Königsmord auf dem Chatrier?

Felix Götz
03. Juni 201510:42
2014 setzte sich Rafael Nadal (r.) gegen Novak Djokovic im Finale durchgetty
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Zu konstant. Zu dominant. Novak Djokovic geht als Favorit in den historischen Showdown gegen Rafael Nadal (ab 15.30 Uhr im LIVE-TICKER) - ausgerechnet im Wohnzimmer des Spaniers. Welchen Anteil hat Boris Becker, für wen sprechen die Bilanzen? Und was sagen die Beteiligten? SPOX gibt einen Überblick.

Die bisherige Saison:

Festhalten, Freunde! In dieser Saison hat Djokovic 35 Matches gewonnen und lediglich zwei Niederlagen kassiert. In Dubai im Finale gegen Roger Federer, in Doha im Viertelfinale gegen Ivo Karlovic. Das war's!

Bei 1000er Turnieren steht der Weltranglistenerste seit Januar 2014 bei 49-4 (2015 bei 21-0!), bei Grand-Slam-Turnieren bei 29-3. Kurzum: Djokovic ist in absoluter Hammer-Form - seit Monaten! 2015 gewann er zum Auftakt die Australian Open, anschließend in Indian Wells, Miami, Monte Carlo und Rom.

Besonders auffällig: Während der Serbe früher auf Sand nicht immer an seine absolute Topform herankam, kann das mittlerweile nicht mehr behauptet werden. Der Djoker spielt auf Asche genau so dominant wie beispielsweise auf Hartplatz. Er macht kaum Fehler, zeigt keine Schwäche, spielt variabel und macht Druck.

Für Nadal lief es dagegen holprig. Nach ständigen Knieproblemen und einer Blinddarm-Operation 2014 kam der Spanier bisher nicht ansatzweise an seine große Form heran. Ein mickriger Turniersieg steht für den Mann aus Manacor zu Buche - beim 250er Turnier in Buenos Aires.

Insgesamt kassierte er 2015 neun Pleiten bei 25 Siegen. Gerade auch auf Asche hat der Sandplatzkönig einige Tiefschläge hinnehmen müssen. Nadal unterlag in Rom im Viertelfinale gegen Stan Wawrinka, im Madrid-Finale gegen Andy Murray, in Barcelona im Achtelfinale und im Endspiel von Rio de Janeiro gegen Fabio Fognini und im Endspiel von Monte Carlos gegen Djokovic.

Der Spanier wirkte zunehmend ratlos aufgrund seiner mäßigen Verfassung und räumte ein, dass es ihm an Selbstvertrauen fehle. "Als Nadal in der Position der Stärke war, haben die anderen nur gehofft, dass er sie nicht deklassiert. Jetzt aber hat er zugegeben, dass er sich mental schwertut, dass er Mühe hat, die Partien zu beenden. Und auf einmal verlieren die anderen nicht mehr schon vor dem Verlassen der Garderobe gegen ihn", analysierte Brad Gilbert die Situation.

Die Form bei den French Open 2015:

Ob Jarkko Nieminen, Gilles Muller, Thanasi Kokkinakis oder Richard Gasquet: Kein Spieler konnte den Djoker bei den diesjährigen French Open bisher auch nur ansatzweise in Verlegenheit bringen. Er gab nicht einen einzigen Satz ab. Mit 12 gewonnenen Spielen war Kokkinakis noch die "größte Herausforderung" für den 28-Jährigen.

Djokovic schlug im bisherigen Turnier 17 Asse, leistete sich lediglich zwei Doppelfehler und schlug 70 Winner mehr, als ihm Fehler unterliefen. Sein erster Aufschlag landete im Durchschnitt zu über 71 Prozent im Feld. Musste er über das zweite Service gehen, machte er immer noch zu fast 65 Prozent den Punkt.

Nadal schaltete Quentin Halys, Nicolas Almagro, Andrey Kuznetsov und Jack Sock aus. Seinen einzigen Satzverlust musste er gegen Sock verkraften, als er ein kleines Tief durchlebte. Unterm Strich bleibt aber festzuhalten: Nadal scheint sich bei "seinem Turnier" auch 2015 wohl zu fühlen und macht einen klar verbesserten Eindruck.

Seine Statistiken reichen aber natürlich nicht an die des Djokers heran. Nadal steht bei sieben Assen und sieben Doppelfehlern, schlug 38 Winner mehr als Fehler, brachte seinen ersten Aufschlag zu 65 Prozent ins Feld und punktete über den Zweiten zu knapp 59 Prozent.

Der direkte Vergleich:

Sechs Mal standen sich Djokovic und Nadal bislang in Roland Garros gegenüber. Nadal gewann immer und geriet nur einmal ernsthaft in Gefahr, als sich die beiden Spieler im Halbfinale 2013 ein episches Fünf-Satz-Match lieferten.

Viertelfinale 2006: Nadal - Djokovic 6:4, 6:4 Aufgabe Djokovic

Halbfinale 2007: Nadal - Djokovic 7:5, 6:4, 6:2

Halbfinale 2008: Nadal - Djokovic 6:4, 6:2, 7:6 (7:3)

Finale 2012: Nadal - Djokovic 6:4, 6:3, 2:6, 7:5

Halbfinale 2013: Nadal - Djokovic 6:4, 3:6, 6:1, 6:7 (3:7), 9:7

Finale 2014: Nadal - Djokovic 3:6, 7:5, 6:2, 6:4

43 Mal spielten Nadal und Djokovic insgesamt gegeneinander. 23 Mal verließ der Spanier den Court als Sieger, 20 Mal gewann der Djoker (auf Sand 14-5). Auffällig aber: Fünf der letzten sechs Matches gingen an Djokovic.

