Iron Brain

Sebastian Kienle gewann auf Hawaii im dritten Anlauf
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Wie er schnell er bei seinem Sieg gelaufen war, wusste Sebastian Kienle zu diesem Zeitpunkt nicht - und es war ihm auch ziemlich egal. Im Gegensatz zu fast allen anderen Triathleten trägt er im Wettkampf weder ein Pulsmessgerät noch eine Uhr. Er verlässt sich ganz auf seine mentale Stärke.

Die kommt besonders zum Tragen, wenn er seine gefürchtete Aufholjagd beginnt. Kienles Schwimmzeiten sind im Vergleich nicht mehr als mittelmäßig, sein Vorteil liegt auf der Radstrecke. Bei jedem Wettkampf steigt er mit einem Rückstand von mehreren Minuten auf die Spitzengruppe aus dem Wasser, nur um dann im Sattel an seinen Konkurrenten vorbeizuziehen und die Führenden - zu einem meist selbst gewählten Zeitpunkt - einzuholen.

Aber Kienle fährt nicht einfach nur vorbei. "Wenn ich angreife, kommt es darauf an, wie ich das tue", sagte er im Gespräch mit der "FAZ": "Das Ziel ist, bei den anderen nicht nur einen körperlichen Schaden zu hinterlassen, sondern auch einen mentalen."

Das klingt härter als es vielleicht gemeint ist, aber ein Ironman ist nicht nur ein Kampf gegen die Uhr, sondern neben der körperlichen Herausforderung auch ein Kampf gegen die eigene Psyche. Nur wer es über acht Stunden schafft, den Fokus nicht zu verlieren, hat am Ende die Chance, ganz oben zu stehen - so wie Sebastian Kienle.

Der perfekte Plan

"Ich wusste, dass ich dazu in der Lage bin. Man kann so etwas schon ein bisschen kommen sehen", gab der strahlende Sieger bei einem US-Radiosender zu Protokoll: "Es war jetzt nicht so, dass ich dachte: 'Mein Gott, wie konnte das passieren?'"

Sebastian Kienle hatte einen Plan - und dieser Plan ist perfekt aufgegangen. Und doch ist er kein Perfektionist. Es ist der Ehrgeiz, der ihn antreibt. Der Ehrgeiz, besser zu sein als die anderen. Zusammen mit einem Radhersteller entwickelte er sein eigenes Bike - das erste Rennrad mit integriertem Lager- und Trinksystem. Anfangs wurde er dafür noch von der Konkurrenz belächelt, aber die Zeiten sind lange vorbei.

Ein lukratives Hobby

Auch wenn sich Sebastian Kienle seinen großen Traum erfüllt hat, Triathlon ist für ihn noch immer mehr Hobby als Beruf - ein ganz schön lukratives Hobby.

Dank des Sieges in Kona muss er sich um sein Auskommen erst einmal keine Sorgen machen: Mit Preisgeldern, Sponsorenboni sowie durch die folgenden Verträge und Stargelder kommen rund eine Million Euro zusammen. Und das alles ohne Verband, ohne externe Organisatoren. Sebastian Kienle ist sein eigener Herr und er genießt es.

Apropos Genuss: Der darf auch bei Kienle trotz des harten Trainingsprogramms nicht zu kurz kommen - auch hier unterscheidet er sich von manch anderem Hochleistungssportler. Kienle legt viel Wert auf das Drumherum, auf das Leben neben dem Sport. Den nimmt er ernst, aber er kasteit sich nicht: Ein Burger und ein Glas Wein müssen ab und zu drin sein, sagt er.

Noch lange nicht leise

Inzwischen hat Kienle auch wieder ein Studium aufgenommen. An der Hochschule in Ansbach studiert er "Internationales Management", teilweise vor Ort, teilweise aus der Ferne. Er denkt bereits an die Zeit nach dem Sport, aber der Sieg auf Hawaii bedeutet für Sebastian Kienle noch längst nicht das Ende seiner Motivation, auch wenn er sich nun ein neues langfristiges Ziel suchen muss.

2015 steigt die WM 70.3 im österreichischen Zell am See und gastiert damit erstmals in Europa. Dort will sich Kienle den Titel über die Mitteldistanz zurückzuholen und schickte bereits kurz nach seinem großen Triumph lachend eine Kampfansage an Javier Gomez, den aktuellen Champion: "Du solltest besser anfangen zu trainieren, wenn du mich schlagen willst."

Da ist sie wieder, die mentale Stärke. Schon jetzt bringt er sich in die Köpfe seiner Gegner - eine Taktik, die Sebastian Kienle perfekt beherrscht und die ihm 2014 half, als vierter Deutscher der Geschichte den legendären Ironman auf Hawaii zu gewinnen.

Mit seinen 30 Jahren ist Sebastian Kienle noch einer der Jungspunde in der Weltklasse und wenn Körper und Geist weiterhin mitmachen, wird die Konkurrenz auch in den nächsten Jahren einen ängstlichen Blick über die Schulter werfen, sobald der König von Kona auf der Radstrecke angeflogen kommt.

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