Auf dem Lindenhügel im Münchner Olympiapark wird derzeit gebaut. Bis 2017 soll eine Gedenkstätte mit musealem Charakter entstehen. Ein Denkmal für die grausigen Ereignisse von 1972, an deren Ende um 12 Tote getrauert wurde. Ein Terrorakt, der sich nicht nur ins Herz der Stadt, sondern der gesamten Olympischen Bewegung eingebrannt hat. Doch der Reihe nach.
Um 4.10 Uhr am Morgen des 5. September 1972 klettern acht Mitglieder der palästinensischen Terrorgruppe "Schwarzer September" über einen Zaun in das Olympische Dorf. Ihr Ziel ist das Appartement in der Connollystraße 31, wo die israelische Mannschaft untergebracht ist.
Sie stürmen mit Maschinenpistolen und Gewehren bewaffnet ins Treppenhaus und von dort aus in die Zimmer. Die Hölle bricht los, es fallen Schüsse. Ringer-Trainer Moshe Weinberg wird ebenso von einer Kugel getroffen wie Gewichtheber Joseph Romano, beide sterben.
Einigen Israelis gelingt die Flucht durchs Fenster oder über die Terrassen. Andere haben keine Wahl und fügen sich. Als sich die Situation erstmals wieder beruhigt, haben die Terroristen noch neun Geiseln in ihrer Gewalt.
Heftige Kritik an der Polizei
Allmählich trudeln die Informationen über die Vorkommnisse im Olympischen Dorf bei der Polizei ein. Doch diese erweist sich als heillos überfordert. "Es war zum Wände hochlaufen", sollte Zvi Zamir, der damalige Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, über den Polizeieinsatz einmal sagen.
Auch Ankie Spitzer, die Frau des im Laufe des Terrorakts ums Leben gekommenen Fecht-Trainers Andre Spitzer, ließ kein gutes Haar am früheren Münchner Polizeipräsidenten Manfred Schreiber und dem bayerischen Innenminister Bruno Merk, die für den Einsatz verantwortlich waren. "Merk und Schreiber hatten keine Ahnung, was sie taten", erklärte Spitzer Jahre später.
"Wir waren von der Munition, vom Recht, aber auch von der Psyche und von der Absicht, die Spiele als friedliebende Spiele eines friedliebenden Deutschlands zu gestalten, überhaupt nicht vorbereitet", sagte der 2015 verstorbene Schreiber.
In der Tat hatte sich Deutschland bewusst dafür entschieden, möglichst wenig bewaffnete Einsatzkräfte am Olympiapark zu platzieren. München sollte die von Adolf Hitler 1936 als Propaganda-Veranstaltung missbrauchten Spiele von Berlin positiv überlagern. Diese Entscheidung sollte sich an diesem Dienstag als einer von unzähligen verhängnisvollen Fehlern erweisen.
Krisenstab in misslicher Lage
Gegen 5.30 Uhr übergeben die Terroristen der Polizei ein Schriftstück mit ihren Forderungen. Sie verlangen die Freilassung von 232 Palästinensern aus israelischen Gefängnissen sowie der deutschen RAF-Terroristen Andreas Baader und Ulrike Meinhof. Die Frist wird für 9 Uhr gesetzt, bald aber um drei Stunden verlängert.
Die israelische Regierung unter Ministerpräsidentin Golda Meir teilt den deutschen Behörden mit, unter keinen Umständen auf die Forderung der Terroristen eingehen zu wollen. Den Entführern wird das natürlich nicht mitgeteilt. "Kein Israeli auf der ganzen Welt wäre jemals seines Lebens wieder sicher gewesen", begründete Meir später ihr Handeln.
In München befindet sich inzwischen der gebildete Krisenstab mit Leiter und Innenminister Merk, Polizeipräsident Schreiber, Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher, NOK-Präsident Willi Daume, IOC-Boss Avery Brundage, Staatssekretär Erich Kiesl und Walther Tröger, Bürgermeister des Olympischen Dorfes, in einer immer komplizierter werdenden Lage. Auch Schreibers Stellvertreter Georg Wolf ist im Einsatz, dem mittlerweile die Koordination des Polizeieinsatzes aufgetragen wurde.
