Johnny Weissmüller war der erste Superstar des Schwimmens. Als erster Mensch überhaupt absolvierte er die 100-m-Freistil in weniger als einer Minute. Seine fünf Olympia-Goldmedaillen und 51 offizielle Weltrekorde für die USA ermöglichten ihm eine Karriere als Hollywoodstar. Er wurde Tarzan, erfand den legendären Urwaldschrei. Was kaum einer weiß: Seine Karriere war ein riesiger Betrug.
Als der in Chicago zum alles gewinnenden Seriensieger aufgestiegene Weissmüller für den Olympiakader der Spiele 1924 in Paris ausgewählt wurde, besaß er die US-amerikanische Staatsbürgerschaft gar nicht. Er sollte sie auch nie erwerben. Stattdessen schwindelte er, um den für die Olympia-Teilnahme dringend benötigten Reisepass zu erhalten.
Wer die Hintergründe verstehen will, muss weit in die Geschichte zurückblicken. Weissmüllers Vorfahren waren Banater Schwaben, ihre Heimat lag im heutigen Rumänien. Erst 1905 emigrierte die dreiköpfige Familie in die USA. Zuerst nach Windber, Pennsylvania, ein Jahr später ließ sie sich in Chicago, Illinois nieder.
Banater Schwaben: Zwischen Österreich und Ungarn
Weissmüller stammte aus dem Banat, der Region um Temeschburg (Timisoara). Nachdem die Habsburger das Osmanische Reich in den Türkenkriegen zurückgedrängt hatten, siedelte der Wiener Hofrat Ende des 17. Jahrhunderts Deutsche aus Süddeutschland, Franken, Hessen, Bayern, dem Elsass und aus Lothringen im teils entvölkerten Donau-Gebiet an, um seine Macht zu festigen. Der Begriff "Donauschwaben" wurde geschaffen.
Als Weissmüller am 2. Juni 1904 zur Welt kam, wurde die deutsche Minderheit unterdrückt. Ungarn hatte das Banat nach der Umwandlung des Kaisertums Österreich in die k.u.k.-Doppelmonarchie im Jahr 1867 erhalten und verfolgte eine strenge Assimilierungspolitik. Jeder Deutsche sollte vollständig magyarisiert werden. "Johann Weißmüller" wurde als "Janos Weissmuller" getauft und ins Kirchenbuch seines Geburtsorts Freidorf (Szabadfalu) eingetragen.
Seine Eltern - der Vater ein Tagelöhner, der sich als Landarbeiter und Fliesenhersteller durchschlug, die Mutter eine Arbeiterin in der lokalen Tabakfabrik - riefen ihren Nachkommen "Hansi". Sie passten nicht in den neuen Staat. Sie sprachen kein Ungarisch, bei ihrer Hochzeit mussten ihnen Erklärungen auf Deutsch gegeben werden.
Emigration in die USA
Fremdherrschaft und Armut ermutigten die Weißmüllers, ihre Heimat zu verlassen - wie so viele Donauschwaben zu dieser Zeit. Die Hoffnung: ein freies, besseres Leben - in Amerika.
Mit 23 Dollar und 50 Cent bestieg die Familie im Januar 1905 ein Dampfschiff in Rotterdam und zog von Ellis Island aus direkt nach Windber, Pennsylvania. Die Überfahrt hatte Johnnys Onkel bezahlt, der Ehemann seiner Tante mütterlicherseits.
Bei ihm starteten die Aussiedler ihr Leben in den USA. Hansis Vater Petrus, der bei der Einreise in die USA in Peter umbenannt wurde, verdingte sich im Bergbau. Der erhoffte Wohlstand, das bessere Leben blieb aus. Schon ein Jahr später zog die Familie weiter nach Chicago, wo sich Conrad Kersch niedergelassen hatte, Johnnys Großvater.
