Er flog höher, weiter und dynamischer als fast jeder andere NBA-Spieler. Mit Vince Carter verbindet jeder Basketball-Fan den Elbow-Rimhanger und den "Dunk des Todes". Im Exklusiv-Interview spricht der 38-Jährige über sein Vermächtnis, das Highlight-Play des Jahrhunderts, die Veränderung der NBA und das Zusammenspiel mit Dirk Nowitzki bei den Dallas Mavericks.
nbaSPOX: Herr Carter, Sie absolvieren aktuell Ihre 18. Saison in der NBA! Ist Basketball für Sie ein Job, ein Lieblingshobby oder immer noch mehr?
Vince Carter: Ein Job? Nein, nein, das auf gar keinen Fall! Für mich bedeutet Basketball immer noch eine ganze Menge. Ich habe dieses Spiel immer geliebt und liebe es nach wie vor. Die Herausforderung, sich mit anderen Spielern sowohl in einer Partie als auch im Training zu messen, mit deinem Team zusammen zu sein oder auch deinen Mannschaftskollegen mit meiner vorhandenen Erfahrung auf und neben dem Court zu helfen, ist durch nichts zu ersetzen. Von daher hat sich an meiner Einstellung zum Basketball in all den Jahren absolut nichts geändert.
SPOX: Stichwort Veränderung: Wie hat sich das Spiel in der NBA zwischen 1998, als Sie in die Liga gekommen sind, und heute aus Ihrer Sicht verändert?
Carter: Meiner Meinung nach haben wir heute ein komplett anderes Spiel als es noch vor rund 15 Jahren der Fall war. Im Laufe der Zeit hat die NBA die Regeln dahingehend verändert, dass das Scoren heute einfacher ist und somit auch höhere Ergebnisse zustande kommen. Für die verteidigende Mannschaft ist das im Umkehrschluss natürlich nicht gerade einfach. Ob das jedoch der richtige Weg ist? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Dennoch ist es für mich persönlich cool, immer noch dabei zu sein und selbst zu sehen, in welche Richtung das Ganze geht beziehungsweise ob sich diese Veränderungen tatsächlich positiv auswirken.
SPOX: Einige Ihrer "älteren Mitstreiter", die ebenfalls schon lange in der Liga sind, beklagen, dass das Spiel selbst vor 15, 20 Jahren noch deutlich mehr im Fokus stand als dies heutzutage der Fall ist. Speziell durch Social Media seien die Storys rund um den Court nun oftmals interessanter als das Match selbst...
Carter: Ja, da ist etwas dran. Ich selbst bin jetzt nicht wirklich groß auf diesen sogenannten Social-Media-Plattformen aktiv. Aber letztlich hat sich nicht nur das Spiel entscheidend verändert, sondern auch die Gewohnheiten, Interessen und Informationsformen der Menschen allgemein. Basketball selbst und das ganze Drumherum haben sich zu einem großen "Establishment" entwickelt. Trotz allem sollte man aber schon darauf achten, dass der Sport, um den es ja schließlich geht, weiterhin im Vordergrund steht.
SPOX: Der Druck und die Erwartungshaltung seitens der Öffentlichkeit an die Spieler war beziehungsweise ist damals wie heute riesengroß. Noch bevor Sie Ihren Fuß erstmals auf einen NBA-Court gesetzt haben, wurden Sie bereits als der "neue Michael Jordan" tituliert! Wie sind Sie mit dieser nicht gerade kleinen Bürde damals umgegangen?
Carter: Natürlich bekommt man diese ganzen sogenannten Experten-Einschätzungen mit und es schmeichelt einem auch. Alles andere wäre gelogen. Aber ich habe von Beginn an versucht, diesen Vergleich von mir wegzuschieben und nicht an mich heranzulassen. Aus einem einfachen Grund: Wir sprechen hier über Michael Jordan - ein Genie, das die Liga über viele, viele Jahre geprägt und Dinge auf dem Basketball-Feld gemacht hat, von denen alle anderen Spielern nur träumen können. MJ war schlichtweg einer der besten Akteure, die diesen Sport jemals betrieben haben. Hätte ich damals tatsächlich versucht, ihn zu kopieren oder in seine Fußstapfen zu treten, wäre der Druck zweifelsohne immens gewesen. Ich habe mich vielmehr auf mich konzentriert und wollte einfach ich selbst sein - mit meinen Stärken und meinen Schwächen.
