Die Karriere von Amar'e Stoudemire endete mit einer kuriosen Entscheidung. Der 33-Jährige unterschrieb einen 1-Tages-Vertrag bei den Knicks, um offiziell dort aufzuhören. "Obwohl meine Karriere mich an andere Orte geführt hat, ist mein Herz immer im Big Apple geblieben. Once a Knick, always a Knick", so die Erklärung von Stoudemire.
Wie gesagt: eine kuriose Entscheidung. Aber sie passte irgendwie zu seiner Karriere. In New York versagte ihm der Körper, in New York brach er sich legendär die Hand, indem er auf einen Feuerlöscher einschlug. In New York wurde er zum Inbegriff eines überbezahlten Spielers, in New York wurde er aus seinem Vertrag herausgekauft.
In New York war er der Trostpreis, als man auf LeBron James hoffte, der sich allerdings für Miami entschied. In New York war er derjenige, dessen 100-Millionen-Dollar-Vertrag nicht versichert werden konnte, weil er so oft verletzt war. In New York war er derjenige, dessen Vertrag nicht amnestiert werden konnte, weil die Knicks diese Option bereits bei Chauncey Billups verschwendet hatten.
Nach einem vielversprechenden Start ging seine Karriere in New York den Bach runter. So harsch das klingen mag, aber die Phase seit 2010 prägt das Bild des Spielers Stoudemire heute mehr als alles, was zuvor geschehen war. Von daher ist es wie gesagt passend, dass er als Knick aufhören wollte, um dieses Kapitel abzuschließen. Obwohl es ihm nicht im Geringsten gerecht wird.
7 Seconds or Less
Zu leicht wird vergessen, was für eine dominante Kraft Stoudemire einst war. Abgesehen von einer Saison nicht unbedingt in New York, sondern in Phoenix, wo seine Karriere begann und er für eine Zeit lang wie die Zukunft einer Position aussah.
Gemeinsam mit Steve Nash und Shawn Marion stand "Standing Tall and Talented" im Auge des Sturms, als die Suns unter Mike D'Antoni die NBA revolutionierten. Weg vom methodischen und langsamen Basketball der Pistons, die unmittelbar vor D'Antonis Ankunft 2004 Champions geworden waren. Hin zu "7 Seconds or Less", dem unterhaltsamsten Spielsystem, das die NBA seit langem gesehen hatte.
Stoudemire im SPOX-Interview: "Steve war ein Basketball-Missionar"
Und es war nicht nur unterhaltsam. Ein Titel blieb Phoenix verwehrt, trotzdem erreichten sie innerhalb von sechs Jahren dreimal die Western Conference Finals. In der Geschichte der Liga müssen sie als eins der besseren Teams gelten, die nie einen Titel geholt haben - ähnlich wie OKC in der Kevin-Durant-Ära oder Sacramento mit Webber, Peja, Divac und Co.
Nash und Stoudemire: Das perfekte Duo
Im Rückblick wird das vor allem Nash angerechnet - und das ist auch sicher nicht verkehrt. Der Point Guard war der zweifache MVP und derjenige, der die sensationelle Offense mit seiner Übersicht, seiner Kreativität, ja seinem Genie am Laufen hielt. Aber man sollte nicht den Fehler machen, zu denken, dass STAT allein von Nash' Pässen lebte. Vielmehr ergänzten sich beide perfekt.
Stoudemire war schon Rookie of the Year und ein 20-Punkte-Scorer, als Nash noch in Dallas spielte. Nash war auch ohne Stoudemire schon All-Star. Aber erst zusammen erreichten sie ihren jeweils höchsten Level. Schon in ihrer ersten gemeinsamen Saison erreichten die Suns 62 Siege und die Conference Finals, wo sich Stoudemire endgültig als künftiger Superstar etablierte.
