Zehntes Inning im Heimspiel der Minnesota Twins gegen die Boston Red Sox. Es ist ein Sonntagnachmittag, Mitte Juni. Rookie-Outfielder Max Kepler tritt gegen Matt Barnes an die Platte, nachdem er im Spiel bis dahin in vier At-Bats jeweils ausgemacht worden ist. Dieses Mal jedoch trifft der 23-Jährige den Ball mit zwei Läufern auf Base richtig hart - und befördert ihn über den Zaun im Right Field. Walk-Off-Homerun! Die Twins gewinnen. Überdies ist es Keplers erster Homer überhaupt in der MLB.
"Ich habe meinen Kopf beim Lauf zur ersten Base unten gehabt. Als ich dann nach oben schaute, sah ich, dass es ein Homerun war", schilderte der Twins-Rookie im Anschluss seine Premiere: "Ich dachte nur: War ich das wirklich?"
Es ist ein Beispiel für seine bodenständige Art. Wo andere mit Sprüchen in den Medien und mit Bildern und Videos via Social Media auf sich aufmerksam machen, hat der junge Deutsche nicht mal einen Twitter- oder Facebook-Account. Er konzentriert sich auf das Wesentliche.
Kepler überholt Buxton
In den letzten zwei Jahren galt Center Fielder Byron Buxton eigentlich bei allen Scouts und Nachwuchs-Experten als größtes Talent in der Organisation der Minnesota Twins. Doch der Top-Athlet kam bislang in dieser Saison noch nicht richtig in Tritt und wurde sogar für ein Weilchen in die Minor Leagues zurückversetzt. Kepler wurde von Baseball America, den Obergurus in Sachen Talente-Rating, an Position drei des Twins-Farmsystems für 2016 gehandelt, was immer noch eine große Auszeichnung ist.
Anders als Buxton musste der gebürtige Berliner aber die Saison in den Minors beginnen. Nach der Verletzung von Miguel Sano kam die Berufung in den MLB-Kader, über ein paar Einsätze, meist von der Bank, kam er jedoch nicht hinaus und ging wieder runter. Doch nachdem er dann erneut ins MLB-Team geholt wurde, hat es irgendwann Klick gemacht. In nun 50 Spielen kommt er auf neun Homeruns und 34 Runs-Batted-In bei einem jedoch überschaubaren Schlagdurchschnitt von schlanken .231, was mit einer OPS (On-Base-Plus-Slugging-Percentage - ein Maß, um die Qualität der Auftritte an der Platte zu messen) von .787 aber zu verschmerzen ist.
Die Zahl der Homeruns über einen verhältnismäßig kleinen Zeitraum ist besonders beeindruckend, wenn man bedenkt, dass er bisher eher nicht als Power-HItter bekannt war. In der gesamten Saison 2015 brachte er es in den Minor Leagues auf ganze neun Long Balls insgesamt. Dennoch wurde er zum Southern League Player of the Year gewählt und gewann mit Double-A Chattanooga auch die Meisterschaft.
Sportskanone durch und durch
Dass aus Maximilian Kepler-Rozycki, wie er richtig heißt, mal ein Spitzensportler werden würde, zeichnete sich indes schon früh ab. Seine Eltern, Kathy Kepler und Marek Rozycki, waren beide professionelle Balletttänzer und tanzten in derselben Balletttruppe in Berlin. Seine Mutter stammt aus San Antonio/Texas, während der Vater Pole ist.
In seiner Jugend war Kepler schon eine ausgesprochene Sportskanone, die in gleich drei Sportarten aktiv war. Mit sieben Jahren bereits wurde ihm ein Stipendium der Steffi Graf Tennis Foundation angeboten, doch er wollte lieber Baseball spielen. Zudem war er in der Jugend im Fußball bei Hertha BSC aktiv.
"Wenn ich keine Scheiße baue ..."
Seine Baseballfertigkeiten erlernte er zunächst an der John F. Kennedy School in Berlin und dann auf der St. Emmeram Academy in Regensburg, wo er sich anschließend den Buchbinder Legionären anschloss und Bundesliga spielte.
2009 verpflichteten ihn schließlich die Twins, deren Scout Andy Johnson ihn bereits im Alter von 14 Jahren bei einem internationalen Juniorenturnier entdeckt hatte. Kepler bekam einen Signing Bonus in Höhe von 800.000 Dollar, was damals Rekord für einen in Europa geborenen MLB-Spieler war.
Entsprechend selbstbewusst ging er das Abenteuer dann auch an. Damals sagte er im SPOX-Interview treffend: "Wenn ich viel trainiere und keine Scheiße baue, glaube ich, dass ich es packen kann." Das hat sich wohl bewahrheitet.
Grand Slam gegen Rangers
Sein Walk-off-Homerun gegen die Red Sox war allerdings nur der Anfang und ließ den Knoten platzen. Ein weiteres großes Highlight dürfte auch der Grand Slam gegen die New York Yankees ein paar Wochen später gewesen sein. Die Twins schafften einen Kantersieg und der Deutsche sorgte für das i-Tüpfelchen.
Geschichtsträchtig war darüber hinaus auch sein Auftritt gegen die bis dahin richtig heißen Texas Rangers Anfang Juli. Beim Kantersieg über die Texaner schlug er zwei Homeruns und schlug insgesamt sieben Runs selbst nach Hause, was einen Rookie-Rekord für die Twins bedeutete. "Die Dinge sind heute Nacht einfach ganz gut in meine Richtung gelaufen. So ist Baseball", gab sich der Right Fielder aber anschließend eher bescheiden.
Kurz nach dem All-Star-Break war er es erneut, der einen Twins-Sieg in Extra-Innings direkt in die Wege leitete. Durch eine Fielder's Choice - und einen Error des Catchers - gewannen die Twins gegen die Indians.
Rookie des Jahres?
Kepler begann zwar seine MLB-Saison recht spät im Vergleich zu den anderen groß aufspielenden Neulingen der American League, aber in Sachen RBI liegt er schon auf Rang drei, nur drei hinter Spitzenreiter Dae-ho Lee von den Seattle Mariners und zwei weniger als Nomar Mazara von den Rangers. In Sachen Homeruns sind es ebenfalls nur drei weniger als die Spitze.
Folglich darf sich Kepler zum Start der zweiten Saisonhälfte durchaus Hoffnungen auf den Titel des Rookies des Jahres in der American League machen. Selbstredend wäre er damit der erste Europäer, dem diese Ehre zuteilwürde.
Einzelauszeichnung oder nicht, mit Kepler scheinen die Twins einen Spieler gefunden zu haben, der das in ihn gesetzte Vertrauen rechtfertigt und auf den sie langfristig werden bauen können.
Die MLB-Saison im Überblick