine Medaillensammlung könnte kaum größer sein. Freiwasserschwimmer Thomas Lurz hat in seiner Karriere schon fast alles gewonnen - nur der Triumph bei Olympia fehlt noch. Im SPOX-Interview spricht der 34-Jährige Würzburger über die Schwimm-EM in Berlin, seine Beziehung zu Dirk Nowitzki, eine schaurige Begegnung mit Haien, Schlag den Raab und das Dschungelcamp.

SPOX: Herr Lurz, bevor die Vorbereitung auf die EM in die heiße Phase ging, fand in Ihrer Heimatstadt Würzburg zu Ihren Ehren eine Pool-Party statt. Dabei gab es auch die Aktion "Schlag den Lurz", bei der Sie gegen Politiker in unterschiedlichen Disziplinen antraten. Könnten Sie sich vorstellen, sich einmal mit Stefan Raab zu messen?

Thomas Lurz: (lacht) Manche Sachen sind schon ganz lustig. Vor allem das Sportliche würde mich natürlich reizen. Kandidat bei "Schlag den Raab", das wäre schon interessant, aber ins Dschungelcamp würde ich niemals gehen, das steht zu 1000 Prozent fest.

SPOX: Der Event zeigt, welchen Stellenwert Sie in Würzburg besitzen. Der bekannteste Sohn der Stadt dürfte wohl dennoch Dirk Nowitzki sein. Kennen Sie ihn?

Lurz: Klar, Würzburg ist ja nicht so groß, da läuft man sich auf Veranstaltungen schon mal über den Weg. Und letztes Jahr habe ich bei einem Wohltätigkeits-Fußballspiel in der Auswahl von Dirk gespielt. Er ist ein toller Typ: nett, bescheiden und auf dem Boden geblieben. Dirk ist ein absolutes Vorbild. Ich verfolge natürlich, was er in der NBA so treibt. Aber wenn ich es schaffe, bin ich auch ab und zu bei den BBL-Spielen der s. Oliver Baskets.

SPOX: s. Oliver ist ein gutes Stichwort. Sie arbeiten bei dem Bekleidungshersteller in der Personalentwicklung, bieten betriebliche Gesundheitstrainings an, haben ein Buch geschrieben und halten auch noch Vorträge. Ist Schwimmen nur noch ein Nebenjob?

Lurz: Nein, das Schwimmen hat immer noch Priorität, das ist mein Hauptjob. Ich versuche einfach, die einzelnen Bereiche so gut es geht miteinander zu verknüpfen. Aber Langstreckenschwimmen ist eben kein Fußball. Deswegen ist mir die Arbeit bei s. Oliver wichtig, weil ich mir dort über die sportliche Karriere hinaus meine berufliche Zukunft vorstellen kann. Meine Rechnungen könnte ich momentan aber auch vom Schwimmen allein bezahlen.

SPOX: Der finanzielle Aspekt spielt gerade in den Randsportarten eine große Rolle. Sie sind Botschafter der neu ins Leben gerufenen "Deutschen Sportlotterie", die im September startet. Es gab viel Kritik und Widerstand gegen das Projekt, unter anderem vom DOSB. Warum unterstützen Sie die Initiative?

Lurz: Wir müssen in Deutschland etwas für den Olympischen Sport zu tun. In vielen anderen Ländern können Weltklasseathleten ihren Sport hauptberuflich machen - und so sollte es auch bei uns sein. Beispiel Fußball: Dort sind wir so erfolgreich, weil auch die entsprechenden Strukturen vorhanden sind. Vom DFB können andere Sportarten viel lernen. Es gibt deutsche Athleten, die unter den Top Ten der Welt sind, aber trotzdem sehen müssen, wie sie über die Runden kommen. Man muss ja keine Millionen ansparen, aber zumindest das Auskommen sollte gesichert sein.

SPOX: Das Gesicht und der Ideengeber des Projekts ist Robert Harting, der selten ein Blatt vor den Mund nimmt - auch bezüglich der Sportlotterie - und damit an vielen Stellen aneckt. Ist das ein Problem für Sie?

