Jonas Valanciunas gehört zu den größten Center-Talenten in der NBA. Mit seinen Toronto Raptors liegt der Litauer überraschend auf Playoff-Kurs. Im Interview mit SPOX spricht der 22-Jährige über das Erfolgsgeheimnis der Raptors, sein oscarreifes Schauspiel-Talent und den Trashtalker Kevin Garnett.
SPOX: Herr Valanciunas, viele Experten halten Sie für das größte Talent seit Dirk Nowitzki. Sehen Sie das genauso?
Jonas Valanciunas: Das hört man natürlich sehr gerne. Aber ich will mich dazu nur ungern äußern, um mir nicht unnötig Druck aufzulasten. Die Leute sollen über mich sagen, was sie denken. Und ich mache derweil meine Arbeit.
SPOX: Bereits in Ihrer zweiten NBA-Saison gehören Sie zu den Leistungsträgern der Toronto Raptors.
Valanciunas: Ich tue das, was von mir erwartet wird: Ich arbeite hart und versuche, dem Team zu helfen. Die Priorität ist immer, dem Team bestmöglich zu helfen. Meine persönlichen Stats halte ich für zweitranging.
SPOX: Ist das wirklich so? Oder ist es nur eine Floskel?
Valanciunas: Doch, das stimmt so. Was würde es mir denn bringen, wenn ich gute Zahlen auflege, mein Team aber andauernd nur verliert und verliert? Das würde kein gutes Licht auf mich werfen. Ich arbeite hart an mir, gehe regelmäßig in unsere Fitnessräume und stemme Gewichte, um noch mehr Muskeln zu bekommen. Mit harter Arbeit kannst du im Leben alles erreichen. Die Frage ist nur, wie sehr du gewillt bist zu arbeiten.
SPOX: Am Anfang der Saison galten die Raptors einmal mehr als Loser-Team. Doch plötzlich stehen Sie auf Rang drei der Eastern Conference. Wie lautet Ihr Erfolgsrezept?
Valanciunas: Unsere Bilanz könnte sogar noch positiver sein. Wir verlieren immer noch zu viele enge Spiele. Aber grundsätzlich können wir schon recht zufrieden sein. Wir spielen guten Team-Basketball. Wir helfen uns gegenseitig in der Defense und lassen den Ball in der Offensive sehr gut laufen. Es klingt vielleicht simpel, aber genau das sind die zwei entscheidenden Bausteine für unseren Erfolg.
SPOX: Der Saisonstart verlief jedoch schleppend. Aus den ersten 19 Spielen gab es lediglich sieben Siege. Doch dann wurde Rudy Gay nach Sacramento getradet. Warum ging es danach so sehr bergauf?
Valanciunas: Das ist eine sehr gute Frage. Ich bin kein Typ, der Rudy jetzt die Schuld für unsere Niederlagen zu Saisonbeginn zuschiebt. Das wäre unfair. Er war nicht die Schlüsselfigur unserer Pleiten.
Folge NBA.de bei Twitter und bekomme alle News - auch Dirk Nowitzki ist dabei!
SPOX: Lag es vielleicht daran, dass Sie mit Gay Ihren vermeintlichen Superstar verloren haben und sich dadurch die Teamchemie deutlich gebessert hat?
Valanciunas: Ich würde schon sagen, dass wir mit Demar DeRozan und Kyle Lowry noch zwei Superstars im Team haben. Aber es stimmt schon: Irgendwie haben wir es geschafft, uns nach dem Trade von Rudy zusammenzuraufen. Seitdem spielen wir deutlich besser.
spoxSPOX: Gab es Schlüsselmomente?
Valanciunas: Da kann ich mich an nichts Spezielles erinnern. Aber grundsätzlich spielen wir jetzt im dritten und vierten Viertel viel abgezockter. Wir haben da einen richtigen Killerinstinkt entwickelt.
SPOX: Welches Spiel ist Ihnen da am meisten in Erinnerung geblieben?
