Jeder Heisman-Gewinner hat einen Heisman-Moment. Marcus Mariotas Heisman-Moment umschreibt ihn wohl ziemlich perfekt und kam im dritten Viertel gegen Michigan State. Ein Spiel, das die Oregon Ducks am Ende mit 46:27 klar für sich entscheiden. Doch zu Beginn des dritten Viertels steht es 27:18 für die Spartans, die gerade 20 Punkte in Serie erzielt haben.
Bei 3rd and 11 steht Mariota in der Pocket unter heftigem Beschuss, doch es gelingt ihm, gleich drei blitzenden Linebackern auszuweichen. Dann rollt er aus der Pocket und wirft einen Shovel-Pass zu Running Back Royce Freeman, der nicht nur zum First Down läuft, sondern die Seinen auch noch in Position bringt für den Touchdown (ein 24-Yard-Pass von Mariota auf Devon Allen), der fünf Spielzüge später folgt und die Aufholjagd startet.
Es ist erst das zweite Saisonspiel, in dem Überraschungen immer möglich sind. Doch der Quarterback bleibt cool, wirft am Ende für 318 Yards und drei Touchdowns und hält damit sein Team auf Kurs.
National Championship
Diese frühe Bewährungsprobe legte den Grundstein für den Run der Ducks, der bis zum ersten Finale der neuen College Football Playoffs geführt hat. Im Halbfinale wurde der letztjährige nationale Meister, Florida State, nicht nur geschlagen, sondern mit 59:20 regelrecht vernichtet. Besonderer Fokus in diesem Spiel lag freilich auf dem Vergleich mit dem letztjährigen Heisman-Gewinner Jameis Winston, der schon seine Teilnahme am NFL-Draft 2015 verkündet hat.
Mariota warf zwar eine für ihn untypische Interception, zuvor waren es nur zwei in 372 Pass-Versuchen im ganzen Jahr, doch insgesamt spielte der QB gewohnt souverän, verbuchte zwei TD-Pässe und lief einmal selbst in die Endzone. Mit diesem Erfolg hat Oregon nach 2010 wieder die Chance, die erste nationale Meisterschaft in der Geschichte der Schule zu erringen.
Gegen Ohio State, das überraschend Alabama ausgeschaltet hatte, geht das Team von Head Coach Mark Helfrich als Favorit ins Rennen. Zu groß war die Ansage gegen FSU, hier nun etwas anderes anzunehmen. Aber Sieg oder Niederlage, Mariota wird in jedem Fall ein Teil der Geschichte der Ducks bleiben. Eine Geschichte, die mit dem ersten Heisman-Erfolg und vielleicht dem ersten nationalen Titel ein rundes Ende findet.
Liebe auf den ersten Blick
Den Anfang der Story findet man hingegen im Sommer 2010. Damals nahm der zweite Läufer der 4x100m-Staffel der katholischen St. Louis School (Hawaii), die sogar State Champion wurde, am Sommer-Camp der University of Oregon teil und machte direkt Eindruck. So viel gar, dass Helfrich, damals noch Offensive Coordinator unter Head Coach Chip Kelly, wenig später einen Trip nach Hawaii unternahm, um den Quarterback im Training näher zu beobachten.
Damals war Mariota noch kein Star-Footballspieler. Er rannte zwar den 40-Yard-Dash in nur 4,48 Sekunden, aber im Footballteam saß er bis dahin nur auf der Bank. Und dennoch war Helfrich schon früh überzeugt vom angehenden Senior, dass er sich mit Kelly kurzschloss und Mariota direkt ein Stipendium anbot.
Im seinem letzten High-School-Jahr startete er schließlich und führte sein Team zu einer 11-1-Bilanz samt State Championship. Auch damals war schon zu erkennen, dass er wenig Fehler macht, warf er doch neben 32 Touchdown-Pässen nur fünf Interceptions.
