Nach misslungenen Kapiteln in Washington und Denver geben die Dallas Mavericks JaVale McGee eine neue Chance, seine NBA-Tauglichkeit unter Beweis zu stellen. Seine Krankheit und der Shaqtin-Kultstatus werfen Fragen auf. Ist das Risiko zu hoch oder kann er den Mavs wirklich helfen?
In der Schule gibt es immer einen Klassenliebling. Einen, der von jedem Lehrer gemocht wird. Der immer die Hausaufgaben richtig hat, der das Klassenbuch trägt. Und der die Aufsicht hat, wenn die Lehrerin den Raum verlässt.
Und dann gibt es da noch den anderen. Den, der hin und wieder zu spät kommt. Der immer drangenommen wird, wenn sich keiner meldet. Der oft mit den Gedanken woanders ist. Und selbst, wenn er im Test etwas Gescheites schreibt, wird gefragt, ob er allein darauf gekommen ist. Jeder Lehrer hat ihn auf dem Kieker. Dieser jemand ist JaVale McGee.
Die Mavericks haben den Center für die neue Saison unter Vertrag genommen und sehen in ihm eine echte Option auf der Fünf. Mit vier anderen Center-Kandidaten wird er sich in Dallas um Minuten streiten.
Aufstieg zum Kult-Star
Seit dem Sendestart vor knapp vier Jahren ist McGee fester Bestandteil von "Shaqtin' a fool", der wöchentlichen TNT-Serie, in der sich Shaquille O'Neal mit drei Kollegen über die kuriosesten Szenen der NBA lustig macht. Mit einigen besonders fragwürdigen Aktionen hat sich der 27-Jährige eine Art Kultstatus erarbeitet, doch manchmal wird er auch nur nominiert, weil er JaVale McGee ist.
Zuletzt musste die Sendung mehrere Monate ohne ihren Lieblings-Protagonisten auskommen, denn die 76ers waivten McGee am 1. März diesen Jahres. Kurz zuvor hatten ihn die Nuggets zu den Sixers getradet, um sich seines überdimensionierten Gehaltes zu entledigen.
Plötzlich Großverdiener
11 Millionen Dollar verdiente McGee in der letzten Saison, 12 Millionen sind es in der kommenden. Die Vertragsverlängerung von 2012 war eine Investition in sein Potenzial - aber schon bald bereute man den Vierjahres-Deal über 44 Millionen Dollar in der Mile High City.
Nachdem McGee bei den Wizards viele gute Ansätze gezeigt hatte, konnte er in Denver selten beweisen, dass in ihm ein echter NBA-Spieler steckt. "Er ist einfach unvorhersehbar", so Ex-Teamkollege Corey Brewer: "Sowohl im Spiel, als auch mit dem, was er sagt. Ich nenne ihn 'das große Abenteuer'. Es ist immer ein Abenteuer, egal ob gut oder schlecht."
Gut oder schlecht. Schwarz oder weiß. Es ist ein stetiges Wechselspiel bei McGee. Da springt er im Spiel kurz hinter der Freiwurflinie ab, um über keinen Geringeren als Joakim Noah zu dunken, dann verursacht er in der Defense ein haarsträubendes Goaltending oder verliert seinen Mann komplett aus den Augen. Doch dafür gibt es auch einen Grund.
Der Einfluss der Krankheit
Bei McGee wurde vor einigen Jahren eine Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) diagnostiziert. Er entschied sich gegen eine Behandlung mit Medikamenten, was erklärt, weshalb er es so schwer hat, sich zu konzentrieren. Der Center wirkt auf dem Feld häufig wie eine Katze, die einem Laser-Pointer nachjagt. Interviews geben kann er inzwischen, allerdings verraten der Inhalt und seine monotone Stimme, dass es eine antrainierte Fähigkeit ist.
Die dadurch entstandene und weit verbreitete Meinung, McGee sei einfach nur dumm, wird von vielen Coaches und Teamkollegen widerlegt. "Er ist das genaue Gegenteil", so Ex-Mitspieler Julyan Stone: "Er verwendet Wörter, bei denen ich mich frage: 'Wo hast du das denn gelernt?'. Er weiß viel über Geschichte und andere Dinge und er macht viele intelligente Witze, die man ohne einen gewissen IQ nicht versteht."
"JaVale ist einzigartig", so der damalige Nuggets-Assistant Melvin Hunt: "Er ist geistreich und doch albern. Kindisch und pfiffig zugleich. Wenn man ihn für eine Stunde in einer ersten Klasse lassen würde, könnte alles passieren. Vielleicht hätte er eine Statue aus Stühlen und Tischen gebaut. Aber wer weiß, was passieren könnte, wenn man ihn zu einem Kurs am MIT bringen würde?"
Die seltenen Momente
In der Rolle des Clowns - oder wahlweise des gesamten Zirkusses - drückt er jedem Training seinen Stempel auf. Nur vereinzelt gelang ihm das auch auf dem Feld. So wie in Spiel 5 der ersten Playoffrunde 2012, als er die Lakers mit 28 Punkten, 18 Rebounds und 5 Blocks zur Verzweiflung trieb. Oder wie bei seinem - wenn auch sehr erzwungenen - Triple-Double gegen Chicago, als er mit 11 Punkten, 12 Rebounds und 12 Blocks dominierte.
Körperlich hat der 7-Footer alle Möglichkeiten dazu, den Charakter eines Spiels zu ändern. Die ligaweit zweitgrößte Spannweite von 2,30 Meter befähigt ihn, Würfe nicht einfach nur zu blocken, sondern aus der Luft zu pflücken wie Äpfel von einem Baum. Beim Dunk Contest 2011 zeigte er, dass er doch eine bessere Koordinationsfähigkeit besitzt, als er nach einem Selbststudium seiner "besten" Szenen vermuten würde.