Die Serie ging mit 1-4 an die Spurs - aber was Amar'e im Duell mit als Tim Duncan veranstaltete, war atemberaubend. 37 Punkte und 10 Rebounds schenkte Stoudemire dem besten Verteidiger seiner Generation ein - nicht in einer Partie, im Schnitt! Nicht einmal Duncan hatte eine Antwort auf die Explosivität, die Schnelligkeit und Durchschlagskraft seines jungen Gegners. Ein neuer, noch athletischerer Shawn Kemp schien geboren.
Monster trotz Mikrofrakturierung
Leider gab es noch weitere Parallelen zum großen Highflyer der 90er Jahre, der Stoudemire spielerisch wohl am meisten ähnelte. Wo Kemp aber vor allem an seiner Trinksucht litt, waren es bei Stoudemire die Verletzungen, die seine Karriere behinderten. Im Sommer nach seiner Coming-Out-Party gegen Duncan musste sich Stoudemire direkt der Mikrofrakturierung am Knie unterziehen und verpasste fast die komplette nächste Saison.
Zu diesem Zeitpunkt war dies noch ein gefürchteter Eingriff - Penny Hardaway, Chris Webber oder Allan Houston hatten sich beispielsweise nie wirklich erholt. Stoudemire dagegen verpasste zwar eine Saison, startete im Jahr darauf aber wieder alle 82 Spiele und wurde noch fünfmal in Serie All-Star. Und produzierte so viele Highlights, dass keine Top 10 ihm hätte gerecht werden können.
Unvergessen seine Poster-Dunks über Anthony Tolliver oder Michael Olowokandi. Über Nene, über Kevin Garnett und Jermaine O'Neal im Tandem, über Joel Przybilla, über Richard Jefferson. Die Liste seiner "Opfer" ist ellenlang, obwohl ihn viele Spieler irgendwann fast schon gewähren ließen, weil sie Angst davor hatten, selbst auf einem Poster zu landen.
Nach 2011 nie mehr derselbe
Mit den Jahren wich diese Gefahr für Stoudemires Gegner. Nach seinem Wechsel nach New York 2010, wo er mit D'Antoni wiedervereint wurde, revitalisierte er den Madison Square Garden und landete sogar in der MVP-Konversation - allerdings sollten sich seine Knie nie mehr davon erholen, dass sein Coach ihn 2010/11 37 Minuten pro Spiel auf den Court schickte.
Obwohl noch während der Saison Carmelo Anthony per Trade zu den Knicks geholt wurde, nahm die Karriere Stoudemires in dieser Saison endgültig die falsche Richtung ein. Sein Körper hatte irreparablen Schaden genommen. Stoudemire war erst 29 Jahre alt, und doch waren seine besten Tage gezählt.
Er schaffte es noch einige Jahre, als Scorer (vor allem von der Bank) einigermaßen effektiv zu bleiben, dennoch war er zumeist nur noch ein Schatten seiner selbst. Die oben beschriebenen Rahmenumstände beschädigten zudem sein Erbe und verhinderten, dass über die wichtigste Frage diskutiert wurde: Was wäre wenn?
What if?
Ja, was wäre wenn? Wäre Stoudemire ein Hall-of-Famer, wenn sein Körper ihm nicht den Dienst versagt hätte? Würden wir uns an ihn als einen der besten Spieler seiner Generation erinnern, als einen der besten Power Forwards der NBA-Geschichte? Die Fragen, die bei Hardaway, T-Mac, Webber, Walton oder anderen verletzungsgeplagten Superstars zum Standard geworden sind, waren bei Stoudemire nie wirklich Thema - dabei gehört er auch in diese Gruppe.
Klar ist: Es wäre noch mehr drin gewesen. Es war aber auch so schon richtig viel drin. Stoudemire war über einige Jahre ein Spieler, der begeisterte und dominierte, der elektrisierte. Der vielleicht beste Finisher der Liga. Der Spieler, der Duncan in einer Serie 37 und 10 einschenkte. Er war so viel mehr als ein ständig Verletzter, der sich in New York mit Feuerlöschern prügelte.
Dwyane Wade, der in Stoudemires letzter Saison mit ihm zusammenspielte, sagte es vollkommen richtig: "Lasst uns bitte nicht vergessen, was für ein böser Junge dieser Typ war!"