Ersatzgeiseln und Lösegeld abgelehnt
Man geht von über 20 Geiseln aus, außerdem ist nicht klar, um wie viele Terroristen es sich handelt. Mitglieder des Krisenstabes verhandeln immer wieder direkt mit dem deutsch sprechenden Anführer der Terroristen namens Issa und bieten sich sogar als Ersatzgeiseln an, wenn die Israelis freigelassen werden. Ohne Erfolg. Auch der Vorschlag, Lösegeld bereitzustellen, stößt auf taube Ohren.
Die Terroristen drohen immer wieder damit, Geiseln umzubringen. Sie wollen ausgeflogen werden, erst in irgendein arabisches Land, dann konkret nach Ägypten. Doch die Ägypter wollen mit der Sache nichts zu tun haben und erteilen Bundeskanzler Willy Brandt eine Absage. Es bleibt nichts anderes übrig, als die Palästinenser hinzuhalten. Das Ultimatum wird den gesamten Tag über immer wieder verlängert.
In der Folge überschlagen sich die Ereignisse, Krisenstab und Einsatzkräfte sind aus heutiger Sicht katastrophal ausgebildet und leisten sich demzufolge Fehler um Fehler. Qualifizierte Sondereinsatzkommandos - die GSG 9 wird erst als Folge des Attentats von München gegründet - gibt es zu dieser Zeit nur bei der Bundeswehr, doch diese kann nach gültigem Recht nicht eingesetzt werden.
"Dokument deutscher Unfähigkeit"
Dabei hatte man im Vorfeld durchaus einen Terrorakt wie diesen auf dem Zettel. "Ein Freischärlerkommando hat gegen fünf Uhr früh den Zaun des Dorfes überstiegen. Die Eindringlinge haben den Wohnblock der israelischen Mannschaft besetzt. Es wurden Schüsse und Rauch gemeldet."
Dieses Szenario hatte der Münchner Polizeipsychologe Georg Sieber bei der Vorbereitung im Februar 1972 für denkbar gehalten. Auch Schreiber dachte an politische Störaktionen, ließ Siebers Szenario für den Manöverplan aber als "zu unrealistisch" ablehnen.
Brandt sprach später insgesamt gesehen von einem "erschütternden Dokument deutscher Unfähigkeit".
Brundages Vorschlag
Währenddessen macht auch IOC-Boss Brundage keine gute Figur. Der US-Amerikaner sorgt erst nach heftigen Protesten von Zuschauern und Sportlern dafür, dass die Spiele am Nachmittag endlich unterbrochen werden. Zudem bringt der damals fast 85-Jährige im Krisenstab den Vorschlag ein, Täter und Geiseln durch ein schnell wirkendes Betäubungsgas außer Gefecht zu setzen. Die Chemie-Experten der Polizei müssen ihm erklären, dass es so etwas nur im Kino gibt.
Zeitgleich ist das Olympische Dorf noch immer für zu viele Menschen zugänglich. Es tummeln sich 100.000 Schaulustige um den Zaun, das Fernsehen überträgt die Geschehnisse live in alle Welt.
Als die Polizei, teils zur Tarnung mit Trainingsanzügen bekleidet aber gleichzeitig mit Stahlhelmen auf dem Kopf beschließt, das Gebäude zu stürmen, sehen die Terroristen im Fernsehen mit. Man hat es versäumt, den Strom im israelischen Quartier abzuschalten. Die Aktion wird abgebrochen.
Probegang gerät zur Farce
Mittlerweile gehen die Terroristen fest davon aus, mit den Geiseln nach Ägypten geflogen zu werden. Sie sollen mit Hubschraubern zum Flughafen Fürstenfeldbruck gebracht werden. Die Polizei erwägt, auf dem Weg zu den Hubschraubern zuzugreifen. Doch schon der Probegang mit Schreiber, Genscher und Issa gerät zur Farce.
