"Es gibt einfach auch bessere Tennisspieler"

Florian Regelmann
26. August 201012:26
Philipp Kohlschreiber steht in der ATP-Weltrangliste aktuell auf Rang 31Getty
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Philipp Kohlschreiber ist bei den am Montag startenden US Open in New York der einzige gesetzte deutsche Spieler. SPOX-Redakteur Florian Regelmann traf den 26-Jährigen in der Tennisbase Oberhaching zum Interview - und zu einem kleinen Match. Kohlschreiber über seine stockende Entwicklung, den niedrigen Stellenwert von Tennis in Deutschland - und "Winning-Ugly-Strategien". Weitere Themen: Kohlschreibers Verhältnis zu Michael Stich und Boris Becker und die Stimmung im DTB-Davis-Cup-Team.

Rechts vom Schiedsrichter-Stuhl: Philipp Kohlschreiber. Tennis-Profi. Nummer 31 der Welt. Bereitet sich auf die US Open vor. Links vom Stuhl: Florian Regelmann. SPOX-Redakteur. War Anfang der 90er in der Jugend mal in den Top 5 von Baden-Württemberg. Bereitet sich wenn überhaupt auf die Ü-30-Tour vor.

In der Tennisbase in Oberhaching traf sich SPOX mit Deutschlands bestem Tennisspieler zum Interview - und zu einem kleinen Match.

Format: natürlich Best-of-Five. Aber dank des bemitleidenswerten Fitnesszustands von Regelmann werden nur Tiebreaks gespielt.

"Time. Players are ready. Quiet please. Regelmann to serve." Vor exakt null Zuschauern, selbst Coach Stefan Eriksson war davon gelaufen, entwickelt sich eine enttäuschend einseitige Partie. Regelmann versucht mit seinem seit Jahren nicht neu bespannten Racquet, ein Modell, das einst auch Tommy Haas mal spielte, alles und sucht häufig den Weg ans Netz. Aber viel mehr als ein überragender Rückhand-Winner springt nicht dabei heraus.

Philipp Kohlschreiber und SPOX-Redakteur Florian Regelmann spox

"Game, Set and Match, Kohlschreiber. Three sets to love. 7:1, 7:3, 7:2." Nach dem Match sprach Kohlschreiber im Interview offen über seine Karriere, den niedrigen Stellenwert von Tennis in Deutschland - und über "Winning Ugly".

SPOX: Herr Kohlschreiber, seit Jahren stehen Sie in den Top 40 der Welt, Ihre beste Platzierung war mal die 22, aber es geht irgendwie nicht weiter. Warum kommt der nächste Schritt nicht?

Philipp Kohlschreiber: Es ist schwer zu sagen. Zum einen ist es sicher so, dass die Luft immer dünner wird, je höher man kommt. Die Konkurrenz ist hart. Und zum anderen müsste ich auf Grand-Slam-Niveau ein paar wichtige Matches mehr gewinnen, um in die Top 20 vorzustoßen. So wie gegen Tommy Robredo bei den French Open beispielsweise - wenn man nach oben will, muss man den halt schlagen. Der Kopf spielt dabei sicher auch eine Rolle. Ich möchte mich im nächsten Jahr daher auch im mentalen Bereich verbessern und in entscheidenden Situationen noch konzentrierter sein. Ich bin aktuell auch auf der Suche nach einem erfahrenen Coach, der mir dabei helfen kann, die Top 20 zu erreichen.

SPOX: Und für diese Suche haben Sie eine ungewöhnliche Methode gewählt.

Kohlschreiber: Richtig, ich bin einen unorthodoxen Weg gegangen, weil es zu mir als Typ passt. Ich bin niemand, der alles wie alle anderen machen will. Also habe ich mir gedacht: 'Jeder liest die ATP-Zeitung Players Weekly, warum nicht mal da eine Annonce aufgeben?' Ich werde natürlich auch auf anderen Wegen schauen, aber vielleicht meldet sich ja jemand, bei dem ich gar nicht gedacht hätte, dass er Interesse hat. Tendenziell würde ich mir einen ausländischen Trainer wünschen, um mal eine andere Denkweise kennenzulernen. Vor allem muss es aber menschlich passen, wenn man so viel Zeit miteinander verbringt.

SPOX: Hätten Sie gedacht, dass der Schritt in die Top 20 einfacher sein würde?

Kohlschreiber: Am Anfang realisiert man die ganze Entwicklung gar nicht, weil es nur nach oben geht. Ich finde, dass meine Leistung manchmal etwas zu wenig honoriert wird. Ich halte mich immerhin seit 2007 kontinuierlich in den Top 40, das ist nicht so schlecht, wenn man sieht, dass immer weiter gute Spieler nachkommen. Auf der anderen Seite tut es mir auch gut, dass es diese Kritiker gibt, weil sie noch mehr den Ehrgeiz in einem wecken.

