Roger Federer und Titelverteidiger Novak Djokovic sind bei den ATP World Tour Finals in London die klaren Favoriten. Der Kampf ums Halbfinale hat es beim härtesten Turnier des Jahres aber in sich. Nutzt Andy Murray den Heimvorteil? Rafael Nadal ist verletzt und deshalb nicht dabei.
Gruppe A
1. Novak Djokovic
"Ich hatte zuletzt nicht viel Zeit, um an Tennis zu denken", gab Djokovic während der US Open zu. Angesichts seines ereignisreichen Privatlebens kaum verwunderlich: Im Sommer heiratete der Serbe seine Frau Jelena Ristic und wurde im Herbst dann das erste Mal Vater. "Das ist die schönste Sache, die mir und meiner Frau Jelena in unserem Leben passiert ist."
Und seither präsentiert sich der Djoker wieder in bestechender Form. Zwei seiner drei letzten Turniere konnte Djokovic für sich entscheiden - das Masters in Paris gewann er sogar ohne Satzverlust. Dabei hat der 27-Jährige sportlich zwar ein gutes, für seine Verhältnisse aber kein alles überragendes Jahr hinter sich. Obwohl der Finals-Titelverteidiger mit sechs Turniersiegen die meisten ATP-Titel aller Akteure holte.
Im Finale von Paris fuhr Djokovic seinen 600. Sieg in einem Einzel auf der ATP-Tour ein. Der in der Halle seit 27 Spielen ungeschlagene Djoker bleibt dennoch erfolgshungrig: "Ich werde weiterhin darum kämpfen, die Nummer 1 zu sein und bei jedem Turnier, das ich spiele, versuchen zu gewinnen." Klar ist: Auch 2014 wird der Titel bei den ATP World Tour Finals nur über die Eins der Weltrangliste gehen.
2. Marin Cilic
Marin Cilic gewann bei den US-Open dieses Jahr seinen ersten Grand-Slam-Titel - als erster Kroate in Flushing Meadows. Einen großen Anteil an seiner Entwicklung schreibt er seinem Trainer Goran Ivanisevic zu: "Mit Goran habe ich an sehr, sehr vielen Dingen gearbeitet. Das Wichtigste ist wohl die veränderte Art, wie man das Spiel und den Platz betrachtet. Wir haben auch in dieser Saison die ersten vier, fünf Monate noch daran gearbeitet. Und irgendwann, etwa zu den French Open, hat es Klick gemacht."
So richtig rund lief es bei Cilic zuletzt trotzdem nicht: Erst verlor er in der ersten Runde in Shanghai gegen Ivo Karlovic, Ende September setzte es in Peking auch noch eine herbe Schlappe gegen Andy Murray. Immerhin triumphierte der 26-Jährige im Oktober beim mittelmäßig besetzten Turnier in Moskau.
Seine Niederlagen kann der Kroate, der noch keinen Sieg gegen Djokovic errang, in London mit einem guten Abschneiden vergessen machen: "Es ist eine tolle Erfahrung und eine wahre Freude, unter den Top Acht zu sein. Ich hoffe, ich schlage mich gut - man weiß ja nie, was noch kommt. Es ist das härteste Turnier des Jahres und ich hoffe, ich kann mein bestes Tennis zeigen." Gelingt das, dann ist das Halbfinale möglich.
3. Tomas Berdych
Auf der diesjährigen Tour schaffte Tomas Berdych lediglich zwei Turniersiege, der letzte gelang ihm bei den Stockholm-Open im Oktober. Seitdem verlor er in Valencia schon in der ersten Runde gegen Pablo Andujar, kam aber beim Masters in Paris zumindest ins Halbfinale, wo er dann Raonic unterlag.
Zwar kommt er bei Turnieren immer wieder recht weit (wie in Peking, als er erst im Finale gegen Djokovic chancenlos war), doch der Tscheche scheidet auch regelmäßig früh gegen vermeintlich schwächere Gegner aus (wie in Cincinnati gegen Yen-Hsun Lu). Konstanz sieht anders aus.
