Nach dem Karriereende von Magdalena Neuner und Michael Greis hält DSV-Sportdirektor Thomas Pfüller "fünf bis sechs Medaillen" bei der Biathlon-WM für ein realistisches Ziel. Wer sind die WM-Favoriten? Und welche deutschen Athleten haben die besten Chancen auf Edelmetall? Der SPOX-Favoritencheck vor dem WM-Start (Mixed-Staffel, 17.30 Uhr im LIVE-TICKER).
Damen im Check: Die besten Vier der Welt
Tora Berger: Berger ist momentan das Maß aller Dinge im Damen-Biathlon-Zirkus. Die Norwegerin führt den Gesamtweltcup deutlich vor Darja Domratschewa an und steht auch in allen Disziplinen-Weltcups an der Spitze. Bereits sechs Weltcup-Rennen gewann Berger in diesem Winter - so viele wie keine andere Biathletin. Läuferisch gehört sie zu den besten der Welt und auch am Schießstand trifft sie konstant gut. Keine andere Skijägerin vereint beide Aspekte ähnlich stark wie die Norwegerin. Dementsprechend geht Berger auch in allen Einzel-Wettbewerben als Favoritin an den Start.
Fazit: Berger hat das Zeug, die WM zu dominieren. Läuft alles nach Plan, dann ist die Norwegerin sogar in der Lage, in allen vier Einzel-Wettbewerben Gold abzustauben. Allerdings hat eine WM oft ihre eigenen Gesetze, die Tagesform wird entscheidend sein. Bei der WM 2012 in Ruhpolding holte sie zweimal Einzelgold und wurde zur erfolgreichsten Athletin der Titelkämpfe. Eine ähnliche Leistung ist auch in Nove Mesto zu erwarten.
Prognose: Berger holt zweimal Gold und eine weitere Medaille in Einzelwettbewerben. In der Staffel und der Mixed-Staffel könnte weiteres Edelmetall folgen.
Darja Domratschewa: Domratschewa gehört schon den ganzen Winter über zu den konstantesten Biathletinnen im Weltcup. Ausreißer nach unten wie bei Miriam Gössner haben bei der Weißrussin eher Seltenheitswert. Nur einmal war Domratschewa diesen Winter, sofern sie an den Start ging, nicht unter den besten zehn Athletinnen zu finden. Sechs Mal stand sie auf dem Podest, konnte aber auch nur einen Weltcup-Sieg einfahren. Vor allem im Einzel und im Sprint gehört die Weißrussin zu den Mitfavoritinnen. Auch wenn sie bei der WM 2012 in Ruhpolding in der Verfolgung Gold gewann, stand sie in dieser Disziplin in der aktuellen Saison erst einmal auf dem Treppchen.
Fazit: Domratschewa hat die Qualität, in jeder Einzeldisziplin um eine Medaille mitzulaufen. Besonders im Sprint und im Einzel muss man sie auf dem Zettel haben. Um aber den ganz großen Wurf - eine Goldmedaille - landen zu können, benötigt sie angesichts der starken Konkurrenz einen nahezu perfekten Tag.
Prognose: Domratschewa holt sich in Nove Mesto zweimal Edelmetall. Über die Farbe werden ihre eigene Tagesform und die ihrer Kontrahentinnen entscheiden. Für eine Goldmedaille wird es aber wohl eher nicht reichen.
Miriam Gössner: Gössner ist das heißeste Eisen des DSV in Nove Mesto. Drei Weltcupsiege hat die 22-Jährige bisher in diesem Winter vorzuweisen. Auch wenn sie sich selbst keine konkrete Zielvorgabe für die WM setzt, so ruhen die deutschen Gold-Hoffnungen fast komplett auf ihren Schultern. Gössner, die voraussichtlich auch bei der Nordischen Ski-WM im Langlauf an den Start gehen wird, ist in der Loipe kaum zu schlagen. Selbst Berger ist nur an einem sehr guten Tag läuferisch mit der Deutschen auf einer Höhe. Das große Problem Gössners kommt bekanntlich am Schießstand zum Tragen. Fast jede Schießeinheit wird zur Lotterie. Ein fehlerfreier Anschlag ist bei ihr genauso möglich wie fünf verballerte Scheiben. In diesem Winter zeigte sie aber schon das ein oder andere Mal, dass sie sich beim Schießen deutlich verbessert hat. Kann sie sich weiter steigern, hat sie das Potenzial, die neue Magdalena Neuner zu werden.