SPOX: Ein Beispiel für die Dichte im Männer-Tennis war der Sieg von Andrej Golubew bei den German Open in Hamburg. Er war nur Insidern ein Begriff, aber auch er spielt eben verdammt gut Tennis. Wie hart ist die Konkurrenz auf der Tour?

Kohlschreiber: Wirklich sehr hart. In Wimbledon habe ich gegen Andy Roddick ein gutes Match gespielt, aber der Gegner war schlicht und ergreifend zu gut. Das muss man dann neidlos anerkennen, es gibt einfach auch bessere Tennisspieler. Insgesamt ist es so, dass du auf der Tour keine Chance hast, wenn auch nur ein paar Prozentpunkte fehlen. Die Breite ist enorm. Man kann sich wie Jürgen Melzer mit ein paar Top-Wochen ganz schnell nach vorne spielen. Man arbeitet lange hart dafür, aber der Erfolg kann dann sehr plötzlich kommen. Das ist das Schöne am Tennis. Es kann aber auch durch einige schlechte Wochen mit schlechter Auslosung und schlechter Form schnell in die andere Richtung gehen.

SPOX: Ein Kritikpunkt, den Sie sich immer mal wieder anhören müssen, lautet: Sie seien mit Ihrem Erreichten zufrieden. Sie haben in Ihrer Karriere schon Millionen eingespielt und leben auch auf Rang 31 ein tolles Leben. Was sagen Sie diesen Leuten?

Kohlschreiber: Was soll ich groß dazu sagen? Wenn sich jemand die Mühe machen, mich mal genauer beim Training beobachten und dann zum Schluss kommen würde, dass ich für ihn nicht fleißig genug bin, könnte ich das besser akzeptieren. Aber wenn sich Leute äußern, die mich nicht kennen, finde ich das schade. Natürlich habe ich mal Phasen, in denen es nicht so leicht von der Hand geht. Das kennt aber jeder von seinem Job.

SPOX: Und einen Gegner gibt es ja auch noch...

Kohlschreiber:...genau. Es gibt da immer noch einen auf der anderen Seite, der mir das Leben schwer macht und fiese Bälle spielt. Da gibt es Tage, an denen es nicht läuft und im Tennis kann man sich dann nicht verstecken. Fakt ist, dass ich seit eineinhalb Jahren einen Fitnesstrainer dabei habe und bei allen als akribischer Arbeiter bekannt bin. Ich würde sogar soweit gehen zu sagen, dass mir das Training manchmal mehr Spaß macht als das Match. Dass mich Roger Federer zum Training einlädt, zeigt denke ich auch, dass ich bei den anderen Spielern beliebt bin. Die Jungs wissen alle, dass das Niveau und Engagement bei mir immer top ist. Diese Bestätigung zählt für mich viel mehr als irgendwelche Kommentare von außen.

Teil 2: Kohlschreiber über seine große Klappe, die US Open und "Winning Ugly"

SPOX: Sie haben selbst mal über sich gesagt, dass Sie eine große Klappe hätten...

Kohlschreiber: (lacht) Das merken Sie doch gerade im Interview, oder? Nein, große Klappe ist nicht böse gemeint. Ich bin nur ein aufgewecktes Kerlchen, auf eine nette Art und Weise frech, würde ich sagen. Für die Menschen, die ich mag, bin ich immer da. Ich habe eben zu allem immer was zu sagen, das ist mein Naturell. Aber ich schieße denke ich nicht über das Ziel hinaus.

SPOX: Aber es macht es Ihren Trainern vielleicht manchmal schwer, Ihnen zu helfen?

Kohlschreiber: Das mag sein. Ich bin jemand, der gerne viel argumentiert. Auch dagegen argumentiert. Ich bin kein Ja-Sager. Wenn Sie mir sagen würden, ich solle die Vorhand so oder so spielen, ich das aber für Unsinn halte, sage ich das. Das macht es einem Trainer manchmal bestimmt nicht einfach. Aber ich mache mir seit jeher sehr viele Gedanken über mein Spiel und wie ich es verbessern kann, das hat mich auch schon weit gebracht. Ich bin ein Diskutier-Mensch.

SPOX: Eine Hilfe, die Sie bislang nicht in Anspruch genommen haben, ist die eines Psychologen. Sie haben aber Bücher darüber gelesen. Was hat die Lektüre gebracht?

Kohlschreiber: Ich bin eigentlich nicht so der große Bücherwurm, mehr so der Kinogänger. Aber nachdem ich mich lange gesträubt hatte, dachte ich mir, dass es nicht so verkehrt sein kann, sich da mal einzulesen. Warum wird man bei Breakbällen zum Beispiel nervöser? Es werden viele Spielsituationen gut beschrieben, es war sehr interessant, sich damit zu beschäftigen.

