Beim Blick auf die Homepage von Sebastian Kienle fällt auf, dass etwas nicht stimmt. Das Update ist noch nicht erfolgt. Als langfristiges Ziel steht dort immer noch dieselbe Formulierung wie vor einigen Jahren: "Hawaii gewinnen".
Hinter genau diesen Punkt kann der 30-Jährige aus Mühlacker bei Pforzheim seit diesem Jahr einen Haken setzen. Am 11. Oktober erfüllte sich Sebastian Kienle seinen großen Traum und triumphierte beim Ironman auf Hawaii, einem der härtesten Sportevents der Welt.
8 Stunden, 14 Minuten und 16 Sekunden benötigte Kienle für die Strecke von 3,86 km im Ozean, 180,2 km auf dem Rad und 42,195 km zu Fuß und sicherte sich damit nach dem EM-Sieg im Sommer auch den Weltmeistertitel über die Langdistanz. Vor ihm hat das noch kein Triathlet geschafft.
Doch der Weg zum Triumph auf Big Island war alles andere als vorgezeichnet. Fußball und Faustball waren Kienles bevorzugte Sportarten in der Jugend, in denen er nach eigener Aussage aber weder gut noch erfolgreich war. Die folgenschwere Begegnung mit dem Triathlon ging auf einen Sommerurlaub bei seinen Großeltern zurück - einen besonders langweiligen Sommerurlaub.
Zeitungsanzeige als Initialzündung
Smartphones und Tablets waren noch Zukunftsmusik und sein Vater hatte die rettende Idee. In der Zeitung las er von einem Triathlon-Event in der Region und nahm den 12-jährigen Sohnemann zum Zuschauen mit - ein Event, das das Leben von Sebastian Kienle prägen sollte.
"Das hat mich so fasziniert, dass ich schon am nächsten Tag an meinem Mountainbike die Hörner nach unten gedreht habe, um einen Rennlenker zu haben", erzählte Kienle Jahre später in einem Interview. Noch in den Ferien hatte er seine Entscheidung getroffen und bereits zwei Wochen später war er Mitglied im nächstgelegenen Triathlon-Verein.
Wieder so ein glücklicher Zufall, denn der TV Brettern war gleichzeitig der Heimatklub von Thomas Hellriegel, dem ersten deutschen Ironman-Sieger auf Hawaii. Von da an brauchte Kienle keine zusätzliche Motivation fürs Training mehr.
Priorität Studium
Den Sport zum Beruf zu machen, das stand für Sebastian Kienle lange Zeit gar nicht zur Debatte. Er ging nach Karlsruhe und konzentrierte sich auf sein Physikstudium, nebenbei wurde er Deutscher U-23-Meister über die Kurzdistanz und machte durch Siege im Cross-Triathlon (Schwimmen, Mountainbiking, Cross-Lauf) auf sich aufmerksam.
Der größer werdende Erfolg stellte ihn bald vor eine Entscheidung: All die Wettkämpfe und Reisen parallel zum Lernen in Hörsaal und Bibliothek? Das ging nicht mehr. Kienle wagte den riskanten Schritt, verließ die Uni nach dem Vordiplom und verschrieb sein Leben dem Triathlon.Die Mitteldistanz wurde zu seinem Steckenpferd und bei der 70.3-Serie über die halbe Ironman-Strecke legte Kienle eine erstaunliche Entwicklung hin: Aus Teilnahme-Urkunden wurden bald Podestplätze, aus Podestplätzen wurden Siege.
Paukenschlag in Roth
Über das Langzeit-Debüt von Sebastian Kienle wird auch heute, viere Jahre später, immer noch gesprochen. Mit 7 Stunden, 59 Minuten und 6 Sekunden über die Ironman-Distanz legte er das schnellste Neulings-Rennen aller Zeiten hin und wurde auf Anhieb Zweiter bei der renommierten Challenge Roth. Die Weltelite horchte auf.
Während Kienle in der Mitteldistanz einen Konkurrenten nach dem anderen hinter sich ließ und 2012 und 2013 auf der 70,3 Meilen langen Strecke Weltmeister wurde, schindete er sich härter als jemals zuvor, um sich seinen großen Traum - den Sieg auf Hawaii - zu erfüllen.
Aber die Langdistanz ist eine andere Nummer. Beim ersten Start auf Big Island vor zwei Jahren wurde Kienle zwar auf Anhieb Vierter, aber danach streikte sein Körper und die Verletzungen häuften sich: Mit einem Außenbandriss im Sprunggelenk, einer bakterielle Infektion und wiederkehrenden Knieproblemen musste er dem harten Training Tribut zollen.
Comeback zur rechten Zeit
Dass er dennoch bis zum Oktober wieder fit wurde und in Kona Rang drei erkämpfte, war das Ergebnis von "mentaler Leidensfähigkeit" wie er es in einem Interview mit der "FAZ" ausdrückte: "Mich hat das mehr gekickt als viele Siege vorher, die mir leicht von der Hand gegangen sind. Ich habe gelernt, dass ich mich weiter pushen kann, als ich es je für möglich gehalten hätte."
Und Sebastian Kienle pushte sich. 2014 wurde er noch einmal schneller, stellte beim Ironman-Sieg in Frankfurt eine persönliche Bestzeit auf und wurde Europameister. Dass er seinen WM-Titel über die Mitteldistanz nicht verteidigen konnte - geschenkt.
Sein Jahr war komplett auf den Erfolg auf Big Island ausgerichtet. Und Kienle überließ nichts dem Zufall: Bereits fünf Wochen vor dem Start flog er nach Hawaii und zog mit seinem langjährigen Trainer Lubos Bilek ein eisenhartes Programm durch.
Der Lohn folgte am 11. Oktober. Um 14:39 Uhr Ortszeit überquerte Sebastian Kienle in Kona als Erster die Ziellinie und sank vor Erschöpfung und Überwältigung auf den Boden. Jubelschreie wechselten sich mit Kopfschütteln ab - er konnte seinen Triumph selbst kaum fassen.