Nach Jahren der Erfolglosigkeit hofft ganz New York auf Phil Jackson. Gemeinsam mit Neu-Coach Derek Fisher soll der Zen-Meister die Knicks wieder Richtung Meisterschaft führen. Dabei essentiell: Die Triangle Offense. Doch wie funktioniert Jacksons Erfolgsformel eigentlich - und wie passt sie speziell zu Carmelo Anthony?
Elf Meisterschaften. Zwei Teams. Diverse Superstars. Ein System. 19 Jahre lang war Phil Jackson Coach in der NBA. Erst bei den Chicago Bulls, bei denen er Michael Jordan und Scottie Pippen zu deren erster Meisterschaft verhalf und schließlich insgesamt sechs Ringe ansammelte. Dann bei den Los Angeles Lakers, die Jax mit Hilfe von Kobe Bryant, Shaquille O'Neal und Pau Gasol zu fünf Titeln führte.
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Trotz eines Gregg Popovich ist Phil Douglas Jackson damit der erfolgreichste Coach der letzten zweieinhalb Dekaden. Von 24 möglichen Meisterschaften gingen elf an Teams, deren Spiel vom Zen-Meister geprägt wurde. Dass die Herren Jordan, Pippen, Bryant, O'Neal und Gasol daran einen nicht unerheblichen Anteil hatten, dürfte außer Frage stehen. Allerdings ist da eben auch dieses eine System, das alle Jackson-Teams gemeinsam hatten. Dieses System, das mittlerweile den gesamten Big Apple von besseren Zeiten träumen lässt. Die Triangle Offense.
Seit Jackson im März offiziell als President of Basketball Operations vorgestellt wurde, glauben die Knicks wieder an die Rückkehr in bessere Zeiten. Mal insgeheim, mal ganz offen sogar von der dritten Meisterschaft der Franchise-Historie. Alle Träume, alle Hoffnungen machen sich an Jackson fest. Und eben an der Triangle Offense.
"Es ist eine Philosophie"
Aber was macht dieses System, das so viele Meisterschaften möglich machte, eigentlich aus? Klar, es geht um Dreiecke. Aber sonst? "Dieses System ist mehr als eine Serie von Spielzügen", erklärt Jax selbst im "NBA Coaches Playbook". "Es ist eine Philosophie, eine konstante Art des Denkens und Ausführens, die in Kraft tritt, sobald wir den Ball bekommen. Während der Transition von Defense in die Offense bewegen sich die Spieler in einem natürlichen, zielgerichteten Fluss, sodass wir in Position und Rhythmus sind, wenn wir den Ball in den Half-Court bringen."
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Eine Philosophie also. Eine Denkweise. Das passt zum Zen-Meister. Essentiell für diese Philosophie ist der von Jackson angesprochene stete Fluss. Ein klassisches Setplay kennt die Triangle im Grunde nicht. Spieler sind gefordert, die Defense zu lesen und entsprechend des ihnen vorgegebenen Korsetts darauf zu reagieren. So ergeben sich im Idealfall - sprich: nach richtigen Entscheidungen - stets mehrere Optionen, die die Stärken des Einzelnen hervorheben und die Schwächen überdecken sollen.
Einen dominanten Point Guard bezeichnet Jackson deshalb als kontraproduktiv. Er würde das Spiel zu ausrechenbar machen. Grundsätzlich nutzt die Triangle zwei Guards, die sich den Ballvortrag teilen, um vorne, je nach Positionierung und Druck der Defense, den Ball mit Vorliebe an den aufpostenden Big Man am mittleren Zonenrand abzugeben und in die Ecke der Strong-Side zu cutten. Gemeinsam mit Flügel und Big Man bildet der Guard nun - genau - ein Dreieck, das als Ausgangspunkt für verschiedene Cut-, Pass- und Wurfoptionen dienen soll.
Spacing, Ballmovement, Playermovement
All das im Detail zu erklären, führte sicherlich zu weit. Essentiell ist jedoch, dass das Spacing stets gewährleistet ist. Um Wege für Defender zu verlängern und in der Konsequenz dank Ballmovement und viel Bewegung abseits des Balls offene Würfe herauszuspielen, halten die Spieler im Idealfall einen Abstand von rund 4,5 Metern zueinander.
Funktioniert diese Dreifaltigkeit aus Spacing, Ball- und Playermovement, entsteht tatsächlich ein Fluss, der so lange am Laufen gehalten wird, bis die Defense schließlich einen Abschluss anbietet. Kurz: Der jeweilige Scorer soll genügend Platz für einen guten Wurf bekommen.
