Lara Gut ist jung, attraktiv, irre schnell - und lacht eigentlich ständig. SPOX sprach vor der Alpinen Ski-WM in Garmisch-Partenkirchen mit der 19-jährigen Schweizerin über ihre schwere Hüftverletzung, den langwierigen Weg zurück auf die Piste und die Rückkehr des Skigefühls. Außerdem verrät Gut, was sie tat, als andere Olympia-Gold holten, und sie schwärmt vom enormen Talent ihres Bruders.
SPOX: Wo erwischen wir Sie denn gerade?
Lara Gut: Ich bin ausnahmsweise mal kurz zu Hause, das kommt wirklich selten vor. Aber irgendwann muss ich ja mal Wäsche waschen und packen, so ab und zu. In zwei Stunden geht es auch schon wieder weiter.
SPOX: Jetzt sind Sie wieder mittendrin im Weltcup-Zirkus. Aber wie ging es Ihnen im Herbst, als Sie nach einem Jahr Pause und schwerer Hüftverletzung zurückkehrten.
Gut: Sehr gut, die Hüfte hat gehalten. Als ich zurückkam, war ich schon zehn Monate schmerzfrei. Ich merke nach wie vor, wenn das Wetter wechselt, wenn zu Hause der Nordwind kommt. Aber das stört mich nicht. Immerhin weiß ich jetzt, ob das Wetter am nächsten Tag schön oder schlecht ist (lacht).
SPOX: Funktioniert alles wie vor der Verletzung?
Gut: Ich konnte schon in Sölden alles wieder so machen wie vorher. Im Kraftraum, Skifahren, ob es eisig war oder Schläge gab. Ich spürte überhaupt nichts, hatte keine Mühe und das war das Wichtigste beim Comeback.
SPOX: Wenn jemand erwartet hatte, dass Sie es langsam angehen lassen würden, hatte er sich geschnitten: Sie fuhren gleich wieder alle Disziplinen. Es langsam angehen zu lassen, ist nicht so Ihr Ding, oder?
Gut: Es gab ja keinen Grund dazu. Ich hatte eine normale Vorbereitung und konnte wirklich wieder alles machen.
SPOX: Trotzdem gab es Rückschläge. Und die Schweizer Öffentlichkeit hatte nicht sehr viel Geduld bei Ihrem Comeback. Haben Sie sich Sorgen gemacht, als es im Oktober mit den Plätzen 25, 28 und 26 in den Speedrennen und zwei Ausfällen im Slalom losging?
Gut: Nein. Obwohl es mein erstes Comeback war. Und hoffentlich auch das letzte. Wir hatten gut trainiert und ich habe kleine Fortschritte gemacht. Da wusste ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin.
SPOX: Was fehlte Ihnen zu dieser Zeit, um wieder vorn dabei zu sein. War es der Kopf?
Gut: Nein, ich fahre nicht mit Kopf. Den brauche ich nicht, um Rennen zu fahren. Es ist einfach Instinkt. Alles Gefühl. Mit fehlte es zum Saisonstart an Routine und Selbstvertrauen.
SPOX: Mit St. Moritz Mitte Dezember ging es dann aufwärts. Vor zwei Jahren gab es dort den ersten Weltcupsieg. Haben Sie seither eine besondere Beziehung zu dem Hang?
Gut: Ich weiß wirklich nicht, wie ich das beschreiben soll. Es ist immer gut gelaufen, 2008 der Sieg, 2007 aufs Podest gestürmt. St. Moritz ist immer noch das einzige Rennen, das ich je in der Schweiz absolviert habe. Hier fühle ich mich zu Hause. Ich bin immer im gleichen Hotel. Alle reden italienisch und mein Fanklub ist da.
SPOX: Sie schieden im Super-G mit Bestzeit aus. Warum war das Rennen trotzdem so wichtig?
Gut: Ich war wirklich schon wieder schnell in diesem Super-G, das hätte ich nicht gedacht. Da habe ich gemerkt, dass ich Rennen brauche, damit das Gefühl und mein Rhythmus zurückkommen. Es fehlte nur eine Kleinigkeit. Ich wusste, irgendwann würde ich wieder schnell sein.
SPOX: Anfang Januar war es dann schon soweit: In Zauchensee feierten Sie ihren zweiten Weltcupsieg, den ersten nach der Zwangspause. Muss ein Supergefühl gewesen sein.
Gut: Ja, Wahnsinn. Der Sieg kam früher als erwartet. Aber ich hatte daran geglaubt, dass es irgendwann "klick" macht und wieder so funktioniert, wie ich will. Wie vor zwei Jahren.
SPOX: Ende September 2009 haben Sie sich kurz vor Saisonstart bei einem Sturz die Hüfte ausgerenkt, Luxation nennen die Ärzte diese schmerzhafte Verletzung. Da waren Sie 18 Jahre alt. Wie sind sie mit dieser langen Verletzungspause umgegangen.
