Das Gesicht der legendären Run-TMC-Ära wird 59 Jahre alt. Chris Mullin war elementarer Bestandteil des Dream Teams 1992 und ist bis heute eine der größten Warriors-Legenden aller Zeiten. Die Geschichte eines von Magic Johnson auf den Thron gehobenen Mannes, der am Abgrund stand, den unendlicher Fleiß aber wieder nach oben brachte.
Christopher Paul Mullin wusste relativ schnell, was er nicht konnte. "Ich wünschte, ich wäre ein wenig wie Julius Erving gewesen, oder wie Michael Jordan", offenbart Mullin und erinnert sich an alte Zeiten.
Herbst 1981, die Red Storm der St. John's University aus New York treffen auf die Carolina Tar Heels und deren verheißungsvollen Freshman Jordan. Die Deckungsarbeit des hochgepriesenen Shooting Guards sollte kein Geringerer übernehmen als der Star der Red Storms, der mit Abstand beste Mann im Roster: Chris Mullin.
Dieser hatte Jordan bereits zuvor spielen sehen und ahnte Böses. Mit einem Lächeln beschreibt Mullin: "Wir waren beide exakt gleich groß, also trafen wir aufeinander. Ich dachte nur: Können wir vielleicht ein bisschen Zone spielen?"
Mullin war Zeit seines Lebens kein Athlet, eben keiner wie Dr. J. oder MJ, eigentlich eher das Gegenteil davon. Er war kein Defensivspezialist, keiner, der jeden Gegenspieler vor sich halten konnte. Und dennoch wurde er gut zehn Jahre später an Jordans Seite Olympiasieger 1992, dennoch wurde er zu einer der größten Warriors-Legenden aller Zeiten. Der Grund dafür? Fleiß, gnadenloser Trainingsfleiß.
"Nannten ihn den weißen Schwarzen"
Mullin ist Teil einer ganz speziellen Basketball-Spezies: Ein New Yorker Original. Geboren und aufgewachsen im Herzen von Brooklyn war er schnell fasziniert von den legendären New York Knicks um Earl Monroe und Walt Frazier. Mullin wollte auch so einer werden, doch er merkte schnell, dass ihm das Spiel mit dem orangefarbenen Leder nicht in die Wiege gelegt wurde, dass er mehr tun musste als andere Jungs, um wirklich gut zu sein.
Schon früh entdeckte der streng katholisch erzogene Junge seine Liebe für die Trainingshalle. Tag um Tag, Stunde um Stunde arbeitete Mullin an allen Facetten des Spiels, vor allem aber an seinem Wurf.
Stand er mal nicht in der Halle, fuhr er nach Harlem und in die Bronx, um sich mit den besten Streetballern der Stadt zu messen, weswegen es auch nicht verwundert, dass sein späterer Teamkollege Tim Hardaway feststellte: "Chris hat gespielt wie ein Schwarzer. Er hat sogar so wie einer unserer Brüder geredet. Wir haben ihn den weißen Schwarzen genannt."
So entwickelte sich der weiße Junge mit der dichten Mähne zu einem lokalen Star in New York. Nach der Wahl zu "New York States Mr. Basketball" konnte sich Mullin das College folglich aussuchen. Trotz etlicher hochkarätiger Angebote, unter anderem von Duke um Coach Mike Krzyzewski, entschied er sich aber für die Heimat.
"Die Halle? Sein Labor, sein Leben"
Bei den St. John's Red Storm entwickelte sich Mullin zu einem nationalen Phänomen. Sein Trainingseifer wurde legendär. "An einem Tag haben wir mit fünf, sechs Spielern in der Halle trainiert, als wir von einem Schneesturm hörten. Wir haben uns auf den Heimweg gemacht, nur Chris ist in der Halle geblieben", erinnert sich Bill Wennington, einer seiner damaligen Teamkollegen in St. John's und führt fort: "Drei Tage später, nachdem der Schneesturm vorbei war, kam ich zurück und Chris war noch immer da, er hatte die Halle nicht verlassen."
Hall-of-Fame-Coach Lou Carnesecca, der Mullin in St. John's betreuen durfte, schlägt in die gleiche Kerbe. "Er war eine wahre Gym Rat. Jeden Abend um zehn hast du ihn noch in der Halle gesehen. Es war sein Labor, sein Leben", offenbart die Trainerlegende.
