In der kommenden Nacht wird das Trikot von Kobe Bryant im Staples Center unter die Hallendecke gezogen - beziehungsweise die Trikots. Sowohl die #8 als auch die #24 werden retired, verständlicherweise: Es würde sowieso kein anderer Laker mit einer dieser Nummern ernstgenommen werden. Und die Franchise konnte so umgehen, sich für eine Version ihres liebsten Sohnes als "die bessere" entscheiden zu müssen.
Der Abend wird Kobe gehören. Schon am Wochenende wurden die Warriors, die in der Nacht zu Gast sind, dazu befragt, was sie an Kobe vermissen oder was sie mit ihm verbinden - denn natürlich hat jeder Spieler der aktuellen Generation irgendeine Verbindung zu Bryant, ob im Geiste, durch Duelle oder Unterhaltungen, bei dem der Rat einer der größten NBA-Persönlichkeiten der Geschichte gesucht wurde.
Zum ersten Mal überhaupt in dieser Saison wird bei einem Lakers-Spiel damit jemand im Fokus stehen, der nicht Lonzo Ball heißt. Na endlich, möchte man mit erhobenem Megaphon aus dem Fenster brüllen.
LaVar Ball: Der Donald Trump des Basketballs
Vorweg: Es ist legitim, dass über einen No.2-Pick viel berichtet wird, und auch, dass die Erwartungen entsprechend hoch sind. Aber die Berichterstattung und Diskussion bei Ball nimmt schon lange komplett lächerliche Ausmaße an.
Natürlich ist mir bewusst, woran das liegt. Es ist ja auch unmöglich, LaVar Ball zu übersehen - und ich habe es versucht. Der Mann redet mehr Mist als Chris Tucker in "Friday" und ist dabei leider nicht halb so lustig. Im Prinzip wirkt er wie eine Art Donald Trump des Basketballs. Dass die beiden im Rahmen der "China-Affäre" aneinander gerieten, war da nur passend. Auch den Lakers ist seine ständige Kritik an Coach Luke Walton längst ein Dorn im Auge, selbst wenn LaVar hier schon ein wenig zurückruderte.
Auch das Argument, dass er alles ja nur im Interesse seiner Kinder mache, ist nicht mehr so richtig valide, seitdem er (anscheinend eigenmächtig) die High-School-Ausbildung seines jüngsten Sohnes LaMelo beendete, um diesen mit dem mittleren Bruder LiAngelo nach Litauen zu schicken, um dort professionell bei einem Team zu spielen, dessen Coach nicht einmal Englisch spricht.
Wie gesagt: Mir ist das alles bewusst. Und mehr will ich zur Personalie LaVar auch gar nicht sagen - es wurde weiß Gott schon genug Energie damit verschwendet. Ich möchte vielmehr versuchen, den Spieler Lonzo von seiner Familie und auch der "Big Baller Brand" zu trennen. Ich will untersuchen, wie sich Ball - abseits von Hype und Häme - eigentlich wirklich schlägt. Denn wie so oft liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen.
Lonzo Ball: Alarmierende Probleme mit dem Wurf
Blicken wir zunächst auf das Negative, zumal es eklatant ist. Dass Balls Wurf merkwürdig anzuschauen ist, wusste man schon zu College-Zeiten, im Gegensatz dazu trifft Lonzo ihn aktuell aber nicht, also wirklich gar nicht. Der Point Guard versenkt alarmierende 33,2 Prozent seiner Würfe, 26,5 Prozent seiner Dreier und Shaq-artige 48,6 Prozent von der Freiwurflinie.
Ball selbst hat schon zugegeben, dass er viel zu viel nachdenkt, und das kann man ihm in vielen Spielen ansehen. Das fehlende Vertrauen in den Wurf hemmt alles andere, allem voran den Drive. Ball zieht selten zum Korb, da er nicht an die Freiwurflinie will (nur 1,4 FTA pro Spiel), zumal er nicht der explosivste Spieler ist. Derzeit sinkt jeder Gegenspieler gegen ihn weit ab, und er kann es nicht bestrafen.
Als Lead-Ballhandler, der 33,3 Minuten pro Spiel auf dem Feld steht, zieht Ball pro 100 Ballbesitze genauso viele Freiwürfe wie Luke Babbitt oder Semi Ojeleye (1,9), die den Ball in ihren Teams nur im Notfall erhalten. Das ist ein Aspekt seines Spiels, den er unbedingt verbessern muss. Von allen Rotationsspielern, die mindestens 15 Minuten pro Spiel sehen, weisen in dieser Saison bisher nur Paul Zipser und Michael Carter-Williams eine miesere True Shooting Percentage auf als er (40,1).