Extrem kompliziert klingt all das nicht, allerdings fordert die Triangle jedem einzelnen ihrer Teile unglaublich viel ab. Spieler müssen beständig die Defense lesen, die richtigen Cuts, die richtigen Pässe, die richtigen Optionen wählen. Das zu erlernen und einzustudieren, erfordert Zeit.
Jackson muss sich Ex-Spieler suchen
Es ist daher nicht allzu überraschend, dass das System mit Phil Jacksons letztem Spiel als Coach im Grunde von der NBA-Bühne verschwand. Anders als beispielsweise Pop zog sich Jax keine Nachfolger heran, niemand traute sich wirklich an die Triangle. Um sie nun bei den Knicks zu installieren, musste Jackson also einen seiner ehemaligen Spieler finden. Am Besten einen, der das System auch wirklich verstanden, der es verinnerlicht hatte. Einen wie Steve Kerr, Jacksons eigentlich erste Wahl.
Der ehemalige Bull entschied sich jedoch für die Golden State Warriors und Jax holte Derek Fisher direkt vom Court in Oklahoma City auf die Bank im Madison Square Garden. Und als wäre der erste Coaching-Job gerade im Big Apple nicht bereits Herausforderung genug, steht Fisher dort nun vor der Aufgabe, den Knicks ein völlig neues Gesicht zu verpassen.
Denn konträrer könnte New Yorks Spielansatz der vergangenen Jahre zur Triangle Offense kaum sein. Mit Vorliebe ließen die Knicks ihre Offense über Isolationen laufen, mit Vorliebe über Carmelo Anthony, ihren besten Scorer. Ach was, einen der besten Scorer der gesamten Liga.
Seite 1: Die Grundidee der Triangle Offense
Seite 2: Melo und die Triangle
Jedenfalls bis zu dieser Saison. Momentan tut sich Melo nämlich ausgerechnet beim Scoring merklich schwer. Zwar gelangen ihm gegen die Jazz 46 Punkte, insgesamt fiel der Punkteschnitt des Forwards allerdings um 3,9 Zähler (23,5). Anthonys Player Efficiency Rating ist sogar erst zum vierten Mal in seiner Karriere unter 20 abgesackt (19,93). Kurz: Noch kommt Melo nicht wirklich mit der Triangle klar.
Dabei hatte sich Anthony nach anfänglicher Skepsis - noch im Frühjahr sprach er davon, mehr zu werfen, "sobald wir verlieren" - einiges von der Triangle versprochen. "Das neue System wird mein Spiel verbessern", erklärte Melo während der Offseason. "Es wird das Spiel meiner Teamkollegen verbessern. Wir werden als Ganzes erfolgreich sein." Das sind die Knicks momentan jedoch nicht. Von zehn Spielen haben sie zwei gewonnen. Die Triangle zu erlernen benötigt Zeit. Mitunter auch Überzeugungsarbeit.
So war Michael Jordan zu Beginn alles andere als angetan, als ihm Jackson eröffnete, er solle den Ball ab sofort doch bitte etwas häufiger mit seinen Teamkollegen teilen. Das Ende ist bekannt. Teilweise jedenfalls. Denn um die ganz großen Erfolge zu feiern, vertraute Jax dann doch auf Jordan, der während seiner Zeit unter dem Zen-Meister im Schnitt 23,4 Würfe nahm. Und auch Kobe drückte als Triangle-Laker 20,4 Mal pro Spiel ab.
Weniger Würfe? Eher nicht!
Melos ließ sich dennoch zur Vorhersage verleiten, er würde aufgrund des neuen Systems ab sofort seltener den eigenen Abschluss suchen. Nun ja, allzu groß ist der Unterschied zwischen den 21,3 Abschlüssen aus der vergangenen Saison und den 20,4 während der ersten zehn Spiele dieser Spielzeit nicht. Wurfwütiger als die Herren Jordan und Bryant ist Anthony allerdings ebenfalls nicht.
Das ist gleichzeitig jedoch der Punkt: Es geht nicht einzig darum, weniger zu werfen. Wichtig ist vor allem, weniger schlechte Würfe zu nehmen, das gesamte Team in die Offense zu integrieren, um weniger ausrechenbar zu sein. So traten auch MJ und Kobe meist als Closer auf, einfach, weil sie es am besten konnten. Nur nahmen sie eben nicht immer den erstbesten Wurf.
"Carmelo hat diverse Beispiele von Spielern, die in diesem System erfolgreich waren", sagt deshalb auch Fisher. "Michael ging neue Wege, um im System erfolgreich zu sein. Ich denke, Carmelo hat deshalb im Grunde einen Vorteil, weil er sich ein Beispiel an einigen der besten Spieler aller Zeiten nehmen kann."
