Derrick Rose ist dieser Tage ein glücklicher Mann. Nach zwei Jahren Leidenszeit, nach zwei schweren Knieverletzungen spielt der Point Guard seit einigen Wochen wieder regelmäßig Basketball. Auf höchstem Niveau. Mit dem Team USA bereitet er sich auf die WM in Spanien vor und hinterlässt dabei bislang einen hervorragenden Eindruck. Das zweite Comeback lässt sich bestens an.
Derrick Rose ist ein glücklicher ein Mann. Doch nicht nur angesichts seines eigenen, trotz zweier schwerer Knieverletzungen immer noch vorhandenen Potentials. Auch die Chicago Bulls haben ihren Anteil am positiven Gemütszustand ihres Superstars. Die taten im Sommer nämlich einiges, um dem Jungen aus der Windy City den personellen Roten Teppich auszurollen. "Um ehrlich zu sein, ist das wohl das talentierteste Team, für das ich während meiner NBA-Karriere gespielt habe", erklärte Rose kürzlich - und meint damit nicht das, trotz einiger prominenter Absagen, immer noch bestens aufgestellte Team USA.
Bei Melo abgeblitzt
Rose spricht von seinen Bulls. Richtig gehört, von jenem Team, das angeblich versuchte, Kevin Love per Trade nach Chicago zu holen - und offensichtlich scheiterte. Von jenem Team, das einiges in Bewegung setzte, um Carmelo Anthony zur Unterschrift zu bewegen - und scheiterte. Dabei mutet speziell der Fall Melo geradezu tragisch an. Denn mal ehrlich: Anthony und Chicago hätten nahezu perfekt zueinander gepasst. Hier einer der besten Scorer der Liga auf der Suche nach Unterstützung, dort ein herausragend funktionierendes Kollektiv auf verzweifelter Suche nach Scoring.
Nun entschied sich Melo bekanntlich jedoch für die alte Heimat New York und gegen den - eventuell - schnellen Erfolg am Lake Michigan. Sicherlich spielte auch das Geld eine nicht unwesentliche Rolle. Verständlicherweise. Immerhin lagen zwischen den Angeboten aus Chicago und New York insgesamt rund 50 Millionen Dollar. Das auszuschlagen, dürfte jedem schwer fallen, egal wie viel Geld er bislang in seiner Karriere verdient hat.
Das Team nicht auseinanderreißen
So wären die Chancen der Bulls auf eine Melo-Verpflichtung unter Umständen gestiegen, hätten sie dem Forward einige Dollar mehr bieten können - oder besser: wollen. Chicago folgte in den vergangenen Monaten nämlich einem nahezu unumstößlichen Mantra. "We don't want to gut our Team!" Wir wollen unser Team nicht auseinander reißen, scheinen sich die Verantwortlichen immer wieder gegenseitig zuzurufen.
Die Bulls wissen zu schätzen, was sie haben. Trotz des enttäuschenden Erstrundenaus gegen die Washington Wizards sollte der Kern um Joakim Noah, Jimmy Butler und Taj Gibson beisammenbleiben. Nun kamen zwar Gerüchte auf, die Chance auf eine Verpflichtung von Kevin Love ließe die Bulls ihre Grundsätze überdenken - was angesichts der drohenden Supermacht Cleveland durchaus verständlich wäre - allerdings weiß niemand, ob und was Chicago wirklich für den Power Forward geboten hat.
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Fakt ist dagegen, dass die Bulls nicht nur zu schätzen wissen, was sie haben, sondern, dass ihnen zudem bewusst ist, was sie noch benötigen. Angesichts der in der in den Playoffs immer akuter werdenden, chronischen Offensiv-Allergie allerdings auch kaum verwunderlich. Immerhin trafen vergangene Saison lediglich sechs Teams schlechter von jenseits der Dreierlinie (34,8 Prozent), stellten die Bulls die schwächste Offense der gesamten Liga (93,7 Punkte).
Früh auf Plan B festgelegt
Das Trio Scoring/Spacing/Shooting wurde schmerzlich vermisst in der Windy City. Derrick Rose' Rückkehr dürfte bereits zur Linderung des Problems beitragen. Dass der Point Guard allein in einer Liga hochgezüchteter Ansammlungen von Superstars nicht ausreicht, ist jedoch ebenfalls offensichtlich. Deshalb hielt sich das Front Office um Gar Forman und John Paxson nach Melos Entscheidung pro Knicks auch nicht lange mit Trauerbewältigung auf.
