Die Miami Heat und die Toronto Raptors lieferten sich in der letzten noch laufenden Serie der Conference Semifinals einen wahren Abnutzungskampf mit Verlusten auf beiden Seiten. Am Sonntag steht nun das große Finale bevor - und dabei könnten beide Teams Geschichte schreiben (ab 21.30 Uhr im LIVESTREAM). Wer bekommt die Chance, die Cleveland Cavaliers zu ärgern?
Es gibt vielleicht keine Kombination zweier Wörter, die der geneigte NBA-Fan lieber sieht als die folgende: Game 7. Die ultimative Bühne, auf der Helden gemacht werden. Die Entscheidung, nach der es keinen Zweifel mehr gibt. Die einfachste Gleichung der Sportwelt: Du gewinnst das Spiel, sonst ist deine Saison beendet. Win or go home.
Umso besser, wenn die Serie bis dato auch noch kaum Ansatzpunkte geliefert hat, welches Team man in diesem Spiel favorisieren sollte. Es war gelinde gesagt nicht unbedingt schöner Basketball, den Miami und Toronto sich bisher geliefert haben, aber über fehlende Spannung konnte man sich keineswegs beschweren.
Nach sechs Spielen liegt die kumulierte Punktedifferenz beider Teams bei genau 1 Punkt (pro Miami). Viel enger geht es nicht. Beide Teams teilten fast exakt gleichmäßig ihre Punches aus, bizarrerweise erlitten beide Teams auch fast exakt gleichmäßig viele Verletzungen. Insofern fällt eine Prognose aufgrund des Gezeigten schwer - immerhin kann man sich bei der Historie bedienen.
Monster-Bilanz in engen Spielen
Diese spricht mehr oder weniger deutlich für Miami. Denn die Heat haben mit vergleichbaren Situationen deutlich mehr Erfahrungen gesammelt - und diese fallen äußerst positiv aus. So hat die Franchise ihre letzten vier Game 7s allesamt gewonnen, mit einem fünften würde man etwas schaffen, das zuvor nur den Lakers und Celtics gelang. Sieben der letzten acht Spiele, bei denen das Playoff-Aus auf dem Tisch stand, konnte Miami außerdem gewinnen.
Natürlich erfolgte ein großer Teil dieser Spiele in völlig anderer Besetzung, insofern ist der tatsächliche Wert dieser Bilanzen schwer einzuschätzen. LeBron James etwa war an dieser Bilanz nicht ganz unbeteiligt, ebenso wenig wie Chris Bosh und viele andere neben ihm.
Selbst beim letzten siebten Spiel der Heat, in der ersten Runde gegen Charlotte, sah das Lineup noch anders aus: Hassan Whiteside war gegen die Hornets einer der Sieggaranten, aufgrund seiner Verletzung musste Erik Spoelstra in Spiel 6 den 2,01 m großen Rookie Justise Winslow auf der Fünf starten lassen - eine kuriose Taktik, die man wohl auch in Spiel 7 wieder sehen wird.
Aber immerhin eine Konstante zieht sich durch all die Erfolge in Situationen, in denen die Heat mit dem Rücken zur Wand standen: Dwyane Wade.
Wade gibt die Richtung vor
Der 34-Jährige ist mit 25,2 Punkten pro Spiel auch in dieser Serie Miamis Bester und gab nach Spiel 6 direkt das Mantra für die nächste Partie vor: "Man muss immer noch ein bisschen mehr geben. Es wird eine Atmosphäre sein, die manche überwältigen kann. Aber das wird für uns nicht gelten. Wir müssen alles geben, was wir haben. Es gibt kein Morgen, so muss man an das Spiel herangehen."
Wade, der zum siebten Mal in seinen 13 NBA-Jahren in die Conference Finals einziehen könnte, ist mit seiner Erfahrung ein Fels in der Brandung für seine jüngeren Mitspieler wie Josh Richardson oder Winslow. Zudem ist er mit 41 Clutch-Punkten (die letzten fünf Minuten eines Spiels und Overtime, wenn der Abstand 5 Punkte oder weniger beträgt) in dieser Hinsicht der beste Spieler dieser Playoffs.
Und auch wenn sich Gerüchte halten, dass er eine etwas schwierige Beziehung zu Nebenmann Goran Dragic haben soll, funktionierte auch diese Kombination zuletzt deutlich besser. In Spiel 6 erzielte Dragic mit 30 Punkten gar ein Playoff-Career High und gab danach an, mit der gleichen aggressiven Mentalität ins Entscheidungsspiel zu gehen.
