Marcel Hirscher ist keiner, der sich versteckt. Das kann er auch nicht. In seiner Heimat Österreich erlangte er längst Helden-Status. "Wer hier", sagte er unlängst, "meinen Namen nicht kennt, der ist wie ein Steinzeit-Bewohner."
Ob akrobatisch auf Skiern. Oder wortgewandt vor den Mikros. Er, der Strahlemann vom Annaberg, begeistert die Massen - und spaltet sie. Fans belagern ihn. Nörgler mustern jede Gemütsregung, jeden Schritt missgünstig. Exklusiv bei SPOX gewährt er nachdenkliche Einblicke in sein Seelenleben. Die Begrüßung erfolgte jedoch standesgemäß: lauthals und smart.
SPOX: Herr Hirscher, Ihre Anrufer werden von den Foo Fighters empfangen. Was hat es damit auf sich?
Marcel Hirscher: Mir gefällt das Lied Pretender sehr gut. Ich habe es mit 16 oder 17 Jahren als Ring-up Tone eingestellt. Wenn plötzlich der Sportminister anruft und es bei ihm gleich mal scheppert, muss ich immer lachen. ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel hat daran seine Freude. Bis jetzt fühlte sich niemand belästigt (lacht).
SPOX: Über David Alaba, den alten und neuen "Sportler des Jahres", ärgerte sich Schröcksnadel indes. Dessen Fernbleiben von der Gala missfiel ihm. Sie verloren den Wahl-Krimi hauchdünn - um ein Pünktchen.
Hirscher: Ich sehe das ganz entspannt. Im letzten Jahr war es schmerzhafter als diesmal. Mit David Alaba als "Sportler des Jahres" braucht sich Österreich keinesfalls zu verstecken. Im Gegenteil. Für mich ist das kein Weltuntergang. Er ist ein genialer Fußballer, ein super Typ.
SPOX: ...und mittlerweile hochdekorierter Weltstar. Inwiefern bewundern Sie ihn denn?
Hirscher: Ich bin Alaba-Fan. Wenn Bayern spielt, ist das für mich richtig cool. Ich durfte Basti (Bastian Schweinsteiger, Anm. d. Red.) und David des Öfteren treffen. Sie persönlich zu kennen, macht es speziell. Zumal Österreich im Vergleich zu Deutschland fußballerisch eher bescheidene Leistungen zeigt. Da ist das eine großartige Geschichte.
SPOX: Alaba ist mit 22 Jahren Nationalheld. Ein Status, den Sie sich ebenfalls verdient haben. Beim Weltcup-Auftakt in Sölden herrschte Hirscher-Mania. Wie kanalisiert man das?
Hirscher: Im Endeffekt relativiere ich viele Dinge und betrachte sie nüchterner. Was ist mir persönlich wichtig? Was passiert, wenn ich nicht mein Maximum ausschöpfe? Ich möchte einfach, dass meine Werte die gleichen bleiben. Ob ich ausfalle oder nicht, es ist nichts Weltbewegendes. Klar, es ist für all diejenigen, die mitfiebern, schade. Für mich selbst ist es keine Gaudi. Nur was soll's? Keep on going! Abhaken und weiter geht's. Der Skisport ist ein bedeutender Teil meines Lebens. Er sollte allerdings nicht mein Leben sein. Es gibt ein Links und Rechts. In gewissen Zeiten habe ich es zu eng gesehen, heute nicht mehr.
SPOX: Der Jubel in Sölden fiel entsprechend befreit aus.
Hirscher: Von mir werden Siege erwartet. Das Podium ist Grundvoraussetzung. Damit umzugehen, ist nicht einfach. Man muss extrem aufpassen, nicht in eine falsche Erwartungshaltung zu fallen. Selbst die Top Ten sind kein Klacks, immerhin gehört man zu den zehn besten Skifahrern der Welt.
SPOX: Ärgert Sie dieser Erfolgszwang?
Hirscher: Die Ansprüche sind völlig berechtigt. Das Problem ist, der Fan begreift nicht, warum es an einem Tag funktioniert und am nächsten vielleicht einmal nicht. Ich versuche, Verständnis aufzubringen. Aber: Die Medien sind das Sprachrohr und vernachlässigen ihre Aufgabe. Sie sollten den Ball im realen Spielfeld halten. Im Boulevard-Journalismus ist es so, dass sich überkandidelte Schlagzeilen und "Bad News" besser verkaufen als realistische Einschätzungen.
