SPOX: Lassen Sie uns noch ein bisschen über Ihre Karriere sprechen. Haben Sie eigentlich gerne gegen Serve-und-Volley-Spezialisten gespielt? Sie mussten unter anderem gegen Boris Becker antreten.
Chang: Boris war immer sehr schwer zu spielen, vor allem wenn sein Aufschlag funktionierte. Aber da war ich nicht der einzige, der nicht gern gegen ihn spielte. Er hatte die Power, dich aus dem Rhythmus zu bringen: sein Aufschlag, dazu die starke Vorhand, die Rückhand die Linie entlang, und dann deckte er auch am Netz noch alles ab. Besonders schwer war es, in Deutschland gegen ihn zu spielen: Egal wo, der Court war auf jeden Fall sehr schnell. (lacht) Kein Turnier in Deutschland hätte jemals einen langsamen Court aufgelegt und dann Boris eingeladen.
SPOX: Heute sind Serve-und-Volley-Spieler fast ausgestorben.
Chang: Ich finde, dass wir in unserer Generation sehr viel mehr unterschiedliche Spielstile hatten. Das machte es schwerer. Heute ist es durch die modernen Schläger und Saiten für Serve-und-Volley-Spieler sehr viel schwieriger geworden, weil der Ball viel mehr Spin hat. Und wenn man den Ball hart genug schlägt - wie soll man dann ans Netz kommen? Schauen Sie sich Wimbledon an: Ich hätte liebend gerne auf dem Rasen gespielt, der heute zum Einsatz kommt. Der Platz ist um vieles langsamer geworden, und der Ball springt fast so hoch wie auf einem Hartplatz.
SPOX: Ein Kollege hat mir aufgetragen, Sie nach einem Match zu fragen, bei dem er im Publikum saß. Der Grand Slam Cup in München 1992, das Halbfinale gegen Ivan Lendl. Sie machten einen 0:2-Satzrückstand weg, wissen Sie noch?
Chang: Ich erinnere mich an das Match. Merkwürdig: Ich habe gegen Ivan nur zweimal in best-of-five-Matches gespielt. Und beide Male kam ich nach 0:2 Sätzen noch zurück. Einmal bei den French Open und einmal in München. Ich musste damals einen Matchball abwehren und gewann schließlich 9:7 im fünften Satz.
SPOX: Sie haben so einige epische Fünfsatzmatches in Ihrer Karriere gespielt.
Chang: Es gab das Finale gegen Stefan Edberg bei den French Open. Das Match gegen Horst Skoff im Davis-Cup-Halbfinale gegen Österreich 1990, auch da lag ich im letzten Einzel 0:2 in den Sätzen zurück und gewann schließlich noch. Gegen John McEnroe bei den US Open. Und natürlich habe ich auch einige Fünfsatzmatches verloren. Gegen Stefan Edberg zum Beispiel im Halbfinale der US Open 1992, das war ein richtig hartes Match. Ich wünschte ich könnte sagen, dass ich alle gewonnen habe. (lacht) Aber so funktioniert es eben nicht.
SPOX: Das wollte ich Sie sowieso noch fragen: Die French Open waren der einzige Grand-Slam-Erfolg in Ihrer Karriere. Ist das insgesamt eine Enttäuschung?
Chang: Nicht wirklich. Ich war mehrfach nach dran, habe ein weiteres Finale in Paris erreicht, dazu in Melbourne und in Flushing Meadows. Letztlich geht man raus und versucht sein Bestes. Wenn ich das Gefühl hätte, dass ich härter hätte arbeiten können oder nicht alles gegeben habe, dann würde ich den Gelegenheiten nachtrauern. Aber wenn man 100 Prozent gibt, dann kann niemand mehr verlangen, weder du selbst, noch Gott oder die Menschen um dich herum. Ob Sieg oder Niederlage: Man sollte immer mit erhobenem Haupt vom Court gehen können.
SPOX: Sie sind sehr früh Profi geworden. Wäre das heute immer noch möglich?
Chang: Der Sport hat sich verändert, heute sind die Spieler viel fitter. Dazu kommen die Rackets. Für einen 16- oder 17-Jährigen ist es sehr viel schwerer, auf diesem Level mitzuhalten, wenn der Ball so hart und schnell unterwegs ist. Mittlerweile gibt es wieder ein paar jüngere Spieler, aber vor einem Jahr etwa gab es nur einen oder zwei Teenager in den Top 100. Zu meiner Zeit gab es eine ganze Menge. Aber wer weiß, vielleicht verschiebt sich das irgendwann wieder.
SPOX: Hatten Sie einen Lieblingsgegner?
Chang: Mein Lieblingsgegner ... Ich weiß nicht, ob ich einen hatte. Ich habe sehr gerne gegen Pete Sampras gespielt, bevor er 1990 die US Open gewann. Als Junior und zu Beginn auf der Tour hatte ich eine sehr gute Bilanz gegen ihn. Ich bin einfach dankbar, dass ich die Möglichkeit hatte, gegen so viele großartige Champions zu spielen. Gegen McEnroe, Jimmy Connors und Lendl. Dann die Generation danach, mit Stefan Edberg und Boris. Meine eigene Generation: Sampras, Andre Agassi, Jim Courier. Die Generation danach: Roger Federer, Lleyton Hewitt, Marat Safin. In unserer Ära gab es so viele tolle Spieler. Manche habe ich besiegt, manchmal wurde ich besiegt, aber insgesamt war es ein großer Spaß, auf allerhöchstem Level gegen die besten Spieler der Welt anzutreten, und das auf den größtmöglichen Bühnen.
SPOX: Sie haben Federer erwähnt. Wussten Sie schon damals: Der wird eines Tages der beste Spieler der Welt sein?
Chang: Nicht unbedingt. Das sagten die Leute ja auch über Pete - was ich nicht verstehen konnte, weil ich ihn anfangs ja jedes Mal besiegte. Ich hätte es bei Pete nicht erwartet, und auch Roger war damals noch ein bisschen zu jung. Aber es war damals schon schwer, als Baseliner gegen ihn zu spielen, weil er hart spielen konnte, mit Topspin, Slice, einem guten Aufschlag und gutem Netzangriff. So bekam man keinen Rhythmus. Komischerweise habe ich gegen ihn auf Sand und auf Hartplatz verloren, aber einmal auf Rasen in Halle gegen ihn gewonnen - dadurch, dass ich bei erstem und zweitem Aufschlag Serve-and-Volley spielte. (lacht)