Mehrere deutsche Ruderer bestätigten der Nachrichtenagentur dapd, Drygallas Gesinnung sei ein "offenes Geheimnis" gewesen. Die 23-Jährige tauchte ab. Doch der Fall dürfte für den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) nicht erledigt sein. Erste Politiker hakten bereits nach, warum Drygallas mutmaßliche Verbindungen nicht schon früher zu Konsequenzen geführt haben. Deutschlands Chef de Mission, Michael Vesper, schlug umgehend zurück.
In der Nacht zum Freitag hatte der DOSB offiziell mitgeteilt, dass Drygalla das Olympische Dorf "auf eigenen Wunsch hin" verlassen habe. Grund für diese Maßnahme seien "Erkenntnisse zum privaten Umfeld" der Athletin. Dass es sich dabei ganz offensichtlich um ihre Liaison mit einem Rostocker Rechtsextremisten handelt, wurde zunächst nicht bestätigt.
Dies besorgte am Freitagnachmittag indirekt Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier: Im vergangenen Jahr sei im Ministerium bekannt geworden, dass "auch Personen zum Bekanntenkreis von Nadja Drygalla gehören, die der offen agierenden rechtsextremistischen Szene zugehörig sind", sagte der CDU-Politiker.
"Intensive Personalgespräche" hätten dazu geführt, dass die Athletin zum 30. September 2011 um ihre Entlassung aus dem Polizeidienst bat. Auch in der Sportwelt soll Drygalla schon seit 2011 unter Beobachtung gestanden habe. Der "Bild"-Zeitung sagte Caffier, es habe damals schon Gespräche zwischen ihr, dem Landessportbund und ihrem Verein wegen Kontakte in die rechte Szene gegeben.
Drygallas Gesinnung angeblich ein "offenes Geheimnis"
Unter den Sportlern hatte der Fall auch längst Wellen geschlagen. "Wir haben intern öfter darüber diskutiert, dass wir solche Haltungen nicht tolerieren. Bei ihr war es ein offenes Geheimnis", sagte Carina Bär aus dem deutschen Doppel-Vierer zur politischen Gesinnung ihrer Sportkollegin. Mehrere andere Athleten bestätigten der dapd dies ebenfalls, wollten aber nicht zitiert werden.
Vesper hatte am Donnerstag 90 Minuten mit Drygalla gesprochen und anschließend erklärt: "Sie hat in dem Gespräch keinen Zweifel daran gelassen, dass sie voll und ganz hinter den Werten der Olympischen Charta steht." Die 23-jährige Rostockerin habe sich von der rechtsextremen Szene distanziert. Dies tat sie nach einem Bericht von "Welt Online" auch schon im Olympischen Ruderclub Rostock - nachdem ihr Freund aufgrund seiner Gesinnung ausgeschlossen worden sei. Der Mann soll Medienberichten zufolge führendes Mitglied der Kameradschaft "Nationale Sozialisten Rostock" sein und für die NPD bei der Landtagswahl kandidiert haben.
Dass sie aus dem deutschen Olympia-Team entfernt wurde, legt Skepsis der DOSB-Offiziellen an der Haltung der Sportlerin nahe. "Man kann in einem anderthalbstündigen Gespräch nicht klären, wie sie wirklich denkt", sagte der ehemalige Grünen-Politiker Vesper. Er strebt deshalb nach den Spielen ein weiteres Gespräch mit ihr an. Die Unterredung in London sei "sehr emotional" gewesen.
Drygallas Profil auf der Internetseite des DOSB wurde zwischenzeitlich abgeschaltet, war am späten Nachmittag wieder verfügbar - allerdings ohne Social-Media-Funktion. "Wir mussten das tun, nachdem es so viele beleidigende Kommentare gegeben hatte", sagte DOSB-Sprecher Christian Klaue der dapd.
Erst Recherchen und Berichte im Internet hatten den DOSB auf das Thema aufmerksam gemacht. Das ist zumindest überraschend, da Drygalla schon seit Monaten nicht mehr im Polizeidienst und der Sportfördergruppe des Landes Mecklenburg-Vorpommern war, wie das Innenministerium der Nachrichtenagentur dapd bestätigte.
Im Deutschen Ruder-Verband (DRV) wusste entweder niemand von dem privaten Umgang der Sportlerin oder hat es ignoriert. DRV-Präsident Siegfried Kaidel erklärte in einer ersten Stellungnahme: "Hier wird der Ruf einer Person beschädigt, ohne mit ihr gesprochen zu haben. Es ist schade, dass aufgrund von Mutmaßungen der Sport dermaßen in den Hintergrund rückt." Er kündigte ein Gespräch mit Drygalla an.
Politiker kritisieren DOSB und Vesper kontert
Die Entrüstung aus der Politik ließ nicht lange auf sich warten. Die Linkspolitikerin Petra Pau nutzte den Fall für eine Attacke gegen deutsche Behörden und den DOSB.
"Frau Drygalla wird ein strammer Hang ins Nazi-Millieu nachgesagt. Das ist nicht neu und das war nicht unbekannt. Dennoch wurde sie sportlich von Behörden und Organisationen zur Olympia-Reife gefördert und in das deutsche Vorzeige-Team berufen", erklärte das Mitglied im Fraktionsvorstand.
Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Viola von Cramon warf in der "Leipziger Volkszeitung" die Frage auf, "ob die fördernden Sportverbände im Vorfeld nur ahnungslos waren oder bewusst beide Augen zugedrückt haben". Dies wollte Vesper nicht auf sich sitzen lassen und fragte die Kritiker: "Warum haben sie uns das nicht nach der Nominierung von Nadja Drygalla in die Olympiamannschaft gesagt?"
Gegenüber der "Bild" sagte er weiter: "Wir haben diese Informationen weder von der Athletin, dem Ruderverband oder dem Landessportbund noch von der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern noch von den Medien erhalten." Er hätte es hilfreich gefunden, eine Information aus dem Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern in Schwerin zu bekommen.