Lurz: Man kann sich immer über etwas beschweren, aber dann muss man auch eine Lösung anbieten. Und genau so ist das bei Robert Harting. Seine sportlichen Leistungen sind absolut vorbildlich. Wer Weltmeister und Olympiasieger ist, der kann schon mal sagen, was er denkt und fühlt. Das muss natürlich trotzdem Hand und Fuß haben, aber das hat es bei ihm. Die Sportlotterie ist eine gute Sache für den deutschen Sport.

SPOX: Von der Sportlotterie dürften wohl auch einige Schwimmer profitieren - und sich damit im Optimalfall auch die Ergebnisse verbessern. Die Enttäuschungen bei Olympia 2012 sowie bei der WM 2013, als die Beckenschwimmer keine bzw. nur eine Medaille gewannen, sind den meisten noch im Kopf. Woran liegt es, dass der deutsche Schwimmsport, der weltweit einst auf Topniveau war, in den vergangenen Jahren so abgebaut hat?

Lurz: Das hat sich schon länger abgezeichnet, zum Beispiel bei den Olympischen Spielen 2008. Da gab es zwar zwei Goldmedaillen, aber die hat mit Britta Steffen nur eine Person geholt. Man kann sich nicht nur auf ein Ausnahmetalent verlassen, sondern muss auch in der Masse besser werden. Der Anschluss zur Westspitze wurde verloren, weil zu wenig trainiert wurde. Und das muss jetzt wieder aufgeholt werden. Da sehe ich die Schuld nicht unbedingt bei den Sportlern, sondern vor allem bei den Trainern. Im Jugend- und Juniorenbereich sieht man, dass wir in Deutschland genügend Talente haben.

SPOX: Was läuft bei den Freiwasserschwimmern besser?

Lurz: Wir lassen uns nicht so leicht von irgendetwas ablenken. Und es wird nicht so viel gejammert. Das liegt sicherlich auch an der Sportart, aber bei uns ist es egal, ob das Wasser dreckig ist oder etwas links und rechts von der Strecke passiert. Letztendlich zählt nur der Wettkampf.

Seite 1: Lurz über Dirk Nowitzki, Robert Harting und das Dschungelcamp

Seite 2: Lurz über Haie, seinen härtesten Wettkampf und Olympia 2016

SPOX: Sie haben sich schon in die unterschiedlichsten Gewässer dieser Welt begeben. Was war Ihr bislang schaurigstes Erlebnis?

Lurz: Das wäre vielleicht ein Thema für mein nächstes Buch (lacht). Ich habe wirklich schon allerhand erlebt, bei dem man auf die Zähne beißen muss. Um mal ein Beispiel zu nennen: Bei einem Wettkampf auf Hawaii bin ich auf dem Weg nach Maui über ein Riff geschwommen und unter mir tauchte plötzlich eine Gruppe Haie auf. Ich kenne mich ein bisschen aus und wusste, dass die für Menschen nicht so gefährlich sind, aber da war ich schon beunruhigt.

SPOX: Gibt es noch etwas Schlimmeres als die Tiere im Wasser?

Lurz: Definitiv ja, die Wassertemperatur. Wenn es sehr kalt ist, kann das der Muskulatur schon Probleme bereiten, dann wird es richtig gefährlich. Es sind wirklich Extreme, denen wir im Wasser ausgesetzt sind. Das Reglement erlaubt Temperaturen von 16 bis 32 Grad. Ich habe beides schon erlebt und beides ist wirklich schlimm.

SPOX: Über den Kurs für die Freiwasserschwimmer bei der anstehenden EM in Berlin gab es einige Diskussionen. Wie sehr ärgert es Sie, dass abseits auf einer Regattastrecke in Grünau geschwommen wird und nicht in der Stadt, beispielsweise in der Spree?

Lurz: Das ist eine verpasste Chance für unseren Sport. Olympia in London und die WM in Barcelona haben gezeigt, dass solche Wettkämpfe in der Innenstadt eine Menge Publikum anziehen. Man muss die Sportart zu den Leuten bringen und nicht umgekehrt. Daher werden vermutlich nicht viele Zuschauer kommen und das ist sowohl für uns Athleten als auch für den Schwimmsport sehr, sehr schade.

