"Ich sehe überall Regenbögen"

Haruka Gruber
16. Juli 201512:40
Tibor Pleiß spielt in der kommenden Saison für die Utah Jazzgetty/imago
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Es fing an als Top-Secret-Mission - und auf eine Hängepartie folgte die extreme Erleichterung: Tibor Pleiß, der vom FC Barcelona in die NBA zu den Utah Jazz wechselt, spricht im SPOX-Interview über die verrückten drei Wochen und den Start in sein neues Leben. Und: Wie er in Utah mit einer Dreier-Show für Erstaunen sorgte und wer der nächste Deutsche in der NBA sein könnte.

SPOX: Tibor, wie viele Glückwünsche haben Sie in den letzten Stunden erhalten?

Tibor Pleiß: Sehr, sehr viele. Es geht ja schon seit Tagen so, dass die Nachricht in der Luft waberte, wobei es noch nicht bestätigt werden konnte. Daher gab es immer wieder Nachfragen und Glückwünsche - und ich durfte nie etwas antworten, weil es noch nicht offiziell war. Umso erleichterter bin ich, dass ich jetzt darüber sprechen darf und der Welt verkünden kann, dass ich ein Spieler der Utah Jazz bin.

SPOX: Was löst der Satz in Ihnen aus: "Tibor Pleiß ist NBA-Profi"?

Pleiß: Die NBA war immer mein Traum - und jetzt bin ich ein Teil davon. Das ist etwas Wundervolles für mich, wobei ich es bis jetzt nicht realisiert habe, weil es eine komplett neue Situation ist. Ich kann das Gefühl gar nicht beschreiben. Ich war die ganze Zeit eigentlich locker drauf. Ich wollte mir selbst bewusst nicht so viel Vorfreude gestatten, um am Ende nicht enttäuscht zu werden. In den letzten Jahren hieß es ja immer, dass es rüber in die NBA geht, und dann kam es doch nie dazu. Daher habe ich versucht, mit einer positiven Gelassenheit die Dinge auf mich zukommen zu lassen. Jetzt mit dem heutigen Tag und der Bestätigung, dass auch Utah den Vertrag unterzeichnet hat, sehe ich allerdings überall Regenbögen. (lacht) Ich bin extrem erleichtert und extrem motiviert, den Jazz das Vertrauen zurückzuzahlen.

SPOX: Wie verliefen die vergangenen drei Wochen? Ihre Reise in die USA wurde streng geheim gehalten, und selbst als die ersten Bilder von Ihnen im Jazz-Camp auftauchten, gab es keinen Kommentar.

Pleiß: Ich wollte es nicht an die große Glocke hängen, vor allem, weil ich Rücksicht auf den FC Barcelona nehmen wollte. Sie wussten natürlich, dass ich mit den Jazz rede, aber wenn ich zu offensiv über die NBA gesprochen hätte, obwohl ich einen laufenden Vertrag mit Barca besaß, wäre der Respekt nicht gewahrt gewesen, den Barcelona verdient. Daher bin ich ohne Trara am 28. Juni nach Salt Lake City geflogen und blieb dort bis zum 4. Juli. Ich lernte den Coachingstaff und einige Spieler wie Rudy Gobert und Dante Exum kennen und absolvierte fünf Trainingseinheiten sowie den Medizincheck und die Leistungsdiagnostik.

SPOX: Offenbar hinterließen die Trainingseinheiten blendenden Eindruck. Vor allem die Quote von 66 verwandelten Dreiern bei 90 Versuchen soll die Jazz begeistert haben.

Pleiß: Ich wusste vorher gar nicht, dass mich Shooting Sessions erwarten. Zumal die europäische Dreierlinie ja näher am Korb ist und ich mich umgewöhnen musste. Trotzdem habe ich über die fünf Tage immer um die 60 Prozent der Dreier von der NBA-Distanz getroffen. Das war ein super Gefühl, wieder ein paar Dreier reinzuballern, weil in den letzten Jahren in Spanien immer eine andere Rolle für mich vorgesehen war und ich nicht so oft von außen schießen und stattdessen vor allem am Korb agieren sollte. Als ich den Jazz-Coaches davon erzählte, konnten sie das nicht glauben, weil sie meine Quoten von früher kannten und ich in den Einheiten so hochprozentig getroffen habe.