SPOX: Zu Beginn Ihrer NBA-Karriere bekamen Sie darüber hinaus ja auch noch "familiäre Unterstützung". Als Sie 1998 bei den Toronto Raptors anfingen, war Ihr Cousin Tracy McGrady bereits seit einem Jahr dort. Hat Ihnen das den Einstieg ins Abenteuer NBA erleichtert?
Carter: Ja, definitiv. Natürlich habe ich - wie jeder andere Basketball-Fan auch - zuvor die NBA regelmäßig verfolgt und auch mit vielen Leuten gesprochen. Aber wenn du dann selbst plötzlich ein Teil davon bist, dann ist es schon sehr hilfreich, wenn man auch noch ein Familienmitglied an seiner Seite hat, das in der Spielzeit zuvor sein Rookie-Jahr absolviert und dementsprechend Erfahrungen gemacht hat. Gerade in der Anfangsphase hat mir Tracy enorm geholfen, mich entsprechend zu akklimatisieren. Außerdem hatte das noch einen anderen sehr positiven Aspekt.
SPOX: Welchen?
Carter: Für unsere Familie war es schon cool, dass wir beide in einem Team gespielt haben. Dann musste sich zumindest vorerst keiner zwischen uns und unserer jeweiligen Mannschaft entscheiden, wenn wir gegeneinander gespielt hätten. Ab dem Jahr 2000, als Tracy dann nach Orlando gewechselt ist, hat sich das geändert.
SPOX: Ihre Flugkünste waren berüchtigt und bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney haben Sie über den 2,18 Meter großen Franzosen Frederic Weis derart gedunkt, dass sogar die französischen Medien erfurchtsvoll vom "Dunk des Todes" schriebenhaben. Viele Experten und ehemalige Mitspieler sprechen seitdem vom besten und spektakulärsten Slam Dunk in der Basketball-Geschichte. Sehen Sie das ähnlich?
Carter: Ich denke schon auch, dass dieser Slam Dunk etwas ganz Besonderes war. Bis dahin hatte ich es ehrlich gesagt nicht für möglich gehalten, über einen Spieler von dieser Größe zu springen und zu dunken. Als ich den Ball in meinen Händen hatte, habe ich nicht groß darüber nachgedacht, mit welcher Bewegung ich jetzt genau zum Korb ziehe. Das ist einfach so passiert. Unmittelbar nach dieser Aktion war ich sogar selbst etwas erschrocken. Auch wenn ich heute die Bilder sehe, bin ich nach wie vor verblüfft, dass ein solcher Dunk überhaupt möglich ist. (lacht)
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nbaSPOX: Aufgrund Ihrer Flugkünste bekamen Sie frühzeitig den Spitznamen "Air Canada" verpasst. Doch der hohen körperlichen Belastung - auch aufgrund der vielen Spiele - mussten Sie Tribut zollen. Bereits während Ihrer Zeit bei den Raptors wurde ein sogenanntes Jumpers Knee (Patellaspitzensyndrom) festgestellt. Wie sind Sie mit dieser Diagnose umgegangen?
Carter: Ich habe mich zunächst natürlich schlau gemacht, was das genau ist, wie so etwas entsteht und welche Folgen es haben kann. Als ich dann mit einigen Ärzten ausführlich gesprochen hatte, wusste ich, dass das wohl die Folge einer Überbelastung der Knie ist. Wenn man heute darüber nachdenkt, dann ist das auch nicht wirklich verwunderlich. Du hängst bei deinen Sprüngen permanent in der Luft - und bei jeder Landung bekommen die Knie das ganze Gewicht ab.
SPOX: War es für Sie relativ schnell klar, dass Sie aufgrund dieser Problematik Ihre Spielweise umstellen müssen?