Überall liegen Polizisten sichtbar auf der Lauer. Schreiber ruft in der Angst, jemand könnte die Nerven verlieren und das Feuer eröffnen immer wieder laut, dass es sich nur um einen Probegang handelt. Issa wird nervös und zieht sich wütend zurück.
Die besten Schützen werden nach Fürstenfeldbruck beordert, wo Wolf die Vorbereitung auf den Zugriff plant. Acht Terroristen und neun Geiseln verlassen das israelische Quartier. Erst jetzt wird die genaue Anzahl der Geiselnehmer bekannt. Auf die Idee, diese Info nach Fürstenfeldbruck weiterzuleiten, kommt niemand.
Fünf Scharfschützen für acht Terroristen
Um 22.22 Uhr heben die beiden Hubschrauber ab. Auch der Krisenstab wird nach Fürstenfeldbruck gebracht. Der Plan sieht vor, dass sich als Crew verkleidete Polizisten in einer für die Terroristen vorbereiteten Lufthansa-Maschine aufhalten und zuschnappen. Doch den Beamten wird mulmig, sie haben ein vergleichbares Szenario zuvor noch nie durchgeführt geschweige denn geprobt. Sie bitten, sich aus dem Flugzeug zurückziehen zu dürfen.
"Meiner Einschätzung nach haben die Deutschen nicht die kleinsten Bemühungen unternommen, um Leben zu retten, sind nicht das kleinste Risiko eingegangen", wird Mossad-Chef Zamir später behaupten. Aussagen, wonach Israel einen Einsatz ihrer gut ausgebildeten Spezialkräfte vorgeschlagen habe, dies aber von den Deutschen abgelehnt wurde, sind nicht bestätigt.
In Fürstenfeldbruck angekommen, betreten zwei Terroristen die Lufthansa-Maschine und erkennen die Situation. Nun bleibt der Polizei nur noch die Möglichkeit, die Gangster gezielt auszuschalten. "Feuer frei", erteilt Wolf den Befehl. Das Problem: Es liegen nur fünf Scharfschützen auf der Lauer. Ihnen gegenüber stehen acht Terroristen.
Alle Geiseln sind tot
Es folgt eine wilde Schießerei auf dem Flugfeld, die sich mit Unterbrechungen über 80 Minuten hinzieht. "Wie die Türken hat die Polizei herumgeschossen", wütete der vor Ort weilende Zamir: "Es war unglaublich. Man konnte niemanden dazu bewegen, seine Deckung auch nur für einen Augenblick aufzugeben. Ausgesprochener Dilettantismus."
Gegen 23.30 Uhr verbreitet sich trotz andauernden Feuergefechts die Meldung, die Geiseln seien alle frei. Wie es dazu kam, ist bis heute umstritten. Als wahrscheinlich gilt, dass diese Falschmeldung, die weltweit verbreitet wurde und Angehörige von Opfern kurzzeitig Freudensprünge machen ließ, über das Pressezentrum des Organisationskomitees in die Öffentlichkeit kam.
Die Wahrheit sieht anders aus, alle Geiseln werden im Laufe der Schießerei von Terroristen umgebracht. Nach Weinberg und Romano sind auch Ze'ev Friedman, David Mark Berger, Yakov Springer, Eliezer Halfin, Yossef Gutfreund, Kehat Shorr, Mark Slavin, Andre Spitzer, Amitzur Shapira und der Polizist Anton Fliegerbauer tot. Zudem kommen fünf Terroristen ums Leben.
Trotz der totalen Katastrophe werden die Olympischen Spiele nach einer Zeremonie im Olympiastadion einen Tag später wieder aufgenommen. Brundage ist der Ansicht, dass man sich dem Terrorismus nicht beugen dürfe und verkündet: "The Games must go on."