Gut: Ich weiß nicht, ob ich es eine schwierige Situation nennen soll, aber sie war neu und ich war deshalb total unsicher. Ich hatte einfach keine Ahnung, wie so etwas funktioniert. Normalerweise merke ich im Training ja, was mir gut tut. Ob ich gut drauf bin, ob ich mich schlecht fühle oder nicht. Aber damals wusste ich überhaupt nicht, was ich tun sollte, um meine Hüfte wieder hinzukriegen.
SPOX: Aber die Ärzte und Physiotherapeuten wussten doch sicher, was sie taten?
Gut: Natürlich musste ich da auf die Ärzte und Physios vertrauen. Aber für mich war es einfach so unglaublich, dass ich mein Bein nicht mehr bewegen konnte. Plötzlich kannst du nichts mehr machen. Das kannte ich nicht. Nach der Operation hatte ich dann diese Narbe, aber mein Bein war noch da, alles war ja noch da. Aber ich durfte mich nicht draufstellen. Ein bisschen verwirrt war ich da schon.
Teil II: Wie Gut wieder auf die Beine kam und warum sie Olympia im TV boykottierte.
SPOX: Wie kamen Sie denn wieder auf die Beine?
Gut: Ich habe zu den Ärzten gesagt: "Okay, ich mache, was Sie sagen, und dann kann ich hoffentlich bald wieder laufen."
SPOX: Sie sind für ihre Fröhlichkeit und ihr Temperament bekannt. Wie war das, so lange stillhalten zu müssen?
Gut: Am Anfang habe ich das gar nicht gemerkt. Da ist einfach alles auf mich eingestürzt. Es war Ende September und ich war gut drauf - und dann kam das Spital, die Operation, alles mögliche. Zuerst habe ich das gar nicht realisiert. Dann musste ich liegen. Und ich dachte mir "gut, liege ich halt". Meine Familie hat mich sehr unterstützt. Wenn ich jetzt zurückdenke, kann ich mich an diese Zeit kaum noch erinnern.
SPOX: All das passierte ausgerechnet in der Olympiasaison. Haben Sie sich die Rennen in Vancouver denn überhaupt angesehen?
Gut: Zum Glück stand ich am 5. Februar 2010 zum ersten Mal wieder auf dem Ski. Also habe ich mich auf mich konzentriert und gar nichts von Vancouver gesehen.
SPOX: Hat es Sie besonders gewurmt, Olympia zu verpassen?
Gut: Ich habe nicht das Gefühl, etwas verpasst zu haben, denn ich war ja noch nie bei Olympia dabei. Für mich war es viel schwieriger, Weltcuprennen zu verpassen. Sölden, St. Moritz, das kannte ich alles. Na klar habe ich gehört, die oder die ist Olympiasiegerin. Aber ich habe mir gesagt: "Vergiss es einfach. In vier Jahren gibt es wieder Olympische Spiele, da versuchst du dabei zu sein. Konzentriere dich auf deine Hüfte, das Training und nicht auf die Olympiade von den anderen."
SPOX: Apropos Training: Sie trainieren mit ihrem Vater. Kracht es oft?
Gut: Überhaupt nicht. Wir sind zwei ganz unterschiedliche Menschen. Er ist viel, viel ruhiger als ich. Er denkt mehr nach, er gibt mehr nach. Ich habe mehr Feuer. Es ist eine gute Mischung. Zusammen finden wir immer eine Lösung. Er war nicht immer mein Trainer, aber er war immer in meinem Skiteam. Im Sommer ist auch meine Mutter dabei, sie organisiert und kocht. In den Ferien fährt mein Bruder mit.
SPOX: Ihr Bruder Ian soll mindestens Ihr Talent haben. Stimmt das?
Gut: Es ist wichtig, dass wir ihm Zeit lassen und ihn nicht mit mir vergleichen. Er ist ein Junge, bei den Frauen ist es viel einfacher, sich durchzusetzen. Er ist in einer Sportschule, ich habe allein zu Hause gelernt. Das sind zwei verschiedene Wege, aber wir probieren beide, schnell Ski zu fahren. Er hat ein enormes Talent, ihm fällt alles spielerisch leicht, viel leichter als mir. Wirklich unglaublich.
SPOX: Ist Ihr Bruder auch so locker im Starthaus, wie Sie?
Gut: Ich habe ihn schon lange nicht mehr bei einem Rennen gesehen. Wir sind sehr verschieden. Ich lache die ganze Zeit, er ist mehr ein Künstler und ruhiger. Aber als ich 15 war, hat niemand von mir gesprochen. Ich möchte, dass er sich in Ruhe entwickeln kann. Und nicht schon mit 15 Interviews geben oder so etwas.
SPOX: Ihre Scherze am Start, machen Sie das bewusst, um locker zu werden? Oder ist es eher Nervosität?
Gut: Nein, da habe ich keinen Plan. Mal habe ich Lust zum Reden und dann bin ich wieder ruhig. Jedenfalls ist es kein Theater für die Medien. Ich bin einfach so wie ich bin.
SPOX: Vielleicht fällt ihre Lockerheit nur im Vergleich mit den Konkurrentinnen auf, die alle so böse dreinschauen?
