SPOX: Herr Carter, Sie absolvieren aktuell Ihre 18. Saison in der NBA! Ist Basketball für Sie ein Job, ein Lieblingshobby oder immer noch mehr?
Vince Carter: Ein Job? Nein, nein, das auf gar keinen Fall! Für mich bedeutet Basketball immer noch eine ganze Menge. Ich habe dieses Spiel immer geliebt und liebe es nach wie vor. Die Herausforderung, sich mit anderen Spielern sowohl in einer Partie als auch im Training zu messen, mit deinem Team zusammen zu sein oder auch deinen Mannschaftskollegen mit meiner vorhandenen Erfahrung auf und neben dem Court zu helfen, ist durch nichts zu ersetzen. Von daher hat sich an meiner Einstellung zum Basketball in all den Jahren absolut nichts geändert.
SPOX: Stichwort Veränderung: Wie hat sich das Spiel in der NBA zwischen 1998, als Sie in die Liga gekommen sind, und heute aus Ihrer Sicht verändert?
Carter: Meiner Meinung nach haben wir heute ein komplett anderes Spiel als es noch vor rund 15 Jahren der Fall war. Im Laufe der Zeit hat die NBA die Regeln dahingehend verändert, dass das Scoren heute einfacher ist und somit auch höhere Ergebnisse zustande kommen. Für die verteidigende Mannschaft ist das im Umkehrschluss natürlich nicht gerade einfach. Ob das jedoch der richtige Weg ist? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Dennoch ist es für mich persönlich cool, immer noch dabei zu sein und selbst zu sehen, in welche Richtung das Ganze geht beziehungsweise ob sich diese Veränderungen tatsächlich positiv auswirken.
SPOX: Einige Ihrer "älteren Mitstreiter", die ebenfalls schon lange in der Liga sind, beklagen, dass das Spiel selbst vor 15, 20 Jahren noch deutlich mehr im Fokus stand als dies heutzutage der Fall ist. Speziell durch Social Media seien die Storys rund um den Court nun oftmals interessanter als das Match selbst...
Carter: Ja, da ist etwas dran. Ich selbst bin jetzt nicht wirklich groß auf diesen sogenannten Social-Media-Plattformen aktiv. Aber letztlich hat sich nicht nur das Spiel entscheidend verändert, sondern auch die Gewohnheiten, Interessen und Informationsformen der Menschen allgemein. Basketball selbst und das ganze Drumherum haben sich zu einem großen "Establishment" entwickelt. Trotz allem sollte man aber schon darauf achten, dass der Sport, um den es ja schließlich geht, weiterhin im Vordergrund steht.
SPOX: Der Druck und die Erwartungshaltung seitens der Öffentlichkeit an die Spieler war beziehungsweise ist damals wie heute riesengroß. Noch bevor Sie Ihren Fuß erstmals auf einen NBA-Court gesetzt haben, wurden Sie bereits als der "neue Michael Jordan" tituliert! Wie sind Sie mit dieser nicht gerade kleinen Bürde damals umgegangen?
Carter: Natürlich bekommt man diese ganzen sogenannten Experten-Einschätzungen mit und es schmeichelt einem auch. Alles andere wäre gelogen. Aber ich habe von Beginn an versucht, diesen Vergleich von mir wegzuschieben und nicht an mich heranzulassen. Aus einem einfachen Grund: Wir sprechen hier über Michael Jordan - ein Genie, das die Liga über viele, viele Jahre geprägt und Dinge auf dem Basketball-Feld gemacht hat, von denen alle anderen Spielern nur träumen können. MJ war schlichtweg einer der besten Akteure, die diesen Sport jemals betrieben haben. Hätte ich damals tatsächlich versucht, ihn zu kopieren oder in seine Fußstapfen zu treten, wäre der Druck zweifelsohne immens gewesen. Ich habe mich vielmehr auf mich konzentriert und wollte einfach ich selbst sein - mit meinen Stärken und meinen Schwächen.
SPOX: Zu Beginn Ihrer NBA-Karriere bekamen Sie darüber hinaus ja auch noch "familiäre Unterstützung". Als Sie 1998 bei den Toronto Raptors anfingen, war Ihr Cousin Tracy McGrady bereits seit einem Jahr dort. Hat Ihnen das den Einstieg ins Abenteuer NBA erleichtert?
Carter: Ja, definitiv. Natürlich habe ich - wie jeder andere Basketball-Fan auch - zuvor die NBA regelmäßig verfolgt und auch mit vielen Leuten gesprochen. Aber wenn du dann selbst plötzlich ein Teil davon bist, dann ist es schon sehr hilfreich, wenn man auch noch ein Familienmitglied an seiner Seite hat, das in der Spielzeit zuvor sein Rookie-Jahr absolviert und dementsprechend Erfahrungen gemacht hat. Gerade in der Anfangsphase hat mir Tracy enorm geholfen, mich entsprechend zu akklimatisieren. Außerdem hatte das noch einen anderen sehr positiven Aspekt.
SPOX: Welchen?
Carter: Für unsere Familie war es schon cool, dass wir beide in einem Team gespielt haben. Dann musste sich zumindest vorerst keiner zwischen uns und unserer jeweiligen Mannschaft entscheiden, wenn wir gegeneinander gespielt hätten. Ab dem Jahr 2000, als Tracy dann nach Orlando gewechselt ist, hat sich das geändert.
SPOX: Ihre Flugkünste waren berüchtigt und bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney haben Sie über den 2,18 Meter großen Franzosen Frederic Weis derart gedunkt, dass sogar die französischen Medien erfurchtsvoll vom "Dunk des Todes" schriebenhaben. Viele Experten und ehemalige Mitspieler sprechen seitdem vom besten und spektakulärsten Slam Dunk in der Basketball-Geschichte. Sehen Sie das ähnlich?
Carter: Ich denke schon auch, dass dieser Slam Dunk etwas ganz Besonderes war. Bis dahin hatte ich es ehrlich gesagt nicht für möglich gehalten, über einen Spieler von dieser Größe zu springen und zu dunken. Als ich den Ball in meinen Händen hatte, habe ich nicht groß darüber nachgedacht, mit welcher Bewegung ich jetzt genau zum Korb ziehe. Das ist einfach so passiert. Unmittelbar nach dieser Aktion war ich sogar selbst etwas erschrocken. Auch wenn ich heute die Bilder sehe, bin ich nach wie vor verblüfft, dass ein solcher Dunk überhaupt möglich ist. (lacht)