Die harte Arbeit trug Früchte. Die Konsequenz aus unzähligen Stunden in der Halle: Einer der perfektesten und sichersten Würfe, den die Basketballwelt je sehen sollte. Was Mullin schon früh an Athletik fehlte, das machte er durch Cleverness, Eifer und einen wundervollen Jumper wieder wett.
Diese Kombination brachte Mullin nicht nur einen Platz im Olympiateam 1984 in Los Angeles, sondern schließlich auch 1985 den John Wooden Award für den College-Spieler des Jahres sowie den Scoring-Titel im abschließenden NCAA-Turnier, in dem der Senior sein College St. John's erstmals seit 1951 wieder ins Final Four führte.
Alkohol und Übergewicht
Die Zeit war reif für die große Bühne NBA. Als siebten Pick wählten die Golden State Warriors das New Yorker Urgestein im Draft 1985. Olympiasieger Mullin kam mit reichlich Vorschusslorbeeren in die Association.
Doch die Anfangszeit in Oakland gestaltete sich als äußerst kompliziert. Erstmals völlig fernab der Heimat, losgerissen von Familie und Freunden, tat sich "Mully" schwer. Zwar legte er zwei ganz ordentliche Spielzeiten hin, abseits des Feldes entglitt ihm aber sein Leben. Immer häufiger gab sich das Wurfwunder dem Alkohol hin, immer seltener erschien er beim Training.
Das alles änderte sich mit der Ankunft von Coach Don Nelson, der die Warriors in Mullins dritter Saison übernahm. Der spätere Mavs-Trainer war schockiert vom Zustand seines Small Forwards. "Als ich ankam, hörte ich von überall nur, wie unfassbar gut er sei. Aber er war nicht gut. Er war ein Alkoholiker und übergewichtig", machte sich Nelson ziemlich schnell ein Bild von seinem Star.
Der neue Übungsleiter zwang seinen vermeintlich besten Spieler zum Entzug. Für einen Monat wurde der alkoholkranke Warrior ins abgelegene Inglewood geschickt. Statt der Übungszeit in der Halle standen sechs Stunden pro Tag voller Meetings und Therapien an.
"Ich musste die Kontrolle über mein Leben wiederfinden. Diesen Schritt hätte ich ohne Coach Nelson niemals gewagt", beschreibt Mullin die schwierige Situation. Doch das Talent stürzte sich mit demselben Ehrgeiz in die Behandlung, mit dem es sonst Wurf um Wurf im Gym nahm. Das Ergebnis war beeindruckend.
Ein Wendepunkt war Mullins erstes Spiel nach dem Entzug, an das er sich noch lebhaft erinnert: "Ich war noch ein wenig fragil, gerade noch dabei, mein Leben wieder in den Griff zu kriegen. Dann bin ich rausgegangen und die Menschen in der Arena sind für mich aufgestanden. Ich habe Ovationen erhalten. Da wusste ich: Okay, ich habe hier die Chance, es zu packen."
Neues Frisur, neues Leben
Mullin rasierte sich die Haare, verpasste sich seinen bis heute markanten Militärschnitt, trainierte noch mehr als zuvor und spielte fortan den besten Basketball seines Lebens.
"Vor dem Entzug war er ein Scorer. Er hatte schon immer eine enorme Range. Aber danach, als er wieder Kontrolle hatte, gab es nichts, was er nicht konnte. Er wollte den Ball, er penetrierte, er passte", meinte Don Nelson.
In seiner ersten vollen Saison nach dem Entzug (88/89) legte Mullin durchschnittlich 26,5 Punkte auf, verwandelte 50,9 Prozent seiner Würfe und schnappte sich 2,1 Steals. Mit der statistisch besten Saison seiner Karriere legte er den Grundstein für eine der bis dato populärsten Ären der Association: Run TMC.
Run TMC erobert die Liga
Gemeinsam mit seinen Teamkollegen Tim Hardaway und Mitch Richmond lehrte Mullin seinen Gegnern drei Jahre lang von 1989 bis 1991 das Fürchten. Im berühmten Run-and-Gun-Stil von Don Nelson trumpfte das Trio auf, verzückte dabei mit durchschlagender Offensivpower und Scoring die eigenen Fans sowie die gesamte Liga.
