SPOX: Mr. Richardson, zu Ihrer aktiven Zeit war die Position des Shooting Guards womöglich die stärkste der NBA, heutzutage findet man dort zumeist eher Spezialisten und nicht die dominanten Spieler. Können Sie das erklären?
Jason Richardson: Es gibt schon immer noch einige Zweier der alten Schule. Kobe Bryant hat natürlich mittlerweile aufgehört, er war während meiner Karriere eigentlich die ganze Zeit über der beste Shooting Guard der NBA. Aber Dwyane Wade beispielsweise hält die Fahne noch hoch. Und auch wenn er kein klassischer Shooting Guard ist, sondern nominell als Small Forward agiert, gehört auch Kawhi Leonard in diese Kategorie. Mit seiner Defense und seiner offensiven Entwicklung zum absoluten Superstar erfüllt er meiner Meinung nach das klassische Anforderungsprofil und führt gewissermaßen das Erbe von Kobe fort. Das, was wir früher als Shooting Guard definiert haben, ist heute eben einfach der dominante "Wing", egal ob er auf der Zwei oder auf der Drei spielt, oder sogar auf der Eins wie James Harden.
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SPOX: Was hat für Sie den Ausschlag gegeben für diese Entwicklung zum Basketball ohne klar definierte Positionen, wie wir ihn heute zumeist sehen?
Richardson: Das hat zum einen mit LeBron James zu tun, der als nomineller Small Forward der primäre Ballhandler ist und de facto in einem Spiel jede der fünf Positionen einnehmen kann. Er hat da schon eine Revolution eingeleitet. Aber auch bei den Point Guards hat sich viel getan: Es gibt heute einfach so viele Spieler, die auf der Eins eher scoren wollen und weniger wie klassische Floor Generals agieren. Ich glaube, dass Gilbert Arenas hauptverantwortlich dafür war, dass sich das Image des Point Guards so rasant geändert hat. Er war vielleicht der erste Point Guard, der eigentlich wie ein Shooting Guard gespielt hat, dabei aber den Großteil der Zeit den Ball in der Hand hatte. Arenas hat den Basketball verändert. Allen Iverson war auch so ein Fall, der ständig zwischen den Positionen hin- und hergewechselt ist und nur aufgrund seiner Größe Point Guard genannt wurde. Heute sind diese Scoring Point Guards Gang und Gäbe, wobei Russell Westbrook sicherlich das beste Beispiel dafür ist. Früher hätte man ihn in ein taktisches Korsett gezwungen.
SPOX: Denken Sie, dass diese klassischere Definition des Basketballs ein Comeback schaffen kann, oder ist die neue Art zu spielen irreversibel?
Richardson: Es ist wirklich schwer zu sagen. Man soll ja nie etwas ausschließen, aber ich denke, in den nächsten Jahren wird sich der Basketball eher noch mehr zu einem positionslosen Spiel entwickeln. Wenn dann jemand wie Shaquille O'Neal kommt, wird man vielleicht sagen: 'Okay, der Typ muss aufposten, gebt ihm in der Zone den Ball und lasst ihn machen.' (lacht) Aber für alle anderen gilt eher die Devise, dass man so vielseitig sein muss wie möglich. Deswegen sehen wir heute so viele Big Men auf dem Flügel, die dribbeln, passen und werfen können, was früher wirklich nur den kleineren Spielern vorbehalten war. Das Spiel öffnet sich, wenn jeder auf dem Court diese Fähigkeiten hat - sehen Sie sich nur die Warriors an. Solange dieses Team weiter so gut ist, wird auch der Rest der Liga eher versuchen, sich in diese Richtung zu entwickeln. In dieser Liga wurde schon immer Erfolg kopiert.
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SPOX: Sie haben zwischen 2001 und 2015 gespielt und damit sowohl die Isolation-Ära als auch die heutige Pace-and-Space-Ära miterlebt. Welchen Stil bevorzugen Sie?
Richardson: Mir gefällt es sehr gut, wie heute gespielt wird. Es geht rauf und runter, es wird viel gescort, das ist doch wunderbar für die Fans und auch für mich als Zuschauer. Ich kann die Leute verstehen, die immer wieder nach den alten Zeiten lechzen, aber man muss auch sagen: Da wird vieles verklärt. In den Finals 2004 und 2005 war es gewissermaßen schon ein Offensivspektakel, wenn mal ein Team wenigstens 80 Punkte erreichte. Da kann mir keiner erzählen, dass der heutige Stil nicht spektakulärer anzusehen ist. Selbst wenn es auch mir manchmal etwas zu extrem wird.
SPOX: Sie selbst verbrachten ja einige Jahre bei einem Team, das den damaligen Stil völlig auf den Kopf stellte: den Warriors unter Don Nelson. Mit dem großen Highlight 2007, als Ihr Team als achtplatziertes Team in der ersten Runde die Mavericks aus den Playoffs warf. Was verbinden Sie heute mit dieser Serie?
Richardson: We believe! Das war die unglaublichste Saison meiner Karriere, obwohl es für mich persönlich wegen mehrerer Verletzungen nicht die einfachste Phase war. Wir hatten es zum ersten Mal seit 13 Jahren überhaupt in die Playoffs geschafft und unsere Fans waren dadurch dermaßen euphorisiert, dass sie uns mitgetragen haben. Man vergisst das ja heute leicht, aber die Warriors waren damals lange Zeit eine graue Maus gewesen. Deswegen traute uns auch gegen Dallas niemand etwas zu. Wir aber schon - wir hatten damals einen ganz besonderen Zusammenhalt mit Stephen Jackson, Baron Davis und Co.
SPOX: Und Sie hatten mit Nelson jemanden, der Dirk Nowitzki recht gut kannte...
Richardson: Das stimmt, er hat uns alle Insider-Informationen weitergegeben. Wir kannten wirklich jeden Move von Dirk und wussten immer, wie wir reagieren mussten. Damals war sein Post-Game noch nicht ganz so ausgereift wie danach, deswegen konnte er es noch nicht so bestrafen, wenn er von einem kleineren Spieler wie Captain Jack physisch verteidigt wurde. Nellie wusste das und deswegen hatten wir einen großen Vorteil. Wir hatten ihn im Griff, weil wir einen Konter für jeden seiner Moves einstudiert hatten. Und Jack war ein verdammt guter Verteidiger.