Es war nach dem Titelgewinn seiner Los Angeles Lakers im Jahr 1987, als sich der damalige Trainer Pat Riley Gedanken machte. Gedanken über das Gewinnen und über die Nebenwirkungen, die Erfolge mit sich bringen.
Dabei erinnerte er sich genau an die Saison 1980/1981, als die Lakers nach der Meisterschaft zuvor komplett enttäuschten und in der zweiten Playoff-Runde scheiterten.
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In seinem Buch mit dem Titel "Showtime" schrieb Riley seine Erkenntnisse nieder und beschrieb die "Disease of More" (frei übersetzt die Krankheit des Mehr-Wollens). Der Hall of Famer meinte dort: "Der Erfolg ist häufig der erste Schritt auf dem Weg zu einer Katastrophe."
Spieler, die beim Titelgewinn mithalfen, wollen plötzlich von allem mehr: mehr Geld, mehr Spielzeit, mehr Würfe. Um die Spannung im Team hochzuhalten, garantierte Riley bei der Meisterschaftsfeier 1987, dass seine Lakers den Titel verteidigen würden - was diese auch tatsächlich taten.
Riley nach Titelgewinn zurückhaltend
25 Jahre nach diesem Versprechen gewann Riley erneut einen Titel - als Präsident der Miami Heat. Diesmal allerdings hielt er sich mit vollmundigen Versprechen zurück.
Vielleicht hielt er sie nicht für nötig, vielleicht hat er die "Katastrophe" auch von weitem kommen sehen und gewusst, dass sie nicht aufzuhalten ist.
In jedem Fall bestätigen die Heat in dieser Spielzeit bislang alles, was Riley mit seiner "Disease of More"-Theorie beschrieb: Der Einsatzwille der Mannschaft hat nachgelassen, einzelne Spieler wirken satt, im Team soll es zu Missstimmungen gekommen sein.
Der Weg zu vielen Titeln schien vorgezeichnet
Nun muss man die Geschichte immer im Kontext sehen: Miami ist nach wie vor die beste Mannschaft im Osten, hat einen der talentiertesten Kader der NBA, LeBron James spielt wie von einem anderen Stern.
Zudem ist die eigentliche Lachnummer der Liga die Truppe, die den Heat den erneuten Titelgewinn eigentlich hätte streitig machen sollen.
Dennoch: Nachdem LeBron James im Juni zum ersten Mal die Larry O'Brien Trophy in die Höhe reckte und seine eigenen Dämonen besiegt hatte, schrieben zahlreiche Journalisten, dass der Weg zu vielen weiteren Meisterschaften jetzt frei sei.
Das Team habe den Schlüssel gefunden, sein Potenzial abgerufen und wisse nun, wie man erfolgreich spielt. Ganz so einfach ist es offenbar doch nicht.
Spoelstra und Wade im Clinch
Pleiten gegen Washington gab es vergangene Spielzeit auch zwei Mal, aber erst in der letzten Saisonwoche, als die Playoff-Position der Heat schon feststand. Davon abgesehen hat Miami im Vorjahr kein Spiel verloren, das es auf dem Papier gewinnen musste. Nicht eins.
Diese Saison verlor man außer in Washington schon in Detroit und in Milwaukee, dazu allerlei Spitzenspiele. Wie gegen die Clippers, gegen Chicago und zwei Mal gegen die Knicks.
Dwyane Wade wird nicht jünger und hat sich offenbar entschlossen, seine Knie zu schonen, indem er in vielen Spielen nur auf einer Seite des Feldes mitmacht - in der Offense.
Bei der Pleite in Utah wurde Wade aufgrund seiner Leistung von Coach Erik Spoelstra im kompletten vierten Viertel auf die Bank gesetzt. Beleidigt sagte er anschließend: "Der Trainer trifft die Entscheidungen. Ich bin ja nur ein Spieler."
Zuvor hatte Wade in Indiana in der ersten Hälfte 23 Punkte gemacht - und im dritten Viertel keinen Wurf genommen. Auf die Frage, ob er die Zeiten vermisse, als er der alleinige Star der Mannschaft war und werfen konnte, wann er wollte, sagte der Shooting Guard: "Jeden Tag."
Bosh: So wenig Rebounds wie nie zuvor
Chris Bosh beschwerte sich auch bereits, dass seine Mannschaft nicht oft genug demjenigen den Ball gibt, der gerade heiß ist. Klar, dass er damit auch und vor allem auf seine eigenen Würfe abzielte.
Derweil kümmerte er sich zuletzt mehr darum, die Werbetrommel für seine All-Star-Kandidatur zu rühren, um Kevin Garnett im Fan-Voting noch abzufangen, als um die Reboundarbeit.
Der Big Man, der genauso viel verdient wie James, griff im November noch 8,2 und im Dezember 7,3 Rebounds ab. Auch schon keine Wahnsinnswerte für einen Spieler, der zu Raptors-Zeiten drei Mal bei einem Schnitt von über zehn Boards pro Spiel lag.