SPOX: Und was ist das Wichtigste?

Kohlschreiber: Das Wichtigste ist, dass es gar nicht so sehr ums Gewinnen und Verlieren geht. Ich kann mir nicht als Ziel vornehmen, das Match zu gewinnen. Es kann ja sein, dass ich einen Gegner erwische, der unmenschlich spielt und ich schaffe es dann nicht, mein Ziel, also den Sieg, zu erreichen. Dann bin ich maßlos enttäuscht. Ich kann mir nur vornehmen, alles zu geben. Wenn ich mir als Ziel setze, aggressiver zu spielen, oder mehr Serve-and-Volley zu probieren - und wenn ich diese Taktik dann gut umsetze, ist es in gewisser Weise zweitrangig, ob ich gewinne oder nicht. Das habe ich gelernt.

SPOX: Haben Sie auch "Winning Ugly" gelesen?

Kohlschreiber: Das lag auch auf meinem Schreibtisch. (lacht) Ich bin aber nicht so ein großer Fan von solchen Taktiken. Ich will ehrlich gewinnen und nicht meine Gegner irgendwie verwirren, um einen Vorteil daraus zu ziehen. Das würde ich nie machen. Wenn ich mich vom Schiri schlecht behandelt fühle, dann mache ich mir Luft, um mein eigenes Wohlbefinden aufzubessern, aber das ist auch alles. Ich war schon in der Jugend immer einer, der eher die Bälle auf seiner Seite gut gegeben hat. Ich wollte mir nie nachsagen lassen, dass ich ein Betrüger bin. Das hat sich nie geändert. Es würde mich auch im Nachhinein mehr belasten, ich könnte mich über einen Sieg gar nicht mehr freuen.

SPOX: Aber es gibt sicher Spieler, die "Winning Ugly" genau in die Tat umsetzen, oder?

Kohlschreiber: Es gibt Spieler, die verkörpern alles, was in dem Buch steht. Die tun wirklich alles für den Sieg. Verletzungen vortäuschen und dann trotzdem schnell laufen, das ganze Programm. Aber interessanterweise sind das nie die Top-Spieler. Es gibt vielleicht ein oder zwei, die vor mir stehen, die so denken. Man kann sich auch einfach ein bisschen mehr Zeit lassen, das ist ja alles noch legitim und im Rahmen. Ich würde aber nie den Netzpfosten rausbrechen und wegschmeißen. (lacht)

SPOX: Kommen wir zu den US Open, die in nächster Woche beginnen. Was haben Sie sich für das letzte Grand Slam des Jahres und den Rest der Saison als Ziel gesteckt?

Kohlschreiber: Mein Hauptziel ist es, dass ich einen guten Coach finde, weil mir dieses Thema im Kopf herumschwirrt und ich es gerne abhaken würde. Ich möchte Anfang nächsten Jahres mit einem neuen Trainer in die Australien-Reise starten und voll angreifen. Zuvor will ich natürlich noch so erfolgreich es geht Tennis spielen und mich mit einem guten Ergebnis bei den US Open möglichst in die Top 30 schieben. New York liegt meinem Spiel zwar nicht so hervorragend, weil mir der Hartplatz einen Tick zu schnell ist, aber grundsätzlich ist das Turnier geil. In so einer coolen Stadt ist man gerne länger dabei.

SPOX: Sie sind an Position 29 gesetzt und haben damit das gleiche Problem, das Sie seit längerem plagt. In Runde drei kommt ein Top-Mann.

Kohlschreiber: Ich habe darüber lange gar nicht so nachgedacht, aber in diesem Jahr ist es mir dann auch aufgefallen. 'Boah, schon wieder Nadal, gibt's doch nicht', denkt man sich dann schon. Deshalb ist es umso wichtiger, in die Top 20 zu kommen, um eine Runde später auf die Top-Leute zu treffen.

Teil 3: Kohlschreiber über Realismus, sein Verhältnis zu Becker und den Davis Cup

SPOX: Der große Traum eines Tennisspielers ist ein Grand-Slam-Sieg. Hand aufs Herz: Trauen Sie sich den zu?

Kohlschreiber: Ein Grand-Slam-Sieg? Das sehe ich im Moment eher nicht. Dafür müsste in den zwei Wochen schon alles unglaublich laufen. Es wäre ein Traum, mit einem Sieg bei einem Grand Slam macht man sich unsterblich. Ich bin aber ein sehr realistischer Mensch mit der Neigung zum Tiefstapler. Für mich wäre es klasse, wenn ich mal ein Viertel- oder Halbfinale erreichen würde. Das ist der Schritt, den ich vor Augen habe. Ich habe das Selbstvertrauen, dass ich mir das auch zutraue. Bis auf Roger und Rafa, die noch mal einen Berg weiter oben stehen als alle anderen, habe ich auch schon mehr oder weniger alle Top-Spieler geschlagen.

