SPOX: Aufgrund Ihrer Flugkünste bekamen Sie frühzeitig den Spitznamen "Air Canada" verpasst. Doch der hohen körperlichen Belastung - auch aufgrund der vielen Spiele - mussten Sie Tribut zollen. Bereits während Ihrer Zeit bei den Raptors wurde ein sogenanntes Jumpers Knee (Patellaspitzensyndrom) festgestellt. Wie sind Sie mit dieser Diagnose umgegangen?
Carter: Ich habe mich zunächst natürlich schlau gemacht, was das genau ist, wie so etwas entsteht und welche Folgen es haben kann. Als ich dann mit einigen Ärzten ausführlich gesprochen hatte, wusste ich, dass das wohl die Folge einer Überbelastung der Knie ist. Wenn man heute darüber nachdenkt, dann ist das auch nicht wirklich verwunderlich. Du hängst bei deinen Sprüngen permanent in der Luft - und bei jeder Landung bekommen die Knie das ganze Gewicht ab.
SPOX: War es für Sie relativ schnell klar, dass Sie aufgrund dieser Problematik Ihre Spielweise umstellen müssen?
Carter: Ja, das war es. Letztlich hatte ich ja keine andere Wahl. Entweder ich mache so weiter wie bisher und meine Karriere ist möglicherweise nach wenigen Jahren vorbei - oder ich passe mich der neuen Situation entsprechend an. Ich habe mich glücklicherweise für Letzteres entschieden. Dass es die richtige Entscheidung war, sieht man allein schon daran, dass ich heute immer noch in der NBA aktiv bin.
SPOX: Würden Sie sogar so weit gehen und behaupten, dass diese Verletzung beziehungsweise die daraus resultierende Umstellung Ihrer Spielweise einen noch kompletteren Spieler aus Ihnen gemacht hat?
Carter: Ja, ich denke schon, dass man das so sagen kann. Obwohl ich auch in meinen Anfangsjahren immer wieder viele Würfe von außen eingestreut habe, wurde ich zumeist über meine Dunks definiert. Nachdem diese weniger wurden, haben viele Leute plötzlich auch einen anderen Basketballer in mir gesehen. Klar, ich habe mein Spiel insgesamt etwas weiter aus der Zone verlagert und dementsprechend mehr Würfe genommen. Aber gescort habe ich auch zu Beginn nicht nur ausschließlich mit meinen Dunks.
SPOX: Für großes Aufsehen sorgte im Dezember 2004 Ihr Trade von den Toronto Raptors zu den New Jersey Nets, den Sie Gerüchtenzufolge selbst forciert haben. Würden Sie heute, mit rund elf Jahren Abstand betrachtet, sagen, dass sich dieser Wechsel für Sie ausgezahlt hat?
Carter: Damals gab es sehr viele Gerüchte und Mutmaßungen, die im Zusammenhang mit diesem Wechsel standen. Aber ich kann Ihnen versichern, dass sehr vieles, was geschrieben wurde, schlichtweg nicht der Wahrheit entsprach. Aber das ist Vergangenheit. Letztlich hat sich der Trade schon ausgezahlt, ja! Ich bin, wie gesagt, immer noch in der NBA. Von dem her kann ich mich also nicht beklagen.
SPOX: Sie haben in den vergangenen 17 Jahren sowohl mit als auch gegen zahlreiche Top-Stars in der besten Basketball-Liga der Welt gespielt. Wo erscheint Ihr ehemaliger Teamkollege Dirk Nowitzki (2011 bis 2014 bei den Dallas Mavericks) auf dieser Liste?
Carter: Nun, Dirk rangiert aktuell unter den zehn besten Scorern der NBA-Geschichte - das alleine sagt schon sehr viel. Wenn man die Möglichkeit hat, mit einem solchen Spieler gemeinsam in einer Mannschaft zu stehen, dann ist das selbstverständlich eine große Ehre. Dirk versteht das Spiel nicht nur perfekt, sondern er tut für sein Team auch alles, damit es erfolgreich ist. Darüber hinaus ist er sehr demütig und uneigennützig. Für mich zählt er auf alle Fälle zu den ganz Großen dieses Sports!
SPOX: Lassen Sie uns zum Abschluss etwas nach vorne blicken: Sie werden am 26. Januar 39 Jahre alt. Haben Sie für sich schon entschieden, wie lange es den Basketball-Profi Vince Carter noch geben wird?
Carter: Nein, das habe ich noch nicht. Fakt ist, dass ich nach wie vor noch Spaß habe, mich sowohl im Training als auch bei den Spielen mit den Jungs zu messen und die sportliche Herausforderung zu suchen. Wann das nicht mehr der Fall sein wird, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen.
SPOX: Wenn es dann doch einmal zum Rücktritt kommt: Wie sollen die NBA-Fans den Spieler Vince Carter in Erinnerung behalten? Als Slam Dunk-König? Oder als Akteur, der das Geschehen in der Liga mitgeprägt hat?
Carter: Eigentlich weder noch. Ich möchte im Gedächtnis bleiben - und zwar als der Spieler, der das Spiel immer geliebt hat. Das wäre mir das Wichtigste.
Seite 1: Carter über die Anfänge und den "Dunk des Todes"