Valanciunas: Die Partie Ende Januar bei den Brooklyn Nets. Wir lagen die ganze Zeit zurück, doch mit der Schlusssirene trifft Patrick Patterson zum Sieg. Das hat unseren tollen Teamgeist verdeutlicht. Dass mit Patrick dann noch ein Bankspieler den entscheidenden Wurf trifft, das war umso schöner.
SPOX: Sie spielen nun Ihre zweite NBA-Saison. Wie groß ist die Herausforderung, nachdem Sie zuvor nicht am College, sondern im heimischen Litauen bei Lietuvos Rytas gespielt haben?
Valanciunas: Die Herausforderung ist enorm. Doch ich habe sie angenommen. In jedem Spiel muss ich mich mit den schwersten und größten Jungs der Liga auseinandersetzen. Das sind zum Teil - mit einem Augenzwinkern gesagt - richtige Monster. Jedes Duell ist außergewöhnlich.
SPOX: Welcher Gegenspieler ist besonders unangenehm?
Valanciunas: Kevin Garnett. Sein Trashtalk ist enorm. Wenn ich gegen ihn spiele, versuche ich, einfach kein Englisch mehr zu verstehen. (lacht)
SPOX: Ist Ihnen der Playoff-Einzug in der schwachen Eastern Conference eigentlich noch zu nehmen?
Valanciunas: Momentan sieht es sehr gut aus. Die Playoffs sind unser große Ziel. Seit 2008 waren die Raptors nicht mehr in den Playoffs vertreten, das sind satte sechs Jahre. Deshalb sind die Leute hier gerade enorm euphorisch.
SPOX: Fast jedes Spiel ist ausverkauft...
Valanciunas: Das stimmt. Unsere Fans machen dabei eine großartige Stimmung. Sie lechzen nach Erfolg. Aber wir Spieler dürfen bloß nicht abheben. Nur mit voller Konzentration in den nächsten Wochen und Monaten werden wir es schaffen.
SPOX: Was wissen Sie über die Playoffs?
Valanciunas: In der vergangenen Saison, also in meinem Rookie-Jahr, habe ich die Playoffs intensiv verfolgt. Jeder Spieler, mit dem ich mich unterhalte, schwärmt mir vor, wie viel Spaß es macht, in den Playoffs zu spielen. Es macht offenbar viel mehr Spaß als die Spiele in der regulären Saison. Die Fans sind begeistert, schwenken ihre Tücher, und für uns Spieler kann jede Sekunde entscheidend sein. Für solche Momente lebt man als Basketballer. Deshalb will ich das unbedingt erreichen.
SPOX: Einen weiteren Motivationsschub lieferte der weltberühmte Rapper Drake. Kürzlich übernahm er die Teampräsentation in der Arena.
Valanciunas: Das war ein tolles Erlebnis für uns Spieler. Drake ist unser Botschafter, er stammt aus Toronto und ist ein großartiger Typ. Ich finde es eine wunderbare Idee, solch große Namen zusammenzubringen: Drake und die Raptors, das passt hervorragend zusammen.
SPOX: Was hören Sie lieber: Songs von Drake oder heimatliche Musik aus Litauen?
Valanciunas: Ich mixe diese zwei Sorten von Liedern. (lacht)
SPOX: Was ist Ihr Lieblingslied von Drake?
Valanciunas: "Started from the bottom"!
SPOX: Toronto ist eigentlich eine Eishockey-Stadt. Haben Sie bereits NHL-Spiele der Toronto Maple Leafs besucht?
Valanciunas: Ja, schon mehrere. Eishockey macht mir als Zuschauer großen Spaß, da steckt viel Action drin. Ganz besonders war für mich eine Partie der Maple Leafs Mitte Januar gegen die New Jersey Devils. Für New Jersey spielt nämlich Dainius Zubrus, ein litauischer Nationalheld.
SPOX: Der Nationalsport in Litauen ist allerdings Basketball?
Valanciunas: Das stimmt. Basketball ist in Litauen schon immer eine große Sache gewesen. Bei wichtigen Spielen sind die Straßen wie leergefegt.
SPOX: Warum ist das so?