Fazit: Alles hängt bei Gössner vom Erfolg am Schießstand ab. Bleibt sie fehlerfrei, holt sie Gold. Bleibt sie nahezu fehlerfrei, ist ein Podestplatz fast sicher. Läuferisch wird sie auch bei der WM die Nummer eins sein.
Prognose: Gössner wird sich und dem DSV den Traum von einer Einzel-Goldmedaille erfüllen. Die besten Chancen hat sie wohl im Massenstart. Um mehr als einmal ganz oben zu stehen, ist sie am Schießstand aber noch zu unkonstant. Weitere Podestplätze liegen aber im Bereich des Möglichen.
Andrea Henkel: Henkel liegt im Gesamtweltcup auf dem dritten Platz. Dieser ist jedoch mehr ihrer Konstanz und weniger absoluten Topplatzierungen geschuldet. Zweimal schaffte es die mittlerweile 35-Jährige aufs Podest, acht Mal in die Top 10. Die WM-Generalprobe in Antholz verpatzte sie mit Platz 25 im Sprint völlig. Immerhin lief sie in der Verfolgung noch bis auf Position zwölf nach vorne. Henkel hat diesen Winter vor allem mit ihrer Laufleistung zu kämpfen. Aufgrund ihres hohen Biathlon-Alters kann sie läuferisch nicht mehr mit der Topgruppe mithalten. Ihre immer noch teils sehr guten Schießleistungen könnten sie aber auch bei der WM noch einmal auf das Treppchen spülen.
Fazit: Henkel ist zweifelsohne in die Jahre gekommen. Dennoch gehört sie im Gesamtweltcup noch immer zu Besten der Welt. Sollte die eine oder andere Topathletin patzen, könnte Henkel davon profitieren und noch einmal ganz weit vorne landen.
Prognose: Eine Einzel-Gold-Kandidatin ist Henkel wohl nicht. Dafür ist sie läuferisch im Vergleich zu schwach. Bestätigt sie ihre Leistungen am Schießstand, dann ist aber vor allem im Sprint eine Medaille möglich. Die Farbe dürfte dann von den Leistungen der anderen Top-Biathletinnen abhängen.
Die weiteren Medaillen-Kandidaten
Kaisa Mäkäräinen (FIN): Mäkäräinen liegt im Gesamtweltcup auf Rang fünf. Beim letzten Weltcup vor der WM in Antholz wurde sie Zweite im Sprint und Dritte in der Verfolgung. Die Formkurve der Finnin zeigt nach oben. Für eine Medaille müsste es reichen. An einem guten Tag ist auch Gold nicht auszuschließen.
Marie Dorin Habert (FRA): Sie ist die stärkste Französin im Biathlon-Zirkus. Ein Weltcupsieg und eine Einzel-WM-Medaille fehlen ihr aber nach wie vor. Die besten Aussichten auf Edelmetall hat Habert im Sprint. Für eine Überraschung ist die Französin allemal gut.
Olga Zaitsewa (RUS): Sie gehört vor allem im Massenstart zu den Mitfavoritinnen. Im Disziplinen-Weltcup liegt sie auf Platz zwei hinter Berger. Beim letzten Massenstart vor der WM belegte sie Rang drei.
Vita Semerenko (UKR): Ihr werden im Massenstart die größten Chancen eingeräumt. Auch wenn die Ukrainerin keine Gold-Kandidatin ist, könnte es durchaus für Bronze reichen.
Seite 2: Die Herren und Teamwettbewerbe im Check
Herren im Check: Die besten Vier der Welt
Martin Fourcade: Fourcade ist für das starke Geschlecht, was Tora Berger im Damen-Zirkus ist: Er trägt das Gelbe Trikot sämtlicher Wertungen, hält bei vier Erfolgen. Der Zweikampf mit Emil Hegle Svendsen, seinem schärfsten Widersacher, elektrisiert die Massen. In Ruhpolding bejubelte der 24-Jährige zuletzt ein "Perfect Weekend". Der Aufbau passt - für die Konkurrenten fast schon beängstigend.