Mariota erhielt obendrauf mehrere individuelle Auszeichnungen und erweckte das Interesse von insgesamt zehn Colleges, doch nur zwei boten ihm Stipendien an - Memphis und Oregon. Vom High-School-Spieler-Bewertungsspezialisten "Scout" erhielt er drei Sterne, während ihm "Rivals" gar vier Sterne zuschrieb, bevor er sich für die Ducks entschied.
Das komplette Paket
Bei den Ducks begann der Quarterback dann als Redshirt und schaute zu, wie QB Darren Thomas die Ducks zum Rose-Bowl-Erfolg, dem ersten BCS-Triumph in der Geschichte der Schule, führte. 2012 übernahm Mariota und wurde damit der erste Freshman-QB seit 22 Jahren, der für die Ducks startete. Am Ende stand ein Sieg im Fiesta Bowl.
Was den heute 21-Jährigen ausmacht, zeigte sich derweil beim Sieg über Arizona State. Da nämlich gelangen ihm schon in der ersten Halbzeit drei Touchdowns - einer per Pass, einer auf dem Boden und dann erzielte er auch noch einen TD-Catch. Das komplette Paket!
In den zwei folgenden Jahren schaffte es Mariota, seine Statistiken stetig und durch die Bank zu verbessern. Zum Bespiel wurde er zum ersten Spieler seiner Schule, der es auf über 4000 Yards insgesamt (Pass und Run) brachte. 2014 steigerte er den eigenen Rekord abermals.
Bemerkenswert bleiben jedoch besonders seine Interception-Zahlen. Obwohl sich seine Passversuche pro Jahr gesteigert haben, gingen die Pick-Zahlen runter: Von sechs (2012) über vier (2013) bis zu drei (2014) vor dem Playoff-Finale. Besonders seine Saison 2014 ließ dann auch keinen anderen Heisman-Gewinner mehr zu mit 4121 Yards, 41 TD und 3 INT durch die Luft und 731 Yards (15 TD) auf dem Boden.
Ohana
Höhenluft bekommt Mariota deswegen aber noch lange nicht. Der stolze Hawaiianer strebt in seiner Persönlichkeit nach seinem Vater Toa, der als sehr ruhig und introvertiert gilt. Wie Marcus, für den Familie das allerwichtigste ist. In seiner Heisman-Rede, dem für ihn "härtesten Teil" der gesamten Saison, erklärte er: "'Ohana' bedeutet 'Familie'", und fuhr fort: "Wenn in Hawaii einer Erfolg hat, dann hat der gesamte Bundesstaat Erfolg. Ein Teil davon zu sein, ist etwas Besonderes."
"Jeder hat ihn quasi als seinen Sohn adoptiert", so die deutschstämmige Alana Deppe-Mariota, seine Mutter. Bester Beweis dafür: Die Einwohner von Honolulu tragen häufig Mariotas Oregon-Trikot mit der Nummer 8 und versammeln sich für Spiele der Ducks vorm TV.
Mariota ist generell ein liebenswerter Kerl, der sich als Freiwilliger im "Boys & Girls Club" in Eugene/Oregon engagiert und der im Gegensatz zu den letzten Heisman-Gewinnern wie Johnny Manziel oder Jameis Winston ohne jegliche charakterliche Fragezeichen daherkommt. Ein Musterknabe, der während des Manning-QB-Camps abends lieber an seinem Studium bastelt, anstatt mit den anderen Teilnehmern feiern zu gehen.
Auf dem Feld und außerhalb sorgte er indes für großen Eindruck bei Quarterback-Coach Vinnie Passas, der ihn schon auf der High School trainiert hatte und ihm dann im Manning-Camp wiederbegegnete. "Ich danke dem Herrn immer noch täglich, dass sich unsere Wege gekreuzt haben", so Passas gegenüber der "New York Times". Mariota sei der Quarterback, den er als ideales Vorbild für seine Schüler ansieht.
Top-Pick im Draft?
