"Diese Schlacht gewinne ich"

Stefan Petri
20. Mai 201513:35
Olympisches Doppelfinale in Athen: Kiefer (l.) und Schüttler halten traurig ihre Medaillen in die Kamerasgetty
Werbung
Werbung

Er war neben Tommy Haas der beste deutsche Spieler der vergangenen zwei Jahrzehnte - und sein größter Moment war gleichzeitig seine bitterste Niederlage. Im SPOX-Interview lässt Nicolas Kiefer (38) seine Karriere Revue passieren, erinnert sich an das Olympia-Finale, Highlights gegen Pete Sampras und Auseinandersetzungen mit den Medien. Außerdem: Was er Haas wünscht, warum er mit Maria Sharapova unterwegs war und warum Novak Djokovic derzeit nicht zu schlagen ist.

SPOX: Herr Kiefer, auf eine Sache müssen wir als allererstes eingehen: Das Olympia-Finale 2004. Wie oft denken Sie noch daran zurück?

Nicolas Kiefer: Immer wenn ich darauf angesprochen werde und wenn ich die Medaille sehe. Klar, man sagt: Man gewinnt Gold, man verliert Silber und man gewinnt Bronze - aber trotzdem war es mein größter Erfolg. Auch wenn wir Matchbälle hatten. Aber das ist so eine Sache. Ich habe Rainer Schüttler zuletzt beim Davis Cup in Frankfurt wieder gesehen, da haben wir nochmal drüber gesprochen. Das sind Momente, die man einfach nicht vergisst.

SPOX: Sie hatten vier Matchbälle. Gibt es einen Matchball, bei dem man sich denkt: OK, die anderen waren schwer, aber diesen einen hätten wir verwandeln müssen?

Kiefer: Im Nachhinein sagt man sich: Bei 6:2 im Tiebreak muss man einfach einen verwandeln. Aber andererseits muss man auch erstmal dahinkommen. Wir haben ja wirklich unglaublich gespielt, das ganze Turnier über. Wir haben die Inder Buphati/Paes geschlagen, wir haben die Australier geschlagen, wir haben die Israelis geschlagen. Das war schon eine fantastische Leistung von uns. Klar, am Ende des Tages haben wir es halt nicht geschafft - aber eine Silbermedaille ist eine Silbermedaille.

SPOX: Wenn man verliert, ist es im ersten Moment ein Tiefpunkt. Sucht man...

Kiefer: (unterbricht) Das Schöne und Traurige war: Wir konnten nicht so richtig feiern, aber andererseits mussten wir noch in derselben Nacht über Frankfurt nach New York fliegen, zu den US Open. Deshalb mussten wir das auch schnell verarbeiten und schnell verdrängen, weil es zwei Tage später in Flushing Meadows losging. Erst als wir dann nach den US Open nach Hause kamen, konnten wir das Ganze erst noch einmal Revue passieren lassen. Das waren schwere Wochen, aber trotzdem. Unterm Strich sage ich: größter Erfolg!

SPOX: Lassen Sie uns über die weiteren Highlights Ihrer Karriere sprechen. Was bei Ihnen auf dem Court von Beginn an ins Auge fiel, war der sehr prägnante Aufschlag mit dem enorm hohen Ballwurf. War das von Anfang an so?

Kiefer: Interessant, darauf hat mich noch nie jemand angesprochen. Der war von Anfang an so drin. Sicherlich gab es Phasen, in denen man korrigiert hat, der Aufschlag ist ja der Schlag schlechthin, den man selbst beeinflussen kann. Aber im Großen und Ganzen hatte ich in meiner gesamten Karriere nie große Probleme, ob der Ballwurf jetzt hoch war oder nicht. Wenn man das jetzt vergleicht mit Steffi Graf, wie hoch ihr Ballwurf war... da gab es ja schon einige Spieler, die relativ hoch geworfen haben.

Anke Huber im Interview: "Ich war nie neidisch auf Steffi"

SPOX: Ein zweites Merkmal war immer die umgedrehte Baseball-Kappe.

Kiefer: Ja, genau. Das war einfach so, unbewusst. Es war einfacher für mich, so zu spielen. Aber wenn die Sonne geblendet hat, habe ich sie natürlich auch umgedreht.

SPOX: Überlegt man sich das auch als Wiedererkennungswert, oder ist das einfach so drin?