Valanciunas: Der Grund dafür ist, dass wir mithilfe von Basketball die Unabhängigkeit von Russland erkämpft haben. Seit dem zweiten Weltkrieg war Litauen von der früheren Sowjetunion besetzt. Auch wenn wir in dieser Zeit keine eigene Nationalmannschaft mehr haben durften, hat Basketball den Litauern immer Halt und Lebensmut gegeben. 1990 wurde Litauen dann endlich wieder ein unabhängiger Staat.
Seite 1: Der Gay-Trade und die schwersten Gegner
Seite 2: Der Stellenwert von Basketball in Litauen und die Karriereziele
SPOX: Und 1992 feierte die litauische Nationalmannschaft den vielleicht größten Erfolg ihrer Geschichte...
Valanciunas: Genau, die Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen in Barcelona! Wenn man an Olympia in Barcelona denkt, kommt vielen zwar erst das US-Dream-Team in den Sinn. Sportlich war das auch ein riesiges Highlight. Aber gesellschaftlich und politisch war Bronze für Litauen bedeutender. Denn im Spiel um Platz drei haben wir ausgerechnet gegen Russland gewonnen. Das hat die Menschen in Litauen über so viel Schmerz hinweggetröstet, den sie jahrzehntelang zuvor erleiden mussten.
SPOX: Über diese Geschichte gibt es doch sogar einen Kinofilm...
Valanciunas: Ja, er heißt "The Other Dream Team" und wurde 2012 veröffentlicht. Ich spiele da sogar mit! Vergangenes Jahr wurde der Film auch bei uns in Toronto gezeigt.
SPOX: Welche Rolle haben Sie im Film übernommen?
Valanciunas: Meine persönliche Geschichte wurde in den Film integriert.
SPOX: Das heißt, Sie spielten Jonas Valanciunas?
Valanciunas: Genau. (lacht)
SPOX: Nach Ihrer Basketball-Karriere werden Sie also Filmstar?
Valanciunas: Ich glaube, im Basketball bin ich definitiv talentierter. Aber ich bin ja erst 22 und habe noch ein paar Jahre Basketball vor mir. Ich habe mir noch keine Gedanken gemacht, was ich danach machen werde.
SPOX: Sie selbst sind im Mai 1992 geboren. Wie haben Sie sich über die Geschichte Ihres Heimatlandes informiert?
Valanciunas: Als Litauer kommt man da nicht vorbei. Die Unabhängigkeit ist das entscheidende Ereignis in unserer jüngeren Geschichte. Es gibt eine riesengroße Menge Filme, Bücher und Artikel darüber.
SPOX: Ist Arvydas Sabonis Ihr großes Idol?
Valanciunas: Ja, das ist er. Er ist die größte Basketball-Persönlichkeit, die wir in Litauen jemals hatten. Ich würde sogar sagen: Sabonis ist das Idol von allen litauischen Basketballern.
SPOX: Sabonis gehörte zur Olympia-Auswahl 1992 und spielte von 1995 bis 2003 in der NBA bei den Portland Trail Blazers. Wie haben Sie seine Karriere verfolgt?
Valanciunas: Als kleines Kind habe ich mir viele Videoclips von ihm angeschaut. Ich habe darauf geachtet, wie er sich bewegt, wie er wirft und wie er die Bälle verteilt. Davon habe ich mir vieles abgeschaut.
SPOX: Kennen Sie ihn persönlich?
Valanciunas: Ja. Obwohl er kürzlich einen Herzinfarkt hatte, engagiert er sich im litauischen Basketball-Verband. Deshalb haben wir uns schon ein paar Mal getroffen. Er gab mir sogar einige Ratschläge, wie ich Kleinigkeiten auf dem Spielfeld verbessern kann.
SPOX: Wann haben Sie angefangen, Basketball zu spielen?
Valanciunas: Mit neun Jahren. Meine Mutter brachte mich damals in eine kleine Basketball-Schule. Ich hatte zwar noch keine große Ahnung, wie man diesen Sport überhaupt spielt. Aber ich war damals schon ein langer Kerl, länger als alle anderen.
SPOX: Ihr großes Talent war früh erkennbar. Im Alter von 18 Jahren wechselten Sie 2010 zu den Profis von Lietuvos Rytas und blieben dort bis zum NBA-Draft im Sommer 2012. Verfolgen Sie Ihren Ex-Club noch immer?