Die Bilanz gegen die Gruppengegner macht außerdem nicht viel Hoffnung. Gegen Gruppenkopf Djokovic gewann Berdych nur zwei von 16 Partien, auch gegen Wawrinka liegt er hinten. Aus der Gruppe A hat er einzig gegen Cilic eine gering positive Statistik vorzuweisen (5-4), der konnte im abgelaufenen Jahr aber doppelt so viele Turniere gewinnen. Im voraussichtlichen Kampf um Platz zwei ist Cilic deshalb leicht favorisiert.
4. Stanislas Wawrinka
Rauf und runter lautet das Motto für Stan the Man in diesem Jahr: Der Schweizer feierte im Januar den größten Erfolg seiner Karriere, als er die Australian Open im Finale gegen Rafael Nadal gewann. Im April folgte sein erster Masters-Titel in Monte Carlo, doch dann begann die sportliche Talfahrt.
Seit einigen Monaten ist der Schweizer völlig außer Form und so wurde die Asien-Tour für Wawrinka zu einem Fiasko: In Tokio verlor er gegen die 103 der Welt Tatsuma Ito, zehn Tage später scheiterte er in Shanghai in seinem Auftaktspiel gegen Gilles Simon. Das dritte Erstrundenaus in Folge kassierte er bei den Swiss Indoors. Insgesamt flog die Nummer vier der Welt bei seinen letzten fünf Turnieren vier Mal in der ersten Runde raus.
Das letzte Turnier, bei dem Wawrinka triumphierte, liegt sieben Monate zurück und deshalb bleibt dem Schweizer auch nur, Durchhalteparolen zu beschwören und auf ein Erfolgserlebnis zu hoffen: "Es braucht Spielpraxis. Sobald ich ein paar Spiele gewinne, werde ich besser. Das Selbstvertrauen fehlt momentan, aber sobald ich Spiele gewinne funktioniert mein Spiel wieder." Sich sein Selbstvertrauen erst in London zu holen, ist angesichts der Konkurrenz schwierig. Sollte Wawrinka die Gruppe überstehen, wäre dies eine Überraschung.
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Gruppe B
1. Roger Federer
Wie Djokovic in Gruppe A gehört die Favoritenrolle in der zweiten Gruppe ganz klar Roger Federer. Der 33-Jährige befindet sich seit einigen Wochen in absoluter Topform. Zwei der letzten drei Masters entschied FedEx für sich. Ganze 14 Spiele war der Schweizer ungeschlagen, bis er in Paris von Raonic gestoppt wurde.
Dass der Rekordmann noch nicht satt ist und sich über jedes gewonnene Turnier freut, zeigte er nach seinem Triumph in Shanghai: "Das war eine unglaubliche Woche für mich. Es ist traumhaft, solch ein prestigeträchtiges Turnier - das größte in Asien - zu gewinnen."
Theoretisch kann Federer den Djoker an der Spitze der Weltrangliste ablösen. Um seine Chance zu wahren, sollte der Schweizer sowohl in London als auch in beim Davis Cup-Finale alle Spiele gewinnen, hat es aber dennoch nicht in der eigenen Hand. Gewinnt Djokovic seine drei Vorrundenspiele, ist dem Serben der Platz an der Sonne nicht mehr zu nehmen, ganz gleich, was Federer anstellt. "Es wäre etwas sehr Spezielles, die Nummer-eins-Position zurückzugewinnen. Es freut mich, dass ich die Chance darauf habe. Darum geht es in unserem Spiel."
Würde Federer erstmals seit November 2012 wieder die Spitze erklimmen, wäre er der älteste Spieler, dem das gelingt. Betrachtet man die Gruppenkonstellationen darf man davon ausgehen, dass sowohl Djokovic als auch Federer jeweils als Erste weiterkommen und sich dann womöglich im Finale gegenüberstehen.