Kiefer: Das war Routine. Ich will jetzt nicht sagen wie morgens Zähneputzen, aber so wie eben auch das Schweißband rechts, Schweißband links. Das sind einfach ganz normale Abläufe, die sich so eingespielt hatten.

SPOX: 1997 ging Ihr Stern mit dem Viertelfinale von Wimbledon auf. Danach ist Wimbledon aber nie wirklich zum Lieblingsturnier geworden. Gab es ganz profane Gründe wie den Untergrund? Oder war das einfach Zufall?

Kiefer: Nein, von den Grand-Slam-Turnieren war es ja schon eines meiner besten. US Open Viertelfinale, Australien Open Viertelfinale, dann sogar Halbfinale. Klar, mit Wimbledon hat 1997 alles angefangen. Ich habe mein Abitur gemacht und dann direkt Viertelfinale gespielt. So war das erste Ausrufezeichen gesetzt, und dann muss man das natürlich bestätigen.

SPOX: Was nicht so einfach ist.

Kiefer: Richtig. Man kommt neu rein in das ganze Tennis-Geschäft, die Gegner kennen einen noch nicht. Und in den Monaten oder Jahren danach weiß jeder: Wie spielt mein Gegner, was macht er, kennt Stärken und Schwächen. Aber ich habe trotzdem immer ganz gut auf Rasen gespielt. Ich habe ja auch Halle gewonnen und dort im Finale oder Halbfinale gestanden. Wobei mein Lieblingsbelag eigentlich Hardcourt war. Der typische amerikanische Hartplatz.

SPOX: Sind Sie auf Hartcourt groß geworden? Meistens spielt man ja doch auf Sand.

Kiefer: Nein, früher gab es ja nur Teppichböden und Sandplätze. Teppich wird auf der Tour ja nie gespielt. Auf Sand war es so, dass ich immer ein bisschen länger gebraucht habe um reinzukommen. Aber ich will nicht sagen, dass es ein Belag war, den ich nicht mochte. Man musste sein Spiel eben ein bisschen umstellen.

SPOX: Dann gab es das ATP-Halbfinale 1999.

Kiefer: Das war natürlich ein absolutes Highlight. Es war das letzte Jahr der WM in Hannover. Diese einmalige Chance, die WM in der eigenen Heimatstadt zu haben, vor heimischem Publikum zu spielen, das war Gänsehaut pur.

SPOX: Das war der Platz, auf dem es keine Doppellinien gab?

Kiefer: Genau.

SPOX: Hat das irgendwie irritiert?

Kiefer: Der Vorteil war, dass ich meistens in Monte Carlo trainiert habe. Und dort im Country Club gibt es zwei Hartplätze, einen mit Doppellinien und einen ohne. Man musste sich in den ersten Tagen schon dran gewöhnen. Gerade heute hab ich wieder mit jemandem darüber gesprochen und gesagt: Mensch, schade, dass es das nicht mehr gibt. Weil es eben einzigartig ist.

SPOX: Sie haben sich in der Gruppenphase gegen Todd Martin, Thomas Enqvist und Yevgeni Kafelnikov durchgesetzt, im Halbfinale wartete dann Pete Sampras: Haben Sie persönlich gerne gegen Serve-and-Volley-Spezialisten gespielt? Oder lieber nicht, weil man so wenige Chancen bekam?

Kiefer: Gegen Sampras hatte ich in dem Fall eine Chance, einen Breakball. Da hat er mit dem zweiten Aufschlag ein Ass geschlagen. Da kann ich jetzt nicht groß sagen, dass ich Chancen hatte. Andererseits habe ich ihn in Halle auch einmal relativ klar in zwei Sätzen besiegt, was auch ein großer Erfolg für mich war. Weil es eben Pete Sampras war. Grundsätzlich waren das aber Spieler, die mir lagen und meinem Spiel entgegengekommen sind. Ein bisschen mehr Probleme hatte ich da mit unserem Freund Fabrice Santoro.

Pete Sampras im Porträt: Der Letzte seiner Art

SPOX: Oh ja, auf den musste man sich auch immer erst einstellen. Was Serve-and-Volley angeht: Sie haben ja den Übergang am eigenen Leib miterlebt. Als Sie anfingen, gab es noch Spezialisten für die jeweiligen Beläge. Heute dagegen: Man will nicht sagen Einheitsbrei, aber...