Utah-Coach Alex Jensen im Interview: "Perfekte Situation für Tibor"

SPOX: Es klingt, als ob Sie sich mit Ihrem Skill-Set und Wurf ideal mit dem athletischen Franzosen Rudy Gobert ergänzen, mit dem Sie sich wohl die Minuten auf der Center-Position teilen werden.

Pleiß: Absolut! Rudy ist mehr der Center, der unter dem Korb spielt, den Ball dunkt und Blöcke setzt. Und ich könnte der sein, der etwas mehr von außen agiert. Zumal wir uns persönlich verstehen. Als ich in Utah war, haben wir uns häufig unterhalten: über die anstehende EM, über unsere Nationalmannschaften und über Fabien Causeur sowie Thomas Heurtel, mit denen Rudy für Frankreich spielt und die meine Teamkollegen in Vitoria waren. Rudy ist ein sehr netter Typ.

SPOX: Gobert entwickelte sich bei den Jazz innerhalb von zwei Jahren zu einem der hoffnungsvollsten NBA-Center überhaupt. Lässt das Rückschlüsse auf Sie zu?

Pleiß: Ich hoffe doch. (lacht) Rudy hat bewiesen, wie man das nächste Level erreicht. Und ich glaube, dass Utah die perfekten Voraussetzungen für mich bietet. Die Jazz sind sehr international ausgerichtet, was mir entgegenkommt. Rudy und ich sind aus Europa, dazu mit Dante und Joe Ingles zwei Australier: Diese Mischung aus NBA- und internationaler Basketball ist ideal.

SPOX: Das entspricht der Philosophie von Headcoach Quin Snyder, der unter anderem in Europa als Assistantcoach von ZSKA Moskau tätig war.

Pleiß: Er ist ein sehr professioneller und kompetenter Coach, das merkt man sofort. Er hat mich gleich zur Seite genommen und Tipps gegeben, wie einzelne Laufwege verbessert werden können oder wie ich effektiver poste. Ich bin sehr gespannt, was er mir noch beibringt. Und mir gefällt natürlich, dass er schon in Europa war und unter Ettore Messina in Moskau gearbeitet hat. Offenbar haben wir damals in der Euroleague sogar gegeneinander gespielt, als ich noch in Bamberg war. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, aber er erzählte mir, dass ich damals wohl ganz gut gespielt habe.

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SPOX: Wie viel Respekt haben Sie dennoch vor der Umstellung vom europäischen auf den NBA-Basketball?

Pleiß: Das Positive: Barcelona spielt einen Stil, der von den europäischen Topteams am meisten der NBA ähnelt: sehr schnell, sehr viele Systeme. Zumal die Jazz-Coaches den internationalen Basketball sehr gut kennen und wissen, worauf es beim Switch in die NBA ankommt. Sie haben mir sehr glaubhaft versichert, dass sie mich als Basketballer entwickeln wollen. Ich weiß jetzt schon, dass ich mich im Klub sehr wohlfühlen werde und sie mir bei der Eingewöhnung beistehen.

SPOX: Welche Unterschiede gilt es konkret für einen Center zu beachten?

Pleiß: Unter anderem gibt es in der NBA weniger Help-Defense, es geht vielmehr um das Eins-gegen-eins und den direkten Kontakt mit dem Gegenspieler. Das bedeutet gleichzeitig, dass man häufiger Freiräume bekommt, was für einen wurfstarken Center wie mich ein Vorteil sein könnte. Oder auch im eigentlichen Eins-gegen-eins muss man sich umstellen: Dadurch, dass die Amerikaner in der Verteidigung früher abspringen, um zu blocken, kann man häufiger mit Pump-Fakes arbeiten. Dafür ist das Risiko größer, eben geblockt zu werden. Es gibt also viele gravierende Unterschiede und ich muss und werde mich anpassen.

SPOX: Dabei hilfreich sein sollte Alex Jensen. Der Jazz-Assistantcoach wurde von Bundestrainer Chris Fleming für die EM ebenfalls als Assistant verpflichtet. Nur Zufall?