Man hatte sich offenbar lange vorher einen Plan B zurechtgelegt und konnte so direkt Fakten schaffen. Kaum war das Thema Anthony erledigt, erklärte Pau Gasol auch schon, sich dank intensiven Nachdenkens und Meditation für Chicago entschieden zu haben. Dort ersetzt der Spanier nun den amnestierten und zu den Los Angeles Lakers gewechselten Carlos Boozer. Ein Tausch ohne Trade.
Zufrieden waren die Bulls dennoch. "Wir sind überglücklich, einen derart vielseitigen Spieler, der bereits All Star und NBA Champion war, zu verpflichten", frohlockte GM Forman. Nun sparen Verantwortliche mit Blick auf Neuzugänge nur äußerst selten mit Euphorie, im Fall Gasol ist Formans Freude allerdings durchaus berechtigt.
Traumduo Noah/Gasol?
Schließlich favorisiert Coach Tom Thibodeau, anders als viele seiner Kollegen, eine Formation mit zwei klassischen Big Men, die gleichzeitig essentielle Rollen als Facilitator ausfüllen sollen. Nun besitzt er neben Joakim Noah, der sein Team vergangene Saison als erster Center seit David Robinson 1993/94 in Sachen Assists anführte (5,4), mit Gasol einen der besten Passing-Big-Men der Liga.
So dürfte das französisch-spanische Duett Chicagos Offense deutlich an Fluss gewinnen lassen. Konzentriert sich die gegnerische Defense auf Rose, können Noah und Gasol das Playmaking aus dem High- oder Lowpost heraus übernehmen. Auch im Pick-and-Roll ergeben sich deutlich mehr Möglichkeiten. Noah sollte zudem von Gasols Passfähigkeiten auf engstem Raum profitieren und so seine Finisher-Qualitäten in der Zone exzessiver ausleben können. Der Spanier wiederum liefert endlich eine ernsthafte Scoring-Option im Lowpost.
Defensiv sollte sich die Verpflichtung ebenfalls mindestens nicht negativ bemerkbar machen. Denn ein schwächerer Verteidiger als Boozer ist Gasol sicherlich nicht, dafür jedoch einige Zentimeter größer. Noah kann sich so agileren Power Forwards annehmen, während Gasol auf der Fünf verteidigt. Inwieweit sich eine solche Konstellation gegen unter dem Korb physisch starke Teams wie die Wizards auswirkt, muss sich allerdings zeigen.
Rookies plötzlich gefragt
Ebenso, wie gut die Integration der Rookies vonstattengeht. Die nehmen diesmal nämlich eine deutlich größere Rolle ein als von Thibodeau-Teams eigentlich gewohnt. Sowohl Nicola Mirotic als auch Doug McDermott gelten als herausragende Shooter und damit als Heilmittel gegen Chicagos Dreier- und Spacing-Problematik. Nur gut also, dass beide nicht wie klassische Frischlinge daherkommen.
Mirotic wechselt nach zwei Euroleague-Finalteilnahmen in Folge von Real Madrid zu den Bulls und bringt damit bereits einiges an Erfahrung mit. "Er kennt Basketball, er kennt die Fundamentals", beschreibt Toni Kukoc, einst selbst aus Europa nach Chicago gewechselt, den gebürtigen Montenegriner. "Zudem ist es ein Vorteil, dass er verschiedene Positionen spielen, als Big Man gut werfen kann und einige Post Moves draufhaut. Wenngleich er sich dort noch verbessern muss."
Tatsächlich sollte Mirotic noch ein wenig Masse und Kraft zulegen, um in der Defense nicht ständig durch die Zone geschoben und sich vorne ein wenig Platz im Lowpost verschaffen zu können. Basketballerisch bringt er jedenfalls alles mit, um den Bulls nach sicherlich benötigter Eingewöhnungszeit immer mehr weiterhelfen zu können.
McDermott: Vorbild Kover?
