SPOX: Herr Hanning, Sie haben heftige Kritik an den deutschen Spitzenpolitikern geäußert, weil keiner nach Brasilien reist. Quasi aus Protest sagten Sie eine Einladung ins deutsche Generalkonsulat in Rio ab. Sehen Sie von Seite der Politik einen generell fehlenden Respekt für jeden Sport außer Fußball in Deutschland?
Hanning: Ich habe nichts gegen Fußball. Der Fußball hat seine Berechtigung - und zwar genau in der Art, wie er ist. Für mich ist das Verhalten der Politik unabhängig davon nicht zu akzeptieren, da fehlt es an Respekt vor unseren Sportlern. Wenn man nicht mal bei Olympia diesen Respekt entwickelt - ja wann denn dann? Ich musste das einfach mal sagen. Denn wenn du es nicht sagst, dann bekommst du es auch nicht verändert. Ich verstehe Angela Merkels Absage zu 100 Prozent. Wenn Joachim Gauck krank ist, akzeptiere ich das natürlich auch. Selbst wenn sich Thomas de Maiziere um andere Dinge kümmern muss - okay. Dann kann Ursula von der Leyen kommen. Irgendjemand hätte jedenfalls kommen müssen. Stattdessen wurde gesagt: Fahrt zwei Stunden ins Generalkonsulat. Da bin ich konsequent, da fährt kein Handballer von uns hin.
SPOX: Sie werden sich wegen dieser Angelegenheit kaum die Spiele verderben lassen. Also: Wie empfinden Sie für sich persönlich das Leben im Olympischen Dorf?
Hanning: Es ist eine absolut schöne Herausforderung. Ich genieße jeden Tag, versuche - auch wenn ich zu Hause 100 Quadratmeter mehr habe, um mich zu bewegen - es mir trotzdem gemütlich zu machen. Im deutschen Haus, in einer großen Familie zu sein, den Kontakt zu den anderen Sportlern zu haben, das ist überragend. Klar herrscht hier jeden Tag Kindergeburtstag, aber es macht auch Spaß, dabei zuzuschauen.
SPOX: Sind Sie schon großen Stars über den Weg gelaufen?
Hanning: Novak Djokovic haben wir beim Essen getroffen, Usain Bolt haben wir gesehen. Das Schöne ist aber vor allem der Kontakt mit den anderen Sportlern aus Deutschland.
SPOX: Inwiefern?
Hanning: Die Wahrheit ist, dass wir vom DHB mehr ausländische Handballer kennen als deutsche Athleten. Sich da kennenzulernen, ist einfach schön. Ich war beispielsweise bei einem Spiel der Hockey-Männer und durfte im Mannschaftsbus mitfahren. Diese tollen, intelligenten Jungs zu erleben, mit ihnen unterwegs gewesen zu sein - alleine deshalb hat sich für mich Olympia schon gelohnt. Außerdem nimmt man auch immer was für die eigene Sportart mit, wenn man sich mit Trainern aus anderen Bereichen unterhält.
SPOX: Und alle Trainer haben bei Olympia das gleiche Problem, weil die Ablenkung größer ist als bei einer WM oder EM. Inwiefern fällt Ihnen das bisher auf?
Hanning: Olympia ist wirklich mit nichts zu vergleichen. Bei einer EM oder WM liegt die Konzentration ausschließlich auf den Spielen, alles dreht sich um Handball. Hier sind wir an so viele Dinge gebunden, die wir nicht selbst bestimmen können. Nach dem Polen-Spiel sind wir zum Beispiel mit der Mannschaft zum Essen gegangen. Mit dem Transport hat es überhaupt nicht geklappt, anstatt um 19 Uhr waren wir erst um 21 Uhr im Restaurant. Du kannst nur die Herausforderung annehmen und Freude an dieser Herausforderung haben. Man kann Herausforderungen als Gegen- oder als Rückenwind verspüren. Wir wollen sie als Rückenwind verspüren.
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SPOX: Bei der Herangehensweise gibt es große Parallelen zur EM.
Hanning: Genau. Da haben wir selbst nach den großen Verletzungsproblemen gesagt, dass wir versuchen wollen, Spaß an der Situation zu finden. Je kniffliger sie ist, desto spannender ist es, sie zu lösen.
SPOX: Sind Bundestrainer Dagur Sigurdsson, Teammanager Oliver Roggisch und Sie bei Olympia noch wachsamer, was die Mannschaft angeht, weil die Gefahr besteht, dass manche Spieler ausbrechen?
Hanning: Wir sind immer wachsam. Aber nicht in dem Sinne, dass wir die Spieler überwachen oder so. Die brauchen keinen Aufpasser an ihrer Seite. Die wissen, worum es geht. Klar haben die Jungs auch mal Blödsinn im Kopf. Aber wir versuchen die Dinge, die nicht gut laufen, eher zu kommentieren und dabei positiv bleiben.
SPOX: Wer sich ein bisschen mit Handball beschäftigt, stolpert zwangsläufig über Geschichten von DHB-Teams bei früheren Olympischen Spielen. Da ging es längst nicht immer gesittet zu. Ist es eine Frage der Generationen, sind die heutigen Spieler einfach professioneller?
Hanning: Nein, das glaube ich nicht. Die Spieler heute müssen genauso geführt werden wie die damaligen auch. Natürlich sind auch die heutigen Spieler junge Menschen, für die du nicht ständig die Hand ins Feuer legen kannst. Dagur arbeitet trotzdem sehr viel mit Eigenverantwortung und fährt damit sehr gut. Mittlerweile wissen die Jungs doch auch: Wenn was passiert, dann waren das ihre letzten Olympischen Spiele, vielleicht ihr letztes Turnier überhaupt. Dafür ist die Auswahl an Spielern für die Nationalmannschaft mittlerweile einfach zu groß. Wir haben ja 16 neue Stars kreiert und jetzt kommen noch weitere Spieler dazu. Wir haben also einen relativ großen Pool, aus dem wir auswählen können. Das kann uns für den großen Traum, 2020 Olympiasieger zu werden, noch sehr helfen.