Kiefer: Ja, aber das stimmt wirklich. Das gibt es ja heute kaum noch. Seitdem damals die Bälle langsamer wurden. Und der Rasen ist auch ein bisschen langsamer mittlerweile, glaube ich. Das hat ein Federer früher richtig gut gemacht, der ist immer ans Netz gegangen und hat das Spiel so beherrscht. Und dann kam die Phase, in der alles so ein bisschen geändert wurde: Bälle, Belag, und so weiter, und daran hat er zu knabbern gehabt. Daraufhin hat er Stefan Edberg verpflichtet.

SPOX: Einen ehemaligen Serve-and-Volley-Spezialisten.

Kiefer: Und der hat ihm gesagt: Pass mal auf, Junge, du spielst so gut, du musst nach vorn gehen. Vorn wird das Spiel entschieden. Das ist das Erstaunliche, dass er das in seinem Alter noch umgesetzt hat. Deshalb ist er wieder dabei und hält sich oben.

SPOX: Würden Sie sich wünschen, dass die Beläge wieder auseinandergehen und man wieder unterschiedliche Stile auf der Tour sieht?

Kiefer: Naja, man kann das Serve-and-Volley-Spiel trotzdem umsetzen. Die Frage ist nur, wie man das trainiert. Das ist zum Beispiel eine Sache, an der wir hier an der Tennis Base in Hannover verstärkt arbeiten, gerade das Volley-Spiel. Man braucht natürlich eine Basis von der Grundlinie, aber trotzdem: Vorn wird das Spiel entschieden. Da legen wir sehr großen Wert drauf, gerade bei unseren Spitzenspielern und -spielerinnen, dass sie auch mal den Weg nach vorne suchen.

Seite 1: Kiefer über Olympia 2004, seine Markenzeichen und Wimbledon 1997

Seite 2: Kiefer über die Tennis Base Hannover, Maria Sharapova und Tommy Haas

Seite 3: Kiefer über Mental-Fights, Angstgegner und seine Fußballer-Karriere

SPOX: Sie haben die Tennis Base in Hannover angesprochen. Wie viel Zeit stecken Sie in Ihre Tätigkeit dort?

Kiefer: Das ist schon zeitintensiv, gerade bei den jungen Spielern kann man noch relativ viel richten. Ich will jetzt nicht sagen "tagtäglich", das hängt ja auch davon ab, ob die Jugendlichen auf einem Turnier unterwegs oder im Trainingslager sind. Aber wenn sie hier sind, versuche ich auch so oft wie möglich hier zu sein.

SPOX: Und sonst?

Kiefer: Heute Vormittag habe ich Golf gespielt.

SPOX: Auch nicht schlecht.

Kiefer: Naja, das war eine Ausnahme. Ich bin mehr der Sommerspieler, da spiele ich gern ab und zu ein bisschen Golf, wenn gutes Wetter ist. Aber ich investiere schon viel Zeit in die Tennis Base - nach diesem Gespräch geht es direkt wieder auf den Platz. Ansonsten mache ich noch nebenbei meine Tenniscamps für Robinson, und für den einen oder anderen Partner muss man natürlich auch zur Verfügung stehen.

SPOX: Spielen Sie selbst auch noch?

Kiefer: Ja, letztes Jahr sind wir mit Ratingen Deutscher Meister in der Herren 30 Bundesliga geworden. Dieses Jahr ist es das große Ziel, den Titel zu verteidigen.

SPOX: ImFernsehen sind Sie auch noch zu sehen.

Kiefer: Da bin ich als Experte bei SAT.1 tätig und kommentiere die FED Cup und Davis-Cup-Spiele. Ansonsten schau ich mir auch viel an. Hauptsächlich die Grand-Slam-Turniere. Die kleineren verfolgt man natürlich auch, aber am Ende des Tages zählt es eben bei den großen Turnieren.

SPOX: Und wem drücken Sie die Daumen?

Kiefer: Roger Federer. Ich bin absoluter Federer-Fan.

Stan Wawrinka im Interview: "Ich bin kein Superstar"

SPOX: Gibt es eine generelle Tendenz? Sind Sie für die jungen Wilden, oder gerade für die Älteren, gegen die Sie selbst noch gespielt haben? SPOX

Kiefer: Mit den alten Hasen habe ich noch selbst gespielt, mit den Jüngeren weniger. Deshalb ist zu den älteren Spielern mehr Kontakt da und ich drücke ihnen eher die Daumen.

SPOX: Sie haben einmal gesagt, dass der Nachwuchs in Deutschland zu früh zufrieden ist. Nicht mehr bereit ist, sich zu quälen. Wie kann man da gegensteuern?