Fazit: Seit 2009 gehört Fourcade zur Elite. Dort setzte er in kürzester Zeit neue Maßstäbe. Im Vorjahr dominierte er wie kein Zweiter, räumte bei der WM und im Weltcup alles ab. Bruder Simon hat er längst überflügelt. "Er hat das erreicht, was ich mir erträumt habe", betont der vier Jahre Ältere. Die anfängliche Missgunst wich der gegenseitigen Förderung. Das macht ihn noch stärker.
Prognose: Wer, wenn nicht er? Keiner ist prädestinierter dafür, erneut zum Superstar zu avancieren. Martin, mach Platz in der Vitrine - du reist aus Nove Mesto mit vollen Koffern ab: Je zwei Mal Gold und Silber!
Emil Hegle Svendsen: Svendsen galt früh als legitimer Erbe von Ole Einar Björndalen. Nahtlos setzte er die große Tradition norwegischer Biathleten fort. Seit 2005 jagt er mit seinem unermüdlichen Idol über die Loipen dieser Welt. "Mich mit dem Besten aller Zeiten zu messen und mit ihm verglichen zu werden, ist eine große Ehre." Mittlerweile ist der zweifache Olympionike selbst ein Großer.
Fazit: Sieben WM-Titel, dazu 15 Medaillen - die Vita des 27-Jährigen hinterlässt Eindruck. In dieser Saison scheint er sich die überragenden Vorstellungen aufzusparen. Einen Sieg holte Svendsen bislang, sein 26. im Einzel. Für die eigenen Ansprüche enttäuschend. Selten vereinte er Zielsicherheit und Laufstärke zugleich.
Prognose: Rechtzeitig läuft Svendsen zur Paradeform auf. Er ist eben Ausnahmekönner. Und solche präsentieren bei Großereignissen ihre Schokoladenseite: Eine Goldene, zwei Mal Silber.
Anton Shipulin: Er hätte sich eine bessere Generalprobe nicht erträumen können. Beim letzten Schaulaufen der Skijäger im italienischen Antholz durfte er doppelt das oberste Treppchen erklimmen. In Sprint und Verfolgung war er eine Klasse für sich. "Das ist meine Lieblingsstrecke. Bis zur WM muss ich weiter hart arbeiten, aber ich bin schon sehr zuversichtlich."
Fazit: Obwohl nur Siebtplatzierter im Gesamtweltcup, gehört er zum engsten Favoriten-Kreis. Der 25-Jährige führt die russische Armada an. Zwar liegen drei Landsleute vor ihm, doch für ihn spricht der Aufwärtstrend. Wenn er jenen über die Wettkampfpause retten konnte, ist alles möglich.
Prognose: Vollgepumpt mit Selbstvertrauen kommt Shipulin nach Nove Mesto. Wie seine Kollegen darf er berechtigt auf Edelmetall im Einzel hoffen. Im Team sind sie ohnehin schwer zu schlagen: Je einmal Gold und Bronze!
Andreas Birnbacher: Er ist der große deutsche Hoffnungsträger. Als einziger heimischer Athlet darf er mit Medaillen spekulieren. Als Einziger ist der 31-Jährige dem Druck gewachsen. Denn die glorreiche Vergangenheit lastet schwer auf der jungen Garde. In Schlagdistanz zu den Top 10 kommt niemand mehr. "Ein früher Erfolg wäre wichtig für das Team."
Fazit: Zuletzt plagte Birnbacher ein Magen-Darm-Infekt, weshalb Antholz für ihn keine Reise wert war. Oftmals spüren Profi-Sportler noch Wochen danach die Erkrankung. "Ich hoffe, dass ich wieder gut in Form komme. Wenn ich an den Dezember anknüpfen kann, ist etwas in Reichweite." Damals lächelte er drei Mal vom Podium, gleich zwei Mal von der Spitze.
Prognose: Hinter dem Leistungsvermögen steht nach der Erkrankung ein dickes Fragezeichen. Ganz Biathlon Deutschland drückt die Daumen. Am Ende steht eine Bronzemedaille.