Ein Vorbild, dessen Weg vorgezeichnet scheint. Mariota ist ein Redshirt-Junior, könnte also noch ein Jahr in Oregon bleiben. Aber er hat bereits Ende des letzten Semesters seinen Bachelor in "General Sciences" gemacht und damit sein Hauptziel auf akademischer Ebene erreicht. Das gepaart mit der Heisman-Trophäe macht es fast schon offiziell, dass er sich in wenigen Tagen zum NFL-Draft anmeldet.
Dann wird die Diskussion beginnen, wer ihn denn wann ziehen wird. Die frühen Analysen der Scouts und (Pseudo-)Experten ergeben, dass es ein Zweikampf wird zwischen ihm und Winston, wobei letzterer eher als Pocket-Passer agiert, während Mariota deutlich mobiler daherkommt. Auch Winstons Charakter wird infrage stehen.
Über Mariota wird man dagegen hören, dass viele seiner Pässe risikolos sind und er zum Beispiel im Rose Bowl in der ersten Hälfte meist nur kurze Pässe (Screens und Checkdowns) geworfen hat. Darüber hinaus dürften die wenigen Interceptions auch ein Produkt von Kellys/Helfrichs System sein. Und dann wäre da noch die Verletzungsanfälligkeit der mobilen Quarterbacks, man schaue nur auf Michael Vick oder Robert Griffin III.
RGIII wird auch der Maßstab sein, wenn es darum geht, ob Tampa Bay, das den ersten Pick im Draft innehat, selbigen traden möchte. Es gibt einige Teams, die gerne einen dieser beiden Quarterbacks hätten, im Draft aber zu tief positioniert sind.
Griffin reloaded?
Die Bucs könnten mit dem ersten Pick Mariota oder Winston ziehen und eine starke Kombo zusammen mit Wide Receiver Mike Evans aufbauen, die sie wohl auf Jahre hinweg konkurrenzfähig machen würde - theoretisch jedenfalls.
Oder sie könnten angesichts des ohnehin schon vorhandenen Mike Glennon auf diesen setzen und den Weg der St. Louis Rams gehen, die es vor ein paar Jahren den Washington Redskins ermöglicht hatten, RGIII mit dem zweiten Pick im Draft 2012 zu ziehen. Im Gegenzug erhielten die Rams unter anderem drei Erstrunden- und einen Zweitrundenpick aus der Hauptstadt, mit denen sie ihr Team im Grunde renoviert haben.
Ein ähnlicher Ertrag, vielleicht sogar höher, dürfte nun auch für die Bucs möglich sein. Beide haben auf dem College ähnlich gespielt, wobei Griffin freilich noch häufiger selbst gelaufen ist. Aber Mariota hat wohl den präziseren Wurf und noch kein repariertes Kreuzband.
QB-Prototyp für die Eagles
Ein Team, das besonders interessiert sein dürfte, sind außerdem die Philadelphia Eagles, die 2014 die Playoffs wohl nur aufgrund des Quarterbacks verpasst haben. Nick Foles fiel im Endspurt aus, Mark Sanchez musste ran, der am Ende eben doch Mark Sanchez war. Doch auch Foles überzeugte bis zu seinem Ausfall nur bedingt, Mariota wäre der prototypische QB in Kellys Offense, zudem kennen sich beide sehr gut.
Kein QB dürfte das Tempo dieser Spielweise so effizient umsetzen können wie eben Mariota, sowohl mental als auch physisch. Es gibt natürlich Quarterbacks, die die athletischen Voraussetzungen mitbringen, aber denen fehlt vielleicht die Gedankenschnelle.
Und dann gibt es Masterminds, die einfach zu langsam mit den Beinen sind. Mariota vereint dagegen beides. Die Frage bleibt allerdings, ob dies auch auf NFL-Tempo zu übertragen ist, woran es bei vielen scheitert. Aber wenn nicht er es schafft, wer dann?
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