Gut: Vielleicht sind viele ruhig, weil sie denken, dass sie anderen auf die Nerven gehen. Aber mit Vicky Rebensburg bin ich letztens im Sessellift zum Start gefahren und wir haben die ganze Zeit gequatscht, auch noch im Starthaus.
SPOX: Der Schweizer Verband hat Sie Ende Dezember für zwei Rennen gesperrt, weil Sie gegen Sponsorenregeln verstoßen haben sollen. Mit dem Sieg in Zauchensee gaben Sie eine nervenstarke Antwort. Waren Sie überhaupt nicht abgelenkt?
Gut: Das ist erledigt. Wir haben in einem guten Gespräch vor Silvester alles klären können.
SPOX: Wie sieht die Einigung mit Swiss Ski aus? Hat dieser Vorfall die persönliche Zusammenarbeit mit den Teamkolleginnen oder Trainern verändert?
Gut: Swiss Ski akzeptiert, dass ich auch in Zukunft und vor allem im Sommer mit meinem privaten Team trainiere. Die Details sind geklärt, die Zusammenarbeit läuft wieder gut.
SPOX: Wie läuft Ihr Training denn in der Saison ab, wenn Sie mit dem Rest des Schweizer Teams unterwegs sind?
Gut: Wenn wir im Winter zusammen im Weltcup unterwegs sind, trainiere ich meistens mit dem Team. Da versuchen wir zusammenzuarbeiten, weil es praktischer ist. Im Sommer trainiere ich lieber allein, denn ich möchte alle fünf Disziplinen fahren. Da bin ich in der Schweiz die Einzige. Das ist mit meinem Team viel einfacher.
SPOX: Fehlt Ihnen im Sommertraining nicht der Vergleich mit anderen Athletinnen?
Gut: Nein, überhaupt nicht. Als ich vor drei Jahren von den Resultaten her schon Weltcup fahren durfte und auch einen Podestplatz holte, da gewann ich nebenher im European Cup die Gesamtwertung. Damals bin ich immer zwischen den Kadern hin und her gewechselt, nirgendwo habe ich wirklich dazugehört. Immer neue Sportler und Trainer. Jetzt ist alles klar: Ich habe mein privates Team und ab und zu trainiere ich mit dem Team. Das sind tolle Kolleginnen.
SPOX: Jetzt steht die WM vor der Tür. Was spielt Garmisch in Ihrer Saisonplanung für eine Rolle?
Gut: Mir war es in meiner Comeback-Saison wichtig, in den Weltcup zurückzukommen und Punkte zu sammeln. Ich wollte wieder in die Top 15, zurück zu den guten Startplätzen. Lange war ich ja, abgesehen vom Riesenslalom, überhaupt nicht für die WM qualifiziert.
SPOX: Hat der Sieg in Zauchensee Ihre Erwartungen in die Höhe geschraubt?
Gut: Nein.
SPOX: Sie stapeln tief, nicht mal im Super-G?
Gut: Nein. (lacht) Ich freue mich einfach riesig auf die WM. Ich habe keine Prognose, werde aber das Beste versuchen.
SPOX: Kennen Sie die Strecken in Garmisch gut?
Gut: Ich bin nur einmal dort gefahren, einen Super-G bei der Junioren-WM 2009. Ich habe die WM-Piste zwar drei Mal besichtigt, aber die Rennen sind immer abgesagt worden. Sollte es eisig sein, dann wird mir der Hang gefallen. Wie bei allen Rennen in Deutschland oder Österreich wird in Garmisch sicher eine tolle Stimmung herrschen.
SPOX: Ihr früher Erfolg hat Ihnen etliche Neider eingebracht. Wie gehen Sie damit um?
Gut: Sobald ein bisschen Erfolg da ist und man in den Zeitungen erscheint, gehört Neid dazu. Aber im Weltcup, in den Top 30, da respektieren wir uns. Wir wissen genau, was wir geleistet und wie hart wir gearbeitet haben, um dorthin zu kommen. Bei den jungen Athletinnen, die vielleicht genau so alt sind wie ich und aus dem Europa Cup kommen, da gibt es schon Neid. Das ist aber ihr Problem und nicht meins.
SPOX: Abgesehen vom Respekt, gibt es besonderen Kontakt zu einigen Konkurrenten.
Gut: Das ist wie überall. Mit einigen kann man supergut reden, mit anderen überhaupt nicht.
SPOX: In den Schweizer Medien sind Sie das Starlet. Wie sehen Sie sich selbst?
Gut: Ach, ich habe tausend verschiedene Spitznamen, von einem Tag auf den anderen: Sternchen, Zicke, Superstar, verlorenes Talent. Ich bin aber einfach eine junge Athletin, die vor zwei Jahren schon gute Leistungen gebracht hat und sich dann verletzte. Jetzt komme ich zurück und probiere, wieder so gut wie vorher zu sein. Aber ich fühle mich weder als Superstar noch als Sternchen, ich bin einfach Skifahrerin.
Zurück zu Teil I: Guts Weg zurück an die Spitze, und warum sie Nordwind nicht mag
Die Gesamtwertung der Damen im Überblick
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