Immer mit der Ruhe
Balls Schwierigkeiten beim Scoring sind alarmierend und seine Zögerlichkeit ist häufig problematisch für die Lakers, auch wenn er in einigen wenigen Spielen gezeigt hat, dass es anders geht. Wenn Lonzo aggressiv den eigenen Abschluss sucht, ist er ein anderer Spieler.
Dies sollte also Grund zur Hoffnung geben, wenngleich das bisher absolute Ausnahmefälle waren. In 13 seiner bisher 27 Spiele erarbeitete sich Ball keinen einzigen Freiwurf, die 20-Punkte-Marke knackte er nur einmal, in seinem zweiten Spiel, gegen damals offen revoltierende und womöglich betrunkene Suns.
Und trotzdem ist es Blödsinn, Ball schon jetzt nach China (oder Litauen) zu dichten oder auch nur als Bust abzustempeln. Denn während der hässliche Wurf eklatant ist, springen auf der anderen Seite auch einige Stärken klar ins Auge. Ball ist sehr vielseitig, was nicht nur seine bisher zwei Triple-Doubles unter Beweis gestellt haben.
Stark beim Rebound und in der Defense
Der große Point Guard setzt seine Länge von 1,98 m beim Rebound gut ein, 6,9 Boards sind ein Top-Wert für einen Guard und werden bei den Rookies nur von Simmons und den Big Men Lauri Markkanen und John Collins überboten. Diese Stärke fällt vor allem dann ins Gewicht, wenn Ball hinten zupackt und dann umgehend einen Outlet-Pass übers ganze Feld a la Kevin Love spielt - ein regelmäßig erfolgreiches Play bei den Lakers in dieser Saison.
Überhaupt ist sein Passspiel bereits sehr ausgereift - vor allem dann, wenn er das Spiel schnell machen kann. Im Halbfeld wird es ihm zwar zum Verhängnis, dass seine Gegenspieler so weit absinken, dennoch bringt er bereits sehr gute 7,1 Vorlagen an den Mann. Seine Assist/Turnover-Rate von 2,69 ist zudem Bestwert unter allen Rookies und beispielsweise fast doppelt so gut wie die vom gefeierten Mavs-Neuling Dennis Smith.
Das gute Passspiel war im Voraus angekündigt worden - die Defense hingegen nicht. Hier macht Ball jedoch eine viel bessere Figur als erwartet. Dank seiner Länge schafft er es einigermaßen zuverlässig, vor den schnelleren Guards zu bleiben, und hält im Post durchaus ordentlich dagegen.
Mit 0,9 Blocks gehört er aktuell zu den besten Rookies in dieser Kategorie, bei den Steals liegt er auf Rang zwei hinter Simmons. Insgesamt schließen Gegner um 2,8 Prozent schlechter ab, wenn sie von Ball verteidigt werden - eine durchaus überraschende Entwicklung. Wie die Tatsache, dass die Lakers mit einem Defensiv-Rating von 103,3 aktuell eine Top-10-Defense stellen.
Lasst ihm Zeit
Man kann heute noch nicht beurteilen, ob Ball ein Star werden wird - dafür ist das Problem mit dem Wurf zu groß. Es hängt einfach zu viel davon ab, auch weil ein guter Wurf die anderen Facetten seines Spiels noch mehr hervorheben würde. Er muss die Quoten zumindest auf ein akzeptables Niveau hieven, um dauerhaft einen positiven Impact auf sein Team ausüben zu können. Auch darf er keine Angst haben, an die Linie zu gehen.
Der Punkt ist aber: Man darf ihm durchaus auch noch einen Moment Zeit geben, an sich zu arbeiten. Es sind 27 Spiele absolviert. Nicht jeder Rookie kann einschlagen wie Simmons oder (ein, zwei Ebenen darunter) Jayson Tatum oder Donovan Mitchell, nicht jeder Neuling, der zu Beginn Probleme hat, ist deswegen gleich Hasheem Thabeet. Und angesichts seiner bisher gezeigten Stärken lässt sich immerhin festhalten, dass Ball in der NBA über lange Zeit eine Rolle spielen dürfte.
Wie genau diese aussehen wird, kann man noch nicht sagen. Vielleicht wird Ball eher eine Art Ricky Rubio (was nicht schlecht ist!) und nicht der neue LeBron oder "der größte Laker aller Zeiten." Vielleicht werden von ihm auch nicht mehrere Nummern unter die Hallendecke gezogen!
Es wäre ihm aber zu wünschen, dass man ihn seinen eigenen Weg gehen lässt - und ihn in Zukunft an seinen tatsächlichen Leistungen misst. Nicht an dem Stuss, den sein Vater von sich gibt.