Wie schnell die Zeit doch vergeht. Noch vor gut einem Jahr waren die Denver Nuggets eine der größten Attraktionen der gesamten Liga. Unglaubliches Tempo, ordentlich Scoring - und der Beweis, dass Spektakel auch Erfolg bringen kann. Denver gewann 57 Spiele, so viele wie nie zuvor in seiner Franchise-Geschichte. Denver beschloss die Western Conference als dritter und ging mit Hoffnungen auf einen tiefen Playoff-Run in die Postseason. Denver stellte mit George Karl den Coach of the Year.
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Man war zufrieden in Colorado. Dann kamen die Golden State Warriors - und Steph Curry, der in der ersten Playoff-Runde derart heiß lief, dass an effektives Verteidigen schlicht nicht zu denken war. Und so verabschiedeten sich die Nuggets nach sechs Spielen auch schon wieder von den Playoffs. Aus Conference-Finals-Träumen wurde ein Albtraum in sechs Akten.
Dazu einer, der für George Karl weitreichende Folgen haben sollte. Kaum war er zum Coach of the Year ernannt worden, stand Karl nämlich auch schon ohne Verein da. Seine Philosophie des Uptempo-Basketballs passe nicht richtig in die Playoffs, wo Halfcourt-Offense und Defense dominieren, hieß es. Doch damit nicht genug. GM Masai Ujiri zog es in die alte Heimat nach Toronto. Andre Iguodala hatte zudem Gefallen am Spiel der Warriors gefunden und unterschrieb ausgerechnet in der Bay Area.
Neuer Coach, neue Philosophie
Veränderungen standen an. Mit Brian Shaw kam ein neuer Coach. Einer, dessen Basketball-Philosophie deutlich besser in die Postseason passen sollte als jene George Karls. Das Problem: Denver hatte mit den Playoffs vergangene Saison in etwa so viel zu tun wie Charles Barkley mit verbaler Zurückhaltung. Aus 57 Siegen wurden binnen eines Jahres 36. Aus Rang 3 im Westen Rang 11. Am Ende verpasste Denver erstmals seit 2003 die Playoffs.
Verletzungspech - mit Danilo Gallinari, Nate Robinson, J.J. Hickson und JaVale McGee fielen gleich vier Schlüsselspieler mehrere Monate lang aus - dazu ein neuer Coach, eine neue Philosophie: Die Nuggets schlugen sich mit allerhand Problemen herum. Probleme, die nun zwar nicht gänzlich beseitigt sind, allerdings wenigsten gelindert werden dürften. Die Verletzten kehren schließlich allesamt zurück und bieten Coach Shaw damit deutlich mehr Optionen.
Die Verletzten kehren zurück
Da wäre ein Gallinari, der für zusätzliche Tiefe auf der zuvor so dünn besetzten Drei sorgen sollte. Natürlich weiß niemand, wie fit der Italiener nach seinem Kreuzbandriss und zwei Knieoperationen zurückkehren wird. Seine Vielseitigkeit in der Offense wird den Nuggets im Laufe der Saison - ausbleibende Rückschläge vorausgesetzt - allerdings sicherlich weiterhelfen. Zumal Wilson Chandler die Erwartungen als Starter nicht erfüllen konnte (41,6 Prozent FG, 34,8 Prozent 3FG).
Gut möglich, dass sich der Forward deshalb kommende Saison bei Spielbeginn auf der Bank wiederfinden und dort neben Nate Robinson Platz nehmen wird. "Kryptonate" dunkt nur sechs Monate nach seinem Kreuzbandriss bereits wieder fröhlich drauf los, dürfte wie Gallinari rechtzeitig zum Trainingcamp zurücksein - und gemeinsam mit Ty Lawson das vielleicht explosivste Point-Guard-Duo der Liga bilden.
Dass sich Brian Shaw den Speed seiner beiden Playmaker auch zunutze machen möchte, ist da nur verständlich. Nur hatte er vergangene Saison dazu relativ wenig Gelegenheit. Drive-and-Kick war angesichts von Denvers lediglich durchschnittlicher Treffsicherheit von jenseits der Dreierlinie (36,3 Prozent 3FG, Rang 15) schließlich nur bedingt ein probates Mittel.
Lindert Afflalo die Shooting-Problematik?
Nun ist es allerdings Aufgabe des Front Office, gemeinsam mit dem Coach Schwachstellen zu analysieren und sie auszubügeln. Wohl auch deshalb wechselt Arron Afflalo zur neuen Saison bereits zum zweiten Mal in die Mile High City. 2009 erschien der Shooting Guard noch als große Unbekannte, die zuvor lediglich 14,8 Minuten pro Spiel auf dem Feld gestanden hatte, im Pepsi Center. Mittlerweile ist Afflalo jedoch zu einem der besseren Zweier der NBA gereift und freut sich auf sein neues, altes Zuhause. "Ich bin glücklich, wieder in Denver zu sein", erklärte er. "Dort treffe ich einige bestens bekannte Teamkollegen."