Carter: Ja, das war es. Letztlich hatte ich ja keine andere Wahl. Entweder ich mache so weiter wie bisher und meine Karriere ist möglicherweise nach wenigen Jahren vorbei - oder ich passe mich der neuen Situation entsprechend an. Ich habe mich glücklicherweise für Letzteres entschieden. Dass es die richtige Entscheidung war, sieht man allein schon daran, dass ich heute immer noch in der NBA aktiv bin.
SPOX: Würden Sie sogar so weit gehen und behaupten, dass diese Verletzung beziehungsweise die daraus resultierende Umstellung Ihrer Spielweise einen noch kompletteren Spieler aus Ihnen gemacht hat?
Carter: Ja, ich denke schon, dass man das so sagen kann. Obwohl ich auch in meinen Anfangsjahren immer wieder viele Würfe von außen eingestreut habe, wurde ich zumeist über meine Dunks definiert. Nachdem diese weniger wurden, haben viele Leute plötzlich auch einen anderen Basketballer in mir gesehen. Klar, ich habe mein Spiel insgesamt etwas weiter aus der Zone verlagert und dementsprechend mehr Würfe genommen. Aber gescort habe ich auch zu Beginn nicht nur ausschließlich mit meinen Dunks.
SPOX: Für großes Aufsehen sorgte im Dezember 2004 Ihr Trade von den Toronto Raptors zu den New Jersey Nets, den Sie Gerüchtenzufolge selbst forciert haben. Würden Sie heute, mit rund elf Jahren Abstand betrachtet, sagen, dass sich dieser Wechsel für Sie ausgezahlt hat?
Carter: Damals gab es sehr viele Gerüchte und Mutmaßungen, die im Zusammenhang mit diesem Wechsel standen. Aber ich kann Ihnen versichern, dass sehr vieles, was geschrieben wurde, schlichtweg nicht der Wahrheit entsprach. Aber das ist Vergangenheit. Letztlich hat sich der Trade schon ausgezahlt, ja! Ich bin, wie gesagt, immer noch in der NBA. Von dem her kann ich mich also nicht beklagen.
SPOX: Sie haben in den vergangenen 17 Jahren sowohl mit als auch gegen zahlreiche Top-Stars in der besten Basketball-Liga der Welt gespielt. Wo erscheint Ihr ehemaliger Teamkollege Dirk Nowitzki (2011 bis 2014 bei den Dallas Mavericks) auf dieser Liste?
Carter: Nun, Dirk rangiert aktuell unter den zehn besten Scorern der NBA-Geschichte - das alleine sagt schon sehr viel. Wenn man die Möglichkeit hat, mit einem solchen Spieler gemeinsam in einer Mannschaft zu stehen, dann ist das selbstverständlich eine große Ehre. Dirk versteht das Spiel nicht nur perfekt, sondern er tut für sein Team auch alles, damit es erfolgreich ist. Darüber hinaus ist er sehr demütig und uneigennützig. Für mich zählt er auf alle Fälle zu den ganz Großen dieses Sports!
SPOX: Lassen Sie uns zum Abschluss etwas nach vorne blicken: Sie werden am 26. Januar 39 Jahre alt. Haben Sie für sich schon entschieden, wie lange es den Basketball-Profi Vince Carter noch geben wird?
Carter: Nein, das habe ich noch nicht. Fakt ist, dass ich nach wie vor noch Spaß habe, mich sowohl im Training als auch bei den Spielen mit den Jungs zu messen und die sportliche Herausforderung zu suchen. Wann das nicht mehr der Fall sein wird, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen.
SPOX: Wenn es dann doch einmal zum Rücktritt kommt: Wie sollen die NBA-Fans den Spieler Vince Carter in Erinnerung behalten? Als Slam Dunk-König? Oder als Akteur, der das Geschehen in der Liga mitgeprägt hat?
Carter: Eigentlich weder noch. Ich möchte im Gedächtnis bleiben - und zwar als der Spieler, der das Spiel immer geliebt hat. Das wäre mir das Wichtigste.
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