Kontakt zu Kobe
Dass Melo durchaus gewillt ist, diesen Vorteil auch zu nutzen, bewies er, als er im Sommer Bryant kontaktierte, um sich von ihm das System erklären zu lassen. Auch mit Scottie Pippen hat er gesprochen. Alles wird sich Anthony allerdings nicht von seinen beiden quasi-Vorgängern abschauen können.
Denn wo sich Jordan und Bryant rein von den Anlagen her auf dem Court ähnlich waren, wie es zwei unterschiedliche Spieler nur sein können, ist Melo ein anderer Typ. Melo ist kein Guard, kein Ballhandler. Das wissen auch die Knicks. "Carmelo wird nicht die Angriffe einleiten", erklärt Jackson. "Er soll nach vorn gehen und unterschiedliche Positionen bekleiden. Andererseits wird seine Position relativ genau definiert sein. Ich denke, er wird sich in seiner jeweiligen Position wohl fühlen."
Heißt: Dank verbessertem Ballmovement und mehr Dynamik abseits des Balls sieht sich Melo nicht mehr ständig Double Teams gegenüber, soll einfacher Würfe bekommen, vielleicht sogar wieder ein wenig in die Rolle seiner Anfangstage in Denver schlüpfen. Dort ging einem Großteil von Anthonys erfolgreichen Würfen nämlich ein Assist voraus, erst bei den Knicks suchte der Forward vermehrt die Isolation.
Melo: Mehr Passing als gedacht
Theoretisch bietet die Triangle Melo also einige Vorteile. Allerdings fordert sie ihm auch einiges ab. Das Read-and-React-Prinzip kennt Anthony nicht. Früher machte er einfach. Er ließ die Defense auf ihn reagieren. Das genügt nun nicht mehr. Anthony ist nicht mehr nur als Scorer gefragt, er muss die Offense durch sein Passspiel am Laufen halten, Jackson - und damit Fisher - hasst auf dem Court schließlich nichts mehr als einen Ballhog, der den Spalding erst einmal ewig in seinen Händen hält und den offensiven Fluss damit zum Erliegen bringt.
Für den einen oder anderen mag das wie eine perfekt auf Anthony zugeschnittene Stellenanzeige klingen. Allerdings hat der Forward bereits bewiesen, dass unter "P" auch in seinem Duden "Passen" zu finden ist. Vergangene Saison spielte er beispielsweise 40,7 Pässe pro Spiel und damit mehr als Kevin Durant und "Playmaker" Lance Stephenson (beide 38,9).
Zudem versteht es Melo auch, den richtigen Pass zu spielen. So vollendeten seine Teamkollegen während der Spielzeit 2013/14 immerhin die Hälfte von Anthonys 484 Assist-Gelegenheit, gab ein anderer Spieler den Pass, waren es lediglich 47 Prozent.
In dieser Saison spielt Melo bislang die siebtmeisten Assists aller Small Forwards (3,7). Mit einer Assist Ratio von 12,8 liegt er positionsintern allerdings gerade einmal auf Rang 28. Ganz ist Anthony also noch nicht in der Triangle Offense angekommen. Wie das gesamte Team übrigens. Die Knicks zögern noch zu häufig beim cutten und passen, denken zu viel nach.
Wo bleibt die Effizienz?
In Sachen Offensive Efficiency liegen sie ligaweit so lediglich auf Rang 21. Was eigentlich die Effektivität fördern soll, hemmt sie. Derzeit jedenfalls. Inwieweit all diese Probleme schnell zu lösen sind, muss sich allerdings zeigen. Schließlich passt das Team noch nicht perfekt zum System. Abgesehen von - mit Abstrichen - Amar'e Stoudemire mangelt es an Präsenz im Post. Dazu fehlt Melo der zweite Star, ein Pippen, ein Shaq respektive - je nach Sichtweise - Kobe oder Gasol.
Das Team muss sich noch finden. Ewig Zeit wird es aber nicht bekommen. "An Thanksgiving, im Dezember, ist es Zeit, zu sagen, 'wenn du es bis jetzt noch nicht verstanden hast, müssen wir dich als Lerner oder eben nicht als Lerner sehen", erklärte Phil Jackson gegenüber der "New York Post". Was ein wenig kryptisch klingt, soll wahrscheinlich heißen, dass der Zen-Meister auszusieben gedenkt. Wer das System versteht, bleibt, wer nicht - eben nicht. Auch Jax hofft schließlich auf seinen zwölften Ring.