SPOX: Ein großer Erfolg in einem Grand Slam ist genau das, was dem deutschen Tennis fehlt. Was denken Sie, wenn ein TV-Sender aus einem Match aussteigt, um zum Darts zu schalten?

Kohlschreiber: Das ist ein harter Schlag für uns Tennisspieler. Ich verstehe nicht, warum Tennis in allen anderen Ländern einen hohen Stellenwert genießt, nur bei uns wird immer alles schlecht gemacht. Klar, es fehlt uns ein Superstar wie früher Steffi Graf, Boris Becker und Michael Stich, aber man muss doch akzeptieren, dass das eine unglaubliche Zeit war und es dauert, bis wieder Talente nachkommen.

SPOX: Anderen Ländern geht es ähnlich...

Kohlschreiber: Wenn Roger aufhört, ist in der Schweiz auch Endstation. Wir haben genug gute Spieler, die versuchen, ganz nach vorne zu kommen. Nur ist das im Moment nicht gegeben. In der Formel 1, wo auch nicht alles so toll ist, werden sogar die Freien Trainings übertragen. Aber Tennis wird nicht wahrgenommen. Es ist leider so, wie es ist.

SPOX: Sie haben Stich und Becker angesprochen. Wie ist Ihr Verhältnis zu den beiden?

Kohlschreiber: Zu Michael habe ich einen sehr guten Kontakt. Wir haben schon darüber gesprochen, dass ich mal zu ihm komme und er mit etwas hilft. Das habe ich bis jetzt noch nicht in Anspruch genommen, aber ich weiß, dass ich immer zu ihm kommen oder ihn anrufen kann. Ich mag Michael, weil er sich positiv ins Tennis einbringt und nicht immer nur sagt, wie viel besser man früher war. Zu Boris habe ich überhaupt keinen Draht.

SPOX: Neben Grand-Slam-Siegen haben Becker und Stich auch mit Davis-Cup-Erfolgen Deutschland begeistert. Wo steht der Davis Cup in Ihrer Prioritäten-Liste?

Kohlschreiber: Ein Grand-Slam-Sieg ist das Nonplusultra, weil man den alleine schaffen muss, aber danach kommt sofort der Davis Cup für mich. Ich spiele unglaublich gerne für Deutschland, auch wenn die Anspannung und Nervosität unerträglich ist. Das geht schon am Abend vorher los, das kenne ich sonst gar nicht. Ich hoffe, dass ich noch lange die Ehre haben werde, für Deutschland zu spielen.

SPOX: Auch im Davis Cup waren die Schlagzeilen zuletzt eher negativ. Wie ist denn die Atmosphäre im Team wirklich?

Kohlschreiber: Die Stimmung ist gut. Wir sind vielleicht anders als Franzosen oder Spanier beispielsweise, wachsen aber insbesondere in den Wochen in denen gespielt wird richtig zusammen. Jeder ist für jeden da.

SPOX: Was den Davis Cup angeht, haben Sie sich mit Ihrer Forderung, dass nach Leistung bezahlt wird, auch schon negative Schlagzeilen eingehandelt. Würden Sie das alles noch mal so machen?

Kohlschreiber: Ja, ich stehe dazu. Ich habe das damals angeregt und es wurde einstimmig so beschlossen. Ich finde es unfair, wenn jemand, der gar nicht spielt, ausgeruht in die nächste Turnierwoche gehen kann und ich vielleicht neun Stunden Tennis hinter mir habe und erst mal eine Pause brauche. Dann soll derjenige, der mehr spielt, doch auch wenigstens ein bisschen mehr entlohnt werden. Es war intern überhaupt kein Problem, aber von der Presse wurde ich als geldgeil dargestellt und ein großes Problem daraus gemacht. Dabei ist es im Fußball auch völlig normal, dass nach Einsätzen bezahlt wird.

SPOX: Einmal ging es auch darum, dass Sie Ihren persönlichen Coach mitbringen wollten.

Kohlschreiber: Das war genau der gleiche Fall. Mir wurde unterstellt, dass ich Unruhe in die Mannschaft bringen würde. Auch da hatte intern niemand ein Problem. Ein Verdasco kommt mit drei Trainern an, aber in Spanien stört das keinen. Nur bei uns wird leider oft das Negative gesucht. Das ist schade.

SPOX: Letzte Frage: Philipp Kohlschreiber hat einen Traum frei. Für was entscheidet er sich?

Kohlschreiber: Sicherlich wünscht man sich, weiter gesund zu bleiben, um weiter angreifen zu können oder auch, danach mal eine gesunde Familie zu gründen. Eigentlich bin ich aber sehr glücklich und dankbar für meine momentane Situation.

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