Pleiß: Das muss man bei Chris Fleming fragen. Chris ist in der NBA sehr gut vernetzt und dass die Wahl auf Alex fiel, ist natürlich perfekt für mich. Er kann mir sicherlich am Rande der EM-Vorbereitung einige Ideen der Jazz näherbringen.

SPOX: Nach der EM werden Sie Ihren langjährigen Mentor Fleming weiter regelmäßig sehen: Er selbst geht gleichfalls in die NBA und wird Assistantcoach bei den Denver Nuggets.

Pleiß: Das ist eine tolle Nachricht. Einerseits treffe ich ihn hin und wieder während der Saison, andererseits ist es für Chris selbst klasse. Ich verdanke ihm sehr viel und er hat es mehr als verdient, es in die NBA zu schaffen. Man muss sich vor Augen halten, was ihm in den letzten Jahren gelungen ist: Er fing in Quakenbrück an, holte mit Bamberg das Triple-Double, ist jetzt Nationalmannschaftscoach und wird bald in der NBA arbeiten. Das muss man mal schaffen. Er hat sich Schritt für Schritt alle Erfolge erarbeitet - und wer weiß, was dann noch kommt.

Tibor Pleiß im Interview: "Ein bisschen peinlich ist das schon"

SPOX: Fleming versprach nur vier Spielern eine sichere EM-Kader-Nominierung: Dirk Nowitzki, Dennis Schröder, Ihnen und Maxi Kleber, der wie Sie in Spanien unter Vertrag stand. Nun muss Kleber die EM verletzungsbedingt absagen. Wie sehr wird der Ausfall dem DBB-Team schmerzen?

Pleiß: Maxis Schicksalsschlag trifft mich aus freundschaftlicher Sicht extrem. Er ist ein großartiger Spieler und sportlich könnte sein Fehlen ein Loch bei der EM hinterlassen. Trotzdem: Das Wichtigste ist, dass er gesund wird und nächste Saison bei den Bayern voll angreift.

SPOX: Offenbar besaß Kleber wie Sie eine realistische Chance, einen Kaderplatz in der NBA zu erhalten. Neben Miami, die Ihn zur Summer League eingeladen hatte, gab es weitere Interessenten. Sehen Sie NBA-Potential in Kleber?

Pleiß: Auf jeden Fall! Maxi ist sehr sprungstark, verfügt über einen starken Wurf von außen und spielt sehr variabel. Er bringt das gesamte Paket mit. Und bei ihm passt die Persönlichkeit: Er ist bescheiden und höflich, dennoch weiß er, was er will. Daher glaube und hoffe ich, dass er in den nächsten Jahren Dennis und mir in die NBA folgen kann.

SPOX: Kleber wurde nicht nur von NBA-Teams und den Bayern umworben, sondern angeblich auch von Ihrem Ex-Klub Barcelona. Wie blicken Sie selbst auf Ihre Zeit dort zurück?

Pleiß: Anders als es viele behaupten, sehe ich die Zeit in Barcelona überhaupt nicht negativ. Im Gegenteil. Es war nicht immer eine einfache Situation für mich, aber ich machte das Beste daraus - und das ist das Entscheidende. Es hat mir beispielsweise sehr viel gebracht, jeden Tag gegen Ante Tomic zu trainieren. Ohne Neid muss man anerkennen, dass er einer der besten Basketballer Europas ist, der seit Jahren auf dem höchsten Level bei Barcelona und Real Madrid spielt.

SPOX: Sie und Tomic verbindet einiges: Sie sind beide Center, sie sind beide über 2,15 Meter groß, sie spielten beide für Barca - und Utah besaß die NBA-Rechte an ihnen. Nun bleibt Tomic in Spanien und Sie gehen zu den Jazz. Wie seltsam ist das?

Pleiß: Das gehört dazu. Ich dachte eigentlich, dass Ante in die NBA geht, weil er sein Interesse bekundet hatte. Entsprechend überraschend ist es, dass es nicht dazukam. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich Ante in Barcelona sehr wohlfühlt und er anders als ich seinen Weg doch eher in Europa sieht. So ist das Business.

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