SPOX: Mr. Fraschilla, wir hatten im Dezember bereits über den Draft 2017 gesprochen, nun würde ich gerne mit Ihnen über den europäischen Basketball reden. Vor einiger Zeit schrieben Sie bei Twitter, dass Deutschland eine "neue Brutstätte" des europäischen Basketballs sei - können Sie dies ein wenig ausführen?
Fran Fraschilla: Nun, ich beschäftige mich zwar hauptberuflich mit College-Basketball, allerdings bezeichne ich mich auch als Junkie des internationalen Basketballs und habe über meine zahlreichen Coaching-Camps viele Kontakte in Europa geknüpft. Daher bekomme ich - direkt und auch indirekt - mit, wie rapide die deutsche BBL wächst. Mehr als in anderen Ländern gleicht die Stimmung in einigen deutschen Hallen denen in der NBA, auch wenn sie natürlich kleiner sind. Zudem gibt es jede Menge vielversprechende Talente, die entweder bereits den Sprung gemacht haben oder kurz davor stehen. Das zeigt mir, dass der deutsche Basketball auch insgesamt im Wachstum begriffen ist.
SPOX: In Europa sind vor allem Länder wie Spanien oder die Balkan-Staaten für ihre Basketball-Begeisterung berühmt. Was macht Deutschland Ihrer Meinung nach richtig, um die Lücke zu diesen Hochburgen zu verkleinern?
Fraschilla: Ich kenne mich nicht zu sehr mit der spezifischen systemischen Talentförderung aus, ich kann jedoch bewerten, wie ich beispielsweise die neue Generation um Isaiah Hartenstein, Richard Freudenberg und Co. bei diversen Camps und Turnieren wahrnehme. Und dabei fällt mir klar auf, wie gut und gründlich die Spieler bereits in jungen Jahren ausgebildet sind. Dort wird also wirklich gut gearbeitet. Und diesen Eindruck bestätigen mir auch meine Freunde, die mehr Zeit in Europa verbringen als ich. Ich bin im Endeffekt ja doch zu 99 Prozent meiner Zeit in den USA. (lacht)
SPOX: Danach wollte ich gerade fragen: Sie gelten in den USA ja als einer der College-Experten schlechthin, wie schafft man es da überhaupt, sich auch noch mit den diversen Ligen in Übersee zu befassen?
Fraschilla: Das ist eine gute Frage - Leidenschaft und Neugier spielen auf jeden Fall große Rollen. (lacht) Ich habe in meiner Laufbahn viel von verschiedenen Coaches gelernt, nicht nur hier, sondern eben auch bei diversen Stationen in Übersee, als ich hospitiert oder mich einfach nur unterhalten habe, um neue Perspektiven auf das Spiel zu gewinnen. Zudem habe ich über Jahre viele Coaching Clinics in Europa besucht und mich dabei in das internationale Spiel verliebt. Als ich dann 2004 den Job wechselte und vom Coach zum TV-Experten wurde, erhielt ich gleichzeitig die Einladung, beim Reebok Eurocamp in Italien zu coachen, was ich im Anschluss neun Jahre am Stück getan habe. Dadurch habe ich etliche der europäischen Spieler, die jetzt in der NBA oder der Euroleague erfolgreich sind, sehr früh kennengelernt.
SPOX: Sind Sie auch jetzt noch in der Lage, während der NCAA-Saison beispielsweise auch Euroleague-Spiele zu sehen?
Fraschilla: Es ist nicht immer einfach, das muss ich zugeben. Während der College-Saison ist alles andere für mich ein Hobby, allerdings übe ich das gerne aus. Ich habe schon vor Jahren verstanden, dass längst nicht nur bei uns guter Basketball gespielt wird. Daher bleibe ich auch in meiner Freizeit "dran" - und wenn die College-Saison rum ist, kann ich mich natürlich noch viel intensiver mit den internationalen Ligen und Talenten befassen, um auch auf den Draft optimal vorbereitet zu sein.
SPOX: Müssen Sie manchmal grinsen, wenn beispielsweise während Olympischen Spielen einer Ihrer amerikanischen Kollegen verwirrt ist, dass jemand wie Milos Teodosic mit den NBA-Stars mehr als nur mithalten kann?