2. Andy Murray
Erstmals nach sechs Jahren stand Andy Murray 2014 zwischenzeitlich nicht mehr in den Top Ten der Welt. Seit Mitte September feierte der Schotte aber auf Hartplatz drei Turniersiege und eroberte Rang zehn zurück. Im Oktober holte er in Österreich nicht nur seinen zweiten Titel der Saison, sondern gleichzeitig auch den 30. seiner Karriere. Murray hat gerade pünktlich zum Saisonfinale wieder die Kurve bekommen.
2014 wartet Murray noch auf einen Sieg gegen die zwei Favoriten: Alle sechs Partien gegen Djokovic und Federer verlor der Brite. Bleibt abzuwarten, ob es in London anders wird, der Heimvorteil könnte ihm helfen.
"Die Fans haben mich beim ATP-Finale in London beim letzten Mal gut unterstützt. Genauso wie in Wimbledon oder Queens. Ich hoffe es wird in diesem Jahr wieder so sein", sagte Murray.
3. Milos Raonic
Ende Oktober bezwang Milos Raonic erstmals einen der Top-3-Spieler, als er die Serie von Federer stoppte. Damit konnte der Kanadier im siebten Anlauf seinen ersten Erfolg gegen Federer feiern. In Paris musste er sich dann im Finale gegen Djokovic klar geschlagen geben. Es ist die erste Saison, in der der 23-Jährige seine Qualität richtig ausspielen kann und beispielsweise ins Halbfinale von Wimbledon vordringen konnte. Belohnt wurde Raonic mit einem Platz in den Top Ten.
Die Stärke des 1,96-Meter großen Kanadiers ist zweifelsfrei der Aufschlag. Beim Sieg über Federer servierte Raonic 22 Asse - kein Zufall: "In Kanada war auch nicht immer jemand da, mit dem ich trainieren konnte. Ich war auf jeden Fall eines der eifrigsten Kids in der Gegend. Ich wollte immer auf dem Platz sein. Deshalb war ich oft allein auf dem Platz oder mit meinem Trainer und dann haben wir Aufschläge geübt."
Allerdings schafft es der Aufschlagriese bislang noch zu selten, konstant überzeugende Leistungen abzurufen. So musste Raonic sowohl in Shanghai als auch in Moskau bereits nach der ersten Runde die Segel streichen. In London hat Raonic die Chance, sich der Weltspitze weiter anzunähern. Läuft es, darf man ihm auch den zweiten Platz in der Gruppe zutrauen.
4. Kei Nishikori:
Vier Turniersiege feiert Kei Nishikori 2014. Wie Raonic schaffte er in der laufenden Saison erstmals den Sprung in die Top-Ten. "Das war von Beginn an mein Ziel in diesem Jahr. Aber das ist nur der erste Schritt. Ich hoffe, noch eine ganze Weile in den Top 10 zu bleiben."
Auf dem Weg ins Finale der US-Open besiegte er Djokovic, ehe er im Überraschungsendspiel gegen Cilic verlor. Der erste Japaner, der je ein Grand-Slam-Finale erreicht hat, konnte sein Heimturnier in Tokio vor etwas mehr als einem Monat gewinnen. Eine Woche später fiel er wie andere Top-Ten-Spieler dem Favoritensterben in Shanghai zum Opfer und schied bereits in Runde zwei aus.
Beim letzten Formcheck vor dem ATP-Finale in Paris zog er nach Siegen gegen Tsonga und Ferrer wiederum ins Finale ein, scheiterte aber dann an Djokovic. In Gruppe B sind die Qualitätsunterschiede hinter Federer nicht groß. Alle drei Kontrahenten können sich berechtigte Hoffnungen auf das Erreichen des Halbfinales machen, wobei Murray wohl die besten Karten hat.