Der Klassiker:

Djokovic und Nadal treffen bereits zum 44. Mal aufeinander. Keine Begegnung hat es im Profi-Tennis häufiger gegeben.

1. Rafael Nadal (Spanien) - Novak Djokovic (Serbien): 43 Begegnungen

2. Djokovic - Roger Federer (Schweiz): 39 Begegnungen, Bilanz 19:20

3. Ivan Lendl (Tschechoslowakei/USA) - John McEnroe (USA): 36 Begegnungen, Bilanz 21:15

4. Boris Becker (Deutschland) - Stefan Edberg (Schweden): 35 Begegnungen, Bilanz 25:10

4. Lendl - Jimmy Connors (USA): 35 Begegnungen, Bilanz 22:13

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Die Trainer:

Erst veröffentlichte er sein Buch "Das Leben ist kein Spiel", dann trat er in einer Fernsehshow mit einem Fliegenklatschen-Hut auf. Seien wir ehrlich: Ende 2013 war Boris Becker endgültig auf dem besten Weg zur Witzfigur. Auch als wenig später publik wurde, dass der 47-Jährige der neue Coach von Novak Djokovic werden würde, spottete die Branche. "Ich weiß auch nicht, was das soll", sagte beispielsweise Niki Pilic: "Was soll der dem denn noch beibringen?"

Heute lacht keiner mehr. Becker erwischte mit Nole mit dem Aus im Viertelfinale der Australian Open 2014 zwar einen schlechten Start, fortan lief es aber immer besser. Unter Becker gewann Djokovic Wimbledon, zu Beginn des Jahres 2015 dann auch in Melbourne.

Der Djoker wurde mit Becker an seiner Seite so konstant wie noch nie zuvor. "Ich lerne weiterhin ständig neue Dinge von ihm. Vor allem in psychologischer Hinsicht hilft er mir, weil er diese Situationen bereits kennt", lobt der Serbe seinen Coach.

Ungleich länger ist bereits das Duo Rafael Nadal und Toni Nadal zusammen unterwegs. Onkel Toni nahm Rafa bereits im Alter von vier Jahren unter seine Fittiche und trieb ihn mit innovativen Trainingsmethoden, jeder Menge Disziplin und knallharter Arbeit an die Spitze der Tenniswelt.

"Er kann launisch und mürrisch sein. Er ist ein Moralist mit festen Ansichten, der immer zu Kontroversen bereit ist", sagt der 14-malige Grand-Slam-Champion über seinen Trainer. Durch seine Art hielt Toni seinen Neffen auf dem Boden.

"Ich würde Rafael niemals die Tasche mit seinen Schlägern tragen, das ist undenkbar. Ich sehe natürlich, dass andere das machen, aber das geht eigentlich nicht", so Toni Nadal: "Ich hätte es nie ertragen können, wenn Rafael Starallüren entwickelt hätte."

Die Stimmen zum Duell:

Novak Djokovic: "Das ist die größte Herausforderung in Paris. Ich bin sehr aufgeregt. Das wird ein großartiges Match. Gegen Nadal in Roland Garros zu spielen ist etwas völlig anderes, als gegen ihn irgendwo sonst auf der Welt zu spielen. Die Bedingungen passen sehr gut zu seinem Spiel. Er liebt es, auf dem Chatrier zu spielen."

Rafael Nadal: "Novak ist ohne Zweifel der beste Spieler im Moment, er ist so dominant. Wahrscheinlich glaubt doch jeder hier genauso wie ich, dass er der Favorit ist. Wenn ich gegen ihn gewinnen will, muss ich wirklich mein bestes Tennis spielen. Es wird sicher mein härtestes Viertelfinale in Roland Garros. Aber der Sieger ist noch nicht der Champion des Turniers."

John McEnroe: "Es wird das größte Viertelfinale, das es in der Tennisgeschichte je gegeben hat."

Richard Gasquet: "Das ist das Match, das die ganze Welt sehen will. Und ich zuerst."

Brad Gilbert: "Es ist ein Witz, dass Nadal in Paris an Position 6 und nicht mindestens an Position 2 gesetzt wurde. Es kann eigentlich nicht sein, dieses Duell bereits im Viertelfinale zu erleben."

Die SPOX-Prognose:

Verkehrte Welt in Paris. Nadal hat gegen Djokovic in Roland Garros bisher immer gewonnen, für den Serben schien der Spanier bei dessen Lieblingsturnier so gut wie unschlagbar. Diesmal ist alles anders: Der Djoker geht als Favorit ins Match, es ist so etwas wie die ultimative Prüfung.

Er wird sie bestehen und als erst zweiter Spieler nach dem Schweden Robin Söderling im Achtelfinale 2009 gegen Nadal (70 Siege in Roland Garros) bei den French Open triumphieren. Zu gut in Form, zu dominant ist der Djoker. Natürlich darf man Nadal nicht unterschätzen, aber er müsste schon die beste Leistung seit langer Zeit zeigen, um eine echte Chance zu haben.

Letztlich wird der Djoker das Match und sehr wahrscheinlich anschließend auch das Turnier gewinnen. Nach Nadal, Roger Federer, Fred Perry, Don Budge, Rod Laver, Roy Emerson und Andre Agassi dürfte er damit in den illustren Kreis der Spieler aufsteigen, die alle Grand-Slam-Turniere gewonnen haben.

Fragt man nach dem "Greatest of all time", muss man spätestens dann auch den Djoker auf dem Zettel haben.

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