Fraschilla (lacht): Ja, das kommt schon mal vor. Allerdings sehe ich mich dann auch in der Pflicht, denjenigen darauf hinzuweisen, dass Basketball eben nicht nur NBA und NCAA ist. Ich muss aber auch sagen, dass ich heutzutage deutlich weniger "lehren" muss als noch vor einigen Jahren, denn der europäische Basketball kommt schon auch immer mehr bei uns an. Zum Start der laufenden NBA-Saison etwa standen deutlich mehr als 100 "Ausländer" in den Kadern - das spricht für sich. Der Respekt ist deutlich gewachsen, das merkt man auch am College, wo ebenfalls mehr Spieler aus Übersee aktiv sind als jemals zuvor.
SPOX: Ich habe vor einer Weile mit Bayern-Manager Marko Pesic über dieses Thema gesprochen - er ist der Meinung, dass es für ein junges europäisches Top-Talent eigentlich keinen Grund mehr gibt, ans College zu wechseln. Ich gehe davon aus, dass Sie das anders sehen?
Fraschilla: Nun, ich respektiere seine Meinung, allerdings denke ich, dass es zu dieser Frage keine absolute Antwort gibt. Es gibt Erfolgsfälle in Europa, es gibt aber auch Erfolgsfälle am College, weil das bei jedem Spieler von der Situation abhängt. Wir haben Talente gesehen, die in Europa blieben und dort bei absoluten Top-Teams Bankwärmer waren, was ihrer Entwicklung nicht geholfen hat. In der Türkei beispielsweise kommt mit Furkan Korkmaz von Anadolu Efes eins der größten Talente Europas seit Jahren kaum in die Rotation - das ist nicht optimal. Natürlich gibt es aber auch am College riesige Unterschiede, was die Situationen und auch Coaches angeht. Dafür ist auch Moritz Wagner, über den wir ja bereits gesprochen hatten, ein gutes Beispiel. Wer kann sagen, dass er genau diese Entwicklung wie in Michigan auch bei einem anderen Team hingelegt hätte? Für mich ist da jede Situation, jede Personalie einzigartig zu bewerten.
SPOX: Der aktuelle Rookie-Jahrgang liefert dafür ja auch durchaus Erfolgsbeispiele - wie zum Beispiel Jakob Pöltl.
Fraschilla: Richtig. Pöltl hat sich in seiner letzten Saison in Utah unglaublich gut entwickelt und ist sogar zum Lottery-Pick geworden, was vorher niemand gedacht hätte. Und auch ein Domantas Sabonis ging ja an 11. Stelle weg, was direkt auf seine gute Ausbildung in zwei Jahren bei Gonzaga zurückzuführen war. Für jeden Kristaps Porzingis, der sich in der spanischen ACB zum Lottery-Pick entwickelt, gibt es eben auch jemanden wie Sabonis. Und: Für NBA-Teams spielt eben auch die Bühne eine Rolle. Häufig ist beispielsweise das NCAA-Tournament stärker im Blickfeld als die europäischen Ligen. Den Marketing-Aspekt dabei dürfen wir auch nicht vergessen. Wer hier in den USA ständig im TV zu sehen ist, wird schon viel früher ein Name, den die Leute kennen. Ich würde also nicht zustimmen, dass grundsätzlich nichts für einen Wechsel ans College spricht.
SPOX: Dann kommen wir doch noch mal auf die aktuelle deutsche Generation zu sprechen. Welche Spieler sind Ihnen bisher besonders aufgefallen? Hartenstein hatten Sie ja bereits erwähnt...
Fraschilla: Ja, insbesondere er und auch Kostja Mushidi sind mir jetzt seit einigen Jahren bekannt. Hartenstein habe ich im Februar 2016 bei Basketball without Borders zuletzt persönlich gesehen und er ist wirklich ein sehr großes Talent, zweifelsohne mit NBA-Potenzial. Er ist noch sehr jung, aber man kann bereits seine Stärken sehen: Er ist lang und beherrscht viele Facetten des Spiels, vor allem hat er einen sehr guten Wurf. Wie viele andere hat er allerdings auch das Problem, dass er bei einem der Top-Teams in Europa (Zalgiris Kaunas, d. Red.) nur selten auf dem höchsten Level, also der Euroleague, eingesetzt wird. Man muss bei ihm Geduld haben. Ich bin dennoch der Meinung, dass er eines Tages auf jeden Fall eine NBA-Perspektive hat. Und die Umstellung wird ihm leichter fallen als vielen anderen Europäern, weil er einen großen Teil seiner Kindheit in den USA verbracht hat und sein Vater ja auch hier gespielt hat.