"Es war eine faszinierende Phase. Als wir das Feld betraten, fanden wir auf eine besondere Art zusammen. Es war genau die Zeit, als sich mein Spiel und mein Leben in perfektem Einklang befanden", beschreibt Mullin selbst die einzigartige Zeit, die mit dem 162:158 gegen die Denver Nuggets, dem bis heute punktreichsten NBA-Spiel ohne Overtime, am 2. November 1990 ihren Höhepunkt fand.
Während Richmond das Team 1991 verlassen musste, hielt Mullin den Warriors zwölf Jahre lang die Treue. Zum großen Erfolg reichte es nie. Dreimal war in den Western Conference Finals Schluss, weiter zogen die Warriors mit Mullin nie in den Playoffs, auch wenn höchst attraktiver Basketball in Oakland gespielt wurde und der Flügelspieler selbst hohes Ansehen in der Liga besaß.
Dream-Team-Triumph für Miniatur-Bird
Jim O'Brien, damaliger Assistant-Coach der New York Knicks, verglich Mullin dabei sogar mit einem ganz Großen seines Fachs. "Er ist ein Abbild von Larry Bird. Keiner von beiden ist schnell, doch sie werfen perfekt, benutzen ihre Körper extrem gut und sind dabei so hervorragende Passgeber", beschrieb der Trainer den Warriors-Star damals.
Während es für Mullin in der Liga auch während seiner drei Jahre bei den Indiana Pacers trotzdem nicht für den Titel reichte, wurde ihm in der Zwischenzeit auf internationaler Ebene höchste Ehre zuteil.
So war Mullin als viertbester Scorer elementarer Bestandteil des Dream Teams, das bei Olympia 1992 nicht nur die Goldmedaille, sondern auch weltweiten Ruhm erlangte. Nach dem Triumph 1984 war es bereits das zweite olympische Gold für Mullin.
Neben den internationalen Erfolgen stehen fünf All-Star-Nominierungen und vier Auftritte in All-NBA-Teams in der Karriere des 2011 in die Hall of Fame aufgenommenen Mannes, der mit seinem außerordentlichen Wurf und dem beeindruckenden Offensiv-Repertoire die Bay Area zu einer Zeit verzauberte, als Dell Curry seinen kleinen Sohn namens Stephen gerade noch die Windeln wechselte.
Genialer Shooter, noch besserer Mensch
Mullin selbst blickt sehr reflektiert zurück auf seine bewegte NBA-Karriere, die 16 Spielzeiten lang andauerte. "Natürlich habe ich es geliebt, im All-Star-Game zu spielen, ins All-NBA-Team gewählt zu werden und all diese Dinge. Doch was mir mehr bedeutet hat als alles andere, war der Respekt. Der Respekt der Coaches, der Mitspieler und der Menschen auf der Straße", stellt er heraus.
Dabei wird deutlich, dass Mullin nicht nur ein besonderer Basketballer war, sondern auch ein besonderer Mensch ist. Der ehemalige Warriors-Coach Mark Jackson, der mit Mullin zusammen am College in St. John spielte, meint nicht ohne Grund: "Er ist auf jeden Fall einer der besten Shooter, der jemals einen Basketball angefasst hat. Aber er ist ein noch besserer Mensch. Ich verdanke ihm viel von meinem Erfolg, denn er hat mir damals am College unfassbar viel beigebracht."
So kehrte Mullin mit 51 Jahren und nach einiger Zeit im Front Office der Golden State Warriors sowie der Sacramento Kings wieder zu seinen Wurzeln zurück. Im März 2015 nahm er den Job als Coach der St. John's Red Storm an, bevor er 2019 aus persönlichen Gründen zurücktrat. Nebenbei engagiert er sich in etlichen karitativen Projekten seiner Heimatstadt.
Dennoch, der Basketball vermisst Mullin und keiner brachte es einst so gut auf den Punkt wie Lakers-Legende Magic Johnson. Seine Meinung zum Dream-Team-Kollegen? "Als Gott einen perfekten Basketballspieler erschuf, hat er Chris Mullin geschnitzt und gesagt: Das ist dieser Spieler."