Als Jalen Brunson im Draft 2018 mit dem 33. Pick nach Dallas wanderte, waren die Meinungen im Umfeld der Mavericks gemischt: Die Verantwortlichen um Donnie Nelson, Mark Cuban und Rick Carlisle sprachen von einem "klaren Erstrundentalent" und nannten in seinem Zusammenhang Attribute wie "Winner", "Leader" und "Toughness".
Ein anonymer General Manager bezeichnete Brunson als einen Spieler, "der keine optimale Größe besitzt, aber scoren und werfen kann und ein guter Anführer der Second Unit sein wird." Sean Deveney von Sporting News schloss sich an: "Bereits sein Vater (Rick Brunson spielte von 1999 bis 2006 in der NBA, Anm. d. Red.) arbeitete hart und war schlau genug, eine für ihn passende Rolle in der Liga zu finden. Jalen wird es mindestens genauso gut machen."
Demgegenüber fragten sich viele Fachleute und Fans der Mavs, warum man sich in Anbetracht der Kaderzusammensetzung unbedingt für einen kleinen Point Guard (1,90 Meter) entscheiden musste. Mit Dennis Smith Jr., J.J. Barea, Combo-Guard Devin Harris und Point Forward Luka Doncic standen vier Spieler im Kader, die das Spiel leiten können. So sah zumindest die Situation im Sommer 2018 aus.
Warum braucht Dallas noch einen Point Guard?
Zwar ist es in der heutigen Zeit sicherlich nicht verwerflich, mehrere Ballhandler im Aufgebot zu haben, doch war und ist Dallas insbesondere auf den Flügelpositionen extrem dünn besetzt. Dies veranlasst Carlisle dazu, mit Lineups mit drei Guards spielen zu lassen. Teams wie die Toronto Raptors machen es dagegen vor, wie wichtig athletische Flügelspieler sind, die variabel einsetzbar sind und in der Defensive switchen können.
Warum also pickten die Mavericks nicht einen anderen verfügbaren Spieler wie Hamidou Diallo, Sviatoslav Mykhailiuk oder Rodions Kurucs, der ein paar Zentimeter größer ist und durch Wurfstärke oder gute Arbeit in der Verteidigung für Entlastung am Perimeter sorgt? Wie so oft stellte sich die Frage, ob der "best player available" oder "der beste Fit" favorisiert werden soll. Dallas wählte erstere Option.
Jalen Brunson: College-Spieler des Jahres und NCAA-Champion
Nüchtern betrachtet war diese Wahl durchaus nachvollziehbar, ging Brunson doch mit allerlei Vorschusslorbeeren in den Draft. ESPN listete ihn nach seiner Junior-Saison an der Stevenson High School in Lincolnshire/Illinois als besten Point Guard des Landes, diese Entwicklung setzte sich nach Beginn seiner College-Laufbahn in Villanova nahtlos fort.
In seiner Freshman-Saison führte er die Wildcats direkt zur NCAA-Championship, 2018 wiederholte Villanova diesen Triumph, indem sich Brunson, Mikal Bridges und Donte DiVincenzo gegen die Michigan Wolverines um Moritz Wagner durchsetzten. Während DiVincenzo dank einer unfassbaren Leistung gegen die Wolverines (31 Punkte) seine Draftposition verbesserte (17. Pick) und Mikal Bridges (10. Pick) als bester Spieler des Teams galt, flog Brunson ein wenig unter dem Radar.
Jalen Brunson kommt zu Beginn nur wenig zum Einsatz
Zum Start der aktuellen Saison sahen sich viele Pessimisten bestätigt, was die Rolle von Brunson bei den Mavericks betrifft: Abgesehen von Minuten in der Garbage Time kam der Rookie nur unregelmäßig zum Einsatz, im November waren es lediglich 8,4 Minuten pro Spiel. Hinter Smith und Barea gab Brunson den dritten Point Guard, für den nicht viel Spielzeit übrig blieb. Und das, obwohl seine Leistungen durchaus Lust auf mehr machten.
Im Dezember änderte sich seine Rolle gezwungenermaßen: Smith fiel mit einer Handgelenksverletzung mehrere Spiele aus, sodass Brunson für acht Spiele sogar in die Starting Five rückte und in diesem Monat auf 9,2 Punkte in durchschnittlich 23,2 Minuten kam. Auffällig war, dass Carlisle - der nicht gerade für sein Vertrauen in Neulinge bekannt ist - auch in der Crunchtime auf den 22-Jährigen setzte. Dabei zeigte der ehemalige Wildcat viele Fähigkeiten, die sich Dallas von ihm erhofft hatte.
