SPOX: Die Rolle der Point Guards hat sich generell sehr verändert.
Fraschilla: Richtig. Es gibt fast überhaupt keine der klassischen "Pass-First-Point-Guards" mehr, die wir früher kannten. Heute musst du als Point Guard auch ein gefährlicherer Scorer sein, häufig sogar mehr als alles andere. Im Idealfall bist du ein dynamischer Scorer und Playmaker wie Stephen Curry, Damian Lillard oder John Wall, der 20 Punkte macht und gleichzeitig auch seine Mitspieler involviert. Es gibt von diesen Spielertypen mehr denn je, daher hat sich auch das Spiel immer mehr auf sie ausgerichtet. Mit einem Aufbau, der selbst keine Gefahr ausstrahlt, kommt man nicht mehr weit.
SPOX: Würden Sie mir zustimmen, dass die Scoring Guards heutzutage sogar die wichtigsten Spieler in der NBA sind?
Fraschilla: Ich würde zustimmen, allerdings mit einem Zusatz: Die wirklich transzendenten Big Men wie Karl-Anthony Towns, Anthony Davis oder Kristaps Porzingis können einen noch größeren Einfluss auf das Spiel ausüben, weil sie auch defensiv den Unterschied ausmachen können, was selbst für einen überragenden Guard-Verteidiger wie Chris Paul kaum möglich ist. Aber diese Spieler sind bekanntlich unheimlich rar, während es auf der Eins eine unheimliche Qualitätsdichte gibt. Daher kann man ohne einen solchen Big Man zurzeit noch besser auskommen als ohne einen dynamischen Guard.
SPOX: Gerade Towns und Porzingis wirken mit ihrem Mix aus Range und Rim-Protection ein bisschen wie "Einhörner", die neuste Stufe der Basketball-Evolution. Finden sich im Draft auch solche Spieler?
Fraschilla: Zunächst würde ich noch sagen: Auf allen Positionen ist diese Vielseitigkeit, dieser Mix zwischen Shooting und Defense das, was alle Teams haben wollen. Die Athletik ist der primäre Grund, warum die NBA die mit Abstand stärkste Liga der Welt ist. Das Shooting aber war noch nie so wichtig wie heute, weil die Athletik sowohl Offense als auch Defense viel fortgeschrittener und komplizierter gemacht hat. Deswegen braucht man Shooting auf jeder einzelnen Position, wie es die besten Teams ja auch haben. Um auf ihre Frage zurückzukommen: Mir fallen für die Big-Man-Kategorie auf die Schnelle zwei Spieler ein. Zum einen Jonathan Isaac von Florida State, der mit seinen 2,10 m bisher als Small Forward aufläuft, aber vermutlich noch aufrücken wird: Er hat einen traumhaften Shooting Touch. Und dann wäre da noch die finnische Sensation Lauri Markkanen von Arizona: Er ist 2,13 m groß und kann Inside sowie Outside spielen. Er ist nicht so ein Überathlet wie Porzingis, aber er hat gerade offensiv absolut das Skillpaket, um ein Topspieler zu werden. Ich denke, auch er wird ein Lottery-Pick. Wichtig ist aber: Beide sind erst 19 Jahre alt und werden mit Sicherheit noch eine Weile brauchen, um wirklich auf dem NBA-Level anzukommen. Dass jemand so einschlägt wie Towns, ist ja doch ein absoluter Ausnahmefall.
SPOX: Häufig draften die Teams ja eher Potenzial als tatsächliche Qualität, wenn es um die Lottery geht. Welcher Spieler hat denn Ihrer Meinung nach das größte Potenzial im Draft 2017?
Fraschilla: Gute Frage, da natürlich auch die College-Saison noch nicht sonderlich lange läuft. Aber meiner Meinung nach gehört Markelle Fultz auf jeden Fall zumindest in die Konversation, ein 18-jähriger Point Guard, der für Washington aufläuft. Das ist kein besonders gutes Team, aber ihm muss man dennoch zusehen: Fultz ist ein elektrischer Spieler, ein bisschen wie Westbrook. Nicht so athletisch, aber auch er ist in der Lage, den Ball auf unglaublich viele Arten im Korb unterzubringen. Drive, Mid-Range, Dreier... und zudem ist er ein sehr guter Passer. Sein Potenzial ist riesig. Außerdem würde ich noch Josh Jackson von Kansas nennen, der als Forward genau die Vielseitigkeit mitbringt, nach der sich Teams die Finger lecken - nur sein Dreier lässt bisher noch zu wünschen übrig.
SPOX: Und sonst? Fast jeder NBA-Fan, der nicht zwingend auch noch College religiös verfolgt, will vor jedem Draft ja wissen, wie viele Spieler mit Star-Potenzial dabei sind. Wie sieht das 2017 aus?
Fraschilla: Schwere Frage, gerade zu diesem Zeitpunkt. Nehmen wir allein die Point Guards: Fultz, Dennis Smith, Ball, De'Aron Fox und Frank Ntilikina haben für mich alle die Qualität, gute Point Guards in der NBA zu werden. Die Frage ist aber: Wer beziehungsweise wie viele von ihnen werden auch All-Star? Das kann man momentan schwer beantworten und die Teams haben ja zum Glück auch noch etwas Zeit, um das alles zu evaluieren. Bei den Forwards verhält es sich ganz ähnlich.