Die treffen wiederum einen Arron Afflalo, der soeben die beste Saison seiner Karriere hinter sich gebracht hat. 18,2 Punkte legte er für die Orlando Magic auf, verteilte dazu 3,4 Assists und sicherte sich 3,6 Rebounds. Noch wichtiger aber: Afflalo traf 42,7 Prozent seiner Dreier. Nur sieben Spieler waren treffsicherer. Ligaweit.
Afflalo wird das Shooting der Nuggets deutlich verbessern und damit unter Umständen auch deren Offense an Effektivität gewinnen lassen. Angesichts von Rang 16 in Sachen Offense Efficiency sicherlich kein unwesentlicher Fakt. Allein kann und wird Afflalo die Shooting-Probleme der Nuggets allerdings nicht lösen können. Dessen ist man sich auch in Denver bewusst.
Harris: Zwei Fliegen mit einer Klappe
Deshalb sicherten sich die Nuggets im Draft mit Gary Harris einen weiteren potenten Shooter, der während der Summer League, abgesehen vom ersten Spiel, allerdings noch ein wenig verzweifelt auf der Suche nach seinem Wurf war. Nur gut also, dass der ehemalige Michigan State Spartan nicht allein wegen seiner Shooting-Qualitäten nach Colorado gelotst wurde.
Am College galt Harris als unangenehmer Verteidiger. Und einen unangenehmen Verteidiger können die Nuggets bestens gebrauchen. Schließlich ließ man mit 106,5 Punkten vergangene Saison die drittmeisten der gesamten Liga zu. Auch deshalb forderte Coach Shaw im Sommer neue Defender. Mit Harris erhält er nun einen - und mit JaVale McGee zusätzlich eine ordentliche Portion Rim Protection und Zonenpräsenz zurück.
Faried auf dem Sprung
Unter Umständen entdeckt sogar Kenneth Faried endlich seine Vorliebe für die Arbeit am hinteren Ende des Courts. Das Potential dazu besitzt der Power Forward jedenfalls. "Er ist ein sehr guter Verteidiger, allerdings kann er auch ein herausragender Verteidiger sein", sagte US-Coach Mike Krzyzewski gegenüber der "Denver Post". "Für kurze Zeit kann er sogar Center verteidigen. Kenneth ist ein sehr, sehr guter Spieler, solange er seine Stärken zur Geltung bringt. Und die Defense sollte eine seiner Stärken sein."
Das hat Faried selbst offenbar ebenfalls eingesehen und berichtete von intensiven Defensiveinheiten. Doch damit nicht genug. Auch einen soliden Mid-Range Jumper möchte sich das "Manimal" antrainieren, "damit ich einen Schritt weiter raus gehen und mehr Pick-and-Pops laufen kann", sagt er. Seine Zeit mit dem Team USA wird Faried bei seinem Vorhaben sicherlich helfen. Anschauungsunterricht gibt es bei einer derartigen Ansammlung an Talent schließlich genug.
Auch das Selbstbewusstsein des Power Forwards dürfte angesichts des ihm vom Coaching Staff entgegengebrachten Vertrauens noch einmal einen Schub erhalten. Sofern das nach Farieds starken Leistungen gegen Saisonende überhaupt möglich ist. Nach dem All-Star Break legte der Vierer im Schnitt 18,8 Punkte und 10,1 Rebounds auf. Während der letzten zehn Spiele sogar 20,6 und 12,3.
Dabei hatte Faried zu Saisonbeginn noch große Probleme mit Brian Shaws langsamerem Halfcourt-Basketball. Ohne Jumper und ausgereiftes Post-Spiel fand er sich im System seines neuen Coaches einfach nicht zurecht. Doch Faried arbeitete und verbesserte sich im Post. Nun kennt er Shaws System. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil.
Tief, so tief
So könnte Faried kommende Saison an der Spitze eines unglaublich tiefen Rosters stehen. Eines Rosters, das mit Ty Lawson einen Top-Point-Guard besitzt. Dessen Big-Men Rotation um JaVale McGee, den vergangene Saison starken Timofey Mozgov, J.J. Hickson und Rookie Jusuf Nurkic durchaus vorzeigbar ist. Das dank Nate Robinson Energie von der Bank und mit Arron Afflalo, Garry Harris und Danilo Gallinari Shooting zu bieten hat.
Kurz: Die Nuggets 2014/15 sind ähnlich tief wie jenes Team, das vor den Playoffs 2013 den vielleicht spektakulärsten Basketball der Liga zelebrierte. Aber sind sie auch ähnlich gut? Eher nicht. Denver ist gefährlich, doch es fehlt etwas. Ein absoluter Superstar, sagen einige. Deshalb sollen die Nuggets auch versucht haben, die Minnesota Timberwolves zu überzeugen, Kevin Love nach Colorado zu traden.
Funktioniert hat dies offensichtlich nicht, doch GM Tim Connelly dürfte weiter aufmerksam zuhören, sollten sich etwaige Tradechancen ergeben. Genügend Assets besitzen die Nuggets. Klappt es nicht, besitzt Denver ein gutes, aber nicht herausragendes Basketball-Team. Allerdings wissen die Nuggets nur zu gut, wie schnell sich die Vorzeichen ändern können.