Kiefer: Das ist ja gerade das Schöne daran, dass wir hier so junge Talente haben, denen man relativ viel beibringen kann. Wenn man natürlich 17, 18 oder 19-Jährige hat, ist es schon ein bisschen schwieriger. Wir arbeiten viel auf dem Platz, aber auch abseits, suchen Gespräche und gehen es auf der mentalen Schiene an.

SPOX: Aber ein Trainerjob auf der Tour war für Sie persönlich nie eine Option?

Kiefer: Gut, ich war einmal drei Wochen mit Maria Sharapova unterwegs, weil sie jemanden gesucht hat. Sie wollte auch, dass ich dann permanent dabei bin, aber das ging natürlich nicht, weil ich meine Verträge und Vereinbarungen hier in Hannover habe. Und meine Familie auch, was mir viel wichtiger ist, als das ganze Jahr permanent unterwegs zu sein. Eine Woche ab und zu, das ist alles kein Problem, und wer hier in Hannover trainieren möchte, der ist herzlich willkommen. Aber aus Taschen und Koffern zu leben, das hab ich jetzt 15 Jahre gemacht, das muss nicht mehr sein. Vielleicht ab und zu mal, aber nicht mehr.

SPOX: Wie war das damals in den drei Wochen? Waren Sie nur Hitting Partner?

Kiefer: Wir haben viel gespielt und ich habe mich mit dem damaligen Trainer Thomas Hogstedt ausgetauscht. Einfach mal in die andere Seite reingeschnuppert.

SPOX: Was das Leben aus Koffern angeht. Die Champions Tour oder etwas in der Art wäre deshalb keine Option?

Kiefer: Nein, aber ich habe mir da auch nie groß Gedanken gemacht. Und es ist auch schön, mal zuhause zu sein. Deshalb habe ich auch aufgehört mit dem Tennis. (lacht)

SPOX: Eine weitere Rolle bei Ihrem Karriereende haben vielleicht auch die vielen Verletzungen gespielt. Können Sie sich überhaupt noch an alle erinnern?

Kiefer: Mein Spiel war natürlich auch sehr kräftezehrend. Ich bin viel gerutscht, gerade auch in der Halle oder auf Hartplatz, das war also eine hohe Belastung. Ich denke, das gehört dazu. Da kann ich mir auch keine Vorwürfe machen. Ich habe immer versucht, alles zu geben, und da muss man sich einfach bewusst sein, wenn man in diesen Tennis-Zirkus will, dass alles passieren kann. Und deshalb bin ich froh und dankbar - und das war mir ganz wichtig zu Beginn meiner Karriere -, dass ich zuerst die Schule und das Abitur gemacht habe, und danach erst eingestiegen bin. Das ist natürlich auch eine Sache, die wir unseren Jungs und Mädels hier verdeutlichen: wie wichtig diese schulische Ausbildung ist.

SPOX: Gab es schon früher Gedanken ans Karriereende, als es gesundheitlich einfach nicht so lief?

Kiefer: Naja, es gibt immer so Phasen, wenn es nicht so läuft. Das wissen Sie wahrscheinlich auch, wenn Sie Sport machen: Selbstvertrauen ist alles. Und wenn man dann verliert, kommen relativ schnell Zweifel. Aber andererseits muss man sich dann ganz schnell auch wieder bewusst werden: Warum mach ich das alles? Warum stehe ich morgens auf? Warum gehe ich bei Regen raus laufen? Warum ackere ich den ganzen Tag? Warum werfe ich die Medizinbälle, hebe ich die schweren Hanteln, und so weiter. Warum mach ich das alles? Und wenn man sich das bewusst macht und ganz klare Ziele vor Augen hat, wird einem schnell auch wieder bewusst: Gar kein Problem, du kommst da wieder raus.

SPOX: Ähnlich sieht man das jetzt ja auch bei Tommy Haas, der in den letzten Jahren extrem viele Verletzungsprobleme hatte. Keiner weiß, wie es bei ihm weitergeht. Da fühlt man mit?

Kiefer: Ja, das ist auch schwer für ihn. Nach den ganzen Schulter-OPs ist es nicht einfach. Wichtig ist, und das kann man ihm nur wünschen, dass er den richtigen Absprung schafft. Andererseits kann man bei ihm auch wieder sehen, wie groß die Liebe zum Sport ist. Was auch Vorbild sein kann für den Nachwuchs und die Jugend.