Die weiteren Medaillen-Kandidaten
Evgeny Ustyugov (RUS): Ustyugov hat sich im Spitzenfeld der Biathleten etabliert. Der Russe liegt auf Platz drei im Gesamtweltcup und ist Stammgast in den Top 10 der Einzelwettbewerbe. Seine besten Ergebnisse feierte er im Sprint. In seiner Lieblingsdisziplin kann er eine Medaille erlaufen.
Jakov Fak (SLO): Fak wandelt zwischen den Extremen. Einerseits feierte der Slowene in diesem Winter zwei Weltcupsiege und stand insgesamt sechs Mal auf dem Podest, andererseits kam er auch vier Mal jenseits des 30. Platzes ins Ziel. An einem guten Tage ist ihm alles - auch eine Goldmedaille - zuzutrauen.
Alexis Boeuf (FRA): Boeuf hat in diesem Winter bereits bewiesen, dass er ganz nach vorne laufen kann. Mit der Staffel holte er im vergangenen Jahr Silber. In Nove Mesto könnte - sofern der Franzose mehr Konstanz in seine Leistungen bringt - die erste Einzelmedaille folgen.
Die weiteren Deutschen: Erik Lesser, Simon Schempp, Arnd Peiffer und Florian Graf haben diesen Winter bereits ihr Potenzial angedeutet. Immer wieder war einer für einen Ausreißer nach oben gut. Ein konstant hohes Niveau konnte allerdings keiner der vier aufbieten. Vor allem Lesser und Peiffer sind aber durchaus für eine Überraschung gut. Eine Medaille ist zwar nicht zu erwarten, aber auch nicht kategorisch auszuschließen.
Die Favoriten der Teamwettbewerbe
Damen-Staffel: Bei der Heim-WM 2012 in Ruhpolding schnappte sich die deutsche Staffel die Goldmedaille. Damals war aber auch noch Magdalena Neuner ein Teil des Teams. Ein Verlust der in der laufenden Saison anfangs nicht zu kompensieren war. Vierter, Dritter, Vierter und Erster lautet die Bilanz der deutschen Damen-Staffel in diesem Winter bisher.
Dementsprechend scheint auch in Nove Mesto wieder alles möglich zu sein. Präsentieren sich die deutschen Damen ähnlich stark wie bei der Generalprobe in Antholz, so ist auch Platz eins drin. Als Topfavorit gelten dennoch die Norwegerinnen. Ebenfalls in den Goldkampf eingreifen werden wohl die Staffeln aus Frankreich, Russland und der Ukraine. Ein spannender und enger Wettbewerb wird erwartet.
Herren-Staffel: Die Bilanz der deutschen Herren-Staffel fällt in diesem Winter bisher weitestgehend ernüchternd aus. Nur einmal schaffte man den Sprung auf das Podest (Platz drei in Oberhof). Demenstprechend ist von der deutschen Staffel auch bei der WM nur wenig zu erwarten. Abgesehen von Birnbacher fehlen die überragenden Athleten in der Mannschaft. Mit Glück kann der Sprung auf Platz drei gelingen.
Die größten Hoffnungen auf die Goldmedaille darf sich aber Frankreich machen. Zweimal triumphierte die französische Staffel in diesem Winter bereits, einmal wurde man Zweiter. Als größte Mitstreiter um Gold gelten Titelverteidiger Norwegen und Russland. Dass diese drei Nationen die Verteilung des Edelmetalls unter sich ausmachen werden, ist wahrscheinlich.
Mixed-Staffel: Die norwegische Staffel um Tora Berger, Synnove Solemdal, Ole Einar Björndalen und Emil Hegle Svendsen holte im vergangenen Jahr WM-Gold. Da die Skandinavier wohl auch in diesem Jahr ähnlich stark besetzt sein werden, wird Platz eins auf dem Podest erneut nur über das Team Norwegen führen.
Der deutschen Staffel dürfen in der Besetzung mit Miriam Gössner, Andrea Henkel, Andreas Birnbacher und Simon Schempp aber ebenfalls realistische Medaillen-Chancen ausgerechnet werden.
Biathlon-WM in Nove Mesto: Der Zeitplan