SPOX: Sölden spricht für sich: An Ted Ligety, dem "Mister Riesenslalom", sind Sie vorbeigezogen. Genugtuung?
Hirscher: Wir wollen es mal nicht überbewerten. Ich bin vorbeigezogen, in einem Rennen. Er hat uns gefühlt bei den letzten 35 von 40 Riesentorläufen komplett alt aussehen lassen. Es ist zu früh, um da eine Tendenz zu erkennen. Trotzdem: Es war eine echt geile Sache.
SPOX: Das Tüfteln hat sich gelohnt. Wie arbeitsintensiv war die Suche nach fehlenden Zehnteln?
Hirscher: Jetzt kann ich es sagen: Mehr hätten ich und mein ganzes Team nicht rausholen können. In Kombination mit Atomic haben wir wirklich einen sehr großen Schritt nach vorne gemacht. Die Ski sind in Sölden genial gelaufen, so wie man es sich wünscht. Ich bin mit meinem Papa (Teil des Betreuerstabs, Anm. d. Red.) und mit meinem Trainer viel vor dem Fernseher gesessen. Ein Ski-Ingenieur hat uns über die nächsten Schritte beraten und die Erkenntnisse in ein neues Modell umgewandelt. Der Servicemann musste alles einschleifen und präparieren, damit es zu meinem Fahrstil passt. Aktuell flutscht es.
SPOX: Im Slalom von Levi landeten Sie auf Platz zwei - ein beinahe perfekter Start. Was steht dem vierten "depperten Glasbecher", wie Sie es formulieren, überhaupt im Wege? Aksel Lund Svindal, Ihr schärfster Rivale, fällt mit einem Achillessehnenriss lange aus.
Hirscher: Primär tut es mir extrem Leid um Aksel. Vor allem menschlich wird er uns fehlen. Sportlich wird eine Abfahrt ohne ihn an Spannung verlieren. Dennoch wird es kein Spaziergang für mich. Alexis Pinturault, Ted Ligety, Henrik Kristoffersen oder Felix Neureuther streben bestimmt das gleiche Ziel an. Ich kann mich jedenfalls nicht transformieren und sagen, das wird der Winter meines Lebens (lacht).
SPOX: Gustav Thöni, Phil Mahre sowie Stenmark bejubelten den Gesamtweltcup drei Mal en suite. Mit Nummer vier würden Sie zur Allzeit-Legende. Was bedeuten Ihnen Rekorde?
Hirscher: Früher interessierten sie mich gar nicht. Der Moment hatte für mich eine wesentlich größere Bedeutung. Heute bereiten sie mir Freude, wenn ich sehe, dass Sölden mein 24. Sieg war. Dass einzig drei Athleten die große Kugel drei Mal in Folge gewinnen konnten, zeigt, welche Herausforderung das ist. Für mich wäre es eine riesige Ehre, eine solche Bestmarke in einem derart geschichtsträchtigen Sport einzustellen. Noch ist alles sehr surreal.
SPOX: Wie surreal sind Bilder von Ihnen auf Abfahrtslatten?
Hirscher: Da bin ich leider ein Hosenscheißer (lacht). Man kann sich das so vorstellen, wie wenn ein Motocross-Fahrer das allererste Mal auf eine MotoGP-Maschine aufsteigt. Das ist eine Überwindung, gerade vom moralischen Aspekt her. Ich hatte letztes Jahr vor dem ersten Super-G in den USA drei Super-G-Trainingstage - quasi nichts. Die Abfahrer gehen zum Beispiel mit unheimlichem Respekt in die Kitzbüheler Super-Kombination. Für sie ist ein vereister Slalom am Ganslernhang die Hölle, das kann ich nicht nachvollziehen (lacht). Andersrum sind für mich Speed-Wettbewerbe die Hölle. Gibt man zu viel Gas, tut es im Super-G richtig weh.
SPOX: Angst lässt sich durch Routine, durch Praxis befeuern - wollen Sie das überhaupt?
Hirscher: Aus purem Egoismus werde ich nicht den Super-G fahren, um 25. zu werden. Ich ordne das als gesunden Hausverstand ein. Es wäre grob fahrlässig zu sagen, ich haue mich mit aller Gewalt die Piste runter, wenn ich nicht mal weiß, wann ich das letzte Mal auf Skiern über 30 Meter gesprungen bin. Fehlt der Spaß, ist es nicht lässig. Daher werde ich lediglich die Super-Gs fahren, die technisch anspruchsvoll sind, ohne zu lange Gleitpassagen und ohne die hohen Geschwindigkeiten.
SPOX: Ein reiner Technik-Spezialist bleibt vermutlich Felix Neureuther. Glauben Sie wirklich, er greift nach dem Gesamtweltcup?
Hirscher: Wenn es ihm voll aufgeht und er konstant seine Leistung bringt, auf jeden Fall. Dann kann er ordentlich Punkte sammeln. Hoffentlich bleibt er topfit und gesund. Er ist eine Persönlichkeit und wenn er nicht dabei ist, merkt man das. Er bereichert den Skisport.
SPOX: Sie verbindet eine Freundschaft. Wie lässt sich die im Weltcup, im gegenseitigen Streben nach Auszeichnungen konservieren?
Hirscher: Bitte nicht falsch verstehen: Ich habe fünf beste Freunde - Felix ist einer meiner sehr, sehr guten Kollegen. Wir verstehen uns richtig gut und gehen schon mal auf ein Feierabend-Bier, aber wir telefonieren nicht täglich und besprechen unseren gemeinsamen Urlaub (lacht). Die Beziehung wird durch das Skifahren nicht beeinflusst. Wenn wir die Startnummer überstreifen, geht es gegen eine Richtzeit. Wer die aufgestellt hat, ist egal. Im Endeffekt fahre ich nicht gegen Felix, Mario Matt oder sonst irgendwen - ich fahre gegen die Uhr.
SPOX: Bleibt das Zwischenmenschliche im stressigen Winter nicht auf der Strecke?
Hirscher: Die Kontakte zu pflegen, ist problematisch. Drei Stunden später schlafen zu gehen, ist fast zu viel verlangt. Der Weltcup ist on the edge, er ist an der Grenze des körperlich Erträglichen. Somit kommt der Spaß zu kurz. Es bleibt keine Zeit, um wirklich in aller Ruhe gemeinsam auf einen Tag zurückzublicken. Letztendlich obliegt das jedem selbst. Ich trauere der Zeit nicht hinterher und habe nichts versäumt. Ich bin froh, wo ich stehe. Darauf habe ich hingearbeitet, umso schöner ist es, das auszuleben. Powdern kann ich nach der Karriere. In zehn Jahren werde ich nicht mehr im Weltcup sein. Andere sehen das lockerer. Bei mir ist im Winter weniger los.
SPOX: Im Gegensatz zu den Amerikanern: Julia Mancuso ließ sich in Sölden etwa beim Skifahren im Badeanzug ablichten. Ihre Meinung?
Hirscher: (lacht) Was sagen Sie dazu?
SPOX: Sex sells!
Hirscher: (lacht) Es war eine witzige Geschichte. Solche Bilder gehen um die Welt, über den Skisport hinaus. Das kann nur gut sein und findet bei der Jugend Anklang.
SPOX: Ted Ligety zog in Shorts nach - welches Outfit ist von Ihnen zu erwarten?
Hirscher: Hoffentlich das Rote Trikot...