Vater Peter wurde Barbesitzer, er arbeitete in einer Brauerei. Er schlug seine Familie. Er wurde ausgewiesen, kehrte ins Banat zurück und reiste Monate später von Hamburg aus wieder in die USA ein. Um 1918 verließ er die Familie und heiratete neu. Für Johnny war er von diesem Moment an gestorben. Das schrieb er auch so in seine 1964 veröffentlichte Biographie "Water, World and Weissmüller". Dabei starb sein Vater erst 1937 in Chicago.
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Ein Leben in Armut
Mit oder ohne Vater - Armut bestimmte das Leben der Weißmüllers. Johnny brach im Alter von zwölf Jahren die Schule ab. Er verdiente Geld als Liftboy und Page. Drei Jahre zuvor war er an Kinderlähmung erkrankt, sein Arzt gab ihm den Rat Schwimmen zu lernen, das sollte die Heilung fördern. Eine Fügung des Schicksals.
Johnny wurde vom Christlichen Verein Junger Männer (YMCA) entdeckt und gefördert, er konnte so auch im Winter ins Wasser steigen. Coach Bill Bachrach vom Illinois Athletic Club wurde auf ihn aufmerksam. "Schwöre, dass du ein Jahr ohne eine einzige Frage mit mir arbeiten wirst und ich nehme dich auf", forderte er von Weissmüller: "Du wirst gegen niemanden schwimmen. Du wirst ein Sklave sein, mich abgrundtief hassen. Aber am Ende wirst Du vielleicht jeden Rekord brechen, den es gibt."
Eine einzige Niederlage in der ganzen Karriere
Weissmüller fügte sich. Bachrach brachte ihm den "American Crawl" bei, mit sechs Beinschlägen bei zwei Armzügen war Weissmüller im Freistil praktisch unbesiegbar. Bei seinem ersten Wettbewerb, den Freiluftmeisterschaften der Amateur Athletic Union (AAU) gewann er 1922 über 220-yard-Freistil. Nur über 440 Yard zog er den Kürzeren - es war das einzige Rennen seiner gesamten Karriere, das er nicht siegreich beendete.
Den ersten Weltrekord brach Weissmüller mit 17 Jahren, am 9. Juli 1922 schwamm er als erster Mensch die 100 Meter unter einer Minute. Im selben Jahr stellte er Weltrekorde über 150-yard-Rücken und 300-m-Freistil auf. Über 100-, 220- und 400-yard wurde er US-amerikanischer Freiluftmeister, in der Halle siegte er über 100- und 200-yard. Im nächsten Jahr verteidigte er alle Titel und verbesserte seinen 150-m-Rücken-Rekord um 6,8 Sekunden.
Insgesamt sollten es 51 offizielle Weltrekorde während seiner Karriere werden. Die Zahl hätte höher ausfallen können, Weissmüller schluderte: Er versäumte es mitunter, die Rekordprotokolle einzureichen.
Als Bachrach für die Olympischen Spiele 1924 zum Trainer der US-amerikanischen Schwimmer bestimmt wurde, musste Weissmüller mit. Plötzlich bot sich eine Chance, die sein Leben verändern könnte. Eine Gelegenheit, die ihn aus der Armut befreien würde.
Johnny hatte nur ein Problem: Er war kein US-Amerikaner, er war Deutscher.
Der Identitätsdiebstahl des Johnny W.
Der junge Donauschwabe beseitigte die Schwierigkeiten. Er lieh sich die Geburtsurkunde seines jüngeren Bruders. Denn während Johnny als Deutscher in Freidorf das Licht der Welt erblickt hatte, wurde Peter jr. in Pennsylvania geboren und war damit US-Amerikaner.
Die Eltern gaben die nötigen Unterschriften. Den Reisepass erhielt Johann. Sein Name wurde abermals geändert.
Aus Janos, dem magyatisierten Johann, war Peter John geworden. Es wäre schließlich aufgefallen, wenn der Vorname auf der Geburtsurkunde gar nicht im Reisepass aufgetaucht wäre. Im Kirchenbuch von Windber stand lediglich Peter.