Valanciunas: Sehr intensiv sogar. Viele meiner Kumpels spielen dort, mit ihnen unterhalte ich mich regelmäßig. Im Internet schaue ich mir die Highlights der Spiele an.
SPOX: Im März 2013 hatte der deutsche Coach Dirk Bauermann das Traineramt der Lietuvos Rytas übernommen. Allerdings wurde er im Dezember wegen Erfolglosigkeit in der Euroleague wieder gefeuert. Haben Ihre Kumpels erzählt, warum es mit Bauermann nicht rund gelaufen ist?
Valanciunas: Das ist nicht meine Baustelle, dazu möchte ich mich nicht äußern.
SPOX: Welchen Stellenwert hat Lietuvos Rytas in Litauen?
Valanciunas: Einen sehr großen, gemeinsam mit Zalgiris Kaunas. Die sportliche Distanz zu den anderen Clubs in Litauen ist groß. Meist streiten sich diese beiden Teams um den Titel. Da gibt es immer große Kämpfe. Die Rivalität ist groß. Die Lietuvos Rytas sind schließlich in der Hauptstadt Vilnius beheimatet, Zalgiris eben in Kaunas, der zweitgrößten Stadt des Landes.
Schaue alle Spiele der Toronto Raptors mit dem NBA League Pass!
SPOX: Zurück zu Ihrer Karriere: Sie durchliefen alle Jugend-Nationalmannschaften. Und gewannen mit der litauischen U 16, U 18 und U 19 jeweils Gold bei internationalen Turnieren.
Valanciunas: An diese Titel werde ich mich immer zurückerinnern. Das sind bislang die schönsten Momente meiner Basketball-Karriere gewesen. Für dein Heimatland Titel zu gewinnen, das ist etwas Traumhaftes.
SPOX: Zuletzt gab es Silber bei der EM 2013 in Slowenien - Ihre erste Medaille mit der A-Nationalmannschaft. Was ist bei der WM 2014 in Spanien möglich?
Valanciunas: Die aktuelle Generation ist so stark, dass wir vielleicht sogar Weltklasse-Teams wie den USA oder Gastgeber Spanien gefährlich werden können. Wir haben nämlich eine ganze Menge Talente, das bin nicht nur ich. Sondern zum Beispiel auch Donatas Motiejunas, der bei den Houston Rockets spielt. Wie gesagt: Basketball ist in Litauen Nationalsport. Fast jedes Kind spielt Basketball. Deshalb gibt es eine große Auswahl talentierter Spieler.
SPOX: Werden Sie bei der WM in Spanien trotz der guten Playoff-Aussichten dabei sein?
Valanciunas: Wenn mich der Coach nominiert, werde ich dabei sein.
SPOX: Ihren ersten Auftritt in der Nationalmannschaft hatten Sie 2011 bei der heimischen EM in Litauen. Trotz riesengroßer Euphorie verlor Ihr Team im Viertelfinale gegen Mazedonien...
Valanciunas: Das war eine große Enttäuschung. Die Erinnerungen daran habe ich inzwischen verdrängt.
SPOX: Trotz Ihrer erst 22 Jahre haben Sie schon viel erlebt. 2012 haben Sie auch schon bei den Olympischen Spielen in London teilgenommen. Wie lauten Ihre Karriereziele?
Valanciunas: Ich möchte in meiner Karriere so viele Titel wie möglich gewinnen. Allen voran die Meisterschaft in der NBA sowie Gold bei Olympia. Ich sage mir immer: The sky is the limit!
SPOX: Sie haben ein Kreuz in Ihrem Spind hängen. Sind Sie ein religiöser Mensch?
Valanciunas: Ja. Das Kreuz hilft mir, trotz der großen Distanz zur Heimat stark zu bleiben. Viele Menschen in Litauen sind religiös. Das hat mit der langen sowjetischen Unterdrückung zu tun.
Seite 1: Der Gay-Trade und die schwersten Gegner
Seite 2: Der Stellenwert von Basketball in Litauen und die Karriereziele