Im Januar ist Boshs Schnitt auf mickrige 4,9 gesunken. Darauf angesprochen, erfindet er fadenscheinige Ausreden oder reagiert angefressen. "Wenn ich so schlecht bin, bin ich gern bereit, von der Bank zu kommen. Vielleicht kann ich ja etwas von meinen Mitspielern lernen", so Bosh in dem Wissen, dass außer LeBron James (8,1) kein anderer Spieler mehr als 5,4 Rebounds abgreift.
James kritisiert seine Mannschaft
Die Pleite gegen Utah war in vielerlei Hinsicht der Tiefpunkt der Saison: In Bezug auf Wades Leistungen, auf Boshs Rebound-Zahlen (einer in 27 Minuten!) und in Bezug auf die Teamchemie.
"Wir hatten keine Energie. Gegen diese Truppe, in deren Halle, mit diesen Fans - da geht's nicht ohne Einsatzwillen", meckerte James, der in vielerlei Hinsicht Miamis einzige Hoffnung ist.
Das mag wie ein hartes Urteil klingen, doch der Megastar selbst sagte zuletzt: "Wir sind nicht die talentierteste Truppe. Wir sind nicht das beste Team. Wir können es uns nicht erlauben, uns auszusuchen, wann wir Gas geben und wann nicht."
Das ist eine Beurteilung, wie sie für die Hawks, die 76ers oder die Magic zutreffend wäre. Für die mit aktuellen und ehemaligen All-Stars, Clutch Shootern und Champions gespickten Heat kommt sie einer Bankrotterklärung gleich.
Rollenspieler zu unkonstant
Doch auch die Rollenspieler bringen oftmals nicht das, wofür sie bezahlt werden. Ray Allen trifft manchmal wie in alten Zeiten seine Dreier, manchmal geht nichts.
Udonis Haslem scheint mit seinen Gedanken immer wieder woanders zu sein, anstatt sich wie gewohnt den Hintern aufzureißen. Shane Battier ist viel verletzt, Mike Miller und Rashard Lewis nur sporadisch zu sehen.
Mario Chalmers derweil macht immer wieder den Eindruck, als wisse er nach dem Titelgewinn Bescheid, wie der Hase läuft. Auf Kritik der Mitspieler reagiert er häufig gleichgültig, seine Defense hat nachgelassen.
Vielleicht bringt der jüngst verpflichtete Chris "Birdman" Andersen neuen Schub. Am Ende wird aber doch James das Schiff auf Kurs halten müssen. Das hat er bereits mehr als einmal in dieser Saison getan. Kaum zu glauben, aber seine immer schon bärenstarken Zahlen haben sich noch mal verbessert.
James über jeden Zweifel erhaben
Der King reboundet stärker als je zuvor, verteilt weiter seine rund 7 Assists pro Spiel und hat die Turnover dramatisch reduziert (2,8 pro Spiel, Karrierebestwert). Dazu trifft er sensationelle 55 Prozent aus dem Feld und erstmals 40 Prozent von der Dreierlinie.
Im PER-Ranking, das mit einer komplizierten Formel die Effektivität der Spieler misst, liegt James mit 30,31 vorn vor Kevin Durant (29,04). Kein anderer Spieler kommt auch nur in die Nähe dieser Werte.
Die Disease of More hat in Miami Einzug gehalten, an James ist sie abgeprallt. Ob Wade, Bosh und Co. sie rechtzeitig überwinden können? Die Siege in Golden State und bei den Lakers zuletzt waren viel versprechend.
Gegen die Warriors war endlich wieder der nötige Biss zu erkennen, auch wenn die jungen Warriors ohne Steph Curry hoffnungslos überfordert waren, gegen die Lakers widerstand man dem Comeback-Versuch der Hausherren.
Allerdings: Ein Sieg über diese Mannschaft ist dieser Tage eher Pflicht als ein Statement.Statement-Game gegen Boston
Genauso wie die kommenden Spiele gegen Toronto (Mittwoch) und Detroit (Freitag) Pflichtsiege sind.
Miami wird diese Aufgaben vermutlich meistern, aber ist damit auch die Saison gerettet, der Weg zur möglichen Titelverteidigung wieder frei geräumt? Wohl kaum.
Und so müssen wohl doch die alten Boston Celtics herhalten, um Miamis Weg eine Richtung zu geben - positiv oder negativ. Am Sonntag erwartet der Rekordmeister im heimischen Garden den amtierenden Champion zum Hassduell (ab 19 Uhr im LIVE-STREAM bei SPOX).
"Wir sind auf der Suche nach Konstanz", gibt Spoelstra zu. "Es ist nicht leicht und wir brauchen bestimmt keine Ausreden. Aber wir haben alle Möglichkeiten. Und hoffentlich gehören Spiele wie gegen Utah bald der Vergangenheit an."
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