"Ich habe noch keine Lust, nach Europa in den Urlaub zu fahren. Wenn wir so aggressiv und schnell spielen wie heute, ist es unser Spiel", sagte Dragic. Insbesondere dem "Drachen" kam es zugute, dass die Heat mit Aushilfs-Center Winslow so klein und schnell (und trotzdem grundsolide in der Defense) spielen konnten.
Valanciunas fehlt wohl wieder
Ihm wird es auch zugutekommen, dass Raptors-Center Jonas Valanciunas nach Angaben von Coach Dwane Casey wohl erneut ausfallen wird. Der Litauer könnte Winslow im Post mit Sicherheit "bestrafen" - diesen offensiven Punch bringt Vertreter Bismack Biyombo bekanntermaßen nicht mit. Allerdings wird Casey das kleine Lineup der Heat auf andere Weise versuchen zu kontern: "Wir müssen uns eine Antwort darauf einfallen lassen", gab der Coach nach Spiel 6 zu Protokoll.
Immerhin wird er dabei wohl auf DeMarre Carroll bauen können, auch wenn der weiter angeschlagen ist - wie jeder zweite Spieler in dieser Serie. Carroll und Gegenüber Luol Deng haben Probleme mit ihren Handgelenken, DeMar DeRozan ist am Daumen verletzt, Dragic und Kyle Lowry haben auch schon jede Menge Blut gelassen.
Carroll und einige andere würden in der Regular Season vielleicht aussetzen, in dieser Situation verbietet sich das jedoch, solange man noch gerade stehen kann: "Wir stehen mit dem Rücken zur Wand", sagte Carroll. "Es ist das siebte Spiel auf unserem Home Court vor unseren überragenden Fans. Was könnte schöner sein?"
Lowry hofft auf Lerneffekt
spoxDie Fans dürften für Toronto in der Tat eine wichtige Rolle spielen. Denn wo Miami in den letzten Jahren eine überragende Bilanz bei alles entscheidenden Spielen aufweist, hat Toronto von acht Spielen, in denen man eine Serie für sich entscheiden konnte, bloß zwei gewinnen können. Immerhin: Eins der beiden ist erst wenige Wochen her, Lowry hofft dabei durchaus auch auf einen Lerneffekt.
"Spiel 7 in der ersten Runde war eine etwas verbissene Angelegenheit, weil der Druck klar bei uns lag. Jetzt wird es einfach nur heißen: 'Geht raus und spielt'", kündigte der All-Star an. Dabei wird es gerade auf ihn und DeRozan ankommen.
Der hochgelobte Backcourt legt in der Serie zwar gemeinsam 42,7 Punkte auf, die Quote liegt aber immer noch bei gerade mal 38 Prozent, obwohl sich beide zuletzt gesteigert hatten. Gerade in Abwesenheit von Valanciunas wird das nicht reichen, will man tatsächlich die ersten Conference Finals der Franchise-Geschichte erreichen. "Wir werden definitiv eine starke Leistung von unserem Backcourt brauchen", sagte Backup Cory Joseph, der über die Serie gesehen vermutlich Torontos konstantester Guard war.
Win or go home
Obwohl die Raptors in Runde eins ihren "Fluch" gebrochen und endlich mal wieder eine Playoff-Serie gewonnen haben, käme ein Ende in Runde zwei letztendlich wohl einer Enttäuschung gleich. Von Druck wollte Lowry dennoch nichts wissen. "Wir haben das ganze Jahr für 56 Siege und den Two-Seed gekämpft, damit wir in so einer Situation den Heimvorteil haben. Das wird ein Spaß werden."
Vielleicht wird es das tatsächlich, vielleicht bauen aber auch die Heat ihre beeindruckende Serie aus und verdienen sich das Wiedersehen mit ihrem alten Freund LeBron. Auch wenn man weder ihnen noch Toronto wirklich zutrauen möchte, nach all den Verletzungen irgendwie eine Gefahr für die Cavaliers darzustellen.
Das alles ist nun aber vorerst Nebensache. Zunächst einmal gilt es für beide Teams, alles abzurufen und so zu spielen, als wäre Spiel 7 das letzte ihrer Saison - denn für eins von beiden wird es das tatsächlich sein. "Beide Teams werden alles geben, was sie noch haben", kündigte Wade an. "Möge das bessere gewinnen!"