SPOX: Der Hype hat überwältigende Ausmaße angenommen. Entkommen unmöglich?
Hirscher: (lacht) Sogar in meinen letzten beiden Urlauben wurde ich erkannt. Ich möchte mich mit der Rolle des Vorbilds, der Person, auf die alle schauen, identifizieren, sie zu meinem "Ich" machen. Das gelingt mir immer besser. Ich habe nicht mehr das Bedürfnis, mich vor dem Hype zu verstecken. Und ich kann sowieso nicht davor fliehen. Ich fühle mich wohl in dieser Zone. Der Weg dorthin war schwierig genug.
SPOX: Sie bedienen in gesunder Regelmäßigkeit die sozialen Netzwerke. Eine Art Selbstschutz, eine Möglichkeit, um Ihr Privatleben zu hüten?
Hirscher: Es sind eben die Medien, die ohne Verfälschung zum Endkonsumenten kommen. Facebook und Twitter haben oft geholfen, wenn Journalisten glaubten, sie wären Experten und mir Einfädler anzudichten versuchten. So kann ich das Beweismaterial sofort online stellen, um ihnen jeglichen Wind aus den Segeln zu nehmen.
SPOX: Sie gelten als offener, geradliniger Typ, der mit kultigen Sprüchen begeistert. Gleichwohl wird Ihnen Kalkül unterstellt, mit Argwohn begegnet. Was erwidern Sie darauf?
Hirscher: Das ärgert mich nicht mehr. Man wächst mit Herausforderungen. Die Kritiker sind meine Herausforderung. Ich habe sie angenommen. Ich musste natürlich lernen, mit gewissen Situationen umzugehen. Jetzt nehme ich viele Dinge entspannter. Das erleichtert mir das Leben im Weltcup- und Medien-Zirkus.
SPOX: Also beschäftigten Sie derartige Vorwürfe früher?
Hirscher: Selbstverständlich macht man sich Gedanken. Ich kann mich an einen Sieg erinnern. Das Rennen war irrsinnig hart. In der Emotion meinte ich: "Bist du narrisch, die Piste war im Arsch." Ich habe danach einen zehn Zentimeter hohen Stapel an Briefen und E-Mails erhalten: Was ich mir dabei denke. Was ich für ein Vorbild sei - ich sei eine Schande für Österreich. Dass junge Kinder so einer Wortwahl zu hören müssten, sei eine Frechheit. Daraus lernt man schnell. Leider ging es teils auf Kosten meiner Interviews. Mir fehlte manches Mal der Mut zu peppigen Aussagen.
SPOX: Wie ratsam ist es, sich in dem Geschäft zu verstellen?
Hirscher: Du musst dich in der Öffentlichkeit ein wenig verstellen, absolut. Man muss das System verstehen, erkennen, wie es funktioniert, wer mit wem gut kann, warum und wieso. Dazu kommt das Zusammenspiel mit der Presse. Hat man das gelernt,...
SPOX: ...wird man immun gegen Zweifel. Sie beschritten im Sommer neue Pfade. Was veränderten Sie?
Hirscher: Es gibt ständig Trendsetter. Hermann Maier war der letzte große Trendsetter in Österreich. Stunden, wenn man es hochrechnet Monate, verbringen Athleten auf Ergometer oder Fahrrad. Ich habe mir gesagt: "Aus, ich bin genug Radl gefahren. Ich mag nicht mehr." Da greif' ich mir ans Hirn. Bei fünf Grad und Regen brauche ich nicht durch die Gegend fahren. Und bei schönem Wetter sitze ich nicht im Keller in der Kraftkammer. Ich wollte mich in der Lebensqualität nicht mehr einschränken lassen. Seit drei Jahren arbeite ich mit einem eigenen Konditionstrainer und Physiotherapeut. Er hatte den Mut, mit mir neue Wege zu gehen. So hat Ausdauer in meinem Trainingsprogramm sehr wenig Platz. Der Alltag bereitet mir jetzt mehr Freude als Qual. Wenn ich einen Tag Motocross fahre, das mit Euphorie tue, erreiche ich mehr, als wenn ich eine Stunde auf dem Radl sitze und eine Fresse ziehe.