SPOX: Wenn wir schon bei Haas sind: Sie waren im Laufe der Karriere immer irgendwie verbunden. Mal war er ein bisschen weiter oben, mal Sie. Wenn man von den Medien immer wieder ins Duell getrieben wird von wegen "Wer ist die deutsche Nummer eins?" - macht es das schwer, eine freundschaftliche Beziehung aufzubauen?

Kiefer: Es war schwer. Man darf nicht vergessen: Er ist ja in Amerika aufgewachsen und ich hier. Man hat sich geschätzt, man hat sich respektiert, und auf den Turnieren war es kein Problem, dann hat man miteinander trainiert. Einerseits war man Konkurrent, andererseits hat man sich natürlich geschätzt, ob es jetzt der World Team Cup war oder der Davis Cup.

SPOX: Gibt es heute noch Kontakt?

Kiefer: Wenn wir uns auf Turnieren sehen, wenn ich mal unterwegs bin. Aber da ich ja nicht mehr viel unterwegs bin, nur in Halle/Westfalen ab und zu mal... Man sieht sich, tauscht sich kurz aus, plaudert ein bisschen über die Kinder und was sonst so ansteht, und das war's dann.

SPOX: Das Verhältnis zwischen Ihnen und den Medien war auch nicht immer leicht. Kann man im Rückblick sagen, woran das lag? Weil Sie einfach nicht immer so mitspielen wollten?

Kiefer: Ich war halt so, ich hatte meine Meinung, hab die dann auch so vertreten und hab mich nicht groß verbiegen lassen. Da, muss ich sagen, konnte ich mich immer ganz gut mit einem Fredi Bobic identifizieren, auch als Typ. Mit ihm habe ich mich vor allem zu seiner Zeit bei Hannover 96 viel ausgetauscht. Es war halt so: Entweder man mag eine Person oder man mag sie nicht - ein Mittelding gibt es da auch nicht, glaube ich. Natürlich hat man das eine oder andere Mal angeeckt, aber das war mir lieber als ein Spielchen mitzuspielen oder mich in eine Schublade reinstecken zu lassen. Und das wurde natürlich anfangs versucht: eine Schublade Haas, eine Schublade Kiefer. Aber wir haben das eigentlich gar nicht mit uns machen lassen. Wir haben unser Ding gemacht, für uns stand der Sport im Vordergrund, nicht die Themen drumherum.

SPOX: Wenn es damals schon Social Media gegeben hätte: Wäre das Ihr Ding gewesen, um die eigene Meinung komplett unverfälscht unters Volk zu bringen?

Kiefer: Na gut, dafür hat man ja seine Leute, sein Team um sich herum, die sich um die wirtschaftlichen oder Pressesachen kümmern. Das hat früher funktioniert und das funktioniert heute auch so. Bleiben wir bei der Old-School-Variante. Ich bin ohnehin kein Techniker, deshalb werden Sie von mir da nicht viel finden (lacht).

Seite 1: Kiefer über Olympia 2004, seine Markenzeichen und Wimbledon 1997

Seite 2: Kiefer über die Tennis Base Hannover, Maria Sharapova und Tommy Haas

Seite 3: Kiefer über Mental-Fights, Angstgegner und seine Fußballer-Karriere

SPOX: Gehen wir noch einmal zurück auf den Court. Wie ist es mit dem mentalen Aspekt auf der Tour? Wie viel spielt sich auf dem Platz ab und wie viel im Kopf?

Kiefer: Mittlerweile ist es so: Tennisspielen kann jeder - und die letzten drei, vier, fünf Prozent spielen sich alle nur im Kopf ab. Und da muss man momentan sagen: Ein Novak Djokovic steht über allen. Djokovic ist so wie vor sechs, sieben Jahren Federer. Der stand damals ganz oben und danach war eine große Lücke. Und so ist es jetzt bei Djokovic: Bei den Big Points ist er da und nutzt seine Chancen knallhart aus. Das muss man ganz ehrlich sagen, und da glaube ich auch, dass Boris Becker großen Anteil daran hat.

SPOX: Kann man den Gegner auch wegbluffen, wenn man weiß: OK, eigentlich läuft es nicht so?

Kiefer: In der Weltspitze ist das ganz schwer.

SPOX: Haben Sie das mal probiert?

