SPOX: Frau Fischer, im Vorfeld der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro erschütterte der Ausschluss der russischen Leichtathleten die Sportszene. Weitere Ausschlüsse sind möglich, die einzelnen Verbände müssen entscheiden. Sollten weitere Konsequenzen die logische Folge sein?
Birgit Fischer: Ich habe die Entwicklungen im Radio mitbekommen, mich aber ehrlich gesagt bislang nicht genauer informiert. Ohne deshalb jetzt auf die russischen Sportlerinnen und Sportler einzugehen, steht für mich fest, dass Doping im Sport nichts zu suchen hat. Deshalb müssen Vergehen immer entsprechend geahndet werden. In welcher Form oder Härte dies geschieht, müssen aber allein die Gerichte und die Verbände entscheiden.
SPOX: Ist ein solcher Generalverdacht trotz der Beweise nicht problematisch? Systematisches Doping wird es nicht nur in Russland geben, nicht jeder muss zudem ein Teil davon gewesen sein.
Fischer: Das Thema ist ja nicht wirklich neu und es zieht sich im Endeffekt durch alle Sportarten. Der gesamte Sport wird gerne unter Generalverdacht gestellt. Wenn man die Berichterstattung verfolgt, dann fällt auf, dass viele Siegleistungen praktisch nur mit Doping zu erbringen sein sollen. Diese ganze Entwicklung ist einfach nur traurig. Deshalb habe ich das Gefühl, dass der gesamte Sport durch die andauernden Anschuldigungen, die von den Medien auch nur zu gerne noch gefördert werden, da sich daraus immer eine gute Schlagzeile machen lässt, den Bach herunter geht.
SPOX: Sie verpassten die Olympia 1984 aufgrund des Olympia-Boykotts. Unschuldige Athleten aus Russland erleben nun das gleiche Schicksal. Fühlten Sie sich betrogen?
Fischer: Wissen Sie, so etwas wird es immer wieder geben - auch im gesamten Leben, also abseits des Sports. Wenn man zu Unrecht zu Hause bleiben muss, beziehungsweise Entscheidungen nicht beeinflussen kann, dann ist das aber natürlich im ersten Moment schon sehr hart. Man geht daran aber nicht zu Grunde. Der Sport ist an sich die schönste Nebensache der Welt, einige betreiben ihn allerdings auch ziemlich ernsthaft. (lacht) Es lässt sich deshalb nicht vermeiden, dass man immer wieder in Situationen kommt, die mit Sport leider nichts oder eher wenig zu tun haben.
SPOX: Sie können mit 49 Medaillen (35 Gold, 10 Silber, 4 Bronze) bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften auf eine beispiellose Karriere zurückblicken, sind die erfolgreichste deutsche Olympionikin und Kanutin. Nebenbei gelingt das wohl eher weniger.
Fischer: Das stimmt, ist aber gar nicht so kompliziert zu erklären.Ich habe bereits als kleines Kind mit dem Sport angefangen und hatte eine sehr solide Ausbildung in meinen ersten Jahren. Es wurde sehr umfangreich trainiert, vor allem was die Sportarten betrifft. Ich bin damals nicht nur gepaddelt, sondern hatte das Glück, viele Dinge ausprobieren zu dürfen. Die Betreuung war durch gute Trainer und ein entsprechendes Umfeld auch ein wichtiger Faktor. Außerdem habe ich in den ersten Jahren sehr viel über mich selbst gelernt. Ich habe verstanden, wie mein Körper auf diverse Dinge reagiert.
SPOX: Ein besonderes Geheimnis haben Sie also nicht?
Fischer: Letztendlich hatte ich vor allem eines: Spaß. Das hat sich bis heute nicht geändert, deshalb habe ich schließlich das Paddeln zu meinem Beruf gemacht. Spaß ist eine sehr große Sache, wenn man erfolgreich sein und einen Sport sehr lange betreiben will.
SPOX: Liegt der Kanu-Sport nicht auch in Ihrer Familie zumindest etwas in den Genen?
Fischer: Ich denke, dass die Gene schon eine Rolle spielen. Meine Nichte ist ja auch Olympiasiegerin, mein Bruder ist Weltmeister - das alles im Kanu-Rennsport. Die Großeltern und Eltern sind gepaddelt. Es ist sicherlich ein Familiensport. Die Familie ist wichtig, das darf man niemals vergessen. Vor allem in jüngeren Jahren ist die Unterstützung eine Grundlage. Das Kind zum Training fahren, an der Regattastrecke stehen und alles, was sonst noch dazugehört. Das ist nicht immer leicht. Wenn aber alles stimmt, kann man in der Familie Leistungen weitertragen.
SPOX: Hatten Sie vor oder während eines Wettkampfs Rituale zur Leistungssteigerung?
Fischer: Nein. (lacht) Ich habe das im Gegenteil eher vermieden. Ich wollte mich nie auf Rituale oder so etwas wie Maskottchen verlassen, die dann eventuell zu Hause vergessen werden.Das alles bringt im Endeffekt überhaupt nichts. Die Strecken, die wir auf der Welt angesteuert haben, ließen es mitunter auch gar nicht zu. Es waren eigentlich immer andere Bedingungen und man musste deshalb vor Ort schauen und sich anpassen.
SPOX: Sie schienen eine wahre Meisterin der Anpassung zu sein.
Fischer: Die Fähigkeit, sich schnell anpassen zu können, ist essentiell. Ich denke da nur an die Olympischen Spiele in Sydney im Jahr 2000. Dort herrschte reichlich Sturm, womit einige Sportler überhaupt nicht zurechtkamen. Statt sich jedoch anzupassen, haben sie sich dann noch in den Glauben, dass sie nicht zurechtkommen werden, hineingesteigert - und es so noch schlimmer gemacht. Der Schlüssel ist, an sich zu glauben und nicht an etwas anderes.
SPOX: Nicht jeder bringt den Glauben an den großen Wurf mit. Das Motto "Dabei sein ist alles" hört man im Zuge der Spiele jedenfalls immer wieder.
Fischer: Jeder hat eine andere Einstellung zum Sport. Bei mir war es so, dass ich immer, wenn ich an der Startlinie stand, auch gewinnen wollte. Egal, ob es nur ein kleiner Wettkampf war oder die Olympischen Spiele. Das war mein Anspruch an mich selbst. Ich habe zudem viele Medaillen im Team gewonnen und war es deshalb auch meinen Teammitgliedern schuldig, eine entsprechende Einstellung an den Tag zu legen. Man muss einfach gewinnen wollen. Das Training ist die eine Sache, der Wettkampf eine ganz andere. Wenn man dann nicht an sich glaubt, kann die Leistung nicht stimmen. Die Olympia-Touristen, wie sie gerne bezeichnet werden, wird es allerdings immer geben. Ich habe mich da nie dazu gezählt, ich kann auch so reisen oder Urlaub machen.
SPOX: Gewinnen wollen in Rio auch die deutschen Athleten. Was ist im Kanu-Sport drin?
Fischer: In denke, dass in Rio zwei bis drei Goldmedaillen durchaus möglich sein sollten, wenn jeder an sich glaubt. Dennoch muss man über die Jahre beobachten, dass die Masse an Paddlern nicht mehr da ist - und an Leistungsträgern erst recht nicht. Wir fahren dieses Jahr mit einem kleinen Kanu-Team nach Rio. Das ist ein Zeichen dafür, wie schwierig es inzwischen ist, Nachwuchstalente zu finden und in der Spitze mitzufahren.