Abgezocktheit und Biss: Brunson spielt wie ein Veteran
Brunson ist ein Allrounder, der über ein hohes Spielverständnis verfügt, versucht, seine Mitspieler einzusetzen und selbst sowohl aus der Distanz (40 Prozent in der letzten College-Saison) als auch am Korb abschließen kann. Auffällig ist seine gute Assist-to-Turnover-Ratio: Im Dezember und Januar legte Brunson knapp drei Assists bei weniger als einem Turnover auf.
"Er spielt sehr konstant und hat eine sehr reife Spielanlage für einen Jungen, der in seinem ersten Jahr in der Liga ist. Ich mag es wirklich, wie er zum Rest von unserer Gruppe passt. Jalen hat sich jede einzelne Minute verdient, die er auf dem Platz steht", lobte Carlisle Brunson nach einem 101:76-Sieg gegen die Orlando Magic im Dezember, als der Point Guard 17 Punkte und 4 Assists auflegte.
Auf der anderen Seite besitzt Brunson nicht die Upside anderer Draft-Picks: Er wird aufgrund seiner körperlichen Voraussetzungen maximal ein durchschnittlicher Verteidiger werden und kann sich auch in der Offensive nur selten seinen eigenen Wurf kreieren. Er ist ein Systemspieler, der - wie es Carlisle mag - im Zusammenspiel mit den Teamkollegen einen Beitrag zum Gesamterfolg leistet. Dieser Beitrag wird in den kommenden Wochen deutlich größer werden müssen.
Barea verletzt sich schwer, Smith geht zu den Knicks
Dallas' Worst Case trat am 11. Januar ein, als sich Barea beim Sieg gegen die Minnesota Timberwolves die Achillessehne riss. Der Puerto Ricaner fällt für den Rest der Saison aus - mindestens. Ein herber Rückschlag für die Mavericks, die seitdem im (mittlerweile hoffnungslosen) Kampf um die Playoffs auf ihren wichtigsten Bankspieler verzichten müssen. "Es ist hart in Worte zu fassen, was J.J. für die Mannschaft bedeutet. Für alle von uns ist das herzzerbrechend", erklärte Carlisle nach der Diagnose.
Wenige Wochen später kam es zu einem weiteren Paukenschlag: In einem Blockbuster-Trade wurde Dennis Smith Jr. gemeinsam mit DeAndre Jordan und Wesley Matthews zu den New York Knicks verschifft. Um Smith, der nicht mit Doncic harmonierte und kein Liebling von Carlisle gewesen sein soll, rankten sich zuvor schon zahlreiche Trade-Gerüchte. Nun war der Point Guard tatsächlich weg, im Gegenzug landeten Kristaps Porzingis - der in dieser Saison nicht mehr auf dem Parkett stehen wird -, Courtney Lee, Tim Hardaway und Trey Burke in Dallas.
Jalen Brunson: Die Statistiken seit dem Smith-Trade
Spiele | Minuten | Punkte | Rebounds | Assists | Feldwurfquote | Dreierquote |
8 | 26,9 | 10,9 | 4,3 | 3,9 | 45,8 | 44,4 |
Jalen Brunson nimmt neue Rolle bei den Dallas Mavericks ein
Wie wirkt sich das auf die Lage von Brunson aus? Während Lee seit dem Trade zu den Mavericks kein Faktor ist (6 Spiele mit durchschnittlich 8,6 Minuten), legt Burke in seiner Spielzeit (16,3 Minuten) immerhin 9,3 Punkte bei 41,2 Prozent aus der Distanz auf. Sein Vertrag läuft jedoch aus, ihm wird in Dallas ebenso wenig die Zukunft gehören wie Harris. Dies lässt Brunson und Doncic als verbleibende Optionen für den Spielaufbau.
Die aktuellen Leistungen von Brunson sind durchaus vielversprechend: Seit dem Trade mit den Knicks startet er für die Mavericks und steht knapp 27 Minuten auf dem Parkett. Am vergangenen Freitag legte der ehemalige Wildcat bei der Niederlage gegen Denver ein Career-High von 22 Punkten bei starken Quoten (8/12 FG, 3/5 3FG) auf, was auch Carlisle freute: "Ich liebe es, wie er ins Spiel gestartet ist. Sie haben sehr körperlich gegen ihn gespielt, aber er hat sich nicht verrückt gemacht und die Partie stark beendet."
Die restlichen Spiele der Saison werden einen ersten Eindruck davon geben, wohin die Reise für den 33. Pick aus Villanova geht: Aufgrund der personellen und sportlichen Lage (6 Spiele hinter dem letzten Playoff-Rang im Westen) müssen und werden die Mavericks Brunson viel Spielzeit geben. Vieles deutet darauf hin, dass Brunson auf Jahre ein solider Spieler sein kann, der in jeder Zehn-Mann-Rotation seine Rolle findet. Seine Feuertaufe kommt nun jedoch schon früher als erwartet.