Kiefer: Ja, aber unbewusst wahrscheinlich. Man ist so mit seinem Spiel beschäftigt. Klar beobachtet man den Gegner. Man hat seinen Plan und schaut: Ist der Gegner müde oder nicht müde. Aber große Veränderungen sind da natürlich nicht so sinnvoll.

Thomas Muster im Interview: "Denkmäler sind scheißegal"

SPOX: Gibt es das auf der Tour, dass man schon relativ früh im Match weiß, ob man gewinnt oder verliert? Dass man nach einem oder zwei Aufschlagspielen sagt: "Das schaff ich", oder aber "Er ist zu stark".

Kiefer: Nein, eigentlich nicht. Klar, man muss natürlich rausgehen und sagen: Pass mal auf, diese Schlacht gewinne ich heute! Aber im Tennis kann so viel passieren. Da führt der Gegner mit 2:0 Sätzen - und auf einmal gewinnt man dann noch in fünf Sätzen. Das ist mir auch passiert, bei meinem ersten Davis-Cup-Match gegen Grant Stafford in Bremen. Ich war natürlich nervös, es war mein erstes Match für Deutschland. Dann lag ich 0:2 hinten und hab dann aber noch in fünf gewonnen. Und genau das gleiche passiert auch andersrum. Wir sind ja alle keine Maschinen.

SPOX: Spürt man es, wenn das Match entgleitet? Gibt es einen klaren Wendepunkt oder passiert das schleichend?

Kiefer: Es gibt natürlich die Big Points, da merkt man: Oh, jetzt könnte es sich drehen. Aber da spielt wie gesagt der Kopf eine extrem große Rolle. Das ist eine Sache, die ich im Nachhinein noch ändern würde, wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte: Ich hätte mich noch früher mit dem Thema Psychologie beschäftigt.

SPOX: Würden Sie sonst noch etwas ändern?

Kiefer: Ich würde von Anfang an einen eigenen Physiotherapeuten auf die Tour mitnehmen.

SPOX: Wie wäre es zum Abschluss mit einer Speed-Runde: Kurze Fragen, kurze Antworten.

Kiefer: Gerne!

SPOX: Lieblingsgegner?

Kiefer: Todd Martin.

SPOX: Angstgegner?

Kiefer: Nicht wirklich Angstgegner, aber unangenehm: Fabrice Santoro

SPOX: Lieblingsturnier?

Kiefer: Halle/Westfalen und früher noch in Düsseldorf der World Team Cup.

SPOX: Beste Fans?

Kiefer: Da würde ich auch sagen Halle. Da hab ich mich immer Zuhause gefühlt.

SPOX: Ihr bester Ballwechsel?

Kiefer: Es gab einen sehr guten Ballwechsel bei den US Open gegen Federer. Und gegen Nadal hatte ich auch schon einen ganz guten, bei den US Open 2009. Also da gibt es schon ein paar spektakuläre.

SPOX: Auf ein Thema müssen wir aber doch noch zu sprechen kommen: Hannover 96. Sie haben ja selbst auch gespielt.

Kiefer: Ja, bei der Ü32 habe ich relativ lange gespielt. Momentan habe ich eine kleine Pause eingelegt, weil es mir zu viel geworden ist: Am Tag sechs, sieben Stunden auf dem Platz stehen und am Abend noch zum Fußballtraining gehen oder am Wochenende zum Spiel, das geht dann schon sehr hart zur Sache. Deshalb hab ich mir eine Auszeit gegönnt.

SPOX: Aber es ist nur eine Auszeit.

Kiefer: Ja, topfit bin ich, ich könnte also jederzeit einsteigen. Aber auf dem Transfermarkt kamen noch keine Angebote.

SPOX: Also wären die Profis im Abstiegskampf auch noch eine Option.

Kiefer: Wenn die Anfrage kommt! Sie wissen, wo sie sich melden müssen. [96-Sportdiektor] Dirk Dufner muss sich nur melden: "Pass mal auf, im letzten Spiel biste dabei."

SPOX: Dann sind wir mal gespannt.

Kiefer: Ja, ich auch!

Seite 1: Kiefer über Olympia 2004, seine Markenzeichen und Wimbledon 1997

Seite 2: Kiefer über die Tennis Base Hannover, Maria Sharapova und Tommy Haas

Seite 3: Kiefer über Mental-Fights, Angstgegner und seine Fußballer-Karriere

ATP-Tour: Kalender, Ergebnisse, Weltrangliste