Denn in seinem Heimatland löste die Szene sogar eine Rassismus-Debatte aus, nachdem die australische Schwimm-Legende Dawn Fraser Kyrgios und dessen Davis-Cup-Kollegen Bernard Tomic "kindliches Verhalten auf dem Platz" und "mangelnde Vorbildfunktion" vorwarf.
Fraser empfahl den beiden live im australischen Fernsehen "dann doch lieber zurück in ihr Heimatland zu gehen, denn solche Sportler braucht das Land nicht." Kyrgios' Vater ist Grieche, seine Mutter hat malaiische Wurzeln. Die Eltern von Tomic kommen aus Kroatien.
Und auch wenn die Aussage von Fraser, gerade im Zuge einer australischen Einwanderungsdebatte, dümmlich und überzogen daherkam und sie sich hinterher entschuldigte, so zeigt sie eben auch, wie tief die Enttäuschung der Australier über ihre aufstrebenden Talente sitzt. Zuletzt hatte schließlich auch Bernard Tomic immer wieder für negative Schlagzeilen abseits des Courts gesorgt.
Genauso macht die Diskussion aber auch deutlich, wie sehr Australien nach einem neuen Tennis-Helden lechzt, 13 Jahre, nachdem letztmals einem Spieler aus Down Under der Coup bei einem Grand-Slam-Turnier gelang. Lleyton Hewitt hatte seinerzeit im Wimbledon-Finale den Argentinier David Nalbandian besiegt. Und Kyrgios ist auf dem besten Weg, einer der kommenden Big Player auf der ATP-Tour zu werden. Er verfügt über einen starken Aufschlag, eine krachende Vorhand und eine solide Rückhand.
Kyrgios lebt den "Swagger-Lifestyle"
Mit 17 gewann er den Juniorentitel bei den Australian Open gegen Kokkinakis. Prominent in Erscheinung trat er als 19-Jähriger dann im Juli 2014: Im Wimbledon-Achtelfinale schlug er den damaligen Weltranglistenersten Rafael Nadal und war somit der erste Spieler außerhalb der Top 100 und der erste Teenager seit eben jenem Nadal anno 2005, der die aktuelle Nummer Eins der Welt bei einem Major besiegen konnte.
In der Folge avancierte Kyrgios mehr und mehr zum Star, schloss Werbeverträge mit Nike und IMG ab und gilt in seiner Heimat schon jetzt als einer der meistbeachteten Sportler - weit populärer als etwa Formel-1-Pilot Daniel Ricciardo. Er bringt jugendlichen "Swagger" in den bisweilen schnöden ATP-Zirkus. Mit giftgrünen Kopfhörern, oberkörperfrei, dem Blick eines Vogue-Fotomodells und seinem nagelneuen babyblauen BMW M3 im Hintergrund lässt er seine Follower in den sozialen Netzwerken an seinem "Easygoing -Lifestyle" teilhaben und pflegt sein Image als cooler Proll.
Auf Facebook kommt er so auf über 200.000 Follower. Seinem australischen Davis-Cup-Kollegen Bernard Tomic, als Nummer 26 der Welt immerhin 11 Plätze höher notiert, folgen gerade einmal 28.000. Möglich macht es das neue Mixtape von Drake und sein viereckiger Diamant-Ohring aus London. Den mag er am liebsten, "weil er der größte ist."
Kyrgios ist frech, unangepasst und alles andere als Mainstream - das bringt Aufmerksamkeit. Und deshalb bekommt er auch immer wieder Probleme, schließlich wird die ATP-Tour seit Jahren von perfekten Vorbildern wie Federer, Nadal und Djokovic geprägt. So einen wie Kyrgios gab es schlichtweg schon seit Ewigkeiten nicht mehr. "Wir sind solche Beleidigungen im Tennis nicht gewohnt", sagte Federer deswegen auch treffend unmittelbar nach dem Wawrinka-Eklat. Die Zeiten von John McEnroe oder Jimmy Connors sind schließlich schon lange vorbei.
Spielt er einfach nur den falschen Sport?
Tennis ist und bleibt ein Gentleman-Sport. Kyrgios bedient dagegen eher das Klischee eines amerikanischen Basketballers, der gerade den Sprung aus armen Verhältnissen zum NBA-Millionär geschafft hat und jetzt das Luxusleben genießt. Dabei kommt der Jungspund aus Canberra durchaus aus guten Verhältnissen.
Sein Vater ist Kunstmaler, die Mutter Computerspezialistin. In einem Interview machte er einmal keinen Hehl daraus, lieber Basketball-Profi geworden zu sein. "Ich liebe Tennis nicht. Ich war immer total vernarrt in Basketball, aber mit 14 entschied ich mich für Tennis. Das war verrückt. Seit diesem Tag kann ich sagen, dass ich den Sport nicht liebe", so Kyrgios.
Wo geht die Reise also hin für? Scheitert er letztlich doch an sich selbst oder gelingt es ihm, seine Emotionen in den Griff zu bekommen und sich soweit anzupassen, dass er auf der Tour zumindest wieder respektiert wird? Es wird davon abhängen, ob er sich die Kollegen-Schelte wirklich zu Herzen nimmt und sich wieder aufs Wesentliche konzentriert. Die Rolle des Bad Boys mag attraktiv sein - die Aussicht darauf, jeden Tag das gesamte Publikum gegen sich zu haben, ist es ganz sicher nicht.
"Nick wird Lleyton genau zuhören"
Vor zwei Wochen wurde bekannt, dass sich Lleyton Hewitt bis zu den US-Open als eine Art Mentor um seinen Landsmann kümmern wird, nachdem sich Kyrgios unmittelbar vor Wimbledon von seinem Coach Tod Larkham getrennt hatte. Ausgerechnet Hewitt also, der sich in seiner Blütezeit mit alles und jedem auf dem Court angelegt hatte.
Zumindest kann sich der Aussie-Altmeister aber in seinen 14 Jahre jüngeren Protege hineinversetzen, schließlich wurde er selbst lange Jahre nur respektiert, aber erst im Herbst seiner Karriere wirklich geliebt. "Nick wird Lleyton genau zuhören. Was er nicht mag, sind Leute, die nicht in einer vergleichbaren Situation waren und ihm trotzdem Ratschläge geben wollen", gibt sich Mutter Norlaila in einem Interview mit der Canberra Times optimistisch.
Auf Dauer wird aber auch diese Liaison nicht sein, und verhindern konnte auch Hewitt den Eklat in Montreal nicht. Es liegt einzig und allein an Kyrgios selbst. Er muss den Schritt vom rotzigen Teenager zum Mann machen und seinen Worten Taten folgen lassen. Weitere Entgleisungen kann er sich erst einmal nicht mehr leisten. Gelingt ihm das, wird sein Weg fast zwangsläufig ganz nach oben führen.
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Nick Kyrgios im Steckbrief