Leben mit einer Notlüge
Weissmüller hielt die Lüge aufrecht. Selbst seine Kinder erfuhren erst nach seinem Tod am 20. Januar 1984 in Acapulco, Mexiko davon, dass ihr Vater gar nicht in den Vereinigten Staaten geboren wurde. Die Associated Press dachte zu diesem Zeitpunkt noch, die Familie Weissmüller sei aus Wien nach Amerika eingewandert.
Der Ausnahmeschwimmer mit einer Körpergröße von 1,90 Metern und einem Kampfgewicht von 87 Kilogramm konnte nicht anders als zu lügen. Wie hätte er seinem Land die Wahrheit erklären sollen, nachdem er in Paris Gold über 100-m- und 400-m-Freistil, Bronze mit den Wasserballern und Gold mit der 4x200-m-Freistil-Staffel geholt hatte? Oder als er in den drei folgenden Jahren 15 weitere US-Meisterschaften gewann? Oder nach den Olympischen Spielen 1928 in Amsterdam, als er Gold über die 400-m-Freistil und mit der 4x200-Lagen-Staffel holte?
Hollywood: Wie Weissmüller zu Tarzan wurde
Ein öffentliches Geständnis war für Weissmüller ausgeschlossen. Er war zum Star aufgestiegen. Dieser Umstand ermöglichte ihm seine zweite Karriere - in Hollywood.
Wieder verdankte Weissmüller seine Berufung glücklichen Umständen. Die Metro-Goldwyn-Mayer-Studios (MGM) hatten für ihren Film "Trader Horn" zu viel Material aus dem Urwald gesammelt. Schnell wurde beschlossen, es für einen weiteren Film zu verwenden: Tarzan, basierend auf dem Buch von Edgar Rice Burroughs. Regisseur W.S. Van Dyke hatte eine genaue, aber unrealistische Vorstellung von seinem Hauptdarsteller: "Ich will einen Mann, der jung, stark, gut gebaut halbwegs attraktiv, aber nicht gutaussehend, und ein kompetenter Schauspieler ist." Das Studio castete mehr als 100 Kandidaten, erfolglos.
Erst Drehbuchautor Cyril Hume half weiter. Er nächtigte im selben Hotel wie Weissmüller und sah den Ausnahmeschwimmer am Pool. Das Problem: Weissmüller hatte einen Exklusivvertrag mit einem Bademodenhersteller unterschrieben, der den Kontrakt nicht auflösen wollte. MGM sicherte kurzerhand zu, seine weiblichen Superstars Greta Garbo, Joan Crawford und Jean Harlow für Fotoshootings in Bademode abzustellen. Der Deal war perfekt.
Frauenschwarm trotz Holzschauspiel
"Ich Tarzan - Du Jane" wurde selbst in Deutschland zum geflügelten Wort, auch wenn dieser Satz so im Original nie fiel. Weissmüller wurde zum Frauenschwarm schlechthin. MGM zahlte seiner Ehefrau Bobbe Arnst 10.000 Dollar für die Scheidung, vier weitere Hochzeiten folgten im Laufe der Jahre.
Weissmüller war ein hölzerner Schauspieler, nach 12 Tarzan-Filmen endete seine Karriere ohne weitere große Rollen. Seines fehlenden Talents war sich der fünffache Olympiasieger durchaus bewusst.
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"Es war wie Diebstahl", sagte er einmal: "Es gab Schwimmszenen und ich musste nicht viel sagen. Wie kann ein Typ Bäume hochklettern "Me Tarzan, you Jane" sagen und dafür Millionen bekommen?" Noch mehr Selbstreflexion: "Die Öffentlichkeit vergibt mir mein Schauspiel, weil sie mich als Athlet kennt. Sie wissen, dass ich niemand bin, der andere an etwas glauben lässt."
Eins aber, das konnte Weissmüller: melodisch Schreien. Und spätestens da hätte den US-Amerikanern auffallen können, welcher Nation ihr schwimmender Volksheld zuzuordnen eigentlich angehörte. Als Jugendlicher hatte Johann Weißmüller das Jodeln gelernt. Aus diesen Lauten setzte er den berühmten Tarzan-Schrei zusammen.
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