Ähnlich verhält es sich mit Doug McDermott. Der ehemalige Creighton Bluejay war den Bulls insgesamt zwei Erstrunden- und drei Zweitrundenpicks plus den Abgang von Anthony Randolph wert. Weshalb, liegt auf der Hand. "McBuckets" kann werfen, verdammt gut werfen. Während seiner vier Jahre am College traf der Forward 45,8 Prozent seiner Dreier und dürfte deshalb direkt eine nicht unwesentliche Rolle bei den Bulls einnehmen. Sogar Parallelen zu Kyle Korver, Chicagos letztem echten Dreierspezialisten, wurden bereits gesponnen. Zumal die beiden auch freundschaftlich verbunden sind. Seinen eigenen Minime sieht Korver in McDermott jedoch nicht.
"Wir haben ein ähnliches Skillset", erklärt der Atlanta Hawk. "Wir kommen von derselben Schule, sind gleich groß. Da ist es natürlich leicht, so etwas zu sagen. Aber er ist er selbst und hat einige Aspekte in seinem Spiel, die ich nicht habe. Er wird einen großartigen Job machen."
Vorne sicherlich. Aber defensiv? Dort wird sich der Rookie deutlich steigern müssen, galt er doch bereits am College nicht gerade als Eliteverteidiger. Einerseits hat er in Tom Thibodeau jedoch den perfekten Lehrmeister, andererseits bringt er die richtige Einstellung mit. "Er nimmt das Spiel sehr ernst", erklärt Korver. Und, als wolle er seinen Freund bestätigen, berichtet McDermott von intensiver Arbeit an Ballhandling, Range und natürlich Defense. "Dort muss ich besser werden", sagt er.
Falsch liegt McDermott damit sicher nicht. Allerdings gilt er als durchaus brauchbarer Teamverteidiger, was ihm im System der Bulls sicherlich helfen wird. Zumal mit Jimmy Butler einer der besten Wing-Defender - zumindest zeitweise - an seiner Seite stehen wird. Auch Tony Snell, der seine zweite NBA-Saison deutlich durchtrainierter angeht und der Summer League überzeugte, dürfte für Entlastung sorgen.
Auf dem Flügel (zu) dünn besetzt
Insgesamt stehen die Bulls gerade offensiv deutlich besser da als noch vor einem Jahr. Mit Aaron Brooks konnte zudem ein Energizer für die Bank verpflichtet werden, der sich seinen eigenen Wurf kreieren kann. Kirk Hinrich verlängerte seinen Vertrag und wird das übliche Paket aus starker Defense und solidem Playmaking bieten.
Alles perfekt also? Sicherlich nicht. So ist der Flügel noch deutlich zu dünn besetzt. Gerade auf der drei mangelt es an Tiefe. Wahrscheinlich wird Mike Dunleavy starten und von McDermott und mitunter sogar Mirotic vertreten werden. Tony Snell dürfte einige Minuten als Backup für Butler erhalten. Auch Hinrich kann auf der Zwei aushelfen. Insgesamt wirkt die Flügel-Rotation noch nicht ausgereift. Zumal Talent zwar zweifelsohne vorhanden ist, es allerdings an Erfahrung mangelt.
Momentan bemüht man sich deshalb angeblich um E'Twaun Moore und Jordan Crawford. Ob die beiden ernsthaft weiterhelfen, weiß jedoch niemand. Zu wissen glauben jedoch viele, dass ihre Moves zu Bulls zum Favoriten im Osten machen. Trotz Cleveland und LeBron James.
Mit Rose, Butler, Dunleavy, Gasol und Noah besitzt Chicago tatsächliche eine durchaus vorzeigbare Starting Five. Auch die Bank hat an Tiefe gewonnen. Die Offense wurde deutlich verstärkt. Die Defense kommt nicht minder beeindruckend daher als in der vergangenen Saison. Dafür wird Coach Thibs definitiv sorgen.
Stand jetzt stellt Chicago so mindestens das zweitstärkste Team der Eastern Conference. Natürlich muss sich zeigen, wie sich die Neuen zurechtfinden, ob die Rookies den Erwartungen gerecht werden und, nicht zuletzt, ob Derrick Rose die gesamte Saison durchspielen kann. Im Optimalfall ist ein tiefer Playoff-Run jedoch mehr als möglich. Gelingt sogar der Durchmarsch in die Finals, wäre Rose sicherlich erneut ein sehr glücklicher Mann.