SPOX: Das Berliner Velodrom, eigentlich eine Halle für das Sechstagerennen und Konzerte, wird für die Kurzstrecken-Events für einen Millionenbetrag in eine Schwimmhalle umfunktioniert. Ist das fair?

Lurz: Es lässt sich sicherlich darüber streiten, ob das fair ist. Das Beckenschwimmen ist dort aber trotzdem richtig aufgehoben, da werden viele Zuschauer kommen und ich bin mir sicher, dass wir dieses Jahr gut abschneiden. Die Männer haben gute Medaillenchancen. Paul Biedermann, Marco Koch oder auch Markus und Steffen Deibler sind alle in guter Form. Und auch bei den Frauen können wir für die eine oder andere Überraschung sorgen. Ich bin mir sicher, dass die EM besser wird als die letzten Events.

SPOX: Wie sieht Ihre Erwartungshaltung aus? Kann es ein anderes Ziel geben, als in jedem Wettbewerb, in dem Sie an den Start gehen, Gold zu holen?

Lurz: (lacht) Ich bin auch mit anderen Medaillen zufrieden. Aber Edelmetall ist schon das Ziel. Und: Je goldener das glänzt, desto besser.

SPOX: Über fünf und zehn Kilometer sind Sie schon seit Langem sehr erfolgreich. Vergangenes Jahr bei der WM starteten Sie erstmals über 25 km - und holten gleich Gold.

Lurz: Priorität hat aber die Olympische Distanz, also die zehn Kilometer, und dafür braucht man auf den letzten 1000 Metern eine hohe Grundgeschwindigkeit. Wenn man zu oft 25 Kilometer schwimmt, geht diese Qualität verloren, darum habe ich das in den Jahren zuvor nicht gemacht. In Barcelona wollte ich diese neue Herausforderung aber einmal angehen. Man braucht immer neue Anreize, um sich physisch und psychisch weiterzuentwickeln.

SPOX: Nach knapp fünf Stunden im Wasser hatten Sie als Sieger nur 0,4 Sekunden Vorsprung auf Platz zwei und bis zum Viertplatzierten waren es nur 1,2 Sekunden Differenz.

Lurz: Das war brutal. In diesen Momenten spürt man gar nichts mehr. Die Technik ist komplett über den Haufen geworfen, die Muskulatur ist mehr als platt. Alles brennt und tut weh. Das ist Extremsport am Limit. Es war so eng zwischen uns, das war ein Hauen und Stechen. Die langsameren Schwimmer versuchen in solchen Situationen, auf Körperkontakt zu gehen und den anderen das Wasser unter dem Körper wegzuziehen. Es wird schon ziemlich taktiert. Ich sehe immer zu, mich da in so einem Finish möglichst herauszuhalten.

SPOX: Im Freiwasserschwimmen ist nur die Zehn-Kilometer-Strecke bei Olympia vertreten. Beim ersten Wettbewerb 2008 in Peking holten Sie Bronze, in London 2012 Silber. Das müsste dann eigentlich Gold in Rio 2016 bedeuten, oder?

Lurz: Das würde ich sofort unterschreiben. Das ist die einzige Medaille, die in meiner Sammlung noch fehlt. Aber ich habe immer gesagt, dass ich mich noch nicht festlege. Die EM will ich schon noch abwarten und dann überlegen, ob ich Rio noch in Angriff nehme oder nicht. Es sieht auf jeden Fall nicht schlecht aus, also die Tendenz geht zu einem Start bei Olympia. Aber das ist noch kein definitives Ja.

SPOX: Was spricht denn gegen einen Start in Rio?

Lurz: Mein Ziel ist es natürlich, noch mal eine Olympische Medaille zu gewinnen und ich würde dort ja nicht ohne Ambitionen hinfahren. Wenn ich über die zehn Kilometer Olympiasieger werden will, müsste ich in den nächsten zwei Jahren gut und gerne 8.000 Trainingskilometer abreißen. Das bedeutet schon ordentlich Arbeit - und zwar 365 Tage im Jahr. In dieser Zeit muss man alles dem Ziel unterordnen, aber es wäre auch eine tolle Herausforderung.

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