Kein Scherz. Er tut das wirklich: "Ich habe die schlechte Angewohnheit, mir zu Hause bei Youtube anzuschauen, was ich gemacht habe", so McGee: "Da kann ich es aus allen Perspektiven sehen." Dort beobachtet er dann beispielsweise ein Behind-the-back-Dribbling in vollem Lauf, das nur die wenigsten Center beherrschen. Wenn man danach aber nicht in der Lage ist, den Fastbreak ohne Offensivfoul oder Turnover abzuschließen, sollte man den Ball vielleicht doch eher einem Guard überlassen. Das hat McGee immer noch nicht gelernt - wohl dokumentiert dank Shaq.
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In Dallas hat man eine Vorliebe für gescheiterte, aussortierte und verschmähte Spieler. Die Franchise hat den ein oder anderen gefallenen Engel wieder in die Spur gebracht, angefangen bei O.J. Mayo, Monta Ellis oder auch Jason Terry, den die Atlanta Hawks 2004 gar nicht schnell genug loswerden konnten.
"Wir haben schon oft Spieler zu uns geholt, die in aussichtslosen Situationen waren" sagte Mark Cuban am Rand der Verpflichtung von Deron Williams, einem weiteren Renaissance-Projekt: "Entweder hat das Team nicht zu ihnen gepasst oder es gab eine Reihe Dinge, die Schwierigkeiten verursacht haben. Es waren natürlich auch Spieler mit gesundheitlichen Problemen darunter."
McGee fällt in beide Kategorien. Schwierigkeiten? Check. Neben den beschriebenen Aussetzern sorgte die Uneinigkeit über McGees Rolle für Zwist bei den Nuggets-Verantwortlichen und führte unter anderem zum Rauswurf von George Karl. Gesundheitliche Probleme? Check. In den letzten zwei Jahren absolvierte der Center aufgrund einer Stressfraktur im linken Bein und deren Folgen nur 28 Spiele.
No risk, no fun?
Auch jetzt ist McGee noch nicht fit, in Dallas hofft man aber, dass die Zeit bis zum Saisonstart reicht. Einen Monat nahm sich die medizinische Abteilung im Vorfeld, um seine Krankengeschichte zu prüfen und zu evaluieren, ob sich das Risiko lohnt.
Finanziell lehnen sich die Mavs nicht weit aus dem Fenster. McGee erhält in Dallas einen Zweijahresvertrag zum Minimum (in seinem Fall 1,2 Mio. Dollar), in der zweiten Saison besitzt die Franchise eine Teamoption. Eine weitere Besonderheit: Nur 250.000 Dollar des ersten Jahres sind garantiert. Ist McGee am Ende des Training Camps noch Teil des Rosters, kommt eine weitere Viertelmillion Dollar hinzu. Das gleiche geschieht noch einmal direkt vor Saisonbeginn. Für den 27-Jährigen ist es aufgrund seiner Gehaltsfortzahlung aus dem Denver-Deal fast irrelevant, wieviel er verdient. Er will einfach wieder spielen. Und die Mavs können ihn gut gebrauchen.
Die neue, alte Dimension
Nicht selten trauerten die Fans in Big D Brandan Wright hinterher, der im Zuge des Rondo-Trades nach Boston geschickt wurde. Mit McGee hat Rick Carlisle nun wieder einen ähnlichen - wenn auch schwächeren - Spielertyp auf der Bank. Sozusagen einen DeAndre Jordan für Arme.
Gerade der Starting Frontcourt mit Dirk Nowitzki und dem als Jordan/Chandler-Ersatz notverpflichteten Zaza Pachulia wird am eigenen Korb keine große Gegenwehr leisten können - McGee schon. Mit Rückkehrer Samuel Dalembert und dem aus Madrid geholten Salah Mejri haben die Mavs zwei weitere Big Men in der Hinterhand, die das Experiment McGee absichern.
Selbst offensiv könnte McGee ein Faktor werden. Die Mavs wollen auch ohne Monta Ellis im Fastbreak aufs Tempo drücken - als Rim Runner funktioniert McGee exzellent. Zudem operierte keine andere Franchise vergangene Saison so oft aus dem Pick'n'Roll wie Dallas. Für eine Anspielstation zwei Etagen über dem Korb hat man da sicherlich Verwendung.
Karls Wort in Gottes Ohr
Carlisle wird sich mehr als einmal an den Kopf fassen, wenn er McGee kommende Saison auf dem Parkett beobachtet - und sich in solchen Situationen vermutlich an die Worte von Karl erinnern: "Ich wünschte manchmal, ich könnte seinen menschlichen IQ nehmen und ihn zu seinem Basketball-IQ machen. Das ist alles, was ich will."
Vielleicht könnte McGee dann sein großes Potenzial ausschöpfen, doch ohne den nötigen Fokus scheint das unrealistisch. Helfen wird er Dallas trotzdem. Zumindest, solange er sich mehr auf Basketball als auf seine Reality-TV-Show "Mom's got game" konzentriert, die er zuletzt zusammen mit seiner Mutter (und Ex-WNBA-Spielerin) Pamela McGee drehte.
Im Idealfall erarbeitet sich McGee unter der harten und gleichzeitig motivierenden Hand von Carlisle eine solide Rolle in der Rotation. Die Fans von "Shaqtin' a fool" würde das sicher freuen. Denn was auch immer in Dallas passiert: Es wird spektakulär - und kurios.